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Wie man seinen Führerschein verlieren kann, obwohl man gerade Bahn fährt

Krieg den Tüten

Newshawk: oxknox
Pubdate: Sat, 05 Jan 2002
Source: Süddeutsche Zeitung
Contact: leserbriefe@sueddeutsche.de
Copyright: © Süddeutsche Zeitung
Website: http://www.sueddeutsche.de
Webpage: http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel110384.php

Eine Fahrerlaubnisverordnung aus der Ära Kohl bestraft Cannabis-Konsumenten hart - die Grünen wollen dies ändern Von Heidrun Graupner

Meist geschieht es in der Gegend von Ulm: Uniformierte vom Bundesgrenzschutz oder der Polizei besteigen den Zug zwischen München und Stuttgart, gehen durch die Wagen, schauen in die Abteile. Wer jung ist oder ausländisch ausschaut, muss, ohne dass ein konkreter Verdacht vorliegt, Ausweis oder Gepäck vorzeigen. Wer einen Joint in der Tasche hat, wird mitgenommen.

Der Joint in der Tasche bedeutet Urinprobe und medizinisch-psychologische Untersuchung, möglicherweise Führerscheinentzug. Gegen die Untersuchung kann man sich nicht wehren, die Kosten dafür, 450 bis 500 Euro, muss man bezahlen. Erst wenn der Führerschein abgenommen wird, kann man Rechtsmittel einlegen.

Die Bahnstrecke München-Stuttgart ist nach den Worten des Ludwigsburger Rechtsanwalts Michael Hettenbach bekannt für solche Razzien, die überall in Deutschland, ob in Bayern oder Nordrhein-Westfalen, stattfinden - überall dort, wo sich junge Leute treffen. Vor Discos werden sie abgefangen, gleichgültig ob sie mit dem Bus oder zu Fuß unterwegs sind. Bei Sommerpartys an Badeseen erscheint zur fortgeschrittener Stunde die Polizei und ordnet Drogenscreenings an, Widerspruch ist zwecklos.

Grenzenloses Ermessen Willkür der Staatsgewalt? Polizei oder Bundesgrenzschutz handeln nach der geltenden Fahrerlaubnisverordnung, die diese Willkür zulässt, eine, wie sich der Bremer Strafrechtler Lorenz Böllinger ausdrückt, "Grenzenlosigkeit des behördlichen Ermessens": Wer ein paar Gramm Haschisch oder Marihuana besitzt, kann zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung verpflichtet werden, auch wenn er nicht am Steuer seines Autos saß. Dieser Passus wurde 1998 noch von der Regierung Kohl in die Fahrerlaubnisverordnung aufgenommen, untermauert mit veralteten Studien über die Wirkung von Cannabis. 1999 trat er in Kraft.

In den vergangenen Monaten wurde im Bundesverkehrsministerium eine umfangreiche Novellierung der Fahrerlaubnisverordnung vorbereitet, im Januar soll sie dem Bundesrat zugeleitet werden. Die umstrittene Regelung von 1998 aber will das Verkehrsministerium nicht antasten, Proteste des grünen Koalitionspartners haben bisher nichts bewirkt.

Christa Nickels (Grüne), Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Drogenpolitik und frühere Drogenbeauftragte der Regierung, bezeichnet die Regelung als unhaltbar. Und sie stellt sich vor, welcher Aufschrei durchs Land ginge, würde man Alkohol- und Cannabiskonsumenten gleich behandeln: Jeder, der in einem Supermarkt Wein oder Schnaps kauft und zu Fuß die Flaschen nach Hause trägt, könnte dann von der Polizei aufgegriffen und einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterzogen werden, mit der Androhung des Führerscheinentzugs. Wein oder Schnaps aber kann jeder Bürger im Auto nach Hause fahren - kein Polizist darf ihn deshalb aufhalten.

