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Die Cannabis-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
09. März 1994 (BVerfGE 90, 145 - Cannabis)
Im Jahre 1994 musste das Bundesverfassungsgericht aufgrund verschiedener Vorlagebeschlüsse über die Verfassungsmässigkeit des Cannabisverbots entschieden.
Siehe auch: Das Bundesverfassungsgerichtsurteil im Original
Das oberste deutsche Gericht entschied zwar, dass das Cannabisverbot durch den Ermessensspielraum gedeckt sei, den das Grundgesetz dem Gesetzgeber einräumt, beschränkte jedoch gleichzeitig die kriminellen Sanktionen, die bei der Durchsetzung des Gesetzes eingesetzt werden dürfen und verpflichtete die Bundesländer zur effektiven Angleichung der Strafverfolgungspraxis. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, neuere wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Ausland zu berücksichtigen um in Zukunft zu entscheiden, ob das Strafrecht tatsächlich das geeignetste Mittel ist um die angestrebten Schutzfunktionen zu erreichen. Im Folgenden einige Auszüge aus der Entscheidung der Karlsruher Richter:
In materieller Hinsicht bietet - vorbehaltlich besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den allgemeinen verfassungsrechtlichen Maßstab, nach dem die Handlungsfreiheit eingeschränkt werden darf (vgl. BVerfGE 75, 108 <154 f.>; 80, 137 <153>). Diesem Grundsatz kommt gesteigerte Bedeutung für die Prüfung einer Strafvorschrift zu, die als schärfste dem Staat zur Verfügung stehende Sanktion ein sozialethisches Unwerturteil über ein bestimmtes Handeln des Bürgers ausspricht (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 88, 203 <258>).
Wird Freiheitsstrafe angedroht, so ermöglicht dies einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Grundrecht der Freiheit der Person. Die Freiheit der Person, die das Grundgesetz als "unverletzlich" bezeichnet, ist ein so hohes Rechtsgut, daß in sie aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Unbeschadet dessen, daß solche Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen auch in Betracht kommen mögen, wenn sie den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 58, 208 <224 ff.>; 59, 275 <278>; 60, 123 <132>), sind sie im allgemeinen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert.
Nach diesem Grundsatz muß ein grundrechtseinschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (vgl. BVerfGE 30, 292 <316>; 63, 88 <115>; 67, 157 <173, 176>). Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann (vgl. BVerfGE 77, 170 <215>; 88, 203 <262>).
Ferner muß bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein (vgl. BVerfGE 30, 292 <316>; 67, 157 <178>; 81, 70 <92>). Die Maßnahme darf sie mithin nicht übermäßig belasten (Übermaßverbot oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne; vgl. BVerfGE 48, 396 <402>; 83, 1 <19>). Im Bereich des staatlichen Strafens folgt aus dem Schuldprinzip, das seine Grundlage in Art. 1 Abs. 1 GG findet (vgl. BVerfGE 45, 187 <228>), und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Freiheitsrechten abzuleiten ist, daß die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Eine Strafandrohung darf nach Art und Maß dem unter Strafe stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 54, 100 <108>; st. Rspr.).
[...]
c) Die ursprüngliche Einschätzung der Gesundheitsgefahren
durch den Gesetzgeber ist heute umstritten. Jedoch ist auch die den
Vorlagebeschlüssen
zugrundeliegende Annahme mangelnder Gefährlichkeit von
Cannabisprodukten
ungesichert.
(2) Die Schätzungen über die gegenwärtige Konsumentenzahl
in Deutschland schwanken nach Geschwinde (a.a.O. S. 14, Rdnr. 52) zwischen
800.000 und zwei Millionen, nach Körner (BtMG, Einleitung Rdnr. 9)
zwischen drei bis vier Millionen. Dabei handelt es sich jedoch
überwiegend
um Gelegenheitskonsumenten. Bei einer Repräsentativerhebung des
Bundesministeriums
für Gesundheit aus dem Jahre 1990 gaben 56,7 % der befragten
Konsumenten
die Konsumhäufigkeit im letzten Jahr mit ein- bis fünfmal an
(vgl. die Anlage 3 zur Stellungnahme des Bundesministers für Gesundheit
im Verfahren 2 BvL 43/92).
[...]
