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Oberstaatsanwalt Dr. Harald Hans Körner
Dr. Harald Hans Körner ist Oberstaatsanwalt beim OLG Frankfurt und Leiter der Zentralstelle für die Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität. Dr. Körner ist Mitglied der Drogen- und Suchtkommission des Bundesgesundheitsministeriums, die ein Konzept für eine neue Drogenpolitik ausarbeiten soll.
Als Verfasser des massgeblichen juristischen Kommentars zum Betäubungsmittelgesetz (Betäubungsmittelgesetz, 5. Auflage) schrieb er zum Abschluss des Kapitels zu Cannabis:
Unabhängig für welchen Weg man sich entscheidet, die Zeit ist reif dafür, den Erwerb und Besitz eines Cannabiskonsumenten straflos zu stellen.
("Betäubungsmittelgesetz", Hervorhebung vom Autor)
In seiner Rede zur CannabisKampagne auf der akzept-Veranstaltung in Nürnberg am 18.04.2002 zeigte er konkrete Wege zu einer schrittweisen Änderung des Betäubungsmittelgesetzes auf:
Harald Körner: "Strafverfolgung von Cannabiskonsumenten - Bestandsaufnahme und wie weiter?"
(...)
Doch da tritt die dritte Frau vermittelnd zwischen die repressiven
und liberalen Kräfte, nämlich eine Gruppe von Experten in der Rolle
von Athene auf und empfiehl beiden gesetzlichen Regelungen weder
allein auf die verantwortungsbewussten mündigen Bürger noch auf die
verantwortungslosen Bürger abzustellen, sondern in der Zurückdrängung
des Strafrechts bei dem Gesundheitsschutz und der staatlichen
Fürsorge die jungen und schwachen, die uneinsichtigen und unmündigen
Bürger nicht zu vergessen und statt der Botschaft ein bisschen
Freigabe auf detaillierte Verbraucherinformation und Hilfeangebote zu
setzen und die Strafvorschriften bei Cannabis zum Notnagel verkommen
zu lassen.
Grundsätzlich kann eine Entkriminalisierung von Cannabis auf 7 Wegen
geschehen, ich kann es kurz skizzieren:
- Man könnte die Straftatbestände für weiche Drogen herunterstufen,
also den Strafrahmen der geltenden Strafrechtsbestimmungen für weiche
Drogen ermäßigen.
Man könnte den Umgang mit Cannabis als Ordnungswidrigkeit gestalten
und mit Bussgeld beantworten.
Man könnte spezielle Cannabis-Verbrechenstatbestände zu
Vergehenstatbestände herunterstufen.
- Der nächste Weg wäre eine Entpönalisierung von Cannabis-Delikten,
also man bleibt bei einem grundsätzlichen Verbot, verzichtet aber in
bestimmten Fällen auf Anklageerhebung im Strafrecht bei
Konsumentendelikte oder bei Handelsdelikten.
- Die dritte Spur wäre eine Entkriminalisierung von Cannabis-Delikten.
Man begrenzt das Verbot und die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis
auf nicht geringe Mengen, auf Erwerbsmässigkeit, oder lässt die
Strafbarkeit erst bei bestimmten Grenzmengen beginnen, schränkt also
den Tatbestand ein.
- Der vierte Weg wäre eine ärztlich kontrollierte Vergabe von Cannabis,
bei bestimmten Indikationen Cannabis zu zulassen.
Der vierte Weg wäre schließlich eine staatlich kontrollierte Abgabe
von Cannabis. Der Staat könnte Konzessionen an Cannabishändlern unter
strengen Auflagen vergeben oder staatliche Verkaufsstellen für
Cannabis einrichten.
Gleichzeitig würde man den illegalen Cannabishandel verfolgen. Als
Beispiele etwa, sie haben alle in der Vergangenheit von dem Kieler
Abgabemodell gehört, sie kennen die niederländischen Koffeeshops, sie
kennen die niederländischen Smartshops. Dies wären Beispiele einer
staatlich kontrollierten Abgabe von Cannabis.
- Ein weiterer Weg wäre eine staatliche Produktion von Cannabis, man
konzessioniert und überwacht den Anbau und Handel mit Cannabis und
lässt Cannabis in staatlichen Betrieben anbauen, herstellen und
vertreiben.
