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Umstufung von Cannabisdelikten zur Ordnungswidrigkeit

Weitere Informationen:

Schritte zur Reform der Cannabispolitik
SPD: Umstufung von Cannabisbesitz zur Ordnungswidrigkeit? [CLN#52, 08.03.2002]
Ende Juni 2002 berichtete das Magazin Focus über einen internen Entwurf der SPD, den Besitz geringer Mengen von Cannabis künftig nicht mehr als Straftat sondern als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Daraufhin sprach sich Frau Caspers-Merk, die Drogenbeauftragte, gegen eine Umstufung aus und sagte, ein solcher Vorschlag sei eine Position der Grünen und nicht der SPD. Dabei ignorierte sie, dass bereits im Januar 2002 ihr Fraktionskollege Dr. Hansjörg Schäfer, der drogenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, im Gesundheitsausschuss des Bundestags einen solchen Vorschlag gemacht hatte (wir haben uns damals mit einem offenen Brief an Herrn Dr. Schäfer gewandt, auf den leider keine Antwort kam). Herr Dr. Schäfer ist kein Einzelgänger, denn schon im November 1993 hatte schliesslich ein SPD-Parteitag beschlossen, Besitz und Handel von sog. weichen Drogen wie Cannabis nicht mehr unter Strafverfolgung zu stellen, sondern allenfalls noch als Ordnungswidrigkeit zu behandeln

Hier ist der Bericht über Herrn Dr. Schäfers Vorstoss vom Januar (von der Website des Bundestages):

Die Sozialdemokraten sprachen sich dafür aus, den Besitz von geringen Mengen an Cannabis als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Auf diese Weise könne der grenzüberschreitende Drogentourismus eingedämmt werden. Die CDU/CSU verlangte klare Aussagen darüber, welche weiteren gesetzgeberischen Aktivitäten die Regierung plant, um gegen den Konsum der legalen Drogen Alkohol und Tabak vorzugehen. Des Weiteren müsse geklärt werden, welche Kosten durch die heroingestützten Modellversuche auf die Bundesländer zukämen. Auch die FDP sprach sich dafür aus, eine länderübergreifende Lösung für den Besitz von Cannabis zu finden. Man müsse verhindern, dass junge Menschen auf diesem Wege kriminalisiert werden.

Derzeit gilt Besitz jeglicher Mengen von Cannabis noch als Straftat, mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis. Deshalb muss nach deutschem Recht (sogenanntes "Legalitätsprinzip") in jedem Fall der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet und von dieser ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Dieses kann dann bei fehlendem öffentlichem Interesse und geringer Schuld wieder eingestellt werden.

Bei einer Ordnungswidrigkeit fiele der Zwang zur Anzeige weg und ein Gericht würde erst eingeschaltet, wenn ein verhängtes Bussgeld nicht bezahlt wird (oder nicht bezahlt werden kann). Experten wie Oberstaatsanwalt Dr. Harald Körner und Professor Dr. Lorenz Böllinger verweisen darauf, dass UN-Drogenabkommen eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit zulassen:

Wegen der evident geringen Intensität der Sozialgefährlichkeit von Cannabiskonsum könnte dieser von Strafunrecht zu Ordnungsunrecht bzw. «Ordnungswidrigkeiten» mit der Sanktion «Bußgeld» umdefiniert werden.
Wegen der internationalen Spielbreite bei der Definition von «Strafsanktionen» bliebe dies in Übereinstimmung mit dem ÜB 88. Festzulegen wären bestimmte Mengenwerte und andere Kautelen.
Prof. Dr. Dieter Kleiber sprach sich bei Anhörungen im Landtag in Kiel am 28.01.2002 für die Umstufung aus:
Abg. Nabel bittet um eine Empfehlung für einen weiteren Rückzug des Strafrechts im Umgang mit dem Konsum von Cannabisprodukten. – Prof. Dr. Kleiber informiert, die Praxis in verschiedenen Bundesländern, den § 31 a BtMG auf Cannabisprodukte zu beschränken, sei nach seiner Ansicht nicht sinnvoll. Sinnvoll erscheine ihm die Überlegung, ob Cannabisprodukte Gegenstand des § 31 a BtMG sein sollten, was nicht einer Legalisierung gleichkomme. Der Konsum von Cannabisprodukten könne seines Erachtens auf eine Ordnungswidrigkeit heruntergestuft werden, wenn er nicht mit Handel in größeren Mengen einhergehe. Er empfehle in Bezug auf Cannabisprodukte, den Jugendschutz zu verstärken und die strafrechtlichen Regelungen zurückzufahren.
Im Landtagswahlprogramm für Rheinland-Pfalz forderte die FDP im Jahre 1996 die Umstufung zur Ordnungswidrigkeit.
Eine Legalisierung selbst weicher Drogen, die ebenfalls ein Rauschmittel sind, lehnt die F.D.P. ab, denn diese würde nur dazu führen, daß zu den Drogen Alkohol und Nikotin eine weitere legale Droge hinzukäme. Die F.D.P. ist aber dafür, den Besitz kleinerer Mengen von Haschisch und Marihuana nur noch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Eine unverhältnismäßige Kriminalisierung des Besitzes weicher Drogen ist zu vermeiden.
Auch der Fachverband Drogen- und Rauschmittel befürwortete auf dem 24. Bundes-Drogen-Kongress in Leipzig die Entkriminalisierung von Cannabis:

