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Briefwechsel: Dr. Hansjörg Schäfer, SPDBriefe an Dr. Schäfer:Reformpolitik [26.06.2001] 1) Brief an Dr. Hansjörg Schäfer, drogenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
From: Joe Wein <joewein@pobox.com> Sehr geehrter Herr Dr. Schäfer, ich habe mich über viele positive Ansätze in Ihrem Artikel in Ausgabe 1/2001 der Zeitschrift Akzeptanz gefreut. Die SPD hat bereits 1993 und 1996 wichtige Impulse für eine drogenpolitische Wende gesandt. Es wäre nun an der Zeit, die Erkenntnisse von damals in praktische Reformen umzusetzen. Gestatten Sie mir am heutigen Weltdrogentag ein paar Kommentare zu Punkten aus Ihrem Artikel: 1. Führerscheinrecht zu Cannabis Eine pragmatische und gerechte Lösung, mit der die wissenschaftlich nicht zu rechtfertigende Diskriminierung im Vergleich zu Alkohol beendet wird, wäre wirklich sehr dringend. Hier werden selbst bei vom Bundesverfassungsgericht vorgeschriebenen Verfahrenseinstellungen teilweise berufliche Existenzen vernichtet. 2. Cannabis als Arzneimittel Die Entwicklung von standardisierten Präparaten zum künftigen Vertrieb über Apotheken ist begrüssenswert. Sie kann allerdings keine Rechtfertigung dafür sein, Patienten die heute zur Linderung ihrer Beschwerden auf Cannabis als Arznei angewiesen sind, mit Strafverfolgung zu drohen. Die US-Regierung hat bereits seit 1978 mit dem IND-Programm einer begrenzten Anzahl von Patienten den legalen Zugang zu Cannabis geschaffen. In Kanada haben derzeit 250 Patienten eine Lizenz die ihnen den Besitz von Cannabis erlaubt. Eine ähnliche pragmatische Lösung sollte auch in Deutschland gefunden werden. 3. Einheitliche Straffreiheit geringer Mengen Sie schreiben dass "offensichtlich auf der juristischen Ebene bereits nahezu einheitlich entschieden" werde. Das deckt sich nicht mit unseren Erfahrungen. Regelmässig hören wir von Gerichtsverfahren etwa in Bayern, in denen es teilweise um Mengen von weniger als einem Gramm geht. Haben Sie nach Mengen gestaffelte Zahlen zum jeweiligen Prozentsatz der Ermittlungsverfahren der in den verschiedenen Bundesländern eingestellt wird? Wenn ja, wäre ich sehr daran interessiert. Auf parlamentarische Anfragen zu Verfahrenseinstellungen nannte die Bundesregierung nämlich bisher nur Zahlen, welche die nicht eingestellten Verfahren komplett ausklammerten! Sogar die CDU hat sich offiziell mit einer Verfahrenseinstellung bis 6 Gramm abgefunden. Eine bundeseinheitliche Verfahrenseinstellung durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes entspräche dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts von 1994. Die SPD trägt Verantwortung dafür, diesen Auftrag umzusetzen. 4. Internationale Abkommen und Konsumdelikte Sie verweisen auf die internationalen Abkommen zu Cannabis die Deutschland ohne Vorbehalt unterzeichnet habe. Art. 3 Abs. 2 des Abkommens von 1988, das die Bundesrepublik im Jahre 1993 ratifiziert hat, macht jedoch ausdrücklich die Verpflichtung zum Verbot von Erwerb, Besitz und Anbau zum Eigengebrauch von verfassungsmässigen Grundsätzen abhängig. Hierzu hat das BVerfG 1994 das Verhältnismässigkeitsgebot des Grundgesetzes ins Spiel gebracht. Der Bundestag ist demnach nicht verpflichtet, Cannabisbesitz zum Eigengebrauch mit Strafen zu bedrohen wenn eine Strafe die geeignet wäre, eine abschreckende Wirkung zu haben, unverhältnismässig hoch wäre. Das BVerfG stellte fest, dass ein grundrechtseinschränkendes Mittel nur dann verhältnismässig ist, wenn es sowohl geeignet ist, das Ziel zu fördern und es ausserdem kein weniger grundrechtseinschränkendes Mittel gibt, um das Ziel zu erreichen. Das Cannabisverbot hat die Vervielfachung des Cannabiskonsums in den letzten 3 Jahrzehnten oder die Angleichung des Konsumsverhaltens im Osten an den Westen in nur einem Jahrzehnt nicht verhindert. Das Verbot hat keine nachweisbare präventive Wirkung. Im Jahre 1997 konsumierten 3,0 Prozent der Westdeutschen regelmässig Cannabis, aber nur 2,46 Prozent der Niederländer. Diese Fakten zeigen dass die Strafandrohung keine der beiden Bedingungen der Entscheidung von 1994 erfüllt. Damit entbindet das Übermassverbot des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Verfassungsvorbehalt des Abkommens von 1988 den deutschen