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Cannabis und Führerschein

Bitte beachten Sie auch die Beiträge von Theo Pütz, Dr. Schäfer (SPD) und Joachim Eul in Akzeptanz 1/2000

Von allen verbreiteten psychoaktiven Drogen beeinträchtigen Alkohol und Beruhigungsmittel (z.B. Valium) die Fahrfähigkeit am schwerwiegendsten. Während aber Alkohol am Steuer erst ab 0,5 Promille bestraft wird, kann bei Cannabis bereits Personen der Führerschein entzogen werden, die als Fussgänger oder in der eigenen Wohnung im Besitz von Cannabis angetroffen werden, oder als Fahrer ohne dass ein aktueller Cannabiseinfluss nachgewiesen wird.

Und um so weniger haben diese Menschen Verständnis dafür, dass beim bloßen Besitz der Droge der Führerschein eingezogen und eine aufwenige und teuere Medizinisch Psychologische Untersuchung angeordnet werden kann. Auch ich halte diese Praxis für bedenklich und werbe dafür, den entsprechenden Passus in der Fahrerlaubnisverordnung zu streichen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass beim blossen Besitz unterstellt wird, dass der Betreffende unter Drogeneinfluss steht. Das wäre gleichbedeutend damit, einem Menschen den Führerschein abzunehmen, weil er im Kofferraum einen Kasten Bier transportiert.

Hier geht es um zwei Probleme:

  • der Praxis der verkehrsunabhängigen Überprüfung der Fahreignung
  • einem fehlenden Grenzwert beim Nachweis der akuten Beinflussung

Verkehrsunabhängige Überprüfung der Fahreignung
Personen, die von der Polizei im Besitz von Cannabis angetroffen werden, oder die unvorsichtigerweise bei Gesprächen mit der Polizei (bei Kontrollen, Hausdurchsuchungen, Vernehmungen) zugeben, gelegentlich Cannabis zu konsumieren und die im Besitz eines Führerscheins sind müssen damit rechnen, dass die Führerscheinstelle verständigt wird. Diese kann ihnen Drogenscreenings (Urintests, Haartests) vorschreiben. Meist handelt es sich um etwa drei Urintests über einen Zeitraum von 6 Monaten, die vom Führerscheininhaber selbst zu bezahlen sind (Kostenpunkt: Mehrere Hundert Euro). Fehlt dafür das Geld, kommen die Testserebnisse zu spät oder können sie Zweifel an der Abstinenz nicht ausräumen, dann ist mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen. Vor dem Führerscheinentzug können keine Rechtsmittel eingelegt werden.

Aus dem festgestellten Besitz oder gelegentlichen Konsum von Alkohol wird dagegen bekanntlich keine Verpflichtung zum Nachweis von absoluter Alkoholabstinenz abgeleitet. Eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) wird in der Regel erst ab Trunkenheitsfahrten mit 1,6 Promille und mehr angeordnet. Diese Ungleichbehandlung von Cannabis und Alkohol ist sachlich nicht zu begründen, haben doch eine Reihe von wissenschaftlichen Studien unter Cannabiskonsumenten sogar eine geringere Unfallhäufigkeit als unter Nichtkonsumenten beobachtet! Das Abhängigkeitspotenzial von Cannabis wird von Experten auch nicht höher eingestuft als bei Alkohol. Das früher oft angeführte angebliche Risiko eines "Flashbacks" (Echorausch) durch Cannabiskonsum muss nach aktuellen Erkenntnissen als sehr fragwärdig eingestuft werden.

Namhafte Experten stufen diese Rechtspraxis als verfassungswidrig ein. In einer Entscheidung vom 20.06.2002 bestätigte das Bundesverfassungsgericht, daß die Anordnung eines Drogentests durch eine Führerscheinstelle allein aufgrund des Besitzes einer geringen Menge Cannabis ohne Zusammenhang zum Straßenverkehr unrechtmäßig ist (siehe unten).