- Und schließlich die 7. Stufe oder der 7. Weg die vollends Freigabe
von Cannabisprodukten, man überlässt Cannabis vollständig den freien
Markt und beschränkt sich auf Jugendschutzbestimmungen und
steuerrechtliche Lenkungsmöglichkeiten.
Wie sieht die Entkriminalisierung in Europa aus, wenn man es einmal
mit der rechtlichen Brille betrachtet? In den Niederlanden, in der
Schweiz und in Deutschland geht man ganz verschiedene Wege.
In den Niederlanden erlaubt das Opportunitätsgesetz die Einrichtung
von Koffeeshops, Smartshops und die Duldung von sogenannten
Hausdealern, wenn nur – und das ist das Entscheidende – die
Sicherheit und Ordnung gewährleistet ist.
Zwar ist der Handel mit Cannabis grundsätzlich nach niederländischen
Gesetz verboten und strafbar, aber kraft des Opportunitätsprinzips
kann die Staatsanwaltschaft eine Nichtverfolgung des Cannabishandels
dulden, wenn die Cannabishändler die Einhaltung der Sicherheit und
Ordnung gewährleisten. Man beschränkt in den Niederlanden dann zwar
die Vorratsstände und Verkaufsstellen, und die Cannabisration, die
ein Kunde erwerben kann, verschliesst aber die Augen davor, dass bei
der Produktion und der Versorgung der Verkaufsstellen riesige
Cannabismengen illegal angebaut werden mit jährlich steigenden
Rekordumsätzen.
In der Schweiz ist man bemüht die Grenzen der Opportunität in einer
Neufassung des Suchtgiftgesetzes gesetzlich zu regeln, denn der Staat
hat ein Interesse daran dass der Cannabiskonsument beim Einkauf nicht
die illegale Drogenszene aufsuchen muss und nicht in Kriminalität
gerät.
Es kann aber aus meiner Sicht nicht darum gehen, europaweit die
Rechtssysteme und Strafbestimmungen zu vereinheitlichen, dass
Cannabismodell irgendeines Landes europaweit zu kopieren oder zu
fragen, welcher europäischer Staat hat denn das beste
Cannabislösungskonzept. Wir können lediglich unsere gesetzlichen
Bestimmungen annähern und unsere Praxis in Europa angleichen. Es war
der niederländische Professor Rüüder (?) von der Universität in
Amsterdam, der eindringlich davor warnte, das Strafrecht der
europäischen Staaten in einem grossen Topf zu werfen und ein
einheitliches Strafrecht zu zubereiten, denn es käme seines
Erachtens nur eine geschmacklose Esperanto-Brühe heraus.
Strafrecht ist nach meiner Auffassung auch ein Stück gewachsene
Rechtkultur, die von nationalen Traditionen, Wertvorstellungen, aber
auch Ängsten und Irrationalitäten geprägt ist. Es bleibt die Frage,
ob die europäischen Unterzeichnerstaaten nicht irgendwann einmal
gemeinsam prüfen müssten, ob die drei internationalen
Suchtstoffabkommen noch der heutigen Zeit entsprechen und ob es nicht
sinnvoll wäre, dass die drei durch ein neues, viertes Suchtabkommen
zu ersetzen. Denn die Kündigung einzelner Suchtstoffabkommen würde
nur zusätzliche Probleme und zur Uneinheitlichkeit im Umgang mit
Cannabis führen.
Wie sieht nun die Entkriminalisierung in Deutschland aus?
In Deutschland ist bislang lediglich die Nachfrage von Cannabis
entpönalisiert, also nicht entkriminalisiert, sondern nur
entpönalisiert. Das Angebot von Cannabis wird streng verfolgt. Dies
kann und ist häufig in Einzelfällen unaufrichtig und problematisch.
Dennoch ist der niederländische Weg wegen des Legalitätsprinzips in
Deutschland, wegen geltender Drogengesetze, wegen der drei
internationalen Suchtstoffübereinkommen, die Deutschland nun einmal
unterschrieben hat, derzeit unvertretbar und auch unvorstellbar.