Gesetzgeber von der Pflicht zur Bestrafung von Konsumenten. Auch im Minderheitenvotum des Richters Sommer (http://www.uni-kiel.de:8080/FS-Jura/gericht/bv090145.html ab BVerfGE 90, 145 (212) - Cannabis) wird die rechtliche Lage des Cannabisverbots im Rahmen der internationalen Abkommen aufgezeigt: Auch die zuletzt genannten Abkommen stellen jedoch die Verpflichtung zur Pönalisierung des Besitzes und Erwerbes von Suchtstoffen unter den Vorbehalt der Verfassungsgrundsätze der Vertragsstaaten (Art. 22 des Übereinkommens über psychotrope Stoffe; Art. 3 Abs. 2 des Suchtstoffübereinkommens). Das Suchtstoffübereinkommen enthält überdies den Vorbehalt der Grundzüge der Rechtsordnung der Vertragsstaaten. Hierzu hat die Bundesregierung eine Interpretationserklärung abgegeben, die ihrer Auffassung nach gewährleistet, daß die Ratifikation etwaigen Überlegungen "über das 'Ob' der Bestrafung im unteren Deliktsbereich" nicht entgegenstehen kann (Protokoll der 76. Sitzung des Rechtsausschusses des 12. Deutschen Bundestages am 12. Mai 1993, S. 46 f.). Im übrigen berührt Art. 3 des Suchtstoffübereinkommens gemäß seinem Absatz 11 nicht den Grundsatz, daß die Beschreibung der Straftaten, auf die sich der Artikel bezieht, und der diesbezüglichen Gründe, die eine Bestrafung ausschließen, dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei vorbehalten ist. Es sind "Beschreibungen der Straftat" bzw. der "Gründe, die eine Bestrafung ausschließen" in diesem Sinne denkbar, die gleichermaßen dem Suchtstoffübereinkommen 1988 und meinem verfassungsrechtlichen Einwand auf der Ebene des materiellen Strafrechts Rechnung tragen. So könnte in den fraglichen Fällen ein zwingender Strafausschließungsgrund vorgesehen werden (vgl. § 29 Abs. 5 BtMG in der Fassung des Änderungsantrages der Fraktion der SPD vom 12. Mai 1993, BTDrucks. 12/4913). Die Strafbarkeit könnte auch in Gestalt einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit vom Überschreiten einer Mindestmenge abhängig gemacht werden (so der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes" des Landes Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1993, BRDrucks. 58/93). 5. Bestrafung des unerlaubten Handels Sie schreiben, dass in Spanien der Handel mit Cannabis als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Die Konvention von 1988 schreibt jedoch vor, dass unerlaubter Handel als Straftat einzustufen ist. Dazu muss es kein Verbrechen sein, eine Einstufung als Vergehen (Geldstrafe oder bis zu 1 Jahr Haft) genügt ebenfalls den Anforderungen. Das Schweizer Bundesgericht hat am 29.8.1991 entschieden, dass beim Handel mit Cannabis aufgrund der relativ geringen Gesundheitsrisiken grundsätzlich kein "schwerer Fall" vorliegen kann, wo nach Schweizer Recht eine Mindeststrafe von einem Jahr gilt. In Deutschland ist insbesondere die Mindeststrafe von 2 Jahren Gefängnis für die unerlaubte Einfuhr "nicht geringer Mengen" (z.B. 100 Gramm Haschisch zu 8 % THC) unangemessen hoch, ebenso die Mindeststrafe von 1 Jahr beim Besitz oder Anbau "nicht geringer Mengen". Eigenanbauer von Cannabis koppeln sich vom kriminellen Schwarzmarkt ab. Eigenanbau dient der Trennung der Märkte zu harten Drogen. Er verringert die Einnahmen krimineller Banden. Nach den derzeitigen Mengenregelungen werden Eigenanbauer jedoch so hart bestraft wie Dealer, nur weil sie einen Jahresvorrat bis zur nächsten Ernte besitzen ohne damit Handel zu treiben. Eine Anhebung der nicht geringen Menge und/oder eine Anpassung des Strafrahmens wäre aus Gerechtigkeitsgründen sinnvoll. 6. Cannabis im Gartenbau Da der Eigenanbau die Nachfrage auf dem kriminellen Schwarzmarkt senkt, sollte er auf keinen Fall härter bestraft werden als der Erwerb auf dem Schwarzmarkt. Eine Möglichkeit um den Eigenanbau zu entkriminalisieren, wäre, den Anbau von Cannabis für gartenbauliche Zwecke (zum Beispiel als Balkonpflanze) entsprechend Art. 28 Abs. 2 der Einheitskonvention von 1961 aus dem Betäubungsmittelgesetz auszunehmen. Analog zu der Regelung bei Schlafmohn als Zierpflanze könnte eine erlaubte Anbaufläche bzw. Pflanzenanzahl festgelegt werden, um den legalen Eigenanbau gegen den unerlaubten Anbau nach Art. 3 Abs. 1 des Abkommens von 1988 abzugrenzen. Würde die Zierpflanzenregelung eingeführt, dann sollte auch der Besitz der entsprechenden Samen legal sein, da sie dann nicht mehr zum unerlaubten Anbau dienen. 