(5) Die konkreten physischen und psychischen Wirkungen sowohl des
einmaligen
wie des fortgesetzten Cannabiskonsums werden zum Teil unterschiedlich
beschrieben
(vgl. dazu Geschwinde, a.a.O., S. 21 ff.; Binder, Haschisch und Marihuana,
in: Deutsches Ärzteblatt 1981, S. 117 ff.; Täschner, a.a.O.,
S. 117 ff.; Quensel, a.a.O., S. 380 ff.; Stellungnahme des
Bundesgesundheitsamts
im Verfahren 2 BvL 43/92). Dies hat zur Folge, daß auch die Bewertung
der Gefahren, die dem Einzelnen und der Gemeinschaft durch den
Cannabiskonsum
drohen, unterschiedlich ausfällt (vgl. dazu Täschner, a.a.O.,
S. 241 ff. einerseits, Quensel, a.a.O., S. 386 ff. andererseits; eine
mittlere
Position vertreten: Geschwinde, a.a.O., S. 41 ff., und die Stellungnahme
des Bundesgesundheitsamts).
Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, daß
Cannabisprodukte
keine körperliche Abhängigkeit hervorrufen (vgl. Körner,
a.a.O., Anhang C 1, Anm. 46 g; Eberth/Müller,
Betäubungsmittelrecht,
1982, § 1 Rdnr. 27; Geschwinde, a.a.O., S. 41, Rdnr. 156) und -
außer
bei chronischem Konsum hoher Dosen - auch keine Toleranzbildung bewirken
(vgl. Körner, a.a.O.; Geschwinde, a.a.O.; Bundesgesundheitsamt, a.a.O.,
S. 13; a.A. Täschner, a.a.O., S. 147 ff.). Auch werden die
unmittelbaren
gesundheitlichen Schäden bei mäßigem Genuß als eher
gering angesehen (vgl. Geschwinde, a.a.O., S. 41 Rdnr. 155; Täschner,
a.a.O., S. 143 ff.; Bundesgesundheitsamt, a.a.O., S. 10, 14 ff.).
Andererseits
wird die Möglichkeit einer psychischen Abhängigkeit kaum
bestritten
(vgl. Täschner, a.a.O., S. 147 ff.; Körner, a.a.O.;
Bundesgesundheitsamt,
a.a.O.; Geschwinde, a.a.O., S. 42 Rdnr. 157 <für eine Minderheit
von Cannabiskonsumenten bei hohem, langandauerndem Mißbrauch>); dabei
wird aber das Suchtpotential der Cannabisprodukte als sehr gering eingestuft
(vgl. Täschner, NStZ 1993, S. 322 <323>). Dem entspricht die hohe
Zahl der unauffälligen Gelegenheitskonsumenten sowie der Verbraucher,
die sich auf den Konsum von Haschisch beschränken. Ferner wird
beschrieben,
daß der Dauerkonsum von Cannabisprodukten zu Verhaltensstörungen,
Lethargie, Gleichgültigkeit, Angstgefühlen, Realitätsverlust
und Depressionen führen könne (vgl. Körner, a.a.O.;
Täschner,
a.a.O.; zurückhaltender: Geschwinde, a.a.O., S. 42 ff.;
Bundesgesundheitsamt,
a.a.O.) und dies gerade die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen
nachhaltig zu stören vermöge. Umstritten ist dagegen die
Verursachung
des sogenannten amotivationalen Syndroms, eines durch Apathie,
Passivität
und Euphorie gekennzeichneten Zustandsbildes. Die Diskussion geht darum,
ob der Konsum von Cannabisprodukten das amotivationale Syndrom hervorruft
(so Täschner, a.a.O., S. 154 ff.) oder ob der Konsum erst die Folge
der schon vorher bestehenden Lebenseinstellung darstellt (so Quensel,
a.a.O.,
S. 387; zurückhaltender: Geschwinde, a.a.O., S. 42 ff., Rdnrn. 158
bis 164; Bundesgesundheitsamt, a.a.O., S. 17 f.). Weitgehende Einigkeit
besteht indessen darüber, daß das amotivationale Syndrom nur
mit einem Dauergenuß von Cannabisprodukten in höherer Dosierung
einhergeht.
