Folgende Vorbemerkung stammt von Thomas Wieckhorst, der den Text des Lübecker Vorlagebeschlusses vor mehreren Jahren in eine maschinenlesbare Form überführte:
Jz. - 713 Js 16817/90
StA Lübeck - 2 Ns (Kl. 167/90)
1. Das Verfahren
wird ausgesetzt.
2. Die Sache wird
dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Frage vorgelegt. ob §§
29 Absatz 1 Nr. 1 (hier Handlungsalternative: abgeben) i.V.m. 1 Absatz 1 i.V.m.
Anlage I (hier: Cannabisharz (Haschisch)) Betäubungsmittelgesetz vom 28. Juli
1981 (BGBl. I S. 681: ber. S. 1187). zuletzt geändert durch das Strafverfahrensänderungsgesetz
1987 vom 27. Januar 1987 (BGBl. I S. 475) mit Art. 2 Absatz 1 i.V.m. Art. 1
Absatz 1; Art. 2 Absatz 2 S. 1 und Art. 3 Absatz 1 (Gleichbehandlungsgrundsatz)
Grundgesetz vereinbar ist.
Gliederung :
A. Zum Sachverhalt:
I. Verfahrensgeschichte
II. Festgestellter Sachverhalt
B. Zur rechtlichen Würdigung
I. Verstoß gegen Art. 3 Abs.1 GG
1.) Zielsetzung des Betäubungsmittel- gesetzes
2.) Ergebnis der Beweisaufnahme zur Gefährlichkeit von Alkohol und Cannabisprodukten
a) Die Sachverständigen
b) Die konkreten Feststellungen zur Gefährlichkeit von Alkohol und von Cannabisprodukten
(1) Wirkungsweisen des Alkohols
(a) Körperliche und psychische Auswirkungen
(b) Gesellschaftliche Auswirkungen
(2) Wirkungsweisen der Cannabisprodukte
(a) Allgemeine Wirkungen
(b) Körperliche und psychische Auswirkungen
(c) Gesellschaftliche Auswirkungen
c) Zusammenfassung
(1) Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichtes zur Gefährlichkeit von
Cannabisprodukten
(2) Gefährlichkeit von Cannabisprodukten im Verhältnis zu sonstigen Rauschmitteln
(3) Konsequenzen bei exzessiven Gebrauch von Cannabisprodukten
3.) Verfassungsrechtliche Konsequenzen aus den Feststellungen zu 2.)
a) Anwendung von Art. 3 GG bei Strafvorschriften
b) Nichtannahmebeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17.Dez. 1969
c) "Keine Gleichbehandlung im Unrecht" S. 48 II. Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1
Grundgesetz
1.) "Recht auf Rausch" als zentraler Sektor menschlicher Selbstbestimmung
2.) "Recht auf Rausch" und Selbstschädigung
3.) "Recht auf Rausch" und Schrankentrias
a) Das Verhältnismäßigkeitsgebot als Teil der Rechtsstaatlichkeit
b) Das Verhältnismäßigkeitsgebot bei Strafnormen
c) Konkrete Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgebotes
(1) Fehlprognose des Gesetzgebers
(2) Ungeeignetheit
(3) Erforderlichkeit
(4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
(a) Schaden-Nutzen-Analyse
(b) Mangelnde Differenzierung des Gesetzgebers bei den sogenannten "weichen"
und "harten" Drogen
(c) Mangelnde Differenzierung des Gesetzgebers bei den einzelnen strafbaren
Handlungsalternativen des Betäubungsmittelgesetzes
III. Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
IV. Internationale Abkommen
V. Zinsammenfassung/Verfahrenskonforme
Auslegung
Gründe:
A. Zum Sachverhalt
I. Die Angeklagte
ist mit einem Urteil des Amtsgerichts in Lübeck, Strafrichters, vom 01. Oktober
1990 wegen vorsätzlichen Vorstoßes gegen § 29 Absatz 1 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz
zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden. Außerdem ist das
asservierte Haschisch eingezogen worden. Die Angeklagte hat dieses Urteil mit
ihrer Berufung in zulässiger Weise angegriffen und ihre Berufung wirksam mit
Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß beschränkt. Die Kammer hat
das Verfahren gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz ausgesetzt und nach Maßgabe
des Beschlußtenors zu Ziffer 2 dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung
vorgelegt.
II . Durch die
wirksame Beschränkung des Rechtsmittels auf das Strafmaß sind der Schuldspruch
sowie die ihn tragenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts in Rechtskraft
erwachsen. Die Kammer ist hieran gebunden.
1. Zum Sachverhalt:
Zum Sachverhalt hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen: Am 17.
April 1990 besuchte die Angeklagte ihren Ehemann in der Justizvollzugsanstalt
in Lübeck. Ihr Ehemann saß dort in Untersuchungshaft wegen des Vorwurfs eines
Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Bei der Begrüßung umarmte die Angeklagte
ihren Ehemann. In diesem Augenblick übergab sie ihm ein Briefchen, das Haschisch
enthielt. Ihr Ehemann steckte dies in die Hosentasche seines Jogging-Anzuges.
Während der Dauer des bewachten Besuches steckte er das Briefchen mit dem Haschisch
in den rechten Strumpf. Im Gegensatz zum Amtsgericht hat die Kammer festgestellt,
daß das übergebene Haschisch nicht 2 Gramm, - wie vom Amtsgericht festgestellt
- sondern lediglich 1,12 Gramm wog. Da das Gewicht ein für die Schuldzumessung
relevanter Faktor ist, war die Kammer nicht an die entsprechenden -unzutreffenden-
Feststellungen des Amtsgerichts gebunden.
2. Zur Person:
Zur Person der Angeklagten hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagte ist am 17. Juli 1963 in Telgte, Wahrendorf geboren. Sie hat noch
einen jüngeren Bruder. Ihre Eltern leben in Dortmund. Die Angeklagte hat nach
ihrem Schulabschluß (Mittlere Reife) in einem Reisebüro eine Lehre als Reisebürokauffrau
angefangen. Sie hat die Lehre jedoch nicht abgeschlossen. 1982 hat sie ihren
späteren Ehemann kennengelernt und diesen am 21. Juni 1984 geheiratet. Dieser
überredete sie, ihre Lehre abzubrechen und ihren Lebensunteihalt als Prostituierte
zu verdienen. Dabei war ihr Ehemann als Zuhälter tätig. Im Jahre 1982 zogen
die Angeklagte und Herr nach Lübeck. wo die Angeklagte seitdem in der Clemensstraße
dem Gewerbe der Prostituion nachgeht. 1987 hatte die Angeklagte erstmals Kontakt
mit Rauschmitteln. Ihr Mann war zu diesem Zeitpunkt nach längerer Haftzeit entlassen
worden und veranlaßte die Angeklagte zur Einnahme von Rauschmitteln. Die Angeklagte,
nahm sporadisch Haschisch und Amphetamin. Später nahm sie auch hin und wieder
Kokain. In der Beziehung der Angeklagten zu ihrem Ehemann gab es erhebliche
Probleme, die die Angeklagte zunehmend dazu veranlaßte, häufiger Rauschmittel
zu nehmen, um die Probleme zu verdrängen. Dabei verwandte die Angeklagte Haschisch
als Schlafmittelersatz. Nachdem ihr Ehemann eine Beziehung zu einer anderen
Frau aufgenommen hatte, nahm der Drogenkonsum der Angeklagten drastisch zu.
Sie war viel allein und wollte sich scheiden lassen. Eine Fehlgeburt brachte
die Angeklagte in zusätzliche seelische Nöte. Mit Schlaftabletten, Haschisch
und der Einnahme von Kokain versuchte sie des "inneren Chaos" Herr zu werden.
Unter dem dominierenden Einfluß ihres Ehemannes handelte die Angeklagte in der
Zeit vom 06. Juli 1989 bis zum 06. September 1989 erlaubnislos mit den Betäubungsmitteln
Haschisch, Amphetamin und Kokain. Anfang September 1989 wurde sie zusammen mit
ihrem Ehemann und einer dritten Person bei dem Versuch, Rauschmittel von den
Niederlanden nach Deutschland illegal und erlaubnislos einzuführen, von der
niederländischen Polizei in Kerkrade gestellt und gefaßt. Die Angeklagte verbrachte
knapp ein halbes Jahr in Untersuchungshaft und wurde am 21. Februar 1990 vom
Amtsgericht Lübeck - Schöffengericht - wegen versuchter erlaubnisloser Einfuhr
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe
in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe
wurde zur Bewährung ausgesetzt. Zur Strafzumessung und zur Frage der Bewährung
hat das Amtsgericht in seinem Urteil vom 21. Februar 1990 folgende Erwägungen
angestellt: Schuldmindernd fand Beachtung, daß die Angeklagte, obgleich gemeinschaftlich
handelnd, so doch in einer gegenüber ihrem Ehemann etwas untergeordneten Rolle
tätig war. Ferner hat das Gericht berücksichtigt, daß sie die Drogen auch eigenkonsumierte
um hierdurch Probleme, die für sie in dem Prostituiertengewerbe bestanden, zu
überdecken. Die hierdurch entstandene, wenn auch verminderte Abhängigkeit von
Drogen hat das Gericht ebenfalls schuldmindernd berücksichtigt. Deutlich unrechtserhöhend
fand die deutliche Menge der Be- täubungsmittel, mit denen Handel getrieben
wurde und die eingeführt werden sollten, Beachtung. Angesichts dieser Umstände
hat das Gericht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als angemessen
erachtet und gegen die Angeklagte verhängt. Das Gericht hat die Freiheitsstrafe
gemäß § 56 Absatz 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagte hat in dieser
Sache bereits eine Untersuchungshaft von fast sechs Monaten erlebt. Dies hat
sie zur Überzeugung des Gerichts in dem Sinne erkennbar beeindruckt, daß sie
sich künftig straffrei verhalten wird. In der Hauptverhandlung machte sie deutlich,
daß sie das von ihr begangene Unrecht bereut. Ihr war eine günstige Sozialprognose
zu stellen, ferner gebot die Verteidigung der Rechtsordnung nicht die Vollstreckung
der Strafe." Die Angeklagte nimmt keine Drogen mehr. Sie hat sich hierbei keiner
Therapie unterzogen. Von ihrem Ehemann hat sie sich am 14. August 1991 scheiden
lassen. Sie hat eine neue Beziehung zu einem anderen Mann aufgebaut, der nicht
aus dem Zuhältermilieu stammt. Er ist als Blumenhändler tätig. Die Angeklagte
hat sich mit diesem Mann verlobt und will demnächst heiraten. Sie ist immer
noch als Prostituierte tätig, weil sie ihre Schulden abtragen will. Neben der
Verurteilung durch das Amtsgericht Lübeck vom 21. Februar 1990 ist die Angeklagte
weiterhin durch Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 19. Februar 1987 wegen unerlaubten
Entfernens vom Unfallort vorbestraft. Das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung
vom 19. Februar 1987 die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu
je 45,00 DM verurteilt.
B. Zur rechtlichen
Würdigung:
Aufgrund des festgestellten Sachverhalts hat sich die Angeklagte gemäß §§ 29
Absatz 1 Nr.1 i.V.m. 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage I (hier: Cannabisharz (Haschisch))
Betäubungsmittelgesetz in der Handlungsalternative des Abgebens strafbar gemacht.
Sie hat vorsätzlich Betäubungsmittel ohne Erlaubnis abgegeben. An einer Bestrafung
der Angeklagten sieht sich die Kammer jedoch gehindert, weil nach ihrer Überzeugung
die hier zur Anwendung kommenden Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes nach
Maßgabe des Beschlußtenors zu Ziffer 2 verfassungswidrig sind und eine verfassungs-
konforme Auslegung dieser Vorschriften des Betäubungsmit- telgesetzes nicht
in Betracht kommt (vgl. dazu unten V.). Demnach kommt es für die Bestrafung
der Angeklagten darauf an, ob die vorliegend zur Anwendung gekommenen Vorschriften
des Betäubungsmitteigesetzes mit den im Beschlußtenor zu Ziffer 2.) aufgeführten
Artikel des Grundgesetzes vereinbar sind: Verstoßen §§ 29 Absatz 1 Nr. 1 i.V.m.
1 Absatz 1 i.V.m. Anlage I (hier: Cannabisharz (Haschisch)) Betäubungsmittelgesetz
in der Handlungsalternative des Abgebens gegen die im Beschlußtenor genannten
Vorschriften des Grundgesetzes, dann darf die Kammer die Angeklagte nicht bestrafen.
Sie ist freizusprechen, Sind die vorgenannten Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes
hingegen mit dem Grundgesetz vereinbar, dann ist die Angeklagte zu bestrafen.
Die Kammer legt daher mit folgenden Erwägungen gem. Art. 100 Absatz 1 Grundgesetz
die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor:
I. Verstoß gegen
Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz
(Gleichheitsgrundsatz)
Die Strafbarkeit
gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtmG hängt in allen Handlungsalternativen davon ab ob
die Handlungen sich auf Stoffe und Zubereitungen beziehen, die in den Anlagen
I bis III zu § 1 Abs. 1 BtmG aufgeführt sind. In diesen Anlagen I bis III sind
weder Alkohol noch Nikotin aufgeführt. Hingegen sind in der Anlage I zu § 1
Abs. 1 BtmG Cannabis (Marihuana) und Cannabisharz (Haschisch) aufgeführt. Die
Kammer ist der Auffassung, daß das Aufführen der Cannabisprodukte und das Nichtaufführen
von Alkohol und Nikotin in den Anlagen I bis III zu § 1 Absatz 1 BtmG gegen
den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz verstößt. Nach einhelliger
Meinung in der verfassungsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung (vergleiche
Leibholz-Rinck-Hesselberger, BVerfG-Rechtspre- chungskommentar zum Grundgesetz,
6. Aufl., Bd.I, Artikel 3, Anmerkung 1 und 27 mit entsprechenden Hinweisen auf
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) stellt Artikel 3 Absatz 1
Grundgesetz ein den Gesetzgeber bindendes Willkürverbot dar. Er verbietet dem
Gesetzgeber wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches
willkürlich gleich zu behandeln. Diese von Artikel 3 Grundgesetz geforderte
Rechtsgleichheit führt nicht zu einer schematischen Gleichsetzung. Sie bedeutet
nicht Identität, sondern nur verhältnismäßige Gleichheit. Der Gleichheitssatz
ist erst dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache
ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung
oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, wenn also die Bestimmung als willkürlich
bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 52; 3, 135; 9, 349; 13, 227/228; 42, 73; 59,97),
wobei dem Gesetzgeber bei der Regelung der einzelnen Sachverhalte eine weitgehende
Gestaltungsfreiheit und ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Dieser endet
erst dort, wo die Gleich- oder Ungleichbehandlung der geregelten Sachverhalte
nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise
vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Gleichbehandlung
oder Differenzierung fehlt (BVerfGE 59, 97; 3, 136). Nach Auffasung der Kammer
gibt es keinen einleuchtenden Grund dafür, Cannabisprodukte in der Anlage I
zu § 1 Absatz 1 BtmG aufzuführen und die Produkte Alkohol und Nikotin nicht
in die Anlagen zu § 1 Absatz 1 BtmG aufzunehmen.
1.) Durch das
Betäubungsmittelgesetz soll als Rechtsgut die Volksgesundheit geschützt werden.
1911 wurde das bis dahin geltende Opiumgesetz umfassend novelliert, Es trat
als "Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtmG) vom 22. Dezember 1971
(BGBl I Seite 2092)" am 25. Dezember 1971 in Kraft. Im allgemeinen Teil der
amtlichen Begründung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfes
(BT-Drs. 665/70) sind die Motive für die umfangreiche Novellierung festgehalten,
Es heißt dort unter anderem:
"Als eine
der Maßnahmen der Bundesregierung, die in einem umfassenden Aktionsprograpm
zur Bekämpfung der Rauschgiftsucht vorgesehen sind, dient das Gesetz dem Ziel,
der Rauschgiftwelle in der Bundesrepublik Deutschland Einhalt zu gebieten und
damit große Gefahren von dem Einzelnen und der Allgemeinheit abzuwenden. Es
geht darum, den einzelnen Menschen, insbesondere den jungen Menschen vor schweren
und nicht selten irreparablen Schäden an der Gesundheit und damit von der Zerstörung
seiner Persönlichkeit, seiner Freiheit und seiner Existenz zu bewahren. Es geht
darum, die Familie vor der Erschütterung zu schützen, die ihr durch ein der
Rauschgiftsucht verfallenes Mitglied droht. Es geht darum, der Allgemeinheit
den hohen Preis zu ersparen, den ihr die Opfer einer sich ungehemmt ausbreitenden
Rauschgiftwelle abverlangen würden. Es geht schließlich darum, die Funktionsfähigkeit
der Gesellschaft nicht gefährden zu lassen.....