Anders der Schweizer Weg. Der Schweizer [Weg] könnte aus meiner Sicht von
Deutschland in abgewandelter Form beschritten werden. Bei der
Regelung der Cannabisfrage wäre es ein Verstoss gegen die
Rechtskultur in Deutschland, wenn der Gesetzgeber angesichts der
fortgesetzten Kontroverse in der Cannabisfrage in der Bevölkerung ein
Verhalten, dass er jahrelang als verboten und strafwürdig einstufte,
nun plötzlich für rechtsmässig und wünschenswert für einen mündigen
Bürger bewerten würde. Die Gesetzgebung und die Rechtsentwicklung
darf nicht sprunghaft gesellschaftliche Werte absolut entgegengesetzt
beurteilen und ein gesellschaftlichen Konsens, dass Cannabis die
jugendliche Entwicklung gefährden kann, leichtfertig aufs Spiel
setzen.
Die Gesetzgebung und Rechtsentwicklung müssen den Bürgern vermittelt
werden, damit sie eine Gesetzesänderung verstehen und ein neues
Gesetz auch respektieren können. Bei der Änderung des BtMG, ob es
einem gefällt oder nicht, müssen die Rechtssprechung des BVerfG und
die internationalen Suchtstoffabkommen, so veraltet und überholt sie
auch sein mögen, Beachtung finden. Es führt uns hier überhaupt nicht
weiter, wenn wir die Begründung der BVerfGE, die im Jahre 1997 als
zweites BVerfGE erfolgt ist, nicht zur Kenntnis nehmen. Auch ich
bedaure diese Entscheidung vom 10.06.1997, mit der das BVerfG hinter
die Thesen von 1994 wieder zurück gewichen ist und zu dem Ergebnis
gelangte, dass es verfassungsrechtlich hin zu nehmen sei, wenn der
Gesetzgeber angesichts eines noch nicht abgeschlossenen
Meinungsstreites an der Auffassung festhält, das generelle
strafbewehrte Cannabisverbot schrecke eine grössere Anzahl
potentieller Konsumenten besser ab, als die Aufhebung der
Strafandrohung und sei daher zum Rechtsgüterschutz besser geeignet.
(...)
Denn auch wenn Riesenschritte in der Cannabisfrage derzeit schwer
vorstellbar sind, können wir kleinere, vernünftige
Entpönalisierungsschritte unternehmen, für die ich werben möchte:
So wäre als deutscher Kompromissvorschlag zu den niederländischen und
schweizer Reformideen folgendes nachdenkenswert:
Man könne die Opportunitätsvorschrift des § 31 a BtMG durch weitere
Opportunitätsvorschriften im BtMG ergänzen.
So könnte man darüber diskutieren:
1) ob Cannabis-Ermittlungsverfahren - nach § 31 b neu –
einzustellen
wären, wenn der Erwerb, Besitz und Handel geringer Cannabismengen
aufgrund einer ärztlichen Verordnung zur medizinischen Anwendung
geschah.
2) oder, so könnte man erörtern, dass Ermittlungsverfahren - nach §
31 c neu – einzustellen wären, wenn der Erwerb, Besitz, Anbau
oder
Handel geringer Mengen von Cannabis nach behördlichen Auflagen
und/oder zur Vermeidung oder Rückbildung des Cannabis-Strassenhandels
im öffentlichen Interesse erfolgt.
3) oder drittens, so könnte der Erwerb und Besitz geringer
Cannabismengen straflos bleiben, wenn damit Handelswaren oder Händler
aus dem Verkehr gezogen werden sollen - § 31 d neu BtMG –
Gleichzeitig könnte die Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für
Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn durch vermehrte
Ausnahmegenehmigungen nach § 3 Abs. 2 BtMG abgegrenzte
Erprobungsprojekte mit Cannabis ermöglichen.
Meine Damen und Herren, ich würde mich, ja gerne wie Pares für
Aphrodite entscheiden. Ich glaube allein derzeit ist es klüger,
Athene zu folgen. (*)
(Harald Hans Körner, 18.04.2002)
Anmerkung: Pares sollte bekanntlich den Streit zwischen Hera, Athene und Aphrodite entscheiden, wer von ihnen die schönste Frau sei. Hera versprach ihm Macht, Athene Ruhm und Aphrodite die schönste Frau, Helena. Pares wählte Aphrodite und löste damit den Trojanischen Krieg aus, der mit einem Sieg der Partei Athenes endete. Dr. Körner will mit diesem Gleichnis wohl ausdrücken, dass nicht das "schönste" Modell der Cannabisreform zählt sondern jenes, das Aussicht auf Erfolg hat.
Weitere Informationen:
Schritte zur Reform der Cannabispolitik
Cannabisveranstaltung in Nürnberg am 18.04.2002
Bücher: Betäubungsmittelgesetz
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