Überwiegend abgelehnt wird nunmehr die Auffassung, Cannabis habe
eine "Schrittmacherfunktion" auf härtere Drogen hin, soweit damit
eine stoffliche Eigenschaft der Cannabisprodukte bezeichnet werden soll
(vgl. Körner, a.a.O., Anhang C 1, Rdnr. 46 m; Geschwinde, a.a.O.,
S. 44 f., Rdnr. 166; Quensel, a.a.O., S. 391; Bundesgesundheitsamt, a.a.O.,
S. 22 ff.). Dies deckt sich mit dem Ergebnis der Repräsentativerhebung
1990 (Anlage 3 zur Stellungnahme der Bundesregierung im Verfahren 2 BvL
43/92, S. 15), wonach nur 2,5 % der Haschischkonsumenten auch andere unter
das Betäubungsmittelgesetz fallende Drogen gebrauchten. Damit wird
nicht ausgeschlossen, daß in einer nicht näher bestimmbaren
Zahl von Fällen der Cannabiskonsum einen "Umsteigeeffekt" auf harte
Drogen zur Folge hat. Dies wird allerdings weniger auf die
Rauschgewöhnung
als vielmehr auf die Einheitlichkeit des Drogenmarktes - der
Cannabisverbraucher
bezieht das Haschisch in der Regel bei Dealern, die auch mit "harten" Drogen
handeln - zurückgeführt (so im Ergebnis wohl auch die
Stellungnahme
des Bundesgesundheitsamts, a.a.O., S. 22 unten).
Unbestritten ist schließlich, daß ein akuter Cannabisrausch
die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt (vgl. hierzu Kreuzer, NStZ
1993, S. 209 ff.; Maatz/Mille, DRiZ 1993, S. 15 ff.; BVerfGE 89, 69 <77
ff.>).
3. Obwohl sich danach die von Cannabisprodukten ausgehenden
Gesundheitsgefahren
aus heutiger Sicht als geringer darstellen, als der Gesetzgeber bei
Erlaß
des Gesetzes angenommen hat, verbleiben dennoch auch nach dem jetzigen
Erkenntnisstand nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken, so
daß
die Gesamtkonzeption des Gesetzes in bezug auf Cannabisprodukte auch
weiterhin
vor der Verfassung Bestand hat. Dies ergeben die vom Senat eingeholten
fachbehördlichen Stellungnahmen des Bundesgesundheitsamts und des
Bundeskriminalamts sowie das vom Senat - über die zitierten
zusammenfassenden
Darstellungen hinaus - ausgewertete einschlägige Schrifttum. Die
gesetzliche
Konzeption geht dahin, den gesamten Umgang mit Cannabisprodukten mit
Ausnahme
des Konsums selbst wegen der von der Droge und dem Drogenhandel ausgehenden
Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit einer umfassenden
staatlichen Kontrolle zu unterwerfen und zur Durchsetzung dieser Kontrolle
den unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten lückenlos mit Strafe
zu bedrohen. Mit diesem Inhalt sind die Strafvorschriften des
Betäubungsmittelgesetzes
geeignet, die Verbreitung der Droge in der Gesellschaft einzuschränken
und damit die von ihr ausgehenden Gefahren im ganzen zu verringern. Die
Strafvorschriften sind damit generell geeignet, den Gesetzeszweck zu
fördern.
[...]
4. Die aus Anlaß der mehrfachen Änderungen des
Betäubungsmittelgesetzes
und der Zustimmung zum Suchtstoffübereinkommen 1988 wiederholt
überprüfte
und festgehaltene Einschätzung des Gesetzgebers, die strafbewehrten
Verbote gegen den unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten seien auch
erforderlich,
um die Ziele des Gesetzes zu erreichen, ist von Verfassungs wegen ebenfalls
nicht zu beanstanden. Auch auf der Grundlage des heutigen Erkenntnisstandes,
wie er sich aus den oben (unter 3.) bezeichneten Quellen zur Genüge
entnehmen läßt, ist die Auffassung des Gesetzgebers vertretbar,
ihm stehe zur Erreichung der gesetzlichen Ziele kein gleich wirksames,
aber weniger eingreifendes Mittel als die Strafandrohung zur Verfügung.