Ein besonderes
Kennzeichen der Rauschgiftwelle ist die erhebliche Zunahme des Verbrauchs von
indischem Hanf (Cannabis sativa) und des darin enthaltenen Harzes (Haschisch),
Es handelt sich dabei um ein Halluzinogen, das nach der in der medizinischen
Wissenschaft überwiegenden Meinung bei Dauergebrauch zu Bewußtseinsveränderungen
und zu psychischer Abhängigkeit führen kann....
Bei der Droge treten offenbar keine Entziehungssyndrome auf, und es besteht
nur eine geringe Tendenz, die Dosis zu erhöhen. Mit großer Wahrscheinlichkeit
ist davon auszugehen, daß die Droge eine Schrittmacherfunktion ausübt. Der Umsteigeeffekt
auf härtere Drogen zeigt sich besonders bei jungen Menschen. Praktisch vollziehen
sie mit ihr den Einstieg in die Welt der Rauschgifte. Die exakten biochemischen
Vorgänge, die sich im menschlichen Körper beim Genuß dieser Droge vollziehen
sind noch weithin unbekannt...."
Der Gesetzgeber
ging also davon aus, daß mit dem Gesetz der Verkehr und die Kontrolle von Stoffen
und Zubereitungen erreicht werden sollte, von denen der Gesetzgeber annahm,
daß sie sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft gravierende Gefahren
hervorrufen könnten. Dabei war er der Auffassung, daß das Gefahrenpotential
so groß, sei, daß im Einzelfall die Vernichtung der Existenz einzelner Menschen
zu befürchten sei und gesamtgesellschaftlich die Funktionsfähigkeit des Staates
gefährdet, werden könnte. Dabei hat der Gesetzgeber nicht zwischen sogenannten
harten Drogen (z.B. Kokain, Heroin) und sogenannten weichen Drogen (Cannabisprodukte)
unterschieden, vielmehr ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die Cannabisprodukte
"mit großer Wahr- scheinlichkeit" eine Schrittmacherfunktion für die anderen
Drogen hätten. Bei den nachfolgenden Novellierungen des Betäubungsmittelgesetzes
hat der Gesetzgeber diese Zielvorstellung im Kern nicht modifiziert. Er hat
allerdings mit dem nunmehr vorliegenden Betäubungsmittelgesetz vom 28. Juli
1981 eine Akzentverschiebung vorgenommen, Danach ist neben der Strafverschärfung
für schwere Rauschgiftkriminalität die sozialtherapeutische Rehabilitation für
abhängige Straftäter stärker in den Vordergrund gerückt. In § 1 des Betäubungsmittelgesetzes
von 1981 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes,
auf die in den Anlagen I bis III genannten Stoffe und Zubereitungen begrenzt.
Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes sind nur die in den Anlagen I bis III
abschließend genannten Stoffe und Zubereitungen (System der Positivliste). Die
in diesen Anlagen aufgeführten Stoffe und Zubereitungen sind Teil des Gesetzes.
Sie können jedoch durch Rechtsverordnung geändert und ergänzt werden. Auf die
Frage, ob hierin ein verfassungswidriger Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip
und gegen Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz vorliegt braucht vorliegend
nicht weiter eingegangen zu werden (vgl. Körner, Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz,
3. Auflage, § 1 Randn. 5 mit weiteren Nachweisen). In der Anlage I zu § 1 Absatz
1 Betäubungsmittelgesetz sind auch Cannabis (Marihuana) und Cannabisharz (Haschisch)
aufge- führt.
2.) Nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme ist die Kammer der Überzeugung, daß das Aufführen von Cannabisprodukten
in dieser Liste und das Nichtaufführen von Alkohol und Nikotin gegen Artikel
3 Grundgesetz verstößt. Alkohol und Nikotin sind sowohl für den Einzelnen als
auch gesamtgesellschaftlich evident gefährlicher als Cannabisprodukte. Aus Gründen
der Vereinfachung beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen nur auf das Verhältnis
des Genusses von Alkohol und Cannabisprodukten. Sie gelten aber auch entsprechend
für das Verhältnis von Cannabisprodukten zum Nikotin.
a) Diese Auffassung
der Kammer beruht auf den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen deren
Meinungen sich die Kammer angeschlossen hat. Die Kammer hat die, Sachverständigen
Herrn Dr. Barchewitz und Herrn Prof. Dr. Dominiak gehört. Herr Dr. Barchewitz
ist Facharzt für Psychiatrie und seit 15 Jahren im Therapiebereich tätig. Zwei
Drittel seiner fachlichen Tätigkeit hat er in Suchtkliniken zugebracht. Er hat
auch fünf Jahre im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet. Seit
1986 ist er Leiter der Fachklinik für Suchtkrankheiten (Holstein-Klinik in Lübeck).
Dort befinden sich überwiegend alkohol- und medikamentenabhängige aber auch
anderweit drogensüchtige Personen. Herr Dr. Barchewitz verfügt auch über erhebliche
Erfahrungen mit Drogenabhängigen. Diese gründen sich auf seine Erfahrungen während
seiner gesamten beruflichen Tätigkeit. Der Sachverständige Prof. Dr. Dominiak
ist Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie sowie für klinische Pharmakologie.
Er ist Direktor des Instituts für Pharmakologie der Medizinischen Universität
zu Lübeck und hat sich insbesondere in jüngster Zeit intensiv mit Wirkungen
von Rauschgiften auseinandergesetzt und beschäftigt. Er hat im Dezember 1991
auf einem Fachkongreß von Rechtsmedizinern in Lübeck ein umfassendes Referat
zu den toxischen und pharmakologischen Wirkungsweisen von Drogen (auch der Cannabisprodukte)
gehalten und dabei die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet
analysiert und aufgearbeitet.
b) Aufgrund der
Ausführungen der Sachverständigen und unter Berücksichtigung vielfältiger, allgemein
zugänglicher Literatur, die mit den Sachverständigen und den Prozeßbeteiligten
im Termin erörtert worden ist, ist die Kammer zusammenfassend zur Frage der
Gefährlichkeit von Alkohol und Cannabisprodukten zu folgenden Feststellungen
gekommen:
- Die körperlichen Auswirkungen übermäßigen Alkoholkonsums erreichen fast alle
Organe und Organsysteme und können diese schwer schädigen oder sogar zerstören,
während Cannabisprodukte nur geringfügige körperliche Wirkungen herbeiführen.
- Nach dem Absetzen von Alkohol treten bei Alkoholabhängigen schwere körperliche
Entzugserscheinungen auf, während bei Cannabisprodukten praktisch keine körperlichen
Entzugserscheinungen beobachtet werden.
- übermäßiger Alkoholkonsum kann schwere psychische Schäden bewirken, während
bei Cannabisprodukten keine gravierenden psychischen Störungen zu erwarten sind
und allenfalls mit einer geringfügigen psychischen Abhängigkeit gerechnet werden
muß. In der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl von Verbänden, speziellen Krankenhäusern
und speziellen Therapien, die sich mit Alkoholerkrankungen und Alkoholabhängigkeiten
beschäftigen, während es weder eine spezielle Therapie für Cannabiskonsumenten
noch spezielle Krankenhäuser oder Verbände gibt, die sich um Cannabiskonsumenten
kümmern.
- In der Bundesrepublik einschließlich der neuen Bundesländer wird die Anzahl
der Alkoholtoten auf 40.000 im Jahr geschätzt, während kein Fall (auch weltweit)
bekannt ist. bei dem der Tod einer Person auf übermäßigen Konsum von Haschisch
zurückzuführen ist. Es gibt keine letale Dosis für Haschisch.
- Die wirtschaftlichen Folgekosten aufgrund des Alkoholkonsums werden in der
Bundesrepublik auf jährlich 50 Milliarden DM geschätzt, während bei Cannabisprodukten
entsprechende Zahlen nicht existieren.
- Der Alkoholkonsum hat erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsplatz (Arbeitsunfälle
Kündigungen, Krankheitsfälle, Einstellungen von Suchtberatern), während bei
Cannabisprodukten entsprechende Beobachtungen und Schätzungen nicht existieren.
- Der Anteil von tödlichen Unfällen, die im Zusammenhang mit Alkohol stehen,
wird in der Bundesrepublik auf 50 % geschätzt und die Zahl der Verkehrsunfälle
unter Alkoholeinfluß mit Personenschäden auf gut 30.000 pro Jahr, während bei
Cannabisprodukten auf keine entsprechenden Beobachtungen oder Schätzungen zurückgegriffen
werden kann.
- Nach der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes aus dem Jahre
1990 wurden in diesem Zeitraum mehr als 140.000 Tatverdächtige (knapp 10 % aller
Tatverdächtigen) registriert, die nach polizeilichem Erkenntnisstand bei der
Tatausführung unter Alkoholeinfluß standen. Im Bereich der Gewaltdelikte (z.B.
Totschlag, Vergewaltigung, Sexualmord) liegt der Anteil der Tatverdächtigen
unter Alkoholeinfluß über 36 %, während bei Cannabisprodukten entsprechende
stati- stische Erhebungen nicht durchgeführt werden.
Im einzelnen ist
hierzu folgendes auszuführen:
(1) Wirkungsweisen
des Alkohols:
(a) Körperliche
und psychische Auswirkungen
aa.) Alkoholintoxikationen
reichen von leichter Gehstörung, starker Gehstörung, Reflexlosigkeit bis zur
Bewußtlosigkeit und Kreislaufinsuffizienz
bb.) Leichte Alkoholräusche
(0,5 - 1,5) sind gekennzeichnet durch Herabsetzung der psychomotorischen Leistungsfähigkeit,
allgemeine Enthemmung, Beeinträchtigung der Fähigkeit kritischer Selbstkontrolle;
mittelgradige Räusche (1,5 - 2,5) durch euphorische Glückstimmung oder aggressive
Gereiztheit, Verminderung der Selbstkritik, Enthemmung, Benommenheit, Psychomotorischer
Unsicherheit, unreflektierter Bestrebung, triebhafte Bedürfnisse zu befriedigen,
Fehlen zielgerichteter Konstanz und Bereitschaft zu primitiven, vorwiegend explosiven
Reaktionsweisen; schwere Rauschzustände (über 2,5) durch Bewußtseinsstörungen
und Verlust realen Situationsbezuges, Desorientiertheit. illusionäre situative
Verkennung, motivlose Angst, Gleichgewichtsstörungen hin bis zur Ataxie, Dysarthrie
und Schwindel, Schädel-Hirn-Trauma, evtl. mit komplizierender intrakranieller
Blutung.
cc.) Die neuere
Alkoholforschung läßt zehn psychopathologische Syndrome erkennen, die einzeln
oder in verschiedenen Verbindungen auftreten (Störungen des Bewußtseins und
der Motorik, Störungen der Orientierung, paranoid-halluzinatorisches Syndrom,
manisches, gereizt-aggressives, depressives Syndrom, Angstsyndrom, Suizidalität,
sexuelle Erregung, amnestisches Syndrom).
dd.) Das Alkoholentzugssyndrom
wirkt sich internistisch, vegetativ, neurologisch und psychisch aus.
ee.) Es gibt kaum
ein Organsystem, an dem nicht Syndrome oder Krankheiten gefunden wurden, die
nicht mit dem Alkoholismus ursächlich in Verbindung zu bringen sind: z.B. Fettleber,
chronische Lungenerkrankung, Traumata, Bluthochdruck, Mangelernährung, Anämie,
Gastritis, Knochenbrüche, Hiatushernie, Leberzirrhose, Magen-Darm-Geschwüre,
chronischer Hirnschaden, Fettsucht, Herzkrankheiten, gastrointestinale Blutung,
epileptische Anfälle, Diabetes, Harnwegsinfekt.
ff .) Die alkoholische
Leberzirrhose ist eine relativ häufige Erkrankung bei fortgeschrittenem Alkoholmißbrauch.
30-50 % aller Leberzirrhosen sind auf den Mißbrauch zurückzuführen. Beschwerden
sind Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Depressivität. Es kommt gelegentlich zu Hautveränderungen.
Die Haut ist pergamentpapierartig verdünnt und zeigt weiße Flecken. Körperbehaarung
und Schambehaarung läßt nach. Potenz und Libido vermindern sich. Der schwere,
alkoholbedingte Leberschaden führt über tiefere Bewußtseinstrübung zum Koma.
gg.) Alkoholiker
neigen zu mehr Infektionen der Luftwege.
hh.) Die akute
Alkoholintoxikation, besonders bei chronischen Alkoholikern, löst typische Knochenmarksveränderungen
aus und stört somit das Immunsystem.
ii.) Alkohol
wirkt auf die Muskeln in der Weise, daß die Muskulatur schwillt, stark druckempfindlich
und krampfanfällig ist.
jj.) Alkoholismus
verändert das Gehirn morphologisch und funktionell mit der weiteren Folge psychischer
Veränderungen. 3 - 5 % der Alkolholiker werden vom sogenannten Wernicke-Korsakow-Syndrom
befallen, das durch folgende Störungen gekennzeichnet ist:
- Verlust des Altgedächtnisses, regelmäßig verbunden mit der Unfähigkeit, sich
neue Gedächtnisinhalte einzuprägen;
- verminderte Fähigkeit der Reproduktion von Gedächtnisinhalten;
- eindeutige Verschlechterung der Auffassungsfähigkeit;
- Verminderung der Spontanität und Initiative;
- Störungen der Konzentrationsfähigkeit, der räumlichen Organisation und der
visuellen und verbalen Abstraktion.
kk.) 20 - 40 %
aller Alkoholiker leiden an Polyneuropathie, die mit schmerzhaften Mißempfindungen,
Kribbelparästhesien und Taubheitsgefühl beginnt. Danach kommt es zu ziehenden,
brennenden und stechenden Muskelschmerzen mit Krämpfen und Muskelschwäche.
ll.) Tremorerscheinungen
sind bei Alkoholikern sehr häufig. Sie sind anfangs reversibel, später nicht.
Das Leiden beginnt als feinschlägiger Tremor. Er setzt an den Händen ein, der
sich später ausbreitet auf Zunge, Lippen, Augenlider, Kopf und Füße.
mm.) Es gibt eine
sogenannte Alkoholepilepsie bei chronischen Alkholikern, die früher keine latente
Krampfbereitschaft aufgewiesen haben.
nn.) Das Risiko,
einen Schlaganfall zu erleiden, ist bei Männern mit einem hohen Alkoholkonsum
um mehr als das Vierfache höher als bei Abstinenten oder bei geringem Konsum.
oo.) Das sogenannte
Alkoholdelir ist gekennzeichnet von Desorientiertheit in örtlicher, zeitlicher
und situativer Hinsicht. Es bestehen Auffassungsstörungen und illusionäre Verkennungen.
Die Wahrnehmungsstörungen können zu einer gesteigerten Suggestibilität und Konfabulationen
führen. Die Stimmung ist schwankend, gekennzeichnet durch Angst, Reizbarkeit
und durch eine gewisse Euphorie. Typisch ist psychomotorische Unruhe mit nestelnden
Bewegungen und Bettflüchtigkeit.
pp.) Beim Alkoholiker
gibt es verstärkt Eifersuchtsideen und Eifersuchtswahn.
qq.) Alkoholmißbrauch
vor und während der Schwangerschaft kann schwere Schädigungen des Embryos verursachen.
Für die Bundesrepublik wird eine jährliche Rate der Alkoholembryopathie von
1800 geschätzt. Deren wichtigsten Symptome sind Wachstumsdefizit, Minderwuchs,
Untergewicht, statomotorische und geistige Retardierung, Hyperaktivität, Muskelhypotonie,
verkürzter Nasenrücken, schmale Lippen, auch Mißbildungen.
(b) Gesellschaftliche
Auswirkungen
aa.) Anzahl der
Alkoholabhängigen Die Anzahl der Alkoholabhängigen wird in der Bundesrepublik
bei einer Geschlechterrelation von 1 (weiblich) zu 2 (männlich) auf 2,5 Millionen
geschätzt.
bb.) Wirtschaftliche
Folgekosten Die gesamtwirtschaftlichen Folgekosten des Alkoholkonsums werden
mit ca. 50 Mrd DM angegeben (vgl. H.H. Kornhuber, in Sonderdruck "Deutsches
Ärzteblatt" - ärztliche Mitteilungen, Heft 19 Seite 1347 bis 1362 vom 12.