Der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) hat eine klare und einheitliche Linie der Justiz im Umgang mit Haschisch konsumierenden Jugendlichen gefordert. «Es ist den Betroffenen nicht zu vermitteln, warum Gerichte in den Bundesländern unterschiedliche Urteile dazu fällen», sagte FDR-Geschäftsführer Jost Leune am Montag in Leipzig zum Auftakt des 24. Bundes-Drogen-Kongresses, bei dem rund 500 Teilnehmer bis Mittwoch über Wege in der Drogenhilfe für Jugendliche und junge Erwachsene diskutieren.

Der gerichtliche Umgang mit Haschischkonsumenten sei anachronistisch, meinte Leune. Es müsse zwar deutlich werden, dass der Gebrauch des Rauschgifts gesellschaftlich unerwünscht sei, jedoch sollte «nicht unbedingt ein Straftatbestand daraus konstruiert werden». Man könne ihn als Ordnungswidrigkeit ahnden.

(Köner Stadtanzeiger, 08.05.2001)

Eine Umstufung zur Ordnungswidrigkeit hätte Vor- und Nachteile:

  • Der geringere Arbeitsaufwand für die Polizei könnte dazu führen, dass sich zumindest regional die Anzahl der Betroffenen steigert, weil mit dem selben Personalaufwand mehr Personen kontrolliert werden können (siehe Artikel in CC#35). Das Beispiel der Verfolgung über den Führerscheinentzug hat gezeigt, dass ein Umstieg vom Strafrecht auf das Verwaltungsrecht als Repressionsmittel nicht unbedingt zu mehr Gerechtigkeit führt.
  • Ein Bussgeld fester Höhe würde Menschen mit unterschiedlichen Einkommen verschieden stark treffen.
  • Auch als Ordnungswidrigkeit würde das Verbot privates und keinen Dritten schädigendes Verhalten von Millionen von Bundesbürgern unter Strafe stellen. Die Glaubwürdigkeit der widersprüchlichen staatlichen Drogenpolitik bezüglich Alkohol, Cannabis und Tabak würde sich so nicht verbessern. Der Zustand nach der Reform würde nach wie vor als ungerecht empfunden - keine Verbesserung, aber auch keine Verschlechterung.
  • Positiv ist dagegen anzumerken, dass bei Ordnungswidrigkeiten keine Ermittlungspflicht besteht. Ein Polizist, der "wegsieht" weil er wichtigeres zu tun hat, macht sich dann nicht mehr strafbar. Das könnte zu einer de-facto Straffreistellung wie in den Niederlanden führen. Allerdings ist zu erwarten, dass es dabei zu einem erheblichen Nord/Süd-, Ost/West- und Stadt/Land-Gefälle kommen wird.

Eine Umstufung zur Ordnungswidrigkeit wäre nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer gerechten Lösung, die explizite Straffreiheit («Entpönalisierung») für den Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch vorsehen müsste, wie im Gesetzesentwurf des Schweizer Bundesrats vom 09.03.2001.

Frankreich: Kein Gefängnis mehr für Cannabisbesitz? [CLN#126, 19.09.2003]
RLP-Justizminister: Cannabisbesitz als Ordnungswidrigkeit [CLN#72, 16.08.2002]
SPD-Fraktionssprecher: Cannabisbesitz soll entkriminalisiert werden [CLN#69, 05.07.2002]
"Chips für Zigarettenautomaten noch in dieser Legislaturperiode beschließen" [hib Nr. 027, 30.01.2002]
Brief an Dr. Schäfer: SPD und Cannabisreform [04.03.2002]
Hansjörg Schäfer: Cannabisbesitz straflos stellen, Handel entkriminalisieren
SPD und Cannabisreform
Decrim is Dangerous [Cannabis Culture #35, 18.01.2002]
Westaustralien entkriminalisiert Cannabisbesitz [CLN#65, 07.06.2002]
Westaustralien: Liberalisierung geplant [CLN#39, 07.12.2001]
Der Entwurf der Schweizer Regierung zur Cannabisentkriminalisierung

Mitglieder des Ausschusses für Gesundheit im Bundestag

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