Dagegen läßt sich nicht einwenden, die bisherige
Cannabis-Prohibition
habe die Gesetzesziele nicht vollständig erreichen können und
eine Freigabe von Cannabis würde als milderes Mittel diese Zwecke
eher erfüllen. Die kriminalpolitische Diskussion darüber, ob
eine Verminderung des Cannabiskonsums eher durch die generalpräventive
Wirkung des Strafrechts oder aber durch die Freigabe von Cannabis und eine
davon erhoffte Trennung der Drogenmärkte erreicht wird, ist noch nicht
abgeschlossen. Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, die zwingend
für
die Richtigkeit des einen oder anderen Weges sprächen, liegen nicht
vor. Die internationalen Abkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland
beigetreten ist, setzen bei der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs
und des unerlaubten Verkehrs mit Drogen zunehmend auf den Einsatz
strafrechtlicher
Mittel. Ob es unter Berücksichtigung dieser internationalen
Rechtsentwicklung
gelingen könnte, durch eine Freigabe von Cannabisprodukten eine
Trennung
der Drogenmärkte im nationalen Rahmen herbeizuführen, oder ob
nicht vielmehr die Bundesrepublik zu einem neuen Mittelpunkt des
internationalen
Drogenhandels werden würde, ist zumindest offen. Ebenso ungewiß
ist, ob durch einen Wegfall des "Reizes des Verbotenen" oder durch
Aufklärungsmaßnahmen
über die Gefahren des Cannabiskonsums eine Verminderung des
Cannabisverbrauchs
bewirkt werden würde. Wenn der Gesetzgeber bei dieser Sachlage an
der Auffassung festhält, das generelle strafbewehrte Cannabisverbot
schrecke eine größere Anzahl potentieller Konsumenten ab als
die Aufhebung der Strafdrohung und sei daher zum Rechtsgüterschutz
besser geeignet, ist dies verfassungsrechtlich hinzunehmen. Denn für
die Wahl zwischen mehreren potentiell geeigneten Wegen zur Erreichung eines
Gesetzesziels besitzt der Gesetzgeber die Einschätzungs- und
Entscheidungsprärogative
(vgl. BVerfGE 77, 84 <106>). Zwar erscheinen unter besonderen
Voraussetzungen
Fälle denkbar, in denen gesicherte kriminologische Erkenntnisse im
Rahmen der Normenkontrolle insoweit Beachtung erfordern, als sie geeignet
sind, den Gesetzgeber zu einer bestimmten Behandlung einer von Verfassungs
wegen gesetzlich zu regelnden Frage zu zwingen oder doch die getroffene
Regelung als mögliche Lösung auszuschließen (vgl. BVerfGE
50, 205 <212 f.>). Einen solchen Festigkeitsgrad weisen indessen die
Ergebnisse des Meinungsstreits über ein strafbewehrtes Verbot jeglichen
Umgangs mit Cannabisprodukten nicht auf.
[...]
Es liegt allerdings in der Natur eines so umfassend konzipierten
Strafrechtsschutzes,
daß die Straftatbestände Begehungsweisen erfassen, die erhebliche
Unterschiede in bezug auf die Art und das Maß der Gefährdung
der geschützten Rechtsgüter und in bezug auf den individuellen
Unrechts- und Schuldgehalt aufweisen. Die Gefährdung der
geschützten
Gemeinschaftsgüter kann je nach den Eigenschaften und Wirkungen der
Droge, der im Einzelfall betroffenen Menge, der Art des jeweils in Betracht
kommenden Verstoßes sowie unter Berücksichtigung sonstiger
gefahrrelevanter
Umstände ein so geringes Maß erreichen, daß die
generalpräventiven
Gesichtspunkte, die die generelle Androhung von Kriminalstrafe
rechtfertigen,
an Gewicht verlieren. Die Strafe könnte dann im Blick auf die
Freiheitsrechte
des Betroffenen und unter Berücksichtigung der individuellen Schuld
des Täters und darauf abhebender spezialpräventiver
kriminalpolitischer
Ziele eine übermäßige und deshalb verfassungswidrige
Sanktion
darstellen.
Die Prüfung dieser Frage erübrigt sich nicht schon deshalb,
weil das generelle Konzept des Gesetzgebers, den unerlaubten Umgang mit
Cannabisprodukten umfassend mit Strafe zu bedrohen, als ein geeignetes
und erforderliches Mittel zur Durchsetzung des erstrebten
Rechtsgüterschutzes
anzusehen ist. Die dritte Stufe der
Verhältnismäßigkeitsprüfung
hat vielmehr gerade den Sinn, die als geeignet und erforderlich erkannten
Maßnahmen einer gegenläufigen Kontrolle im Blick darauf zu
unterwerfen,
ob die eingesetzten Mittel unter Berücksichtigung der davon ausgehenden
Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem
angemessenen
Verhältnis zu dem dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen.
Die Prüfung am Maßstab des Übermaßverbots kann
demgemäß
dazu führen, daß ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel
des Rechtsgüterschutzes nicht angewandt werden darf, weil die davon
ausgehenden Beeinträchtigungen der Grundrechte des Betroffenen den Zuwachs
an Rechtsgüterschutz deutlich überwiegen, so daß der Einsatz
des Schutzmittels als unangemessen erscheint. Daraus folgt, daß unter
Umständen der an sich in legitimer Weise angestrebte Schutz
zurückstehen
muß, wenn das eingesetzte Mittel zu einer unangemessenen
Beeinträchtigung
der Rechte des Betroffenen führen würde.