Mai 1988, im Sonderdruck Seite 2).
cc.) Auswirkungen
auf dem Arbeitsplatz 25 % aller Arbeitsunfälle in der Bundesrepublik sind auf
Alkohol zurückzuführen. Bei jeder 6. Kündigung geht es um Alkohol, Alkoholkranke
sind 2,5 mal häufiger krank als andere Mitarbeiter. In über 800 Betrieben und
Behörden werden schon Suchtberater eingesetzt (vgl. Jahrbuch der Sucht 1991,
Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, Seite 29).
dd.) Auswirkungen
im Straßenverkehr Unter Berücksichtigung von Dunkelzifferrelationen wird der
Anteil von tödlichen Unfällen, die im Zusammenhang mit Alkohol stehen, auf 50
% geschätzt (vgl. Stephan in Jahrbuch der Sucht 1991, a.a.O., Seite 106, 107).
Die Zahl der Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluß mit Personenschaden wird auf
gut 30.000 pro Jahr geschätzt.
ee.) Alkoholtoten:
Die Zahl der Alkoholtoten wird in Deutschland einschließlich der neuen Bundesländer
mit ca. 40.000 jährlich angegeben.
ff.) Auswirkungen
auf strafbare Handlungen Nach der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes
aus dem Jahre 1990 wurden in diesem Zeitraum 141.180 Tatverdächtige (= 9,8 %
aller Tatverdächtigen) registriert, die nach polizeilichem Erkenntnisstand bei
der Tatausführung unter Alkoholeinfluß standen (vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik
des Bundeskriminalamtes 1990, Seite 85). Die Wirkung des Alkohols, die Gewaltbereitschaft
zu erhöhen, wird besonders deutlich, wenn der Anteil der Tatverdächtigen unter
Alkoholeinfluß in bestimmten von Gewalt geprägten Deliktsgruppen untersucht
wird. So betrug der Anteil der Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluß bei "Widerstand
gegen die Staatsgewalt" 63,3 %. Bei anderen Gewaltdelikten ergeben sich folgende
Zahlen:
- Totschlag: 47,4 %
- Körperverletzung mit tödlichem Ausgang: 41,4 %
- Vergewaltigung: 36,6 %
- Vergewaltigung überfallartig durch Gruppen: 50 %
- gefährliche und schwere Körperverletzung: 33,9 %
- Mord: 29,1 %
- Sexualmord: 46,7 %
- vorsätzliche Brandstiftung: 29,1 %
- sexuelle Nötigung: 28 % (vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik, a.a.O., Seite
85).
Diesen katastrophalen
und verheerenden Wirkungen individueller und gesamtgesellschaftlicher Art stehen
folgende Wirkungen des Haschischkonsums gegenüber:
(2) Wirkungsweisen
der Cannabisprodukte:
(a) Allgemeine
Wirkungen:
Zu den allgemeinen
Eigenschaften der Droge hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen: Der
Hauptwirkstoff der Cannabisprodukte ist das THC, genauer das Tetrahydrocannabinol,
Das THC wird im natürlichen Cannabis durch eine Fülle weiterer Wirk- und Duftstoffe
ergänzt. Unter den 60 weiteren Cannabinoiden ragen hervor das Cannabidiol (CBD),
das beruhigend (sedativ) wirkt, gelegentlich auch für Kopfschmerzen sorgen,
aber auch die THC-Wirkung verlängern soll, sowie das Cannabinol (CBN), ein Abbauprodukt
des THC (vgl. Quensel in: "Drogen und Drogenpolitik", Ein Handbuch, herausgegeben
von Sebastian Scheerer u. Irmgard Vogt, Campus 1989, Seite 380 m.w.N.). Cannabis
wird bei uns üblicherweise geraucht und zwar meist zusammen mit Tabak als "Joint"
oder aber in der Pfeife. Neben der in der Forschung häufigeren Injektion und
dem Einatmen von Cannabisdampf, kann man Cannabis auch als "Tee" trinken oder
aufgelöst im Tee, als Gewürz im Essen, aber auch als Gebäck zu sich nehmen (vgl.
Quensel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 380). Das THC wird über die
Schleimhäute aufgenommen und im Körper zu "Metaboliten" verwandelt. Seine Wirkung
tritt beim Rauchen so rasch ein, daß die Dosishöhe meist relativ einfach zu
regulieren ist; beim Essen und Trinken verzögert der Umweg über die Leber die
Wirkung mitunter über eine Stunde, weswegen Anfänger aus Ungeduld leicht zu
hohe Dosen einnehmen, Mit einer THC-Dosis von 2-10 mg beim Rauchen und etwa
der dreifachen Menge beim Essen und Trinken, das ist nach THC-Gehalt etwa 0,5
bis 1 Gramm Haschisch, erreicht man eine Wirkungsdauer von etwa 1 - 4 Stunden
(vgl. Quensel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.0., Seite 381). Die kurz- wie langfristige
Wirkung des Cannabis hängt -wie bei vielen anderen Drogen- ebenso davon ab,
wieviel und wie häufig man es konsumiert, wie auch davon, in welchem "set und
Setting" dies geschieht, wobei alle Faktoren von einander abhängig sind. Dabei
hängen Art und Weise des Erlebens von Cannabisprodukten in besonderer Weise
vom "set und Setting" ab, also von der Situation, in der man Cannabis einnimmt,
vom eigenen persönlichen Zustand wie von der sozialen Umgebung, von den eigenen
ängsten und Hoffnungen und den in der Gruppe wie in der umfassenderen Kultur
mit diesem Genuß verbundenen Erwartungen (vgl. hierzu Quensel, Drogenelend,
Campus 1982, Seite 76). Die Effekte, die mit der Einnahme von Cannabisprodukten
verbunden sind, lassen sich sozial erlernen, wobei die Erwartungshaltung eine
große Rolle spielt (vgl. Quensel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 381).
Bei stärkerer Dosis, also insbesondere beim Trinken oder Essen oder bei der
Verwendung von Haschischöl, sind eindeutigere halluzinogene Effekte zu erwarten
(vgl. Quensel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 382). Nicht nur das Ausmaß
der Dosis -etwa die Art und Weise, wie man einen "Joint" füllt- und Inhalte
des Erlebens sind soziokulturell erlernt, sondern auch die Häufigkeit des Konsums,
was als leichter bzw. schwerer Gebrauch gilt, zu welcher Gelegenheit man Cannabis
konsumiert und wann man damit aufhören soll (vgl. Quensel, Drogen und Drogenpolitik,
a.a.0., Seite 382). Die psychischen Wirkungen beschreibt Binder (Haschisch und
Marihuana, Deutsches Ärzteblatt 1981, Seite 120) wie folgt:
"Nach dem Rauchen
von 1 Gramm Marihuana entsteht ein etwa drei Stunden dauernder Rauschzustand,
der durch ein Gefühl von Losgelöstheit charakterisiert ist, das eine meditative
Versenkung oder eine Hingabe an sensorische Stimuli erlaubt. Der Zustand ist
im allgemeinen frei von optischen und akustischen Halluzinationen, die beim
vier- bis fünffachen dieser Dosis auftreten können. Subjektiv gesteigert wird
die Gefühlsintensität beim Hören von Musik, beim Betrachten von Bildern, bei
Essen und Trinken und bei sexueller Aktivität. Der Rausch ist zweiphasig und
geht nach der Anregungsphase in eine milde Sedierung über. Bei der genannten
Dosierung dominiert eine passive euphorische Bewußtseinslage, bei höherer Dosierung
kann es zu paranoiden Vorstellungen und Dysphorie kommen....
Die Droge führt
kaum zu Toleranzbildung und die Konsumenten kommen über Jahre ohne Dosissteigerung
aus." Cannabis besaß bis in dieses Jahrhundert auch bei uns eine medizinische
Bedeutung. Weltweit galt es stets als wichtiger Bestandteil der Volksmedizin
(vgl. Quensel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 382 m.w.N.). In neuerer
Zeit untersucht man die Wirkungen von Cannabis bei Glaukomen zur Verminderung
des Augeninnendrucks, bei spastischen Krämpfen und Epilepsie sowie bei Asthma
und Anorexia nervosa. Eine ganz besondere Bedeutung gewann es als Mittel gegen
den Brechreiz bei Anti-Krebs-Mitteln. In den USA hat man deshalb 500 Krankenhäusern
THC zur Bekämpfung dieses Erbrechens praktisch freigegeben und in 23 Staaten
diese Behandlung dem Ermessen jedes Arztes überlassen (vgl. Quensel, Drogen
und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 382 m.w.N.). Ein Blick auf Umfragedaten belegt,
daß vornehmlich jüngere Menschen Cannabis konsumieren. Sie tun dies, um ihre
Stimmung zu heben (34 %), um den Alltag zu vergessen (28 %), weil man sich entspannt
(25 %), Hemmungen überwindet (24 %), intensiver hört und sieht (19 %), und weil
man leichter Kontakt zueinander bekommt (17 %) (vgl. Quensel, Drogenelend, a.a.O.,
Seite 76 m w.N.).
(b) Körperliche
und psychische Auswirkungen
aa.) Körperliche
Auswirkungen
Die körperlichen Auswirkungen des Cannabisgebrauches sind relativ gering. Herz
und Kreislauf werden nicht beeinträchtigt, wenn auch der Puls aktiviert wird.
Aus diesem Grunde besteht bei Personen mit Kreislaufschäden Anlaß, mit dem Gebrauch
von Cannabis vorsichtig umzugehen. Wissenschaftliche Beweise dafür, daß der
Konsum von Cannabis sowohl bei der Fortpflanzung als auch im Immunsystem Schäden
hervorruft, sind bislang nicht vorgelegt worden. Der Sachverständige Prof. Dr.
Dominiak hat darauf verwiesen, daß es zwar in Tierversuchen Hinweise für solche
Wirkungen gebe, er hat jedoch eine Übertragung der im Tierversuch gewonnenen
Erkenntnisse auf den menschlichen Organismus abgelehnt. Zur Begründung hat er
angeführt daß der tierische Organismus häufig in ganz anderer Weise reagiere
als der Mensch. Darüber hinaus werde gerade bei den typischen kleinen Säugetieren
mit Dosen gearbeitet, die knapp unterhalb der bei Menschen praktisch nicht erreichbaren
Todesdosis liegen. Schließlich fehle bei den Labor- wie Tierversuchen der Blindversuch,
nachdem der Auswertende nicht wissen darf, welches Objekt Cannabis erhielt und
welches nicht (vgl. hierzu Quensel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., S. 385).
Darüber hinaus kann das Rauchen von Cannabis zu Lungenschäden führen. Dieser
mögliche Schaden ist jedoch im Vergleich mit dem Schaden, der durch das Rauchen
selbst verursacht wird, eher zweitrangig. Da Haschisch aber auch in anderer
Form konsumiert werden kann (durch Trinken im Tee; durch Essen im Kuchen) ist
diese mögliche Schädigung der Lunge kein spezifisches Risiko des Cannabiskonsums
bb.) Psychologische
Auswirkungen
Es gibt derzeit keinen Beweis für den Abbau zerebraler Funktionen und Intelligenzleistungen
durch chronischen Cannabisgebrauch. Jedoch ist die zur Intelligenzleistung notwendige
Funktion des Kurzzeitgedächtnisses unter Einfluß von Cannabis reduziert (vgl.
Schönhöfer, Die Pharmakologie der Cannabis-Wirkstoffe, in Arzneimittelforschung
23, 1973, Seite 55). Es gibt auch keinen medizinischen Hinweis, daß der Cannabiskonsum
originär Psychosen hervorruft. Der Sachverständige Dr. Barchewitz hat ausgeführt,
daß der Cannabiskonsum allenfalls eine bereits vorhandene Psychose zum Ausbruch
bringen kann. Diese lediglich auslösende Funktion können auch andere Rauschmittel
oder entsprechende Medikamente hervorrufen. Die eigentliche Schädigung in der
Psyche hat nach den Angaben des Sachverständigen jedoch bereits vorher stattgefunden.
Zu diesen Angaben des Sachverständigen paßt auch die bei Quensel (vgl. Drogen
und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 387) getroffene Feststellung: "Zur Zeit gibt
es keine zureichenden Gründe, die dafür sprechen, daß eine Cannabis-Psychose
als besonderer klinischer Befund existiert". Der Sachverständige Dr. Barchewitz
hat auf entsprechenden Vorhalt diese Aussage bestätigt. Die Beweisaufnahme hat
auch ergeben, daß das sogenannte "amotivationale Syndrom" keine spezifische
Folge des Cannabis-Konsums ist. Bei dem "amotivationalen Syndrom" handelt es
sich um ein durch "Apathie, Passivität und Euphorie gekennzeichnetes Zustandsbild".
Der Sachverständige hat in Übereinstimmung mit Schönhöfer (vgl. a.a.O., Seite
55) ausgeführt, daß es nicht möglich sei, eine kausale Beziehung zwischen dem
Cannabisgebrauch und dem "amotivationalen Syndrom" herzustellen. Schönhöfer
hält hier vielmehr einen Umkehrschluß für zulässig. Nach seiner Meinung machen
die Elemente des "amotivationalen Syndroms" erst das Rauscherlebnis des Cannabiskonsums
interessant und bedingen somit diesen Konsum (vgl. Schönhöfer, a.a.O., S. 55).
Auf diese Zusammenhänge hat auch der Sachverständige Dr. Barchewitz auf entsprechenden
Vorhalt hingewiesen. Dies entspricht auch den Untersuchungen, auf die Quensel
(Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 388) verweist. In empirischen Untersuchungen
ist nachgewiesen worden, daß Cannabiskonsumenten "weniger sorgfältig, weniger
diszipliniert und nicht so strebsam" sind wie eine Kontrollgruppe, "was sich
auch darin zeigt, daß sie signifikant weniger nach Erfolg strebt". Jedoch seien
auch potentielle Konsumenten, die nicht strikt gegen Cannabis eingestellt gewesen
seien, aber noch kein Cannabis konsumiert hätten, signifikant weniger karriereorientiert...
als die Antikonsumenten". Quensel kommt daher zu der Auffassung, daß Cannabis
eingebunden in einen größeren Lebensstil sei, der schon vor dem Konsum vorhanden
gewesen sei und deswegen allenfalls als Symptom, jedoch nicht als dessen Ursache
zu begreifen sei. Zusammenfassend lassen sich deswegen die Befunde zum psychischen
Bereich wie folgt beschreiben: Nach derzeitigem Wissensstand sind keine gravierenden
Störungen zu erwarten, wenn auch Personen mit Neigungen zu psychischen Störungen
ebenso auf Cannabis verzichten sollten wie diejenigen, die sich damit sozial
unerträglichen Situationen entziehen wollen.
cc.) Körperliche
Abhängigkeit
Körperliche Entzugserscheinungen sind bei Cannabis -anders als bei Alkohol und
harten Drogen- praktisch nicht zu beobachten. Der Sachverständige Prof. Dr.
Dominiak hat hierzu ausgeführt, daß allenfalls -vergleichbar wie beim Absetzen
der täglichen Kaffeedosis- leichte Schlafstörungen, Irritierbarkeit und innere
Unruhe auftreten können. Auch seien Dosissteigerungen aus physiologischen Gründen
nicht festzustellen. Vielfach ist sogar beobachtet worden, daß erfahrene Konsumenten
weniger Cannabis brauchen, um "high" zu werden als Anfänger (vgl. Quensel, Drogen
und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 389 m.w.N.). Die Sachverständigen haben darüber
hinaus ausgeführt, daß allenfalls eine leichte psychische Abhängigkeit vorhanden
sei. Diese sei aber nicht. anders einzustufen, als die, die beim täglichen Kaffeetrinken
entstehe. Quensel (Drogen und Drogenpoltik, a.a.O., Seite 389) führt hierzu
folgendes aus: "Eine Vorstellung von diesen Schwierigkeiten kann man gewinnen,
wenn man an das eigene abendliche Glas Bier denkt, an den üblichen Morgenkaffee
oder an die Leere, die entsteht, wenn man das Rauchen aufgibt -dieselbe Leere
überfällt uns, wenn der Fernseher repariert werden muß, die Tageszeitung wegen
Streiks fehlt, die Prüfung bestanden ist oder bei Arbeitslosigkeit oder Verrentung
der alltägliche Arbeitstrott ausfällt."
dd.) Tödliche
Dosis
Bei dem Cannabiskonsum gibt es im Gegensatz ,zum Alkohol, Nikotin und harten
Drogenkonsum keine wissenschaftlich ermittelte letale (= tödliche) Dosis. Todesfälle
die auf exzessiven Konsum zurückzuführen sind, sind bei Haschisch nicht bekannt.