Fehlender Grenzwert beim Nachweis der akuten Beinflussung
Der Gesetzgeber hat im Jahre 1998 in einer Führerscheinverordung zu § 24a des Straßenverkehrsgesetzes keinen Grenzwert für Cannabiswirkstoffe festgesetzt, ab dem das Führen eines Kraftfahrzeugs strafbar wird. Spuren des Cannabiswirkstoffs THC sind mit modernsten Analysemethoden wochenlang im Blut nachweisbar, obwohl die Auswirkungen auf die Fahrfähigkeit bereits ein bis zwei Stunden nach dem Rauchen im wesentlichen abgeklungen sind. Der Nachweis einer noch so geringen Menge von THC im Blut wird rechtlich wie das Fahren unter dem Einfluss von mehreren Mass Bier behandelt. Bei einem positiven THC-Nachweis droht eine Geldstrafe bis zu 3000 DM und ein dreimonatiges Fahrverbot.

Darüberhinaus muss der Betreffende jedoch mit einem unbefristeten (d.h. dauerhaftem) Entzug der Fahrerlaubnis rechnen. Die Fahrerlaubnisverordnung verneint die Fahreignung, wenn der Konsum von Cannabis nicht nur gelegentlich erfolgt oder wenn dem Fahrer die Fähigkeit, Fahren und Cannabiskonsum zu trennen fehlt. Davon wird nach einem THC-Nachweis im Blut in der Regel ausgegangen. Die Folge sind eine MPU, eine mindestens sechsmonatige nachweislichliche Cannabisabstinenz ohne Führerschein und eine erneute MPU. Die direkten und indirekten Kosten belaufen sich auf Tausende von Euro, oft kostet es sogar die berufliche Existenz. Die Regelung bei THC ist im Vergleich zur Regelung bei Alkohol unverhältnismäßig.

Fazit
Es drängt sich der Eindruck auf, der Führerscheinentzug werde nach der Cannabisentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu missbraucht, um das strafrechtliche Übermassverbot des Grundgesetzes zu umgehen. Ohne Führerschein verlieren jedoch viele Betroffenen den Arbeitsplatz. Der Staat zerstört ihre berufliche und oft auch familiäre Existenz. Statt Steuern zu zahlen, belasten sie dann die Arbeitslosenversicherung sowie die Kommunen, die Sozialhilfe bezahlen müssen. Eine Reform ist dringend nötig. Dies scheint auch in der SPD mit Dr. Schäfer und Frau Caspers-Merk den Vertretern verschiedener drogenpolitischer Richtungen klarzusein. Doch das Bundesverkehrsministerium will nicht handeln.


Stand vor der Führerscheinentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Juni 2002:

Am 26. Juni 2002 trafen sich die Verkehrsminister der Bundesländer zur Beratung einer Novelle des Führerscheinrechts. Wer derzeit im Zug oder zu Fuss im Besitz eines einzigen Cannabisjoints erwischt wird, kann gezwungen werden, auf eigene Kosten völlige Abstinenz nachzuweisen oder er ist seinen Führerschein (und damit oft auch den Arbeitsplatz) los. Hier wird mit einem völlig anderen Massstab gemessen als bei Alkohol, der im Straßenverkehr im Vergleich zu Cannabis sogar noch die riskantere Droge ist. Diese ungerechte und nach Aussagen von Experten verfassungswidrige Regelung will die Regierung bei der kommenden Novelle nicht reformieren, trotz Druck aus den Reihen des Grünen. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung hat das Bundesverfassungsgericht bereits eine Klage zur Entscheidung angenommen (siehe unten).

Karlsruhe entscheidet über Fahrverbot für Haschischraucher [taz, 06.07.2002]
Noch kein Ende der Führerschein-Diskriminierung [CLN#68, 28.06.2002]
Druck auf die Verkehrsminister [CLN#67, 21.06.2002]
Krieg den Tüten [Süddeutsche Zeitung, 05.01.2002]
Aussage von Dr. Michael Hettenbach, Rechtsanwalt [30.11.2001]
Aussage von Prof. Dr. jur. Lorenz Böllinger, Universität Bremen [30.11.2001]

Karlsruhe: Kein Führerscheinentzug wegen Cannabisbesitz (Juni 2002)

Das Bundesverfassungsgericht hat am 20.06.2002 entschieden, dass der Besitz einer geringen Menge Cannabis keine Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt. Es gab damit einem Mann Recht, der einen nach dem festgestellten Besitz von 5g Cannabis angeordneten Urintest verweigerte und dem daraufhin seine Fahrerlaubnis entzogen worden war. Diese Entscheidung wird jedoch nach wie vor regional ungleich umgesetzt. Betroffene sollten im Falle eines Falles die Führerscheinstelle ausdrücklich auf die BVerfG-Entscheidung hinweisen (siehe Artikel von RA Michael Hettenbach).