[...]
c1) Nicht nur das Handeltreiben mit Cannabisprodukten und deren
unentgeltliche
Abgabe begründen aufgrund der damit verbundenen Weitergabe der Droge
stets eine abstrakte Fremdgefahr. Auch der unerlaubte Erwerb und der
unerlaubte
Besitz gefährden fremde Rechtsgüter schon insofern, als sie die
Möglichkeit einer unkontrollierten Weitergabe der Droge an Dritte
eröffnen. Die Gefahr einer solchen Weitergabe besteht selbst dann,
wenn der Erwerb und der Besitz der Droge nach der Vorstellung des
Täters
nur den Eigenverbrauch vorbereiten sollen. Hinzukommt, daß sich gerade
im Erwerb zum Zwecke des Eigenverbrauchs die Nachfrage nach der Droge
verwirklicht,
die den illegalen Drogenmarkt von der Nachfrageseite her konstituiert.
Angesichts der Schätzungen über die gegenwärtige
Konsumentenzahl,
die sich zwischen 800.000 und 4 Millionen Personen bewegen, die
überwiegend
gerade Gelegenheitskonsumenten sind (siehe oben unter 2. c)
c2), kann dies nicht als unerheblich abgetan werden. Unter
generalpräventiven
Gesichtspunkten ist es danach vor dem verfassungsrechtlichen
Übermaßverbot
gerechtfertigt, auch den unerlaubten Erwerb und Besitz von Cannabisprodukten
zum Eigenverbrauch allgemein als strafwürdiges und
strafbedürftiges
Unrecht mit Kriminalstrafe zu bedrohen.
Allerdings kann gerade in diesen Fällen das Maß der von
der einzelnen Tat ausgehenden Rechtsgütergefährdung und der
individuellen
Schuld gering sein. Das gilt zumal dann, wenn Cannabisprodukte lediglich
in kleinen Mengen zum gelegentlichen Eigenverbrauch erworben und besessen
werden. Diese Fälle machen einen nicht geringen Teil der nach dem
Betäubungsmittelgesetz strafbaren Handlungen aus. Nach dem "Bericht
der Bundesregierung über die Rechtsprechung nach den strafrechtlichen
Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes in den Jahren 1985 bis 1987"
vom 11. April 1989 (BTDrucks. 11/4329 S. 15) wird rund ein Viertel aller
wegen eines Betäubungsmitteldelikts eingeleiteten Strafverfahren
entweder
durch die Staatsanwaltschaft oder durch das Gericht eingestellt. Dabei
betreffen etwa 80 bis 90 % der Einstellungen Cannabis-Täter mit
Kleinmengen
zum Eigenkonsum, die den Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG
erfüllt
haben. Es spricht viel dafür, daß die eingestellten
Strafverfahren
zu einem erheblichen Teil Fälle des unerlaubten Erwerbes und Besitzes
betreffen, weil diese Straftatbestände nach dem Bericht der
Bundesregierung
(a.a.O. S. 12) auch 51 % der Verurteilungen zugrunde liegen. Nach der vom
Bundesgesundheitsministerium veröffentlichten
Repräsentativerhebung
1990 gaben 56,7 % der befragten Cannabiskonsumenten die Häufigkeit
ihres Konsums im letzten Jahr mit ein- bis fünfmal an. Nach alledem
ist - ungeachtet der insgesamt großen Bedeutung, die die Gesamtzahl
der Kleinkonsumenten für den illegalen Drogenmarkt hat - der
individuelle
Beitrag der Kleinkonsumenten zur Verwirklichung der Gefahren, vor denen
das Verbot des Umgangs mit Cannabisprodukten schützen soll, gering;
anderes kann etwa gelten, wenn die Art und Weise des Konsums dazu geeignet
ist, Jugendliche zum Gebrauch der Droge zu verleiten.
Beschränkt sich der Erwerb oder der Besitz von Cannabisprodukten
auf kleine Mengen zum gelegentlichen Eigenverbrauch, so ist im allgemeinen
auch die konkrete Gefahr einer Weitergabe der Droge an Dritte nicht sehr
erheblich. Entsprechend gering ist in aller Regel das öffentliche
Interesse an einer Bestrafung. Die Verhängung von Kriminalstrafe gegen
Probierer und Gelegenheitskonsumenten kleiner Mengen von Cannabisprodukten
kann in ihren Auswirkungen auf den einzelnen Täter zu unangemessenen
und spezialpräventiv eher nachteiligen Ergebnissen führen, wie
etwa einer unerwünschten Abdrängung in die Drogenszene und einer
Solidarisierung mit ihr.
c2) Auch unter Berücksichtigung solcher Fallgestaltungen
verstößt
die generelle - generalpräventiv begründete - Strafandrohung
für den unerlaubten Erwerb und den unerlaubten Besitz von
Cannabisprodukten
indessen nicht gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot.