(c) Gesellschaftliche
Auswirkungen
aa.) Anzahl der
Haschischkonsumenten
Die Gesamtzahl der Konsumenten ist nicht bekannt. Die Angaben hierüber schwanken.
Körner geht in seinem Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz unter Berufung auf
die Zeitschrift Suchtreport 1988, Heft 2 von ca. 3 bis 4 Mio Cannabisabhängigen
aus (vgl.. Körner a.a.O., Einleitung Seite 9). In der Auskunft des Bundesgesundheitsamtes
vom 21. Dezember 1990 wird eine Zahl von mehreren Hunderttausend und 1 bis 2
Mio angegeben. Der Drogenexperte Berndt Georg Thamm schätzt in seinem Buch "Drogenfreigabe-Kapitulation
oder Ausweg ?" (Verlag Deutsche Polizeiliteratur GmbH, 1989) für die Bundesrepublik
eine Anzahl von über 2 Mio. Konsumenten von Cannabisprodukten (vgl. Thamm, a.a.O.,
Seite 232).
bb.) Haschischtherapie
Es gibt keine spezielle Haschischtherapie und auch keine therapeutische Einrichtung
für Haschischkonsumenten. Dort wo Haschischkonsumenten einer psychologischen
oder psychiatrischen Behandlung bedürfen, ist nach den Darlegungen des Sachverständigen
Dr. Barchewitz der Haschischkonsum nicht die Ursache. Vielmehr steckt dahinter
ein persönliches Problem. Ist dies behoben, dann schwindet auch das Bedürfnis
zum Konsum, da dieser körperlich nicht bedingt ist.
cc.) Auswirkungen
auf strafbare Handlungen
Im Gegensatz zum Alkohol und zu den sogenannten harten Drogen wird die polizeiliche
Kriminalstatistik nicht unter dem Gesichtspunkt geführt, ob der Tatverdächtige
die Tat unter dem Einwirken von Cannabiskonsum begangen hat. Es gibt in der
polizeilichen Kriminalstatistik hierzu keine statistischen Erhebungen. Daraus
läßt sich entnehmen, daß dies für die Begehung von Straftaten kein relevanter
Faktor ist. Dies verdient besondere Hervorhebung im Verhältnis zum Alkohol,
weil der Alkohol häufig eine stimulierende Wirkung hat, die insbesondere die
Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten fördert. Haschisch hat eine im Grundsatz umgekehrte
Wirkungsweise. Der Konsum von Haschisch führt zu einer Hinwendung nach innen
und begleitend dazu zu einem Rückzug von der äußeren sozialen Realität Dabei
hat die Einnahme von Haschisch nach den Ausführungen der Sachverständigen regelmäßig
eine mehr beruhigende und einschläfernde Wirkung. Allerdings sei davon auszugehen,
daß sich insbesondere diese Eigenschaften im Straßenverkehr nachteilig bemerkbar
machen könnten.
ff.) Einstiegsdroge
Im Gegensatz zu den Motiven des Gesetzgebers bei der Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes
im Jahre 1971 steht zur Überzeugung der Kammer nach den Ausführungen der Sachverständigen
und der dabei erörterten und vorgehaltenen Literatur fest, daß Haschisch keine
"Einstiegsdroge" für härtere Drogen ist und auch keine Schrittmacherfunktion
entfaltet. Die Sachverständigen haben in Übereinstimmung mit der Auskunft des
Bundesgesundheitsamtes zunächst festgestellt, daß es keinen medizinischen und
biologischen Auslöser für die Behauptung gibt, daß Konsumenten sogenannter weicher
Drogen auf harte Drogen umsteigen. Das Schweizer Bundesgericht hat sich in seinem
Entscheid vom 29. August 1991 (vgl. Strafverteidiger, 1992, Seite 18 ff.) mit
der angeblichen Gefährlichkeit von Cannabisprodukten auseinandergesetzt und
dabei auch zur Einstiegstheorie bzw. zur Umsteigegefahr Stellung genommen. Dabei
hat es den Sachverständigen Prof. Kind zitiert, der dargelegt hat, daß diese
Behauptung (Einstiegsdroge) heute eindeutig widerlegt sei. Abschließend heißt
es in der Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts: "Der Gebrauch von Cannabis
führt ferner keineswegs zwangsläufig zu jenem gefährlicherer Stoffe; nach neuesten
Schätzungen greifen insgesamt etwa 5 % aller Jugendlichen, die Erfahrung mit
Cannabis haben, zu härteren Drogen (Geschwinde, a.a.O., Seite 44 N 166)." Auch
Körner lehnt in seinem Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz die Theorie von
Haschisch als Einstiegsdroge ab. Es heißt dort (a.a.O., Anhang C 1, Seite 1070):
Die Theorie von Haschisch als Einstiegsdroge ist kein überzeugendes Argument,
weil der Weg zum Heroin ebenso häufig über Alkohol und Tablettenkonsum verläuft,
ohne daß deshalb ein Verbot von Alkohol oder Tabletten zu fordern wäre." Die
Kammer lehnt daher in Übereinstimmung mit den Sachverständigen und den vorstehenden
zitierten Autoren die Theorie von der "Einstiegsdroge" ab. Die Theorie von der
sogenannten Einstiegsdroge wird von der (unzutreffenden) Denkschablone getragen,
daß aus der Verwendung der Droge ein Drang nach Dosissteigerung logisch folge
und dieser von der leichten zur starken Dosis führen müsse (vgl. hierzu Quensel,
Drogen und Drogenpoli- tik, a.a.O., Seite 391). Dabei wird übersehen und unberücksichtigt
gelassen, ob die Drogen in ihrer Wirkung miteinander vergleichbar sind und daß
dann doch der leichte und beliebig steigerbare Alkoholkonsum als Alternative
viel näher liegt (vgl. Quensel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., S. 391). Es
wurde bereits darauf verwiesen, daß der Cannabiskonsum in seiner Zielrichtung
eine mehr, beruhigende und sedierende Wirkung hat, während zum Beispiel die
Drogen Kokain und Heroin stark euphorisierende Auswirkungen haben. Diese Drogen
stellen daher von ihrer Wirkungsweise keine Steigerung der Cannabisprodukte
dar, sondern haben eine vielmehr entgegengesetzte, dem Alkohol ähnliche Wirkung.
Deshalb fehlt es schon an einer den Umstieg tragenden subjektiven Zielvorstellung,
die darauf angelegt ist, die Wirkungsweise des bisherigen Rauschmittels zu steigern.
Darüber hinaus führt gerade der Konsum von Haschisch -wie bereits dargelegt-
nicht zu einer Toleranzausbildung, die nach immer stärkeren Dosen drängt. Im
Gegenteil: haschischgewöhnte Konsumenten werden regelmäßig mit einer niedrigeren
Dosis "high" als Anfänger (vgl. oben S. 30). Darüber hinaus wird der Versuch
unternommen, die Umstiegstheorie statistisch wie folgt zu begründen (vgl. dazu
Täschner, Das Cannabis-Problem 1979, Seite 169; zitiert nach Kreuzer, NJW 1982.
Seite 1311): "Untersucht man andererseits aber klinischstationär behandelte
Drogenabhängige, meist Heroinsüchtige oder Polytoxikomane, so stellt man fest,
daß sie ihre Drogenkarriere zu 98 bis 100 % mit Haschisch begonnen hatten."
Kreuzer verweist in seinem Aufsatz auf Untersuchungen von Prof. Keub, wonach
diese Theorie in den USA "schon längst tot war, als bei uns die Drogenwelle
1968 begann". Kreuzer führt weiterhin aus, daß Prof. Keub in einer Studie nachgewiesen
habe, daß Alkohol die Haupteinstiegsdroge sei und daß bei einem Drogenkongreß
in Wien alle anwesenden Experten verschiedener Disziplinen die Einstiegstheorie
verworfen hätten (vgl. Kreuzer, a.a.O., Seite 1311 Fußnote 9). Kreuzer führt
in seinem Aufsatz auch weitere Untersuchungen an, die für deutsche Verhältnisse
die Unhaltbarkeit der Einstiegstheorie ergeben hätten (vgl. Kreuzer, a.a.O.,
Seite 1311 Fußnote 10). Darüber hinaus läßt sich die Einstiegstheorie auch anhand
der statistischen Zahlen über die geschätzten Drogenabhängigen widerlegen. Der
Pharmakologe Schönhöfer hat in seinem Aufsatz (a.a.O., Seite 54) die Umsteigetheorie
an Zahlen, die für Amerika gelten, überprüft. Wörtlich heißt es: "Der Direktor
des "Natonal Institute of Mental Health" schätzte in einem Hearing vor dem "subcommittee
to Investigate Juvenile Delinquency" am 17. September 1969 die Zahl der Jugendlichen
Marihuana-Konsumenten in USA auf 8 bis 12 Mio. Im Mai und Oktober des gleichen
Jahres veröffentlichte die "Washington Post" Gallup-Umfragen, die die Zahl der
Marihuana-Konsumenten mit rund 10 Mio angaben. Nach der hier in der Bundesrepublik
üblichen Umsteigertheorie müßten also heute rund 30 % dieser Menschen, mithin
also 3 Millionen Heroinsüchtige sein. Das ist nicht der Fall. Die Zahl der Heroinsüchtigen
in den USA liegt bei 200.000 mit einer geschätzten Dunkelziffer gleicher Größe,
also insgesamt bei 400.000. Das sind zwischen zwei bis vier, rund also höchstens
5 % der Marihuana-Konsumenten." Diese Zahlen belegen, daß ein Umstieg nur in
geringem Umfange stattfindet. Sie entsprechen den Zahlen, die das Schweizer
Bundesgericht zugrunde gelegt hat, und die auch auf die Bundesrepublik zutreffen.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Barchewitz ist davon auszugehen,
daß es in der Bundesrepublik ca. 100.000 Drogenabhängige gibt, die sogenannte
harte Drogen konsumieren. Die Zahl der Haschischkonsumenten liegt -wie bereits
dargelegt- zwischen 2 und 4 Mio.. Dieses krasse Mißverhältnis von Cannabiskonsumenten
zu Konsumenten "harter" Drogen beweist, daß offensichtlich kein kausaler Umsteigeeffekt
vorhanden ist. Dies haben auch die von der Kammer gehörten Sachverständigen
ausdrücklich bestätigt. Sie haben vielmehr darauf verwiesen, daß eine Suchtkarriere.
die einmal beim Heroin ende, typischerweise vom frühen Gebrauch von Nikotin
oder Alkohol geprägt sei. Sie meinen daher, daß der Gebrauch dieser bei uns
üblichen Konsumdrogen viel eher einen Einstiegseffekt aufweise. Darüber hinaus
haben die Sachverständigen darauf hingewiesen, daß ein Umsteigeeffekt allenfalls
durch den gemeinsamen illegalen Drogenmarkt erfolge. Sie haben hierzu ausgeführt,
daß der Haschischkonsument die Droge vom gleichen Dealer bekomme, der auch über
"harte" Drogen verfüge. Aus diesem "sozialen Kontakt" ergebe sich eine sehr
viel größere Gefahr des Umsteigens als aus dem Konsum und den damit verbundenen
Wirkungen (so auch Binder, a.a.O., Seite 125). Die Kammer weiß aus einem Referat
des Amsterdamer Strafrechtsprofessors Dr. Rüter, das auch insoweit in der Hauptverhandlung
erörtert worden ist, daß gerade aus diesen Gründen die niederländische Drogenpolitik
eine Trennung der Märkte von "weichen" und "harten" Drogen anstrebt. Die Einrichtung
von sogenannten "Coffee-Shops", in denen Cannabis-Produkte zum Konsum frei verkäuflich
erworben werden können, ohne daß strafrechtliche Verfolgung zu befürchten ist,
hat zum Ziel, den "sozialen Kontakt" des Konsumenten "weicher" Drogen zu "harten"
Drogen beim Ankauf zu unterbinden. Deswegen müssen die Inhaber von "Coffee-Shops"
mit Bestrafungen und Schließung ihrer Geschäfte rechnen, wenn sie "harte" Drogen
verkaufen. Durch diese Trennung der Märkte wird nach Auffassung der Niederländer
der mögliche Umsteigeeffekt, der durch den "sozialen Kontakt" mit dem gleichen
Dealer bewirkt werden kann, erheblich reduziert.
c) Zusammenfassend
kann daher festgestellt werden. daß die individuellen und gesamtgesellschaftlichen
Wirkungen von Haschisch denkbar gering sind.
(1) Das Schweizerische
Bundesgericht hat in seiner Entscheidung vom 29. August 1991 (a.a.O., Seite
19) hierzu folgendes festgestellt: "Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse
läßt sich somit nicht sagen, daß Cannabis geeignet sei, die körperliche und
seelische Gesundheit vieler Menschen in eine naheliegende und ernstliche Gefahr
zu bringen."
(2) Der Sachverständige
Prof. Dr. Dominiak hat erklärt, daß Cannabis nach seiner Kenntnis das Rauschmittel
mit den geringsten individuellen und gesamtgesellschaftlichen Wirkungen sei,
das es zur Zeit auf der Welt gebe. Binder hat in seinem Aufsatz im Deutschen
ärzteblatt (a.a.O., Seite 124) ausgeführt: "Medizinisch gesehen, dürfte der
Genuß von ein bis zwei Joints Marihuana (ein bis zwei Gramm Marihuana, resorbierte
THC-Menge 8-16 mg) pro Tag unschädlich sein, zumindest aber weniger schädlich
sein, als der tägliche Konsum von Alkohol oder von 20 Zigaretten. Für alle drei
Drogen gilt das Prinzip "sola dosis facit venenum" und somit wäre gegen den
gelegentlichen Konsum von Marihuana im Grunde genau so wenig einzuwenden wie
gegen das gelegentliche Glas Wein oder die gelegentliche Zigarette, Jede Droge
im übermaß genossen, ist schädlich."
(3) Soweit der
exzessive Gebrauch von Cannabisprodukten bei bestimmten Risikogruppen zu bestimmten
-nicht ernstlichen- Schädigungen führen kann. ist darauf hinzuweisen; daß dies
grundsätzlich für fast alle Substanzen gilt, die der Mensch zu sich nimmt (Zum
Problem ,der fehlenden Relation zwischen Extrem- und Normalkonsum aus sozialwissenschaftlicher
Sicht vgl. Kreuzer, a.a.O., S. 1312). Auch der exzessive Gebrauch von Zucker
kann zu Schädigungen führen. Darüber hinaus haben zahlreiche rezeptpflichtige
Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel bei langandauernden, übermäßigen Konsum
Sucht und schwere gesundheitliche Schäden mit teils tödlichem Ausgang zur Folge.
Entzugstherapien bei Medikamentenabhängigkeit sind aufwendig. Medikamentenmißbrauch
kann auch Psychosen auslösen. Auch nicht rezeptpflichtige Schmerzmittel und
sogar Vitamine können bei übermäßiger Dosierung zu schweren Gesundheitsschäden
führen, Bei Aspirin drohen z.B. Magengeschwüre und Magenblutungen. übermäßige
Vitamin A-Zufuhr z.B., wie sie durch die Einnahme von mehr als drei Multivitamin-Tabletten
geschehe, überschreitet bei einer Leibesfrucht den Grenzwert und kann zu Fruchtschäden
führen.