7. Staatlich kontrollierte Abgabe Da der kriminelle Schwarzmarkt sich unter eine Totalprohibition nicht mit angemessenen Mitteln effektiv bekämpfen lässt, wäre es sinnvoll, langfristig den Vertrieb von Cannabis unter staatliche Aufsicht zu stellen. Ein Modellversuch wie vom Land Schleswig-Holstein gefordert, wäre dafür sinnvoll. Bereits heute lässt das Betäubungsmittelgesetz die kontrollierte Abgabe von Cannabis zu im öffentlichen Interesse stehenden Zwecken zu. Wären denn die baldige Beseitigung des unkontrollierten Schwarzmarktes und die Besteuerung der Cannabisumsätze nicht im öffentlichen Interesse? Ich würde mich über eine Stellungsnahme zu diesen Punkten freuen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren Bemühungen, in der SPD Mehrheiten für eine pragmatische Reformpolitik zu gewinnen. Mit freundlichen Grüssen Joe Wein
[Anschrift]
2) Brief an Dr. Hansjörg Schäfer, drogenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
From: Joe Wein (VfD) <joe_wein@drogenpolitik.org> Sehr geehrter Herr Dr. Schäfer, im Januar haben im Gesundheitsausschuss des Bundestags Vertreter der SPD vorgeschlagen, den Besitz geringer Mengen von Cannabis künftig als Ordnungswidrigkeit zu behandeln: "Die Sozialdemokraten sprachen sich dafür aus, den Besitz von geringen Mengen an Cannabis als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Auf diese Weise könne der grenzüberschreitende Drogentourismus eingedämmt werden." (heute im bundestag Nr. 027, 30.01.2002) Derzeit gilt Besitz jeglicher Mengen von Cannabis noch als Straftat, mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis. Deshalb muss nach deutschem Recht (sogenanntes "Legalitätsprinzip") in jedem Fall der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet und von dieser ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Dieses kann dann bei fehlendem öffentlichem Interesse und geringer Schuld wieder eingestellt werden. Bei einer Ordnungswidrigkeit fiele der Zwang zur Anzeige weg und ein Gericht würde erst eingeschaltet, wenn ein verhängtes Bussgeld nicht bezahlt wird (oder nicht bezahlt werden kann). Der Vorschlag hat Vor- und Nachteile. Die Glaubwürdigkeit der widersprüchlichen staatlichen Drogenpolitik bezüglich Alkohol, Cannabis und Tabak würde sich so nicht verbessern. Auch als Ordnungswidrigkeit würde das Verbot privates und keinen Dritten schädigendes Verhalten von Millionen von Bundesbürgern unter Strafe stellen. Der geringere Arbeitsaufwand für die Polizei könnte dazu führen, dass sich zumindest regional die Anzahl der Betroffenen steigert, weil mit dem selben Personalaufwand mehr Personen kontrolliert werden können. Das Beispiel der Verfolgung über den Führerscheinentzug (eine Praxis deren Analog sie mit dem Beispiel "Führerscheinentzug für einen Kasten Bier im Kofferraum" treffend beschrieben haben) hat gezeigt, dass ein Umstieg vom Strafrecht auf das Verwaltungsrecht als Repressionsmittel nicht unbedingt zu mehr Gerechtigkeit führt. Ein pauschales Bussgeld würde zudem Angehörige unterer Einkommensgruppen stärker treffen. Positiv ist dagegen anzumerken, dass bei Ordnungswidrigkeiten keine Ermittlungspflicht besteht. Ein Polizist der "wegsieht" weil er wichtigeres zu tun hat, macht sich dann nicht mehr strafbar. Das könnte zu einer de-facto Straffreistellung wie in den Niederlanden führen. Allerdings ist zu erwarten, dass es dabei zu einem erheblichen Nord/Süd-, Ost/West- und Stadt/Land-Gefälle kommen wird. Eine Umstufung zur Ordnungswidrigkeit wäre daher allenfalls ein Zwischenschritt zu einer wirklich gerechten Lösung, die explizite Straffreiheit für den Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch wie im Schweizer Gesetzesentwurf vorsehen müsste:
http://www.cannabislegal.de/international/revisionbetmg.htm Über eine persönliche Stellungsnahme von Ihnen zum Thema Cannabisentkriminalisierung würde ich mich freuen. Ich denke, dass dieses Thema nicht nur im Gesundheitsausschuss sondern auch in der Öffentlichkeit mehr diskutiert werden muss, damit eine akzeptable Lösung gefunden werden kann. Mit freundlichen Grüssen
Joe Wein
[Anschrift]
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