Diesem hat der Gesetzgeber dadurch genügt, daß er es den
Strafverfolgungsorganen
ermöglicht, im Einzelfall durch das Absehen von Strafe oder
Strafverfolgung
einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat Rechnung
zu tragen. Neben den allgemeinen Vorschriften der §§ 153, 153a
StPO, die bei geringer Schuld und dem Fehlen eines öffentlichen
Interesses
an der Strafverfolgung eine Verfahrenseinstellung zulassen, sind hier vor
allem § 29 Abs. 5 und nunmehr auch § 31a BtMG zu nennen.
Nach § 29 Abs. 5 BtMG kann das Gericht von einer Bestrafung nach
§ 29 Abs. 1 BtMG absehen, wenn der Täter Betäubungsmittel
lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt,
einführt,
ausführt, durchührt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft
oder besitzt. Die Anwendung dieser Vorschrift ist vor allem dann
naheliegend,
wenn ein Probierer oder Gelegenheitskonsument eine geringe Menge der im
Vergleich zu anderen gängigen Betäubungsmitteln weniger
gefährlichen
Cannabisprodukte ausschließlich für den Eigenverbrauch beschafft
oder besitzt und dadurch keine Fremdgefährdung verursacht wird.
Für
die Strafverfolgungsbehörden gewinnt sie dadurch gesteigerte praktische
Bedeutung, daß § 153b StPO bei Vorliegen der Voraussetzungen
des § 29 Abs. 5 BtMG eine Verfahrenseinstellung bis zum Beginn der
Hauptverhandlung ermöglicht.
Darüber hinaus gilt seit dem 16. September 1992 der neue §
31a BtMG, der speziell für die Fälle des § 29 Abs. 5 BtMG
ein Absehen von der Strafverfolgung ermöglicht, wenn die Schuld des
Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse
an der Strafverfolgung besteht. Von der Einstellungsmöglichkeit nach
§ 153b StPO in Verbindung mit § 29 Abs. 5 BtMG unterscheidet
sich § 31a BtMG dadurch, daß er eine geringe Schuld des
Täters
sowie das Fehlen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung
ausdrücklich voraussetzt. Indessen werden diese Tatbestandsmerkmale
bei dem Umgang mit Cannabisprodukten in aller Regel bei dem gelegentlichen
Eigenverbrauch ohne Fremdgefährdung erfüllt sein und die
Strafverfolgungsorgane
- insbesondere die Staatsanwaltschaften, die bis zur Erhebung der Anklage
allein zu entscheiden haben - dann nach dem Übermaßverbot von
der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten abzusehen
haben. Verursacht die Tat hingegen eine Fremdgefährdung, etwa weil
sie in Schulen, Jugendheimen, Kasernen oder ähnlichen Einrichtungen
stattfindet, oder weil sie von einem Erzieher, von einem Lehrer oder von
einem mit dem Vollzug des Betäubungsmittelgesetzes beauftragten
Amtsträger
begangen wird und Anlaß zur Nachahmung gibt, so kann eine
größere
Schuld und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegen.
Da es sich bei § 31a BtMG ebenso wie in den Fällen der
§§
153 ff. StPO um rechtlich gebundene Entscheidungen handelt (herrschende
Meinung; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 41. Aufl., § 152
Rdnrn. 7 bis 9; Schoreit in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl., §
152 Rdnrn. 23 bis 25) wäre es allerdings bedenklich, wenn es nach
Inkrafttreten des § 31a BtMG bei einer so stark unterschiedlichen
Einstellungspraxis in den verschiedenen Bundesländern bliebe, wie
sie in dem bereits erwähnten Bericht der Bundesregierung für
die Jahre 1985 bis 1987 festgestellt worden ist (vgl. BTDrucks. 11/4329,
S. 15, 21, 22, 26); insbesondere bei der Bemessung der geringen Menge,
für die in der Rechtsprechung zu § 29 Abs. 5 BtMG bereits
Grundsätze
vorliegen (vgl. Körner, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rdnrn. 806, 807),
sowie bei der Behandlung von Wiederholungstätern (vgl. hierzu
Körner,
§ 29 BtMG, Rdnr. 811) werden unterschiedliche Handhabungen
festgestellt.