3.) Unter Berücksichtigung
aller vorstehend festgestellten Auswirkungsfaktoren von Alkohol auf der einen
und Cannabisprodukten auf der anderen Seite steht zur überzeugung der Kammer
fest, daß es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen sachgerechten
und nachvollziehbaren Grund gibt, den Verkehr und Konsum mit Cannabisprodukten
zu bestrafen und den von Alkohol straflos zu lassen. Die sachwidrige Differenzierung
aufrechtzuerhalten, würde die fundierten all gemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen
der Gesellschaft mißachten (vgl. BVerfGE 9, 349; 13, 228). Sachliche Gründe
sind bei zusammenfassender Bewertung der von der Kammer getroffenen Feststellungen
für die unterschiedliche Behandlung von Alkohol und Cannabisprodukten "schlechterdings
nicht mehr erkennbar" (vgl. BVerfGE 3, 136). Die Aufrechterhaltung dieser nicht
mehr nachvollziehbaren Differenzierung würde einen Verstoß gegen das allgemeine
Gerechtigkeitsempfinden darstellen (vgl. BVerfGE 3, 136).
a) Dabei ist
vorliegend noch gesondert zu berücksichtigen, daß die hier festgestellte -aus
der Sicht der Kammer-willkürliche Differenzierung noch strafbewehrt ist. Die
Bewegungsfreiheit, die der Gesetzgeber im Rahmen des Artikel 3 Grundgesetz hat,
wird dort zusätzlich eingeengt, wo er die Differenzierung mit dem härtesten
Mittel staatlicher Sanktionen -nämlich mit dem Strafrecht- durchsetzen und absichern
will (vgl. hierzu insbesondere BVerfGE 39, 45 ff.). Die Strafnorm stellt gewissermaßen
die "ultima ratio" im Instrumentarium des Gesetzgebers dar. Hiervon darf er
nur behutsam und zurückhaltend Gebrauch machen (vgl. BVerfGE 39, 47). Es ist
daher aus verfassungsrechtlicher Sicht ein besonders strenger Maßstab an die
Gründe zu legen, die den Gesetzgeber zur Differenzierung bzw. zur Ungleichbehandlung
bewegen. Dabei ist der Gesetzgeber gehalten, seine einmal gefaßten Prognosen
bei der Schaffung eines Gesetzes fortlaufend zu überprüfen und die einmal gewonnenen
Erkenntnisse veränderten Erkenntnissen anzupassen (vgl. BVerfGE 25, 13; 50,
335). Aufgrund der Ausführungen, die die Sachverständigen gemacht haben und
denen die Kammer folgt, können die Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen,
mit denen der Gesetzgeber die Bestrafung von Cannabiskonsumenten ursprünglich
begründet hat (vgl. oben S. 12-14), nicht mehr aufrechterhalten werden.
b) Deshalb stehen
auch die Gründe des Nichtannahmebeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom
17. Dezember 1969 der hier eingenommenen Rechtsauf- fassung nicht entgegen,
Sie unterstützten vielmehr die hier vertretene Rechtsauffassung, weil das Bundesverfassungsgericht
in den Beschlußgründen davon ausgeht, daß Art. 3 Absatz 1 GG verletzt ist, wenn
eindeutig feststeht, daß Cannabisprodukte mindestens genauso gefährlich sind
wie der Alkohol. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Verfassungsbeschwerde
(1 BvR 639/69) zur Verfassungsgemäßheit der Bestrafung von Cannabis-Konsumenten
ausgeführt:
"Der Gesetzgeber
behandelt nicht wesentlich Gleiches ungleich, wenn er sich darauf beschränkt,
das Aufkommen neuer Betäubungsmittel aus fremden Kulturkreisen zu verhindern,
solange nicht eindeutig feststeht, daß die damit verbundenen gesundheitlichen
und sozialen Gefahren nicht größer sind als die des Mißbrauchs von Alkohol."
Das Bundesverfassungsgericht
ist in diesem Beschluß aus dem Jahre 1969 offensichtlich davon ausgegangen,
daß es nicht eindeutig feststehe, daß die mit den Cannabis verbundenen gesundheitlichen
und sozialen Gefahren genau so groß wie die des Mißbrauchs von Alkohol seien.
Nach den Erkenntnissen, die die Kammer gewonnen hat, läßt sich eine solche Auffassung
heute nicht mehr rechtfertigen. Die von der Kammer getroffenen Feststellungen
belegen, daß die gesundheitlichen und sozialen Gefahren, die mit dem Haschischkonsum
verbunden sind, sogar ungleich geringer einzustufen sind als die, die mit dem
Mißbrauch von Alkohol verbunden sind (so auch das Schweizer Bundesgericht in
seinem Entscheid, a.a.O., S. 18). Diese Feststellungen führen auf der Grundlage
der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluß vom 17.
Dezember 1969 zwangsläufig zu einem Verstoß gegen Art. 3 Absatz 1 GG.
c) Letztlich läßt
sich ein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 GG nicht mit dem Hinweis verneinen,
daß es "keine Gleichbehandlung im Unrecht" gebe. Es stellt im verfassungsrechtlichen
Sinne kein "Unrecht" dar, wenn der Gesetzgeber darauf verzichtet, den Konsum
und Verkehr von Alkohol mit den Mitteln des Strafrechts zu kontrollieren. Dies
ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. so daß nicht -unter verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten- argumentiert werden kann, wenn der Gesetzgeber schon eine so
gefährliche Droge wie Alkohol äkzeptiere", so sei er nicht gezwungen, weitere
gefährliche Drogen gleichfalls zu äkzeptieren". Im politischen Raum mag so argumentiert
werden. Verfassungsrechtlich setzt Artikel 3 Absatz 1 GG hier dem Gesetzgeber
im Rahmen seiner politischen Ermessensspielräume Grenzen. Diese sind nach den
vorstehenden Ausführungen in der hier zu beurteilenden Fallkonstellation verletzt.
II. Verstoß gegen
Artikel 2 Absatz 1
Grundgesetz
Die Bestrafung
der Abgabe von Cannabis-Produkten, die dem Eigenkonsum dienen, ist auch unvereinbar
mit Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz, Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz sichert die
freie Entfaltung der Persönlichkeit.
1.) Zu den grundlegenden
Sektoren menschlicher Selbstbestimmung, die über Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz
geschützt werden, gehört auch die verantwortliche Entscheidung darüber, welche
Nahrungs-, Genuß- und Rauschmittel der Bürger zu sich nimmt. Rauschmittel sind
mit der menschlichen Geschichte untrennbar verbunden. Sie sind so alt wie die
Menschheit. Dem Kulturmenschen sind seit Jahrtausenden Drogen bekannt. Wildpflanzen
wie der Cocastrauch, der Hanf und der Schlafmohn wurden zu Kulturpflanzen domestiziert.
In der Zeit der ersten frühen Hochkulturen unterschied man bereits zwischen
Pflanzendrogen, animalischen Drogen und Mineraldrogen. Je nach Wirkung und Anwendungsbereich
wurden diese den Arzneidrogen, Gewürzdrogen, Riechstoff- oder Räucherdrogen
zugeordnet. Bereits in der Antike waren Drogen begehrte Handelsobjekte und dementsprechend
gab es Bemühungen, den in der Regel lukrativen Drogenhandel unter Kontrolle
zu bringen (vgl. hierzu Thamm, a.a.O., Seite 26; GEO-Wissen, Sucht und Rausch,
Nr. 3, Seite 100). Die Geschichte der Drogen belegt auch, daß die Menschen,
obwohl der Konsum von Drogen mit der Zeit auch erhebliche soziale und individuelle
Probleme herbeiführte, auf den Gebrauch nicht verzichten konnten oder wollten.
"Was den Alltag vergessen machte, haben sie sich einverleibt (vgl. GEO. a.a.O.,
Seite 100)." Der Rausch gehört daher, wie Essen, Trinken und Sex, zu den fundamentalen
Bedürfnissen des Menschen. Je technisisierter, schneller und funktionaler eine
Gesellschaft aufgebaut ist, desto stärker wird das Be- dürfnis, aus dieser Umklammerung
auszubrechen. In einer Konsumgesellschaft -wie der unserigen- ist der Wunsch
nach dem Rausch auch eine Folge der gesellschaftlichen Bedingungen und Freiheiten.
Der Rausch ist ein Mittel den von dieser Gesellschaft geschaffenen Zwängen zu
entrinnen und im Rausch Zuflucht zu suchen. Die Kammer ist.daher der Auffassung,
daß das "Recht auf Rausch" durch Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz im Rahmen der
freien Entfaltung der Persönlichkeit als zentraler Sektor menschlicher Selbstbestimmung
geschützt ist.
2.)Das "Recht
auf Rausch" als grundrechtlich geschützte Position des Rechts auf freier Entfaltung
der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz ist auch nicht deswegen aus
dem Schutzbereich dieser Verfassungsvorschrift auszuscheiden, weil der exzessive
Gebrauch zur Selbstschädigung führen kann. Es gehört nicht nur zum Schutzbereich,
des Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz in freier Selbstbestimmung zu entscheiden,
ob mit einem bestimmten Verhalten eine Selbstgefährdung verbunden ist, sondern
dies ist auch Ausdruck der in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz geschützten unantastbaren
Würde des Menschen. Zum Wesensgehalt der Unantastbarkeit menschlicher Würde
gehört gerade die freie und selbstbestimmte Entscheidung über sich selbst. Dabei
steht es dem Einzelnen frei, sich nicht nur selbst zu schädigen oder die Gefahr
einer Selbstschädigung in Kauf zu nehmen, sondern in der verfassungsrechtlichen
Literatur wird sogar die Auffassung vertreten, daß das Recht auf Selbsttötung
(also die schärfste Form der Selbstschädigung) zum Schutzbereich des Artikel
1 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz gehört (vgl. Reihe Alternativkommentare. Kommentar
zum Grundgesetz 1984, Artikel 1, Absatz 1 Randnr. 55, Bearbeiter Denninger;
zitiert: AK-Denninger). Der Gesetzgeber hat deswegen die Beihilfe zur Selbsttötung
straflos gelassen.
3.)Gehört das
"Recht auf Rausch" zum Schutzbereich des Art. 2 Absatz 1 Grundgesetz, dann ist
eine Einschränkung nur dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn diese durch
eine der drei Schranken des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz gedeckt ist (sogenannte
Schrankentrias). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz ist die freie Entfaltung
der Persönlichkeit nur insoweit geschützt, als dadurch nicht die Rechte anderer,
die verfassungsgemäßige Ordnung oder das Sittengesetz verletzt werden. Vorliegend
kommt nur die Schranke der "verfassungsmäßigen Ordnung" in Betracht. Der Eingriff
in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wäre nur dann verfassungskonform,
wenn das einschränkende Gesetz Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung ist,
d.h. es müßte formell und inhaltlich mit der Verfassung (außerhalb des Art.
2 Abs. 1 Grundgesetz) voll vereinbar sein (vgl. dazu BVerfGE 17, 313). Das strafbewährte
Verbot der Abgabe von Haschisch zum Eigenkonsum steht mit einem tragenden Prinzip
der Ver- fassung, dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht in Einklang.
a) Der Grundsatz
der Rechtsstaatlichkeit verlangt -namentlich wenn er in Verbindung mit der allgemeinen
Freiheitsvermutung zugunsten des Bürgers gesehen wird, wie sie gerade in Artikel
2 Absatz 1 Grundgesetz zum Ausdruck kommt-, daß der Einzelne vor unnötigen Eingriffen
der öffentlichen Gewalt bewahrt bleibt; ist ein solcher Eingriff in Gestalt
eines gesetzlichen Gebots oder Verbots aber unerläßlich, so müssen seine Voraussetzungen
möglichst klar für den Bürger erkennbar umschrieben werden (BVerfGE 9, 147,149).
Je mehr dabei der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen
Handlungsfreiheit berührt, desto sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung
vorgebrachten Gründe gegen den, grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers
abgewogen werden. Das bedeutet vor allem, daß die Mittel des Eingriffs zur Erreichung
des gesetzgeberischen Ziels geeignet sein müssen und den Einzelnen nicht übermäßig
belasten dürfen (BVerfGE 17, 314). Anders ausgedrückt: Grundrechtsbegrenzungen
dürfen nur unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen (Leibholz-RinckHesselberger,
a.a.O., Art: 2 Rdz.38). Im Sinne dieser Verhältnisbestimmung muß die Grundrechtsbegrenzung
geeignet sein, den Schutz des Rechtsgutes zu bewirken, um dessentwillen sie
vorgenommen wird. Sie muß hierzu erforderlich sein, was nicht der Fall wäre,
wenn ein milderes Mittel ausreichen würde, und schließlich muß sie im engeren
Sinne verhältnismäßig sein, d.h. in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und
der Bedeutung des Grundrechts stehen (Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts
der Bundesrepublik Deutschland, 18. Auflage, 1991, Seite 134 Rdz. 318).
b) Dabei ist eine
weitere Verschärfung des Prüfungsmaßstabes angezeigt, wenn sich der Gesetzgeber
zur Durchsetzung des von ihm erstrebten Verbotes einer Strafnorm bedient. Es
ist bereits ausgeführt worden (vgl. oben Seite 45/46), daß die Strafvorschrift
in der Skala der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten an der Spitze steht. Die
Strafvorschrift ist die "ultima ratio" staatlichen Eingriffs (BVerfGE 39, 47).
Sie befiehlt dem Bürger ein bestimmtes Verhalten und unterwirft ihn bei Zuwiderhandlung
empfindlichen Freiheitsbeschränkungen oder finanziellen Belastungen (BVerfGE
39, 70). Verfassungsgerichtliche Kontrolle solcher Vorschriften bedeutet daher
die Prüfung. ob der mit dem Erlaß oder der Anwendung der Strafvorschrift verbundenen
Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheitsphäre zulässig ist, ob also
der Staat überhaupt oder in dem vorgesehenen Umfang strafen darf (BVerfGE 39,
70). Für die verfassungsgerichtliche Überprüfung hat dies zur Konsequenz, daß
eindeutig feststehen muß, daß das Mittel des Eingriffs (hier strafrechtliches
Verbot der Abgabe von Haschisch zum Eigenkonsum) zur Erreichung des gesetzgeberischen
Ziels geeignet ist und den Einzelnen nicht übermäßig belastet. Zweifel hieran
führen nach dem Grundsatz "In dubio pro libertate" (vgl. AK-Denninger, a.a.O.,
vor Art. 1 Anm. 13 m.w.N.) dazu, daß der Eingriff in die freie Entfaltung der
Persönlichkeit gemäß Art. 2 Absatz 1 Grundgesetz verfassungswidrig ist.
c) An diesen Grundsätzen
orientiert gelangt die Kammer zu der Auffassung daß das Betäubungsmittelgesetz
zumindest insoweit gegen Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz verstößt, als es Handlungen
unter Strafe stellt, die im Einzelfall darauf abzielen, lediglich Eigen- und
Fremdkonsum in geringem Umfang zu ermöglichen. Ob darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt
des Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz sämtliche Handlungsalternativen des § 29
Absatz 1 Ziffer 1 Betäubungsmittelgesetz -soweit sie sich auf Cannabisprodukte
beziehen- verfassungswidrig sind (insbesondere die Einfuhr und das Handeltreiben
in nicht geringen Mengen), braucht in diesem Zusammenhang nicht entschieden
zu werden (vgl. unten S. 78 ff). Das Verhältnismäßigkeitsgebot (= übermaßverbot)
mit seinen 3 Komponenten (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßig-
keit) als Teil des Rechtsstaatsprinzips ist verletzt. Diese überzeugung stützt
die Kammer auf folgende Argumente:
Das Betäubungsmittelgesetz
zielt im § 29 BtmG darauf ab, mit Hilfe des Strafrechts den Konsum und Verkehr
mit Drogen zu kontrollieren. Dabei geht der Gesetz- geber entsprechend der bereits
zitierten Zielvorstellung hinsichtlich des Konsums und Verkehrs mit Cannabisprodukten
davon aus, daß diese individuell und gesellschaftlich gefährlich seien und insbesondere
den Weg "in die Welt der Rauschgifte" (=härtere Drogen) eröffneten. (1) Es ist
bereits dargelegt worden, daß diese Einschätzung und Bewertung des Gesetzgebers
aus dem Jahre 1970, die bis heute nicht aufgegeben worden ist, nach den Erkenntnissen,
die die Kammer aufgrund der sachverständigen Ausführungen gewonnen hat, nicht
mehr haltbar ist. Die "Geschäftsgrundlage" bzw. der Ausgangspunkt für den Gesetzgeber
ist entfallen. Verfassungsrechtlich ist der Gesetzgeber gehalten, bei Maßnahmen,
die das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Artikel 2 Absatz
1 Grundgesetz einschränken, zu überprüfen, ob die einmal unterstellten Ausgangsbedingungen
fortdauern. Dabei kann eine, aufgrund einer Fehlprognose ergriffene Maßnahme
nicht schon deshalb als verfassungswidrig angesehen werden (vgl. BVerfGE 25,
13). Dem Gesetzgeber ist jedoch aufgegeben, dann, wenn sich die ursprüngliche
Prognose als fehlerhaft erwiesen hat, der tatsächlichen Entwicklung Rechnung
zu tragen und entsprechend der neuen Erkenntniß die ursprünglich getroffene
Maßnahme aufzuheben oder zu ändern (vgl, BVerfGE 25 13; 49 130). Diese verfassungsrechtlich
gebotene Verpflichtung zur Flexibilität des Gesetzgebers hat im Betäubungsmittelgesetz
auf der Ebene des einfachen Gesetzes eine besondere Ausprägung erfahren, indem
in § 1 Absatz 2 und 3 der Verordnungsgeber unter bestimmten Voraussetzungen
ermächtigt wird, die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen. Dies gilt
nicht nur für die zusätzliche Aufnahme von Stoffen und Zubereitungen, sondern
gemäß § 1 Absatz 2 Satz 2 auch für solche Fälle in denen die Sicherheit und
die Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs aus anderen Gründen gewährleistet
ist. Der Verordnungsgeber kann also auch Stoffe und Zubereitungen aus dem Anwendungsbereich
des Betäubungsmittelgesetzes herausnehmen.
