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Schritte zur Reform der Cannabispolitik
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"Eine Freigabe von Haschisch wird es mit uns nicht geben," so oder so ähnlich hört man es immer wieder von Politikern, besonders der CDU/CSU. Mit dem Begriff der "Freigabe" soll suggeriert werden, dass Cannabis derzeit streng kontrolliert sei: Laut Betäubungsmittelgesetz ist sein Besitz nur mit Sondergenehmigung und nur zu wissenschaftlichen oder sonstigen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erlaubt.
Diese Kontrollfunktion ist jedoch eine juristische Fiktion: Die praktische Erfahrung von mehr als drei Jahrzehnten beweist, dass eine Verhinderung des Konsums mit den Mitteln des Strafrechts gar nicht möglich ist. Tatsächlich gibt es derzeit rund 3,4 Millionen aktuelle Konsumenten, von denen kein einziger eine staatliche Erlaubnis hat. Cannabis ist die drittmeist gebrauchte psychoaktive Droge in Deutschland, nach Alkohol und Nikotin. Jeder vierte jüngere Deutsche hat es bereits probiert (insgesamt ca. 9,5 Millionen Menschen). Hätten Cannabiskonsumenten eine eigene Partei dann wäre diese die drittgrösste Fraktion im Bundestag.
Für Zuwiderhandlungen droht der Gesetzgeber bei Cannabis wie bei Heroin gleichermassen mit bis zu 5 Jahren Haft, die selbe Höchststrafe also wie für die fahrlässige Tötung eines Menschen! Das ist unangemessen. Das Verbot befindet sich hart am Rande der Verfassungswidrigkeit, wie schon die Karlsruher Entscheidung von 1994 gezeigt hat. Auch die Möglichkeit der straflosen Einstellung von Ermittlungsverfahren nach § 31a BtMG ist keine Lösung dafür, unter anderem weil es sich um eine Kann-Bestimmung handelt für die es keine bundeseinheitliche Durchführungspraxis gibt. Nur eine Gesetzesänderung kann endlich klare Verhältnisse schaffen.
Welche Modelle einer Reform gibt es? Die folgenden Definitionen schaffen hoffentlich ein bischen mehr Klarheit:
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Entkriminalisierung der Konsumenten: Herausnahme der Vorbereitungshandlungen zum Konsum (Besitz, Erwerb, Eigenanbau) aus der strafrechtlichen Verfolgung. Dazu gibt es mehrere Varianten:
- Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit (Bussgeld wie bei Falschparken als Verwaltungsstrafe, wie in Oregon, Kalifornien, Südaustralien, usw. )
- Ermessensprinzip für Polizei oder Staatsanwaltschaft (wie in den Niederlanden)
- Explizite Straffreiheit (auch keine Ordnungsstrafen; wie in der Schweiz oder Belgien geplant). In Deutschland wäre dies durch die Einführung eines § 31b BtMG möglich, der z.B. die Strafandrohung von der Überschreitung einer Mindestmenge abhängig macht.
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Entkriminalisierung von Konsum und Handel (de facto-Legalisierung)
- beeinhaltet Entkriminalisierung der Konsumenten, zusätzlich:
- Handel (evtl. auch kommerzieller Anbau) wird toleriert, bleibt aber strafbar und wird verfolgt falls bestimmte Bedingungen nicht eingehalten werden. Das Verbot wird dabei vor allem wegen der UN-Konvention von 1988 beibehalten. In den Niederlanden ist der Kleinhandel de facto legalisiert (Coffeeshops), der Anbau nicht. In der Schweiz soll auch der Anbau toleriert werden. In Belgien wird weder der Anbau noch der Handel toleriert, daher handelt es sich um eine reine Konsum-Entkriminalisierung.
- alternativ zu toleriertem Handel kann die Abgabe auch mit staatlicher Erlaubnis erfolgen. z.B. über Apotheken.
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Legalisierung
- Anbau und Handel sind nicht mehr strafbar, erfordern aber möglicherweise noch Genehmigungen die in der Regel erteilt werden (analog Schanklizenz). Nur diese Lösung ermöglicht eine spezielle Cannabisbesteuerung.
In den Niederlanden wird der Besitz geringer Mengen von Cannabis
schon seit 1976 nicht mehr verfolgt. Auch Belgien und die Schweiz
haben inzwischen beschlossen, den Besitz, Erwerb und Anbau von
Cannabis für den privaten Konsum von Erwachsenen nicht länger
zu verfolgen.