Die Vorschrift des § 31a BtMG gestattet der Staatsanwaltschaft in
weitem Umfang, Ermittlungsverfahren ohne Mitwirkung des Gerichts
einzustellen;
sie eröffnet damit zugleich die Möglichkeit, die
Einstellungspraxis
der Staatsanwaltschaften durch Verwaltungsvorschriften zu steuern. Die
Länder trifft hier die Pflicht, für eine im wesentlichen
einheitliche
Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen (vgl. auch BVerfGE
11, 6 <18>; 76, 1 <77>), zumal es sich um das den Einzelnen besonders
belastende Gebiet der Strafverfolgung handelt. Ein im wesentlichen
einheitlicher
Vollzug wäre nicht mehr gewährleistet, wenn die Behörden
in den Ländern durch allgemeine Weisungen die Verfolgung bestimmter
Verhaltensweisen nach abstrakt-generellen Merkmalen wesentlich
unterschiedlich
vorschrieben oder unterbänden.
Gesicherte Erkenntnisse zur Anwendung des § 31a BtMG, die auf
eine dauerhaft unterschiedliche Handhabung auch dieser Vorschrift in den
Ländern schließen ließen, liegen derzeit noch nicht vor.
Der Gesetzgeber darf abwarten, ob der neugeschaffene, speziell auf
Konsumentenvergehen
im Betäubungsmittelrecht zugeschnittene Tatbestand des § 31a
BtMG zu einer im wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung
in diesem Rechtsbereich führt oder ob weitere gesetzliche
Konkretisierungen
der Einstellungsvoraussetzungen erforderlich sind.
[...]
6. Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung des
Betäubungsmittelgesetzes
von 1992 Schritte zu einer "Reform der zur Zeit überwiegend repressiven
Gesetzgebung zum Betäubungsmittelmißbrauch durch Rücknahme
der Strafverfolgung von abhängigen Konsumenten" (BTDrucks. 12/934,
S. 1) eingeleitet und dementsprechend in der Strafverfolgung stärker
zwischen Händlern und Konsumenten differenziert. Angesichts der
dargestellten
offenen kriminalpolitischen und wissenschaftlichen Diskussion über
die vom Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren und den richtigen Weg ihrer
Bekämpfung (vgl. oben I. 2. c) und 4.) hat der Gesetzgeber die
Auswirkungen
des geltenden Rechts unter Einschluß der Erfahrungen des Auslandes
zu beobachten und zu überprüfen (vgl. BVerfGE 50, 290 <335>;
56, 54 <78>; 65, 1 <55 f.>; 88, 203 <309 f.>). Dabei wird er
insbesondere
einzuschätzen haben, ob und inwieweit die Freigabe von Cannabis zu
einer Trennung der Drogenmärkte führen und damit zur
Eindämmung
des Betäubungsmittelkonsums insgesamt beitragen kann oder ob umgekehrt
nur die strafbewehrte Gegenwehr gegen den Drogenmarkt insgesamt und die
sie bestimmende organisierte Kriminalität hinreichenden Erfolg
verspricht.
Die Richter stellen hier fest, dass es keineswegs sicher ist dass ein Cannabisverbot der geeignetste Weg ist. Sie verpflichten den Gesetzgeber, die Auswirkungen der Strafverfolgungen und Erfahrungen aus dem Ausland (z.B. Niederlande oder in bälde die Schweiz) zu beobachten und eventuell ein erfolgreicheres, liberales Modell aus dem Ausland zu übernehmen.
[...]
Was den Vergleich zwischen Cannabisprodukten und Nikotin angeht, liegt
ein hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung schon
darin, daß Nikotin kein Betäubungsmittel ist.
Die juristische Definition von "Betäubungsmittel" ist ein Stoff der in einer der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführt ist. Spezifische pharmakologische Eigenschaften spielen dabei keine Rolle. Im pharmakologischen Sinn ist auch Cannabis kein Betäubungsmittel. Die Richter sagen hier im Prinzip nichts anderes als dass Cannabis und Nikotin nicht vergleichbar seien weil Cannabis illegal und Nikotin legal ist. Diese Begründung ist unzulässig da ein Zirkelschluss.
Für die unterschiedliche Behandlung von Cannabisprodukten und
Alkohol sind ebenfalls gewichtige Gründe vorhanden. So ist zwar
anerkannt,
daß der Mißbrauch von Alkohol Gefahren sowohl für den
Einzelnen wie auch die Gemeinschaft mit sich bringt, die denen des Konsums
von Cannabisprodukten gleichkommen oder sie sogar übertreffen.
Gleichwohl
ist zu beachten, daß Alkohol eine Vielzahl von
Verwendungsmöglichkeiten
hat, denen auf Seiten der rauscherzeugenden Bestandteile und Produkte der
Cannabispflanze nichts Vergleichbares gegenübersteht. Alkoholhaltige
Substanzen dienen als Lebens- und Genußmittel; in Form von Wein werden
sie auch im religiösen Kult verwandt.
