Cannabislegalisierung in Deutschland!
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Die derzeitige politische Lage bei Cannabis

Weitere Informationen:

Schritte zur Reform der Cannabispolitik
Jahresrückblick 2004 zur Cannabisreform [29.12.2004]
Jahresrückblick 2003 zur Cannabisreform [31.12.2003]
Jahresrückblick 2002 zur Cannabisreform [28.12.2002]
Jahresrückblick 2001 zur Cannabisreform [CLN#42, 28.12.2001]
Drei Jahrzehnte Cannabisverbot
Im Jahre 1972 setzte die damalige SPD/FDP-Bundesregierung mit dem neuen Betäubungsmittelgesetz (BtMG) auf härtere Strafen, in der Hoffnung, damit die weitere Verbreitung des Cannabiskonsums zu stoppen. Der Konsum stieg dennoch in den 70er Jahren weiter an. Während Cannabiskonsum in dieser Zeit in vielen Ländern entkriminalisiert wurde (z.B. 1973 in Oregon und Kalifornien, 1975 in Italien, 1976 in den Niederlanden), ging der Trend in Deutschland in die entgegengesetzte Richtung. Im Jahre 1982 wurde das Verbot verschärft, mit zusätzlichen Straftatbeständen und neuen Höchststrafen.

Noch bis in die 80er Jahre herrschte unter allen im Bundestag vertretenen Parteien ein Konsens, dass Repression gegen Cannabiskonsumenten ein angemessenes Mittel sei, um Probleme zu verhindern. Die im Frühjahr 1983 erstmals in den Bundestag gewählten Grünen waren die erste Partei, die davon abwichen, indem sie die Legalisierung von Cannabis forderten. Doch auch in der SPD und FDP erhoben sich zunehmends Stimmen, die für einer tolerantere Politik wie in den Niederlanden eintraten, insbesondere in den Jugendorganisationen der Parteien und im Norden und Westen der Bundesrepublik Deutschland.

Reformansätze in den 90er Jahren
Der alte Repressions-Konsens der 70er Jahre zerbrach Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre unwiderbringlich. Mit der AIDS-Welle unter Heroinkonsumenten, die sich durch gemeinsam benutzte Spritzen infizierten und einem dramatischen Anstieg der Drogentoten Anfang der 90er Jahre zeigte sich, dass die bisherige Drogenpolitik die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen konnte und dringend neue Ansätze nötig waren. Die Not zeugte den Pragmatismus, wie bei der Einführung von Konsumräumen für Heroinkonsumenten in Frankfurt. Mit der Schaffung des §31a BtMG, der eine straffreie Verfahrenseinstellung bei geringer Schuld ermöglichte, und der auf eine Initiative des Bundeslands Hamburg zurückging, erfolgte dann im Jahre 1992 erstmals wieder eine zaghafte Liberalisierung der Drogenpolitik, ein erster Schritt zur Entkriminalisierung.

Infolge des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Lübeck kam es am 09.03.1994 zu einer Cannabisentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 90, 145 - Cannabis), das eine straffreie Verfahrenseinstellung als den Regelfall bei Fällen von geringer Schuld vorschrieb. Zu einer bundeseinheitlichen Regelung, wie das in der Praxis aussehen sollte, kam es jedoch nicht, weil besonders südliche und östliche Bundesländer weiter an einer repressiven Linie festhielten. Auch nach diesem Urteil muß die Polizei in jedem Bundesland weiter Anzeigen schreiben und ein Ermittlungsverfahren einleiten. Der Anteil davon, der letzlich in den Papierkorb wandert, ist von Land zu Land extrem unterschiedlich. Die Gesamtzahl der Anzeigen pro Jahr ist inzwischen sechsstellig. Die verursachten Kosten sind mithin erheblich.

Nach dem Cannabisurteil organisierte sich allmählich eine deutsche "Hanfbewegung". Mehrere Zeitschriften und andere Unternehmen wurden gegründet. In Berlin begannen die alljährlichen Hanfparaden und Aktivisten trafen sich zu mehreren Bundeskonferenzen. Viele Reformbefürworter hofften auf eine Reform nach einem Regierungswechsel.

Im Jahre 1995 schlug das Bundesland Schleswig-Holstein einen Modellversuch zur staatlich kontrollierten Cannabisabgabe in Apotheken vor, um eine mögliche Alternative zur bisherigen Politik in der Praxis zu erproben. Dieser Vorschlag scheiterte an der fehlenden Zustimmung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie an den damaligen Mehrheitsverhältnissen (diese Idee ist inzwischen im Bundesland Berlin wiederaufgenommen worden). Ein Gesetzesentwurf der SPD im Bundestag zur Strafbefreiung des Besitzes geringer Mengen von Drogen zum Eigenkonsum im Januar 1997 scheiterte an den Mehrheitsverhältnissen und an einer Welle der Kritik in den Medien.

Eine Studie zur Rechtspraxis wertete im Jahre 1997 Fälle der Jahre 1994 und 1995 aus. Ihre Ergebnisse wurden weitgehend fehlinterpretiert, um die bestehende ungleiche Praxis fortsetzen zu können (siehe Ungleiche Rechtspraxis in den Bundesländern). Zwei Studien für Gesundheitsminister Seehofer (CSU) sammelten aktuelle Erkenntnisse zu den Folgen des Cannabiskonsums (Kleiber/Kovar, Kleiber/Soellner), wurden jedoch mehr oder minder ignoriert. Statt einer durch diese Studien eigentlich untermauerten Liberalisierung wurde ein Verbot von Hanfsamen erlassen und zunehmend das Führerscheinrecht als neues Repressionsmittel eingesetzt. Im Jahre 2002 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Führerscheinentzug allein für Cannabisbesitz ohne Bezug zum Strassenverkehr für verfassungswidrig.