Nach wie vor droht ausserdem der Verlust des Führerscheins wenn geringste Mengen THC im Blut nachgewiesen werden, weil ein Grenzwert fehlt. Jede messbare Menge THC im Blut führt zu einer Geldstrafe und einem mehrmonatigen Fahrverbot, dem meist ein Entzug der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Fahreignung folgt. Dabei gäbe es seit Jahren konkrete Vorschläge für Grenzwerte analog zu Alkohol. Vielfach wird auch aus dem Besitz von Pfeifen o.ä der Verdacht hergeleitet, ein Führerscheininhaber sei regelmäßer Konsument und damit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Führerscheinentzug verfassungswidrig [CLN#71, 19.07.2002]
Pressemitteilung Nr. 62/2002 [BVerfG, 12.07.2002]
Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96
Beschluss vom 8. Juli 2002 - 1 BvR 2428/95
Das Urteil im Wortlaut [jurathek.de, 12.07.2002]
Kommentar von Rechtsanwalt Hettenbach [jurathek.de, 12.07.2002]

Pressemitteilung: Deutscher Hanf-Verband [12.07.2002]
PDS: Cannabis legalisieren, alle Verfahren einstellen! [12.07.2002]

Rauchzeichen aus Karlsruhe [taz, 13.07.2002]
Gelegenheitskiffer dürfen Führerschein behalten [Spiegel, 12.07.2002]
Hasch-Besitz kein Grund für Führerschein-Entzug [Frankfurter Rundschau, 13.07.2002]

Bundesverfassungsgericht hebt Null-Promillegrenze bei THC auf (Dezember 2004)

Eine Null-Promille-Regelung beim Cannabiswirkstoff THC ist nicht verhältnismässig und damit nicht grundgesetzkonform. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am 21.12.2004. Der Nachweis von THC im Blut sei nicht unabhängig von der Menge geeignet, ein Fahrverbot zu begründen.
Zur Begründung hieß es, dass THC-Spuren wegen des technischen Fortschritts noch Tage nach dem Haschisch-Konsum im Blut gefunden werden könnten. Die vom Gesetzgeber angenommene Identität der Wirkungs- und Nachweiszeit treffe deshalb nicht mehr zu und müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Das Gericht sprach sich für einen Grenzwert von 1,0 Nanogramm THC je Milliliter im Blut aus, bisher bedeutete jede noch so kleine Menge Fahrverbot. (Aktenzeichen: 1 BvR 2652/03 - Beschluss vom 21. Dezember 2004)

Ein Autofahrer hatte Beschwerde in Karlsruhe eingelegt, weil er am Abend eine Haschischzigarette geraucht und sich 16 Stunden später ins Auto gesetzt hatte. Der Mann war am Tag nach dem Drogenkonsum wegen einer anderen Sache ausgerechnet zur Polizei gefahren. Die Beamten stellten bei ihm körperliche Auffälligkeiten fest und überredeten ihn zu einem freiwilligen Urintest, bei dem Spuren des Cannabiswirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) von weniger als 0,5 Nanogramm pro Milliliter festgestellt wurden. Das Amtsgericht Kandel (Rheinland- Pfalz) verhängte eine Geldbuße und ein Fahrverbot wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines berauschenden Mittels. Das Karlsruher Gericht hob das Urteil auf.

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts [13.01.2004]
BVerfG, 1 BvR 2652/03 vom 21.12.2004 [13.01.2004]

VfD und DHV fordern wissenschaftlich fundierte Grenzwerte [CLN#176, 15.01.2005]
Grüne begrüßen Cannabisentscheidung [CLN#176, 15.01.2005]

Limit am Steuer: Ein bisschen bekifft darf sein [Tagesschau.de, 13.01.2004]

Ansprechpartner:

Wolfgang Tiefensee
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Website: http://www.bmvbs.de/Das-Ministerium/-,1618/Der-Bundesminister.htm

Links:

http://www.cannabislegal.de/dateien/fuehrerschein.pdf
Info-Flyer zu Cannabis und Führerschein vom Verein für Drogenpolitik

Drogen bzw. Cannabiskonsum und Kraftverkehr (Theo Pütz)
Artikel in Akzeptanz 1/2000 der die Rechtslage und Praxis genau erklärt.