Es ist Zeit, die trotz Verfassungsgerichtsentscheidung andauernde
Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten, insbesondere im Süden
und Osten Deutschlands, zu beenden sowie die derzeitige
diskriminierende Führerscheinregelung zurückzunehmen. Die SPD kann
dabei an ihren Entkriminalisierungsentwurf (Drucksache 13/6534 vom
11.12.1996) anknüpfen.
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Führerscheinentzug darf nicht als als Ersatzstrafe missbraucht werden. Bei Cannabis, aber nicht bei Alkohol, wird allein aufgrund des Besitzes (ohne Bezug zum Strassenverkehr) ein Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung eingeleitet. Während Alkoholkonsumenten der Führerschein nur entzogen wird wenn Abhängigkeit vorliegt oder wenn begründete Zweifel an ihrer Fähigkeit bestehen, Konsum und Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen, verneint die Fahrerlaubnisverordnung pauschal die Fahreignung, wenn "regelmässiger" Konsum von Cannabis vorliegt. Die derzeitige Regelung ist unverhältnismässig und verfassungswidrig. Langfristig müssen auch Grenzwerte für Bluttests im Strassenverkehr erarbeitet werden, analog zur 0,5-Promillegrenze bei Alkohol. Vorschläge von Experten liegen seit Jahren vor. Damit würde einerseits den Ansprüchen der Verkehrssicherheit Rechnung getragen, andererseits jedoch würden Ungerechtigkeiten vermieden.
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Der Erwerb, Besitz und Anbau geringer Mengen von Cannabis zum
Eigenkonsum sollte für Erwachsene straffrei gestellt werden, wie
von der SPD bereits 1996 gefordert. Das würde die Polizei und
Justiz von etwa 95'000 Ermittlungsverfahren pro Jahr entlasten und ihre
Effizienz bei der Bekämpfung anderer Straftaten verbessern.
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Auch Belgien und die Schweiz wollen den Eigenanbau geringer
Mengen zulassen. Ein praktikables Modell zum straffreien
Eigenanbau könnte die Nachfrage auf dem kriminellen Schwarzmarkt
effektiver reduzieren und eine bessere Märktetrennung erreichen
als dies durch das Verbot möglich ist. Beim Eigenanbau ist eine andere Grenzmenge
sinnvoll als im SPD-Entwurf von 1996 vorgesehen.
Entsprechend
Artikel 28 Abs. 2 des Einheitsübereinkommens von 1961
fällt Cannabis für gartenbauliche Zwecke nicht unter die
Beschränkungen des Suchtstoffabkommens. Diesem Absatz wird im
deutschen Betäubungsmittelgesetz bisher nicht Rechnung getragen.
Der Gesetzgeber sollte den Anbau und Besitz einer flächenmässig,
anzahlmässig oder gewichtsmässig begrenzten Menge von
Cannabispflanzen durch Erwachsene aus dem BtMG ausnehmen, sofern
keine Ausfuhr, kein Handel und keine Abgabe an Minderjährige
erfolgt.
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Die Bundesregierung sollte nach Möglichkeit ein staatlich
kontrolliertes Cannabisabgabesystem für Erwachsene einrichten, mit
dem Ziel, eine Märktetrennung, Alterskontrollen und staatliche
Einnahmen analog zur Bier-, Branntwein- und Tabaksteuer zu
ermöglichen (Cannabismonopol). Die Abgabe könnte in Apotheken oder Fachgeschäften erfolgen. Dieses System würde Kriminelle
einer Einnahmequelle berauben und die Polizei weiter für andere
Aufgaben entlasten. Die Einnahmen aus dem Cannabisvertrieb sollten
vor allem zur verbesserten Drogenprävention und für
Jugendprogramme verwendet werden.
Diese Reformen sollten sorgfältig angegangen werden. Wir brauchen
zuallererst eine öffentliche Diskussion über dieses Thema. Eine
Bereitschaft zu Reformen existiert in einem breiten politisches
Spektrum. In der Schweiz sind inzwischen selbst die
Christdemokraten für eine Entkriminalisierung. Ein solcher neuer Konsens kann längerfristig auch in Deutschland erreicht werden. Wir
setzen uns dafür ein, dass - mehr als 10 Jahre nach dem Karlsruher Urteil - bald auch Deutschland wie die Niederlande, Belgien und die Schweiz den Schritt hin zu mehr Toleranz, Gerechtigkeit und Vernunft in der Drogenpolitik wagt.
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