Unter Berücksichtigung
der vorstehenden Ausfüh-rungen und der Feststellungen die die Kammer zur Gefährlichkeit
des Cannabiskonsums getroffen hat, ist die Bestrafung des Abgebens von Cannabisprodukten
nicht mehr geeignet (im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgebotes), die ursprünglichen
Motive des Gesetzgebers durchzusetzen. Eine Freiheitsbegrenzung, die in den
Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG eingreift, ist nicht mehr verhältnismäßig
-weil ungeeignet-, wenn sich die einmal zugrunde gelegten Annahmen nachträglich
als falsch erweisen. Haben sich die ursprünglichen Annahmen als falsch erwiesen,
dann ist der Gesetzgeber zu einer neuen Bewertung aufgerufen, und es kann erst
danach die Frage beantwortet werden, ob das (nunmehr) gewählte Mittel geeignet
ist, die angestrebte Zielvorstellung zu verwirklichen. Der festgestellte "Wegfall
der Geschäftsgrundlage" (=Tatsachengrundlage des Gesetzgebers für seine Zielvorstellungen)
führt verfassungsrechtlich zur Verfassungswidrigkeit der hier unter Strafe gestellten
Einschränkung der Entfaltung der freien Persönlichkeit.
(2) Aber selbst
wenn davon ausgegangen wird, daß die vom Gesetzgeber angenommenen Ausgangsbedingungen
noch immer zutreffen bzw. im Kern noch richtig sind, so trifft es nicht zu,
daß es dem Gesetzgeber mit dem Mittel des Strafrechtes gelungen ist, den Konsum
und Verkehr mit Cannabisprodukten zu kontrollieren. Das Mittel des Strafrechts
ist ungeeignet, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen.
In dem Buch "Drogenelend" schreibt der Autor Stephan Quensel zu der Frage, welchen
Einfluß Strafandrohung und tatsächliche Gefahrenrisiken auf die Art und das
Ausmaß des Konsums haben. folgendes (Quensel, Drogenelend, a.a.O., Seite 303
Fußnote 79):
"Wie wenig auch sonst die Tatsache und Höhe der Strafandrohung, der tatsächlichen
Gefahrenrisiken der Droge und Art wie Ausmaß des Konsums miteinander zusammenhängen
müssen, zeigt die Zunahme des Heroinkonsums trotz Gefährlichkeit und Strafrisiko,
das Stagnieren von Alkohol- und Zigarettenkonsum bei Jugendlichen trotz Straflosigkeit
und der Rückgang des Amphetamin-Speed-Mißbrauchs trotz Straflosigkeit wegen
seines hohen Gefahrenpotentials in Kanada (Final Report 1973, Seite 114), vgl.
auch Hasleton (1979, Seite 133) und Logan (1980, Seite 339)."
Quensel verweist in diesem Zusammenhang auf Studien, die belegen, daß der Cannabiskonsum
gleichermaßen in den Ländern stagniert, die ihre Sanktionen weiter verschärft
haben, wie auch in solchen Ländern, die Bestrafung erheblich zurückgenommen
haben (vgl. Quensel, Drogenelend, a.a.O., Seite 79 m.w.N.). Er zieht daraus
den Schluß, daß eine entsprechende Rücknahme der Bestrafung kaum zum Anstieg
des Konsums führen wird und meint, daß der Anstieg, das Stagnieren sowie der
Rückgang des Cannabiskonsums nicht durch die Kriminalpolitik selbst beeinflußt
werde. Er steht vielmehr auf dem Standpunkt, daß dies in sehr viel deutlicherer
Weise von Mode-, Werbungs-und Kultur-Einflüssen abhängig sei (vgl. Quensel,
Drogenelend, a.a.O., Seite 79).
Wörtlich führt
er hierzu aus:
"sehr schön zeigen sich diese Zusammenhänge in der kleinen, durch die Literatur
gut belegten Untersuchung von 95 Personen, die 1974 in Toronto wegen Cannabisbesitz
zu verschieden hohen Strafen verurteilt und kurz darauf interviewt wurden (Erickson
1978). Im Gegensatz zur klassischen Abschreckungsthese waren dabei diejenigen,
die höher bestraft wurden, wie auch vor allem diejenigen, die annahmen, daß
sie noch einmal erwischt würden, eher dazu bereit, noch einmal Cannabis zu konsumieren
(Seite 140); dies gilt auch im Folgeinterview nach einem Jahr: Obwohl 26 % der
90 % der ein zweites Mal Interviewten erneut bestraft wurden und sich die Gruppe
ingesamt für "krimineller" hielt als beim ersten Interview (Erickson 1980, bespr.
in Druglink Nr. 16, Seite 20). Die weitaus stärkere Abhängigkeit dieser Entscheidung
vom jeweils soziokulturellen Kontext der Bestraften -der, in gleichsam umgekehrter
Richtung, ebenfalls durch die Strafe bestimmt wird- erwies sich darin, daß im
ersten Interview vor allem diejenigen weiterrauchen wollten die dies schon vor
der Bestrafung häufiger getan und die in jüngerer Zeit damit begonnen hatten,
sowie diejenigen die ihrerseits Freunde hatten die wegen derselben Tatsache
schon einmal bestraft worden waren. Auch Nesdale (1980) fand in seiner experimentellen
Studie daß für Drogengebraucher insgesamt geplante gesetzliche änderungen keinen
Einfluß hatten, und das umgekehrt sogar die nicht Drogen gebrauchenden Männer
einen gelegentlichen Drogengebrauch eher richtig fanden wenn ein verbietendes
Gesetz zu erwarten war. Für die grundsätzliche Wirkungslosigkeit der Strafandrohung
auf das Konsumverhalten sprechen auch die bereits dargestellten Schätzungen
über die Anzahl der Cannabiskonsumenten. Bei Körner (a.a.O., Einl.S.9) findet
sich folgende Beschreibung der Deutschen,Drogenszene auf das Jahr 1988 bezogen:
"in der Bundesrepublik Deutschland sind ca. 3 bis 4 Mio. Cannabisabhängige bekannt.
Ca. 80.000 sind Abhängige harter Drogen wie Heroin, Kokain, Amphetamin. Jährlich
erhöhen sich kontinuierlich die beschlagnahmten Mengen an Rauschmitteln. Die
Anzahl der Drogentoten hat zunehmende Tendenz. 1988 waren es 673 Tote....
Die Drogenkriminalität ist kaum mehr in den Griff zu bekommen, Dabei überrascht,
daß trotz Aidsgefährdung und öffentlicher Diskussion der Spritzeninfektion die
Zahl der neuen Heroinkonsumenten nicht abnahm, sondern noch anstieg, also keine
abschreckende Wirkung entfaltete. Dies wird erklärt mit einer sich ausbreitenden
Neigung, sich ungehemmter dem Drogenmißbrauch hinzugeben. Der Konsument entscheidet
sich für eine "sweet Short Life"- Lebens- Perspektive (Berger/Rollband/Widlitzek),
Bei der Drogenarbeit geht es deshalb nicht mehr nur um die Behandlung der Drogensucht,
sondern auch um die Aidsepidemie....
Die Bundesrepublik ist zu einer Gesellschaft von Süchtigen geworden. Die Drogenszene
ist ein Spiegelbild dieser Gesellschaft." Der Hamburger Drogenbeauftragte Horst
Bossong hat in einem mit der TAZ geführten Interview (TAZ v. 18.09 1991) erklärt:
"Wir haben jetzt 20 Jahre lang eine Drogenpolitik mit vergleichsweise niedrigen
Erfolgen und mit sehr hohen Negativfolgen gemacht. Wir sind in den 20 Jahren,
in denen das Drogenproblem so massiv wurde, mit dem Betäubungsmittelgesetz nicht
ein Stückchen weitergekommen. Das Gesetz zielt ja darauf ab, den Konsum und
Verkehr mit Drogen zu kontrollieren. Wir haben aber keinen vergleichbaren Bereich,
wo wir trotz Gesetz so wenig Kontrolle über Handel und Konsum haben wie im Betäubungsmittelbereich...Ich
glaube, wir werden uns langfristig darauf einstellen müssen, das Menschen Drogen
nehmen, Das worauf wir uns nicht einstellen müssen, ist das Drogenelend. Aber
um das zu beseitigen, wird man in Richtung Legalisierung denken müssen, denn
sonst werden wir uns auch langfristig mit dem Drogenelend abfinden müssen. Wenn
wir akzeptieren, die Drogensucht als einen Moment der Wirklichkeit wahrzunehmen,
können wir vielleicht den Blick dafür öffnen, daß es auch Wege gibt, mit diesen
Menschen human umzugehen. Konkret heißt das nicht nur die kontrollierte Abgabe
von Heroin. Das ist nur der erste Schritt. Langfristig müssen wir wohl noch
viel weiter gehen, denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß wir die Probleme
mit Verboten und Sonderregularien in Griff bekommen." In dem Gesetzentwurf des
Bundesrates zur änderung des Betäubungsmittelgesetzes heißt es in der Begründung
(Drucksache 12/934, 12. Wahlperiode, Seite 5): "Trotz allgemein verstärkter
Anstrengungen aller beteiligten Institutionen, Einrichtungen und Personen ist
es bislang nicht gelungen, auf der Grundlage der gegenwärtigen Konzeption des
Betäubungsmittelrechts die weitere Ausbreitung des Betäubungsmittelmißbrauchs
in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend aufzuhalten oder gar wirksam
zu bekämpfen, Stattdessen ist z.B. zu beobachten, daß -offensichtlich nach Sättigung
des Nordamerikanischen Marktes-Betäubungsmittel verstärkt auf dem europäischen
Markt drängen, die in der Vergangenheit eine eher untergeordnete Rolle gespielt
haben (z.B. Kokain). Diese Entwicklung gibt Veranlassung, das bestehende Betäubungsmittelrecht
einer Überprüfung zu unterziehen und Vorschläge zu seiner Fortentwicklung vorzulegen."
Der Senat der
Hansestadt Hamburg hat in einer Mitteilung an die Bürgerschaft im Rahmen eines
Konzeptes zur Drogenbekämpfung (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg,
Drucksache 13/5196, 13. Wahlperiode, Seite 16) folgendes ausgeführt:
"Mit polizeilichen und strafjustiziellen Maßnahmen ist es trotz ständiger personeller
Verstärkung der Strafverfolgungsbehörden nicht gelungen, die illegale Einfuhr
und den Handel mit Drogen entscheidend einzugrenzen und die Nachfrage auf einem
geringen, Niveau zu halten, Die festzustellende Stagnation des Modekonsums weicher
Drogen wie Cannabis ist nicht auf repressive Maßnahmen zurückzuführen."
Diese Aussagen
von Experten die sich intensiv mit den Auswirkungen der gegenwärtigen Drogenpolitik
und der darauf fußenden Gesetze auseinandergeserzt haben können nicht ignoriert
werden. Das Versagen der repressiven Drogenpolitik -orientiert an der gesetzlichen
Zielvorstellung Konsum und Verkehr mit dem Mittel des Strafrechts zu kontrollieren-
ist offensichtlich. Wenn die Politik -aus welchen Gründen auch immer- hiervor
die Augen verschließt, so können das die Gerichte angesichts ihrer Verpflichtung
die Verfassung zu achten und anzuwenden (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht. Sie müssen
sich mit den praktischen Auswirkungen der Gesetze auseinandersetzen und unter
Berücksichtigung sachverständiger Ausführungen prüfen, ob die angewendeten Mittel
geeignet sind, den angestrebten Zweck zu erreichen. Die vorgenannten Aussagen
von Fachleuten beziehen sich auf das Betäubungsmittelgesetz insgesamt. Bei den
Cannabisprodukten ist unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit des Mittels (hier
Strafandrohung) noch auf folgendes hinzuweisen: Die Bestrafung von Cannabiskonsumenten
ist nach Überzeugung der Kammer sogar kontraproduktiv und dazu angetan. die
Anzahl der Konsumenten zu erhöhen. Sowohl in den Niederlanden als auch in Italien
und in manchen Staaten der USA hat die faktische Entkriminalisierung des Besitzes
und Konsums von Cannabis nicht zu einer Ausweitung des Konsums geführt. Vielmehr
ist der Konsum in diesen Ländern zurückgegangen. Der niederländische Strafrechtsprofessor
Dr. C. F. Rüter hat am 20. Juni 1991 in Amsterdam anläßlich einer Fachdiskussion
mit Juristen aus Schleswig-Holstein in einem Referat, dessen insoweit maßgeblicher
Inhalt in der, Hauptverhandlung erörtert worden ist, dargelegt, daß sich die
Zahlen der Konsumenten von Cannabisprodukten seit der faktischen Entkriminalisierung
im Jahre 1976 deutlich zurückgebildet hätten. Im Jahre 1976 hätten 10 % der
18-jährigen Niederländer Cannabis konsumiert, 1984 dagegen nur 4,2 %. Die neuesten
Zahlen aus dem Jahre 1990 hätten einen Cannabiskonsum von lediglich 2 % ergeben.
In den bereits zitierten Mitteilungen des Hamburger Senats zu einem Konzept
zur Drogenbekämpfung heißt es (a.a.O., Seite 17):
"Zwar hat die faktische Entkriminalisierung des Besitzes und Konsums von Cannabis
zum Eigenverbrauch und des Kleinhandels in den Niederlanden, in Italien und
in manchen Staaten der USA dortigen Berichten zufolge nicht zu einer Ausweitung
des Konsums geführt. Man hat dort eher den Eindruck, daß der Verlust des Reizes
des Verbotenen und des Symbolwertes für eine alternative Kultur eher das Interesse
der jungen Leute an dieser Droge verringert hat".
Der Sachverständige
Dr. Barchewitz hat, mit diesen Feststellungen und Bewertungen konfrontiert,
erklärt, daß eine solche Erklärungsalternative sehr naheliegend sei. Es sei
eine Erfahrungstatsache, daß der Reiz des Verbotenen -insbesondere wenn mit
der Einnahme des verbotenen Mittels nur eine relative Gefährlichkeit einhergeht-psychologisch
eher einen Anreiz als eine abschreckende Wirkung erzeuge. Dies korrespondiere
mit der soziologischen Beobachtung, daß Cannabis das Immage als "Protestdroge"
der Jugend habe bzw. gehabt habe (vgl. Christian von Wolffersdorff-Ehlert, in
Scheerer-Vogt, a.a.O., Seite 374), Insbesondere in den Zeiten der Hippiebewegung
in den USA habe Marihuana eine gesellschaftssymbolische Rolle eingenommen und
als Protestsymbol gewirkt (vgl. Christian von Wolffersdorff-Ehlert, Seite 313
ff., insbesondere Seite 376). Im nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan der Bundesregierung
findet sich im Rahmen einer Situationsanalyse ein weiteres Argument dafür, daß
die Bestrafung des Drogenkonsums ohne Einfluß auf den Einstieg oder den Ausstieg
aus dem Drogenkonsum ist. Für den Bereich des Ausstiegs bzw. der Beendigung
des Drogenkonsums heißt es in einer Situationsanalyse (nationaler Rauschgiftbekämpfungsplan
der Bundesregierung 1990, Seite 13):
Als Grund für die Beendigung des Drogenkonsums ist nach wie vor die Aussage,
"Ich wollte das Mittel einmal kennenlernen, aber jetzt weiß ich Bescheid", mit
65 % am stärksten vertreten. Die Aussage "die Wirkung entspricht nicht den Erwartungen"
ist von 19 auf 27 % gestiegen." Diese Umfrage belegt, daß zumindest für die
Frage der Beendigung des Drogenkonsums eine mögliche Bestrafung keine relevante
Rolle spielt. Die Kammer geht daher davon aus, daß dies -von Einzelfällen abgesehen-
grundsätzlich auch für den Einstieg in den Drogenkonsum gilt. Nach alledem steht
zur Überzeugung der Kammer fest, daß die hier unter Strafe gestellte Handlungsalternative
des Betäubungsmittelgesetzes -selbst bei unterstellter Gefährlichkeit der Cannabisprodukte-
nicht geeignet ist, den Konsum und Verkehr mit diesen Produkten unter Kontrolle
zu bringen.