In allen Fällen dominiert eine Verwendung des Alkohols, die nicht
zu Rauschzuständen führt; seine berauschende Wirkung ist allgemein
bekannt und wird durch soziale Kontrolle überwiegend vermieden.
Demgegenüber
steht beim Konsum von Cannabisprodukten typischerweise die Erzielung einer
berauschenden Wirkung im Vordergrund.
Weiterhin sieht sich der Gesetzgeber auch vor die Situation gestellt,
daß er den Genuß von Alkohol wegen der herkömmlichen
Konsumgewohnheiten
in Deutschland und im europäischen Kulturkreis nicht effektiv
unterbinden
kann. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, deswegen auf das Verbot des
Rauschmittels
Cannabis zu verzichten.
In dieser Begründung spielen sich eine Reihe von Vorurteile wieder. Auch Cannabis kann in sehr unterschiedlichen Dosierungen verwendet werden die unterschiedliche Wirkungen haben. Die Richter ignorieren dass auch bei Alkohol psychoaktive Wirkungen wie z.B. Entspannung, Gelöstheit, Geselligkeit ein wichtiger Grund für den Konsum sind. Nachdem inzwischen 20-25% der Bundesbürger zwischen 15-40 Jahren Cannabis konsumiert haben und diese Droge seit über 30 Jahren weit verbreit ist kann man wohl auch von Cannabis genauso wie von Alkohol sagen dass man seinen Gebrauch "in Deutschland und im europäischen Kulturkreis nicht effektiv unterbinden kann."
Im Minderheitenvotum des Richters Sommer (http://www.oefre.unibe.ch/law/dfr/bv090145.html) wird die rechtliche Lage des Cannabisverbots im Rahmen der internationalen Abkommen aufgezeigt:
Demgegenüber verlangt das "Übereinkommen vom 21. Februar 1971 über psychotrope Stoffe" (BGBl. 1976, II, S. 1477), jede Verwendung von Cannabisprodukten außer zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken zu verbieten (Art. 5 Abs. 1 u. Art. 7) und jeden vorsätzlichen Verstoß gegen das Verbot als strafbar zu behandeln (Art. 22 Abs. 1 a). Eine ausdrückliche Forderung nach Pönalisierung von Konsumentenverhalten findet sich erstmals in Art. 3 Abs. 2 des "Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Suchtstoffübereinkommen)" (BGBl. 1993, II, S. 1137). Auch die zuletzt genannten Abkommen stellen jedoch die Verpflichtung zur Pönalisierung des Besitzes und Erwerbes von Suchtstoffen unter den Vorbehalt der Verfassungsgrundsätze der Vertragsstaaten (Art. 22 des Übereinkommens über psychotrope Stoffe; Art. 3 Abs. 2 des Suchtstoffübereinkommens). Das Suchtstoffübereinkommen enthält überdies den Vorbehalt der Grundzüge der Rechtsordnung der Vertragsstaaten. Hierzu hat die Bundesregierung eine Interpretationserklärung abgegeben, die ihrer Auffassung nach gewährleistet, daß die Ratifikation etwaigen Überlegungen "über das 'Ob' der Bestrafung im unteren Deliktsbereich" nicht entgegenstehen kann (Protokoll der 76. Sitzung des Rechtsausschusses des 12. Deutschen Bundestages am 12. Mai 1993, S. 46 f.). Im übrigen berührt Art. 3 des Suchtstoffübereinkommens gemäß seinem Absatz 11 nicht den Grundsatz, daß die Beschreibung der Straftaten, auf die sich der Artikel bezieht, und der diesbezüglichen Gründe, die eine Bestrafung ausschließen, dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei vorbehalten ist. Es sind "Beschreibungen der Straftat" bzw. der "Gründe, die eine Bestrafung ausschließen" in diesem Sinne denkbar, die gleichermaßen dem Suchtstoffübereinkommen 1988 und meinem verfassungsrechtlichen Einwand auf der Ebene des materiellen Strafrechts Rechnung tragen. So könnte in den fraglichen Fällen ein zwingender Strafausschließungsgrund vorgesehen werden (vgl. § 29 Abs. 5 BtMG in der Fassung des Änderungsantrages der Fraktion der SPD vom 12. Mai 1993, BTDrucks. 12/4913). Die Strafbarkeit könnte auch in Gestalt einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit vom Überschreiten einer Mindestmenge abhängig gemacht werden (so der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes" des Landes Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1993, BRDrucks. 58/93).
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