Angst vor Reformen
Mit dem Regierungswechsel nach der Bundestagswahl 1998 erfolgte ein drogenpolitischer Kurswechsel, allerdings nur ein teilweiser. Einerseits wechselte die Drogenpolitik ins das Ressort des Gesundheitsministeriums, erstmals wurden auch legale Suchtstoffe wie Alkohol, Tabak und Medikamente in die Drogenpolitik integriert und schadensminimierende Ansätze wie Konsumräume, ein Ausbau der Substitution und die Diamorphin-Arzneimittelstudie wurden möglich. Andererseits unternahm die Bundesregierung jedoch keinerlei Schritte zur Entkriminalisierung von Millionen von Cannabiskonsumenten, wie sie die SPD selbst noch 1996/97 mit ihrem Gesetzesentwurf gefordert hatte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nicht einmal die Strafandrohung für Patienten, die Cannabis aus medizinischen Gründen gebrauchen, wurde aufgehoben. Was Cannabis angeht, setzt die rot-grüne Koalition die Politik ihrer Amtsvorgänger de-facto fort.

Die CDU/CSU ist bisher gegen jede Liberalisierung bei Cannabis. Kanzler Gerhard Schröder befürchtet, Stimmen an die Union zu verlieren, wenn er Schritte unternimmt, die über Jahrzehnte aufgebauten Vorurteilen über Cannabis zuwiderlaufen. Der Kanzler hat Angst vor der Bild-Zeitung.

Noch halten die meisten Deutschen Cannabis für eine Einstiegsdroge zu Heroin und viele glauben dabei an Klischees von langhaarigen und arbeitscheuen Drogenabhägigen, die nur an "Stoff" denken. Dass vielleicht auch der eigene Arbeitskollege oder die freundliche Frau Nachbarin am Wochenende Cannabis raucht, bekommt kaum jemand mit. Kaum jemand ist sich bewußt, dass das Verbot praktisch ohne Wirkung ist: Cannabiskonsum ist laut mehrerer Studien in Deutschland nicht weniger weit verbreitet ist als in den Niederlanden, wo Cannabis seit über einem Vierteljahrhundert toleriert wird.

Viele jüngere Deutsche kennen Cannabis aus eigener Erfahrung und empfinden es nicht als riskanter als Alkohol oder Tabak. Für sie verliert der Staat mit jeder Anzeige wegen Cannabis ein Stück mehr an Glaubwürdigkeit. Die Zahl derer, die wegen Cannabisbesitz angezeigt werden, ist sowohl in den alten als auch den neuen Bundesländern steil angestiegen. Die gesellschaftliche Realität hat sich längst geändert, was immer mehr in die Medienberichterstattung einfliesst. Repression ist teuer und in den öffentlichen Kassen herrscht Ebbe. Mehrere europäische Nachbarn haben in den letzten Jahren und Monaten Schritte zur Reform unternommen, die den neuen Realitäten Rechnung tragen. Großbritannien, Belgien und die Schweiz setzen zunehmends auf eine liberale Politik, weg von Repression. Über kurz oder lang ist das auch in Deutschland unvermeidlich. Wie kann es weitergehen?

Im Frühjahr 2003 erstellte das Amtsgericht Bernau in Brandenburg einen Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht, um die Vereinbarkeit des Cannabisverbots mit dem Grundgesetz erneut überprüfen zu lassen. Dabei können jene Studien zum Tragen kommen, die seit Jahren von Politikern ignoriert wurden. Leider wurde diese Vorlagebeschluß im Juni 2004 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen, ohne das Ergebis einer laufende Studie zur Rechtspraxis bei geringen Mengen abzuwarten (siehe unten).

Seit September 2003 wurde in Berlin auf Initiative von Grünen und FDP debattiert, die "geringe Menge" anzuheben und einen Modellversuch zur staatlich kontrollierten Abgabe von Cannabis im Bundesland Berlin durchzuführen. Während der Modellversuch von der SPD-PDS-Koalition abgelehnt wurde, wurde im Laufe des Jahres 2004 vom Abgeordnetenhaus eine liberalere Mengenregelung beschloßen. Mit einer Obergrenze von 30g Cannabis ist Berlin nun neben Schleswig-Holstein das liberalste Bundesland bei Cannabis.

Anfang 2005 wird das Max-Planck-Institut Freiburg eine vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie veröffentlichen, die die aktuelle Rechtspraxis in verschiedenen Bundesländern vergleicht. Bestätigt sie krasse Unterschiede, dann wird der Druck auf Politiker für eine Reform wachsen – wenn nicht gar das Bundesverfassungsgericht doch noch ein Machtwort spricht.

Das neue Kommunikationsmittel Internet hat dazu beigetragen, dass aktuelle Informationen zu diesem Thema nicht länger einer kleinen Minderheit vorbehalten bleiben. Mit Websites, Mailinglisten und per Email kam es zu einer umfassenden Vernetzung unter Befürwortern einer Reform. Sachliche, nachprüfbare Informationen sind nun jedermann leicht zugänglich. Das führt zu einer neuen Qualität der politischen Debatte, die langfristig nicht ohne Auswirkungen auf die Gesetzgebung bleiben wird.

Artikel:
Cannabis-Konsum als moderner Gesslerhut [ND, 24.09.2004]
Drogen, Politik und Polizei – Daten und Fakten zur Drogenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland
Eine Analyse der Entwicklung von 1960 bis 2003 von Hans Cousto

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