"Wer berauscht ist, gehört nicht ans Steuer", sagt Christa Nickels, gleichgültig welchen Stoff er genommen habe. Diese Regelung aber sei der Versuch, über andere Wege als mit dem Beteäubungsmittel- und Strafgesetz den Cannabiskonsum zu beeinflussen. "Man wollte einen Strafrechtsersatz über die Fahrerlaubnisverordnung schaffen, und das ist mit der Verfassung und dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar." Nun gehört Cannabis zwar zu den illegalen Drogen, doch hat das Bundesverfassungsgericht schon 1994 klar zwischen Konsum und Handel der weichen Drogen Haschisch und Marihuana unterschieden. Der Besitz einer "geringen Menge" zum eigenen Konsum sollte straffrei sein, urteilte Karlsruhe damals. Den vagen Begriff "geringe Menge" hat die Politik allerdings in den vergangenen Jahren nie präzisiert, je nach Bundesland wird das Karlsruher Urteil unterschiedlich ausgelegt. Ein paar Joints, die in Schleswig-Holstein erlaubt sind, können in Bayern ein Verfahren bedeuten. Und auch mit der Fähigkeit, nach einer "Tüte" ein Auto zu fahren, hat sich Karlsruhe bereits befasst. In einem unveröffentlichten Urteil vom Mai 1996 heißt es, "dass bei regelmäßigen Cannabiskonsum nicht schon ohne weiteres... die Kraftfahreignung verneint werden kann".

Eine Reihe von internationalen Studien belegen mittlerweile, dass Cannabis zwar gesundheitsschädigend ist, aber bei weitem nicht so gefährlich wie Alkohol. Cannabis führe bei neun Prozent der Konsumenten zur Abhängigkeit, Alkohol dagegen bei 15 Prozent, sagte der Drogenexperte des Gesundheitsministeriums, Martin Köhler, bei einer Anhörung der Grünen am 30. November.
Leistungseinbußen ließen sich zwei bis drei Stunden nach dem Hasch-Konsum nur noch bei sechs Prozent aller Fälle feststellen.

Außerdem fahren alkoholisierte Autofahrer risikoreicher, diejenigen, die Cannabis geraucht haben, dagegen sehr viel vorsichtiger und ängstlicher.

Ein Viertel aller jungen Leute, sagt Christa Nickels, nähmen gelegentlich Haschisch oder Marihuana. Sie alle hätten, wenn sie von der Polizei abgefangen würden, keinen Rechtsschutz, sie müssten die Untersuchung bezahlen, was für einen 18-Jährigen viel Geld sei, eine Art Bußgeld, gegen dass man sich nicht wehren könne. Sie müssten, wenn der Führerschein eingezogen werde, klagen und sich auf einen langen Rechtsweg einlassen. Wenn sie auf dem Land lebten, bräuchten sie aber ihr Auto, um zur Lehrstelle oder dem Arbeitsplatz zu fahren. "All das wird nach Gusto gehandhabt, je nach Bundesland, " klagt Nickels. In der Ludwigsburger Anwaltspraxis von Michael Hettenbach melden sich viele junge Leute, deren Führerschein eingezogen wurde, weil sie Haschisch in der Tasche hatten. 80 Prozent von ihnen saßen nicht am Steuer, als die Polizei sie aufhielt.

Warten auf Karlsruhe

Dass die Fahrerlaubnisverordnung auch künftig, nach ihrer Novellierung, als verkapptes Abschreckungsrecht dienen soll, will Christa Nickels nicht hinnehmen. "Dafür ist die Prävention da", sagt sie. In den Landtagen von Hamburg und Niedersachsen hat sie die grünen Abgeordneten mobilisiert, die mittlerweile entsprechende Änderungsanträge in den Bundesrat einbrachten.

Und Christa Nickels wartet gespannt auf eine Entscheidung in Karlsruhe, denn das Verfassungsgericht hat mittlerweile eine Klage in dieser Sache angenommen, zu Recht, wie auch der Strafrechtler Lorenz Böllinger sagt: Betroffen seien das Persönlichkeitsrecht, dass Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsprinzips, die Berufsfreiheit und die Justizgrundrechte.

Noch ist fraglich, ob Karlsruhe noch vor der Verabschiedung der Novelle eine Entscheidung fällt und der Politik den Weg weist, ob der Bundesrat den Anträgen von Niedersachsen und Hamburg folgt, die dem Anliegen der Grünen Rechnung tragen. Sollte das Verkehrsministerium die restriktive Drogenpolitik der Ära Kohl auf diese Weise fortsetzen, dann wollen die Grünen das Thema neu aufbereiten: für den Wahlkampf