(3) Nach Auffassung
der Kammer ist die Bestrafung auch nicht erforderlich, um Konsum und Verkehr
von Betäubungsmittel zu regulieren. Dies gilt zumindest nach Überzeugung der
Kammer für die Kontrolle und den Verkehr von Cannabisprodukten, Im Hinblick
auf die nur relative Gefährlichkeit der Cannabisprodukte ist eine Bestrafung
nicht erforderlich, um die Restgefährlichkeit in einer für den Einzelnen ausreichenden
Weise zu verdeutlichen. Hier reicht nach Auffassung der Kammer eine entsprechende
Aufklärung als weniger einschneidende Maßnahme aus. Daneben könnte der Gesetzgeber
-als milderes Mittel im Verhältnis zur Strafandrohung die Abgabe von Cannabisprodukten
über eine ärztliche Verordnung regeln. Damit wäre zunächst die Möglichkeit gegeben,
den Cannabiskonsumenten im Rahmen der ärztlichen Verordnung zu beraten. Durch
eine apothekenpflichtige Abgabe wäre der Cannabiskonsument zudem gegen eine
Versetzung des Stoffes geschützt. Darüber hinaus könnte in einem Beipackzettel
auf die speziellen Risiken und Unverträglichkeiten hingewiesen werden. Nach
Auffassung der Kammer wären diese Maßnahmen -allein oder im Verbund- als mildere
Mittel (im Verhältnis zur Scrafandrohung) ausreichend um der hier festgestellten
Restgefährlichkeit der Cannabisprodukte in angemessener Weise Rechnung zu tragen.
Eine Bestrafung ist nicht erforderlich. um dieser Restgefährlichkeit wirkungsvoll
begegnen zu können. Ist die Bestrafung nicht erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,
dann ist sie mit Artikel 2 Absatz 1 GG unvereinbar.
(4) In jedem Fall
ist die Bestrafung derjenigen, die Cannabisprodukte lediglich zum Eigenverbrauch
erwerben oder besitzen oder die (wie vorliegend) Cannabisprodukte in einer Menge
abgeben, die lediglich dem Eigenverbrauch dienen unverhältnismäßig, d.h. sie
steht von ihrer Zielrichtung her in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht
und der Bedeutung des hier berührten Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
gemäß Artikel 2 Absatz 1 GG (vgl. oben S. 48 ff)
Hierzu gelten
im einzelnen folgende Überlegungen:
(a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
ist u.a. dann verletzt, wenn sich bei einer Saldierung zwischen den Konsequenzen
und Auswirkungen des eingesetzten Mittels im Hinblick auf den verfolgten Zweck
ergibt, daß die Schäden, die mit dem verwendeten Mittel eintreten, größer sind
als der dadurch erzielte Nutzen. Im Rahmen einer solchen Schaden-Nutzen-Analyse
ergibt sich sowohl unter spezialpräventiven als auch unter generalpräventiven
Gesichtspunkten folgende Bilanz einer strafbewährten Repressionspoliti (Auszug
aus dem Bericht der Enquete-Kommission "Bekämpfung der Drogensucht"; Bürgerschaft
der Freien und Hansestadt Hamburg, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/7700 Seite
65):
"Die spezialpräventive Bilanz was vor allem die jugendlichen Konsumenten illegaler
Drogen angeht, sind eher kontrapräventive Effekte zu befürchten:
- Konsumenten illegaler Drogen haben in der Regel kein Schuldbewußtsein und
empfinden sich nicht als strafwürdige, Dritte schädigende Täter. Die Strafbedrohung
und -verfolgung wird daher oft als ungerechte Reglementierung abgelehnt und
ignoriert.
- Die gesetzlichen Konsumverbote einer Gesellschaft, die sonst die Freiheit
des Konsumenten beschwört und den auch exzessiven und im Falle von Nikotin auch
Dritte (Passivraucher) schädigenden Konsum legaler Drogen billigt und zu ihm
animiert wird als doppelmoralischer ungerechtfertigter Eingriff in die persönliche
Autonomie erlebt und mißbilligt.
- Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Attraktivität des Verbotenen
eine verführerische Aufforderung zum Weitermachen mit sich bringt.
- Die Kriminalisierung des Drogenkonsumenten beschert nicht wenigen von ihnen
schon im Probierstadium frühzeitige Stigmatisierungen und Ausgrenzungen.
- Sie verhindert über die Verbreitung von Angst vor Entdeckung und Bestrafung
die Artikulation von Hilfsbedürfnissen und die Wahrnehmung von Hilfen seitens
Drogengefährdeter und- abhängiger. Sie erschwert so gegebenenfalls notwendige
helfende Aufmerksamkeit oder integrierende Fürsorge der familiären, schulischen,
beruflichen und sonstigen sozialen Umgebung.
- Sie kann schließlich einen sich wechselseitig verstärkenden eskalativen Prozeß
von zunehmender Identifizierung mit der Außenseiterrolle und dem subkulturellen
Drogenmilieu einerseits und von fortschreitender gesellschaftlicher Desintegration
andererseits provozieren und so ein Abgleiten in die Drogenabhängigkeit noch
befördern. Drogenabhängige sind nach Auffassung vieler Experten auch der Hamburger
Justizbehörde durch Strafverfolgung und Bestrafung nur in seltenen Fällen zur
dauerhaften Abstinenz zu bewegen. Zahlreiche Untersuchungen belegen:
- Mit Hilfe justizieller Therapieauflagen konnte eine höhere Therapieeffizienz
offenbar nicht erreicht werden. Unter justiziellem Druck aufgenommene Entzugs-
und Entwöhnungshilfen werden oft als überwiegend fremdbestimmte und die eigene
Autonomie verletzende Eingriffe abgewehrt, abgebrochen bzw. unzureichend ge-
nutzt.
- Die soziale und berufliche Wiedereingliederung vorerst rückfälliger Klienten
von Entgiftungs- und Therapieeinrichtungen wird durch die Kriminalisierung der
Rückfälle massiv beeinträchtigt.
Die Verhältnismäßigkeit
der Kriminalisierung:
Statt zu general- und spezialpräventiven Erfolgen hat der drogenpolitische Kurs
der massiven Kriminalisierung der Drogenkonsumenten vor allem bei den Abhängigen
von sogenannten harten Drogen zu einer die Misere der Abhängigkeit noch verschärfenden
enormen körperlichen psychischen und sozialen Verelendung geführt. Das durch
das Strafverfolgungsrisiko immer noch hochgehaltene Preisniveau hat insbesondere
die Heroinabhängigen vielfach in Beschaffungskriminalität, -prostitution und
Beschaffungsanstrengungen getrieben bei denen häufig kein Raum mehr für die
Aufrechterhaltung von nicht durch Drogen bestimmten Aktivitäten und sozialen
Beziehungen bleibt. Die mit der Kriminalisierung verbundenen stigmatisierenden
und ausgrenzenden gesellschaftlich Reaktionen haben nicht selten den Verlust
von familiären Bindungen, Freundschaften ,von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen
zur Folge, d.h. soziale Desintegration und Deklassierung. Der Rückgriff vieler
Heroinabhängiger bei Finanzierungs- und Versorgungsengpässen auf Alkohol, Barbiturate
oder andere in Kombination mit Opiatkonsum nicht selten lebensgefährlicher Ausweichdrogen
ist oft indirektes Resultat der Kriminalisierung, die zu Angebotsverknappung
oder Preiserhöhung führt. Die durch die Illegalisierung hochgetriebenen Profitchancen
für Heroinhändler animiert diese immer wieder zu bisweilen lebensgefährlichen
Stoffstreckungen bzw. Beimischungen, Ein nicht unerheblicher Anteil der Drogentoten
dürfte auf diese Umstände zurückzuführen sein.
Die ständige Angst vor Entdeckung, Ablehnung und Bestrafung hat im Zusammenspiel
mit dem bereits aufgezählten Auswirkungen der Kriminalisierung den subjektiven
und objektiven Spielraum vieler Abhängiger für elementare Selbstfürsorge und
hygienische Vorsicht im Lebenswandel (Essen, Bekleidung, Körperpflege) und bei
Drogenkonsum, z.B. was die Vermeidung von Aidsinfektionen, Abszessen etc. betrifft,
angeht, enorm eingeengt. Diese Angst hält nicht selten Drogenabhängige davon
ab, auch dringend erforderliche ärztliche oder psychosoziale Hilfe aufzusuchen.
Sie fördert auch soziale Rücksichtslosigkeit wie Drogenkonsum in den Grünanlagen
von Parks und Kinderspielplätzen oder dort das Wegwerfen von gebrauchten Spritzbestecken
zur Entledigung von strafrechtlich verwertbaren, belastendem Beweismaterial.
Vor dem Hintergrund der general- und spezialpräventiven Ineffektivität bis Kontraproduktivität
der Kriminalisierung der Drogenkonsumenten ist die Repression gegenüber den
Drogenkonsumenten aus ethisch-humanitärer Sicht nicht mehr zu verantworten,
Dafür sprechen auch die hohe gesellschaftliche Belastung durch das beschaffungskriminelle
Verhalten vieler Drogenabhängiger und die hohen gesellschaftlichen Kosten, die
die Kriminalisierung der Konsumenten und die Folgen der Kriminalisierung mit
sich bringen." (Ende des Zitats)
Die Kammer hat
den Sachverständigen die vorgenannten Zitate vorgehalten. Beide haben sich vorbehaltlos
hinter diese Aussagen gestellt. Dabei kommt der Aussage des Sachverständigen
Dr. Barchewitz aufgrund seiner praktischen Erfahrung eine besondere Überzeugungskraft
zu. Die Kammer hat im Rahmen der Erörterungen mit dem Sachverständigen keine
Argumente gefunden, die diese erschreckende Schaden-Nutzen-Bilanz in Frage stellen
könnten, Die Kammer ist der Auffassung, daß diese einleuchtenden und nachvollziehbaren
Argumente für sich gesehen schon ausreichend sind, festzustellen, daß die Bestrafung
von Handlungsweisen, die auf die Befriedigung des Eigenkonsums abzielen, verfassungsrechtlich
wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot im Rahmen des Art. 2 Absatz
1 GG nicht haltbar ist - unabhängig von der Frage ob es sich hierbei um "weiche"
oder "harte" Drogen handelt. Dies gilt um so mehr, als der Sachverständige Dr.
Barchewitz ausgeführt hat, daß Drogenabhängige als krank im medizinischen Sinne
anzusehen sind. Einen kranken Menschen, dessen Ausgangspunkt für die Erkrankung
sich schon meist in einer sozialen oder sonstigen seelischen Notlage findet,
mit der Bestrafung noch weiter in seelische und persönliche Nöte zu treiben,
stellt einen Verstoß gegen das rechtstaatliche Übermaßverbot dar. Wenn
ein Drogenabhängiger krank ist, dann muß die staatliche Politik dafür Sorge
tragen, daß er von, dieser Krankheit geheilt oder ihm zumindest Linderung verschafft
wird.
Die Kriminalisierung von Kranken ist jedoch kein Mittel der Gesundheitspolitik
Kranke werden nicht geheilt, wenn man sie bestraft oder in den Strafvollzug
steckt. Vielmehr werden sie durch die dadurch entstehende Kriminalisierung über
die Krankheit hinaus sozial geschädigt. Es ist inhuman, Personen, die ohnehin
schon aus erheblichen persönlichen Nöten oder sonstigen Lebensdefiziten zu Drogen
greifen, über die bisherige Not hinaus in weitere Not zu stürzen, indem man
sie in die Gefängnisse bringt. Abgesehen davon, daß hierdurch eine zukünftige
Reintegration wegen der Vorstrafe und der damit verbundenen sozialen Abstempelung
erheblich erschwert wird, werden sie in den Vollzugsanstalten noch tiefer in
ihre Drogenproblematik verstrickt. In allen Justizvollzugsanstalten sind Drogen
erhältlich. Die Gefahr einer Aidsinfektion wächst erheblich. Manche Strafgefangene
führen sogar Kugelschreiberminen in die Venen ein, um sich so einen "schuß"
zu setzen. Dieses Elend ist ein Ergebnis der Verbotspolitik. Sie ist mit dem
rechtsstaatlichen Grundsatz des Verhältnismäßigkeitsgebotes unvereinbar. Letztlich
ist im Rahmen der vorliegend angestellten Schaden-Nutzen-Analyse auch zu berücksichtigen,
ob die hier festgestellte Restgefährlichkeit der Cannabisprodukte den Aufwand
rechtfertigt, den Polizei und Justiz leisten müssen, um Cannabiskonsumenten
zu verfolgen. Bundesweit wurden z.B. im Jahre 1989 94.000 Verstöße gegen das
Betäubungsmittelgesetz registriert (vgl. Jahrbuch Sucht 1991, a.a.O., S. 37,
49). Hiervon entfielen 33.251 Verstöße auf den Cannabiskonsum (vgl. Jahrbuch
Sucht 1991, a.a.O., S. 49). Im Hinblick auf die hier festgestellte geringe Gefährlichkeit
der Cannabisprodukte erscheint es unverhältnismäßig, weiterhin die ohnehin sehr
knappen Ressourcen von Polizei und Justiz zu vergeuden, um Cannabiskonsumenten
zu verfolgen. Nach den Feststellungen der Hamburger Justizbehörde sind die Ressourcen
der dortigen Staatsanwaltschaft durch Bagatellverfahren gegen Drogenkonsumenten
in Höhe von 20 % gebunden (vgl. Bericht der Enquetekommission "Bekämpfung der
Drogensucht", a.a.O., Seite 65). Die dadurch gebundenen Ressourcen der Justiz
könnten zweckmäßiger im Kampf gegen Rauschgifthändler, Wirtschafts- und Umweltkriminelle
eingesetzt werden.
(b) Nach Auffassung
der Kammer verstößt es weiterhin gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn
der Gesetzgeber "weiche" und "harte" Drogen auf eine Stufe stellt obwohl unter
dem Gesichtspunkt der Gefährlichkeit eine offensichtliche qualitative Unterscheidung
vorzunehmen ist. Es wurde bereits dargelegt, daß Cannabisprodukte lediglich
eine relative und nicht dringende bzw. ernstliche Gefährdung menschlichen Lebens
darstellen. "Harte" Drogen wie Kokain und Heroin entfalten hingegen eine qualitativ
andere Wirkung. Während bei Haschisch kein Todesfall bekannt ist, betrug die
Anzahl der Drogentoten, die Heroin und Kokain konsumiert haben, im letzten Jahr
ca. 2.000. Darüber hinaus führt der Konsum von Kokain und Heroin zu einer körperlichen
Abhängigkeit und in vielen Fällen auch zur sozialen Verelendung, Auch die Aidsgefahr
ist wegen der Applikationsform des Spritzens bei Heroin-und Kokainabhängigen
naheliegend, während sie bei den Cannabisprodukten nicht gegeben ist. Im Hinblick
darauf, daß Eingriffe in elementare Bereiche der freien Entfaltung der Persönlichkeit
nur dann gerechtfertigt sind, wenn hierfür ausreichende und gewichtige Gründe
vorliegen und das Strafrecht als "ultima ratio" des Staates zu einer weiteren
Einengung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes führt, ist die Strafrechtliche
Gleichsetzung von weichen und harten Drogen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar.
Der Gefährlichkeitsgrad für den einzelnen ist so Signifikant unterschiedlich,
daß es unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich
geboten ist, diese qualitative Abstufung auch gesetzgeberisch zum Ausdruck zu
bringen. Dies wäre z.B. dadurch möglich gewesen, die sich auf den Cannabiskonsum
beziehenden Handlungsweisen als Ord- nugswidrigkeitentatbestände einzustufen.
(c) Des weiteren
ist es nach der Überzeugung der Kammer unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten
unverhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber es unterläßt, die verschiedenen Handlungsalternativen,
die eine Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz begründen, zu differenzieren.