Stellungnahme von Rechtsanwalt Michael Hettenbach
Stellungnahme von Prof. Dr. Böllinger
Beide Experten gaben ihre Stellungnahmen bei einer Anhörung der Bundestagsfraktion der Grünen, am 30.11.2001 ab.

http://www.cannabislegal.de/studien/fahren.htm
Eine Zusammenfassung aktueller Studien über die tatsächlichen Risiken von Cannabis im Straßenverkehr.

Nachweis von Cannabiskonsum

Drogen im Straßenverkehr: Eine Anhörung
Dieser Artikel von Stephan Quensel bespricht ausführlich die Ergebnisse von zahlreichen Studien, anhand der sich die tatsächlichen Risiken von Cannabis im Straßenverkehr abschätzen lassen. Empfohlen!

Online-Forum der Jurathek von Rechtsanwalt Hettenbach - kompetente Informationen zu Drogen und MPU

Anwaltskanzlei HLS zu Cannabis nicht nur im Straßenverkehr.

Führerschein ade?! (Landesarbeitsgemeinschaft Drogenpolitik B90/Die Grünen NRW)

http://www.hanfmedien.de/hanf/archiv/artikel/976/
http://www.cannabislegal.de/studien/thcfahren.htm
Artikel zur Studie der Universität Limburg zu Cannabis am Steuer.

http://www.cannabislegal.de/studien/fgt_fahren.htm
Ein Artikel von Dr. Franjo Grotenhermen vom nova-Institut zum Einfluss von Cannabis auf die Fahrfähigkeit.

Verursacht Cannabiskonsum einen "Flashback" (Echorausch)?

Literature Review on the Relation between Drug Use, Impaired Driving and Traffic Accidents (EMCDDA)
European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction. Literature Review on the Relation between Drug Use, Impaired Driving and Traffic Accidents. (CT.97.EP.14) Lisbon: EMCDDA, February 1999.

"Zu breit für die Strasse" [Die Zeit, 51/2001]

§ 24a des Straßenverkehrsgesetzes
Fahrerlaubnisverordnung (Stand: 1.1.1999)
Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung

Drogenerkennung im Straßenverkehr

Literatur

Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt
Franjo Grotenhermen, Michael Karus (Herausgeber)
400 Seiten (2001) Springer Verlag
ISBN: (ISBN 3-540-42689-2), 49,95 Euro
Eine umfangreiche Auswertung aktueller Untersuchungen. Mit Beiträgen von Berghaus, Böllinger, Fleck, Glathe, Grotenhermen, Hall, Hettenbach, Karus, Longo, Neumeyer, Quensel, Smiley, Wenzel.

Fahrten unter Drogeneinfluss - Einflussfaktoren und Gefährdungspotenzial
M. Vollrath, R. Lobmann, H.-N. Krieger, H. Schöck, T. Widera, M. Mettke
Eine kürzlich in Buchform veröffentlichte Studie der Universität Würzburg unter Leitung von Dr. Mark Vollrath ergab, dass sowohl von Cannabis in Verbindung mit Alkohol als auch von Alkohol für sich im Straßenverkehr ein Einfluss auf das Fahrverhalten ausgeht, nicht dagegen nur von Cannabis.

Bei Monokonsum lässt sich nur für Amphetamin/Ecstasy in hoher Konzentration und für Alkohol eine deutliche Gefährdung nachweisen. Der akute Konsum von Cannabis allein verändert das Fahrverhalten nicht, ebenso der Konsum von Amphetamin/Ecstasy in niedriger Konzentration. Besondere Gefährdung geht von der Kombination einer Droge mit Alkohol und von der Kombination zweier Drogen miteinander und zusätzlich mit Alkohol aus.

1. Becker, S.: Cannabiskonsum und Autofahren. Deutsches Ärzteblatt 96:C634-635 (1999).
2. Hunter, C. E., et al.: The prevalence and role of  alcohol, cannabinoids, benzodiazepines and stimulants in non-fatal road   crashes. Report to Forensic Science, Department for Administrative and Information Services South Australia, 1998.
3. Smiley, A.: Marijuana: on road and driving simulator studies. In: Kalant, H., Corrigal, W., Hall, W. and Smart, R. (eds.): The Health Effects of Cannabis. Addiction Research Foundation, Toronto 1999.
4. H.W.J. Robbe, Influence of Marijuana on Driving, Institute for Human Psychopharmacology, University of Limburg, Maastricht 1994,CIP-DATA, Den Haag (ISBN 90-5147-023-1)