Unter Berücksichtgigung der nur relativen Gefährlichkeit der Cannabisprodukte
ist es nach Auffassung der Kammer unverhältnismäßig, das Handeltreiben in größeren
Mengen sowie die Einfuhr in größeren Mengen ebenso mit Strafe zu bedrohen wie
den bloßen Besitz einer Konsumeinheit oder Handlungen, die -wie im vorliegenden
Fall- lediglich darauf abzielen, ohne Gewinnabsicht den Besitz an einer einzigen
Konsumeinheit zu verschaffen. Berücksichtigt man die Aussagen der Sachverständigen,
die die Kammer gehört hat, wonach der gelegentliche Konsum von Cannabisprodukten
genau so ungefährlich ist wie der gelegentliche Schluck Wein, dann fragt sich,
welche Legitimation der Gesetzgeber hat, eine solche, für den Einzelnen erkennbar
ungefährliche Verhaltensweise mit dem schärfsten Mittel staatlicher Sanktion
-nämlich dem Strafrecht- zu bekämpfen. Der Staat hat nach unserer Verfassung
nicht das Recht, mit dem Mittel des Strafrechts seinen Bürgern ein vernünftiges
und den Einzelnen in keiner Weise schädigendes Verhalten vorzuschreiben. Es
erscheint selbstverständlich, daß der Staat seinen Bürgern z.B. nicht - und
schon gar nicht mit den Mitteln des Strafrechts vorschreiben darf, während der
Winterzeit nur mit Mantel und Hut oder Mütze auf die Straße zu gehen. Ein solches
Gebot erscheint abwegig, obwohl das Gemeinwesen hierfür gute Gründe anführen
könnte:
Vorkehrung gegen grassierende grippale Infekte, die die Gesundheit des Einzelnen
erheblich schwächen und die Kraft der Volkswirtschaft schmälern könnten. Es
ließe sich auch daran denken, daß der Staat seinen Bürgern vorschreibt, gesundheitsbewußt
zu leben und insbesondere solche Lebensmittel zu meiden, die die Gesundheit
gefährden können (z.B. Süßstoffe). Es ließen sich noch weitere Beispiele bilden,
bei denen unmittelbar erkennbar ist, daß der Staat gerade im Hinblick auf das
Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit nicht das Recht hat - insbesondere
mit dem Mittel des Strafrechts -, Verhaltensweisen, die den Kern menschlicher
Selbstbestimmung zuzurechnen sind, allein deswegen zu unterbinden, weil sie
den Einzelnen schädigen. Es muß grundsätzlich der Entscheidung des Einzelnen
anheimgestellt werden, ob er die mit seinem Verhalten verbundenen Eigenschädigungen
hinnehmen will oder nicht. Der oberste Gerichtshof des Bundesstaates von Indiana
hat hierzu im Jahre 1855 im Rahmen einer Entscheidung über die Prohibition von
Alkohol folgendes ausgeführt:
"Wir sind der Meinung, daß dieser Grundsatz im vorliegenden Fall Anwendung finden
muß, daß das Recht auf Freiheit und das Streben nach Glück, das von der Verfassung
garantiert ist, für jeden Einzelnen das Recht begründet, zu entscheiden, was
er essen und trinken will kurz gesagt, seine Getränke auszusuchen, sofern er
sie herstellen oder in seiner Umgebung erhalten kann, und daß die Gesetzgebung
ihm dieses Recht nicht nehmen darf. Wenn die Verfassung den Menschen noch nicht
einmal dieses Recht sichern kann dann schützt sie überhaupt nichts, das einigen
Wert hat. Wenn die Menschen in ihren Trinkgewohnheiten der Gesetzgebung unterworfen
sind, dann kann man sie auch einer Kontrolle ihrer Kleidung unterwerfen und
derjenigen Stunden,. in denen sie schlafen dürfen oder wachsein, müssen. Und
wenn die Menschen es nicht schaffen, ihre eigenen Getränke auszusuchen, dann
sind sie genauso unfähig, irgendetwas anderes in ihrem Leben zu entscheiden
und sollten in den Zustand der Unmündigkeit gesetzt werden und Bestellt unter
die Vormundschaft staatlicher Beamter für die Luxuskontrolle. Elogen auf die
menschliche Würde sollten dann unterbleiben und die Lehre von der Selbstverwaltung
als irreführender Schnörkel erklärt werden. Wenn die Regierung alles verbieten
kann, wie es ihr gefällt, dann kann sie auch verbieten, kaltes Wasser zu trinken.
Kann sie das ? Wenn nicht, warum nicht ?... Es ist also klar, wenn man dem erleuchteten
Psalmisten (Ps. 104) glauben darf, daß der Mensch geschaffen wurde, zu lachen
so gut wie zu weinen, und daß diese anregenden Getränke vom Allmächtigen ausdrücklich
dafür ausersehen sind, um seine Heiterkeit und sein Vergnügen in Gesellschaft
zu befördern. Und für diesen Zweck hat die Welt sie immer benutzt. Sie haben
immer, in der Sprache einer anderen Stelle der Heiligen Schrift, starke Getränke
demjenigen gegeben, der erschöpft war, und Wein an die mit schwerem Herzen..."
(zitiert aus: Uwe Wesel, Recht und Gewalt, Berlin 1989, S. 177). Diese klaren
und überzeugenden Worte des obersten Gerichtshofs von Indiana verdeutlichen
auf welcher Ebene des Spannungsverhältnisses zwischen den Freiheitsrechten des
Einzelnen und der Regelungsbefugnissen des Staates der vorliegend zu entscheidende
Fall angesiedelt ist. Derjenige, der z.B. den streßbedingten Anforderungen des
Alltags und der Gesellschaft zu entfliehen sucht und sich gelegentlich (einmal
in der Woche) zurückzieht, seinen "joint" raucht und dabei Musik hört, wird
dafür bestraft. Dies, obwohl nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen
in solchen Fällen nicht die geringste Gefährlichkeit für den Konsumenten besteht.
Nicht anders liegt die hier zu beurteilende Fallkonstellation: Die Angeklagte
hat ihrem Mann lediglich -ohne eine irgendwie geartete Gewinnabsicht- eine Konsumeinheit
zur Verfügung gestellt, Diese Konsumeinheit hätte dem Ehemann der Angeklagten
Gelegenheit geboten, kurzfristig seiner tristen Gefängnisumgebung für die Dauer
des "High-Sein" zu entfliehen. Die Kammer kann in diesem Vorgang kein irgendwie
geartetes strafrechtliches Unrecht erkennen. Selbst wenn -entgegen den von der
Kammer gewonnenen Erkenntnissen über die Gefährlichkeit des Cannabiskonsums-
von einer größeren Gefährlichkeit für die Gesundheit des Einzelnen auszugehen
wäre, so erscheint es unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
(hier Gebot der Differenzierung) unhaltbar, das Handeltreiben in größeren Mengen
sowie die Einfuhr in größeren Mengen mit den hier genannten Verhaltensweisen
auf eine Stufe zu stellen, indem beide mit Strafe bedroht werden. Diejenigen,
die von einer größeren Gefährlichkeit des Cannabiskonsums ausgehen, könnten
vielleicht argumentieren, daß diejenigen, die mit Gewinnabsicht durch Handeltreiben
oder Einfuhr größerer Mengen für eine Vielzahl von anderen Personen Gefahren
verursachen, zu bestrafen wären. Sie werden aber -unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlichen Ausgangsbedingungen einen qualitativen Unterschied zwischen
diesen beiden Verhaltensalternativen einräumen müssen. Nach Auffassung der Kammer
führt dieser Unterschied in jedem Fall dazu, die Fälle die lediglich auf Eigenkonsum
abzielen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit aus der Strafrechtsandrohung
herauszunehmen. Soweit der Gesetzgeber die hier offensichtlich erforderliche
Differenzierung in die strafrechtlichen Regulierungsmechanismen verlagert, indem
er bei reinen Konsumtaten eine erleichterte Möglichkeit des Absehens von Strafe
vorsieht (§ 29 Absatz 5 BtmG) bzw. erhöhte Strafrahmen für den Fall des Handeltreibens
oder der Einfuhr von nicht geringen Mengen geschaffen hat, so reicht diese Differenzierung
nach Überzeugung der Kammer in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht aus.
In jedem Fall
müssen nach Auffassung der Kammer nach Maßgabe der dargelegten Überlegungen
unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit Verhaltensweisen, die lediglich
darauf abziehen einen einmaligen Konsum zu ermöglichen, ganz aus der Strafbarkeitsandrohung
genommen werden. In diesem Zusammenhang verweist die Kammer abschließend darauf,
daß die Rechtsprechung und auch die verfassungsrechtliche Literatur ohne nähere
Begründung -wie Selbstverständlich-davon ausgehen, daß z.B. ein generelles Rauch-oder
Alkoholverbot verfassungswidrig wäre (vgl. AK-Podlech, a.a.O., Art. 2 Absatz
1 Rdn. 50). Auch der bayr. Verfassungsgerichtshof hat in einer Entscheidung
vom 30. April 1987 (vgl. NJW 1987, Seite 2922) die Auffassung vertreten, daß
ein generelles Rauchverbot mit Artikel 2 Absatz 1 Grund- gesetz unvereinbar
wäre. Berücksichtigt man die hier bereits festgestellte Gefährlichkeit der Cannabisprodukte,
die deutlich unter den individuellen und gesamtgesellschaftlichen Gefahren des
Rauchens oder des Alkoholgenusses liegt, dann wird die Irrationalität des strafbewehrten
Verbotes, das auch Handlungen unterbinden will, die lediglich auf den einmaligen
Konsum abzielen, besonders deutlich.
III. Verstoß gegen
Artikel 2 Absatz 2 Satz 1
Grundgesetz
Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der körperlichen Unversehrtheit
des Menschen ein besonders hoher Wert beizumessen (BVerGE 16, 201 ff.; 17, 117
ff.; 27, 219, 351; 32, 379). Das in Artikel 2 Absatz 2 GG enthaltene Grundrecht
erschöpft sich nicht nur in Abwehrrechten gegenüber dem Staat, sondern begründet
eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe für das geschützte Rechtsgut,
deren Vernachlässigung von den Betroffenen mit der Ver- fassungsbeschwerde angegriffen
werden kann. In seinem klassischen Gehalt schützt das Recht auf körperliche
Unversehrtheit vor gezielten staatlichen Eingriffen, wie Zwangsversuchen an
lebenden Menschen Zwangssterilisationen und ähnlichem (vgl. BVerfGE 79, 201).
Nach Auffassung der Kammer liegt ein Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 2 Satz 1
GG vor, weil der Bürger der sich im Rahmen seines grundrechtlich geschützten
"Rechts auf Rausch" gemäß Artikel 2 Absatz 1 GG berauschen will, durch das strafrechtliche
Verbot, Cannabisprodukte zum Eigenverbrauch zu erwerben oder zu erlangen, in
die gesundheitsschädlichere Alternative, nämlich in den nicht strafbewehrten
Alkoholkonsum gezwungen wird. Es ist bereits dargelegt und steht zur Überzeugung
der Kammer fest, daß mit dem Alkoholkonsum, der auf Berauschung abzielt, eine
größere Gesundheitsgefährdung verbunden ist, als der Rauschzustand, der über
die Einnahme von Cannabisprodukten erzeugt wird. Geht man von den hier festgestellten
Gefährlichkeitsgraden der Cannabisprodukte und des Alkohols aus, dann ergibt
sich aufgrund der unterschiedlichen Behandlungsweise des Gesetzgebers unter
dem Gesichtspunkt des Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 folgende absurde und verfassungswidrige
Alternative:
Wer sich berauschen will, hat die Wahl zu treffen, ob er es legal, aber gefährdeter
oder weniger schädlich, dafür aber illegal tut. Die Verfassungswidrigkeit unter
dem Gesichtspunkt des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit des Menschen
tritt hierbei offen zutage. Es ist ein mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG nicht
zu vereinbarender Tatbestand, wenn der Gesetzgeber dem Rauschwilligen bei Strafandrohung
untersagt, daß für seine Gesundheit erheblich weniger schädliche Rauschmittel
im Verhältnis zu anderen legalen Rauschmittel zu nehmen.
IV. Internationale
Abkommen
Der hier von der
Kammer festgestellte Verstoß gegen grundgesetzliche Vorschriften wird auch nicht
durch internationale Abkommen über Suchtstoffe denen die Bundesrepublik beigetreten
ist, "geheilt". Internationale Abkommen, bei denen die Bundesrepublik Vertragspartner
ist und die gegen unsere Verfassung verstoßen, können keine Bindungswirkung
entfalten. Sie sind wegen Verstoßes gegen die Verfassung unwirksam (BVerfGE
12, 288; 30, 280). Deswegen kann z.B. die sogenannte Single Convention von 1961
keine Verpflichtung für den Gesetzgeber enthalten, in Ausführung dieser Vereinbarung
verfassungswidrige Gesetze zu erlassen. Dies ergibt sich nicht nur aus unserer
Verfassung selbst (Art. 20 Abs. 3 GG), sondern auch aus der Single Convention.
Dort heißt es in Artikel 36 (Strafbestimmung): "Jede Vertragspartei trifft vorbehaltlich
ihrer Verfassungsordnung...." Die Single Convention stellt demnach die Ausführung
der in der Übereinkunft festgehaltenen Verpflichtungen ausdrücklich unter den
Vorbehalt der jeweiligen nationalen Verfassungsordnung. Darüber hinaus ist in
diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß die Single Convention auch nicht
zur Bestrafung des Konsums der Stoffe zwingt, die zum Gegenstand der Kontrolle
gemacht werden (hierzu gehören auch die Cannabisprodukte). In Artikel 2 Absatz
5 b wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß jede Vertragspartei "im Hinblick
auf die in ihrem Staat herrschenden Verhältnisse" das Mittel wählen darf, daß
sie für am geeignetsten hält, um die Volksgesundheit und das öffentliche Wohl
zu schützen. Es steht danach im Belieben des jeweiligen Vertragslandes, welches
Mittel es für geeignet hält. um den Verkehr und den Konsum mit den unerwünschten
Stoffen zu unterbinden. Dies muß nicht zwangsläufig die Bestrafung sein. Demgemäß
heißt es im Artikel 36 des Abkommens: "
b) Ungeachtet
des Buchstabens a können die Vertragsparteien, wenn Personen, die Suchtstoffe
mißbrauchen, derartige Verstöße begangen haben, entweder an Stelle der Verurteilung
oder Bestrafung oder zusätzlich zu einer solchen vorsehen, daß diese Personen
Maßnahmen der Behandlung, Aufklärung, Nachbehandlung, Rehabilitation und sozialen
Wiedereingliederung nach Artikel 38 Absatz 1 unterziehen." Diese Bestimmung
belegt, daß der nationale Gesetzgeber durch internationale Abkommen nicht gezwungen
ist, mit den Mitteln des Strafrechts Drogenkonsum zu bekämpfen.
V. Zusammenfassung/Verfassungskonforme
Auslegung
Nach alledem steht
zur Überzeugung der Kammer fest, daß die vorliegend zur Anwendung kommenden
Vorschriften der §§ 29 Absatz 1 Nr. 1 i.V.m. 1 Absatz 1 i.V.m. Anlage I (hier:
Cannabisharz (Haschisch)) Betäubungsmittelgesetz in der Handlungsalternative
des Abgebens aus den unter den Punkten B. I.-III. aufgeführten Gründen gegen
die dort aufgeführten Grundgesetzartikel verstoßen. Abhilfe kann auch nicht
mit dem Mittel der verfassungskonformen Auslegung geschaffen werden (vgl. dazu
Zuck, Recht der Verfassungsbeschwerde, NJW-Schriftenreihe, 2. Auflage, 1987,
S. 16 Rdz. 52 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 32, 383/384; 48, 45; 54, 273/274) ist ein Vorlageverfahren gemäß Artikel
100 Absatz 1 GG dann nicht zulässig, wenn eine verfassungskonforme Auslegung
möglich ist. Eine solche verfassungskonforme Auslegung kommt dann in Betracht,
wenn eine auslegungsfähige Norm nach den üblichen Interpretationsregeln mehrere
Auslegungen zuläßt, von denen eine oder mehrere mit der Verfassung übereinstimmen,
während andere zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen; solange eine Norm
verfassungskonform ausgelegt werden kann und in dieser Auslegung sinnvoll bleibt
darf sie nicht für nichtig erklärt werden (vgl. BVerfGE 48, 45 m.w.N.). Die
hier zur Anwendung kommenden Normen des Betäubungsmittelrechts lassen keine
verfassungskonforme Auslegung im vorgenannten Sinne zu. Sie sind bei dem hier
festgestellten Sachverhalt nach den üblichen Interpretationsregeln eindeutig
und ermöglichen keine Auslegung, die zur Straffreiheit der Angeklagten führt.
Die Kammer hat daher das Verfahren gemäß Artikel 100 Absatz 1 GG ausgesetzt
um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
gez. Neskovic