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CannabisLegalNews (Nummer 101, 14.03.2003)Ein wöchentlicher Service von cannabislegal.de"Steter Tropfen höhlt den Stein" Kontakt: info@cannabislegal.de INHALT
1. Neun Jahre Cannabisentscheidung
1. Neun Jahre Cannabisentscheidung
Am Sonntag, 09.03.2003 wurden es neun Jahre, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine vielbeachtete Entscheidung zum Cannabisverbot vorgelegt hat. Es entschied damals, dass Strafverfolgung für den Besitz geringer Mengen zum persönlichen Konsum ohne Fremdgefährdung gegen das Übermaßverbot des Grundgesetzes verstösst. Es forderte den Gesetzgeber auf, eine bundesweit im wesentlichen einheitliche Rechtspraxis bei der straffreien Verfahrenseinstellung bei solchen Delikten sicherzustellen. In den Monaten nach dem Urteil konnten sich die Länder jedoch auf keine bundesweite Mengenregelung einigen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Schon 1994 lag eine Studie aus dem Jahr 1988 vor (siehe Bundestagsdrucksache 11/4329 ), die für die Jahre 1985-1987 beim Besitz geringer Cannabismengen zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede bei den Einstellungsraten, bei der Behandlung von Wiederholungstätern und bei der Bemessung der "geringen Menge" feststellte. Das BVerfG verwies auf diese Studie und nannte diese Praxis "bedenklich". Daraufhin wurde von der Bundesregierung die sogenannte Aulinger-Studie in Auftrag gegeben. Sie bestätigte im Jahre 1997 anhand von Daten der Jahre 1994-1995 erneut, dass die Einstellungsraten immer noch extrem unterschiedlich waren und dass Wiederholungstäter nach wie vor unterschiedlich behandelt werden. Dennoch verschoben die Justizminister der Länder Ende vorigen Jahres eine Neuregelung auf frühestens Frühjahr 2004.
Weil die Länder scheinbar in einem ganzen Jahrzehnt keine Einheitlichkeit herstellen können, müsste längst der Bundestag handeln, um Verstösse gegen das Übermaßverbot des Grundgesetzes zu verhindern. Dabei geht es um weit mehr als um eine Nivellierung der "geringen Menge" irgendwo zwischen den in Landshut und Flensburg üblichen Werten, wie sich das viele Politiker vorzustellen scheinen. In der Entscheidung von 1994 verpflichtete das BVerfG den Gesetzgeber auch, aktuelle Erkenntnisse aus dem In- und Ausland zu berücksichtigen und anhand dieser das Verbot künftig erneut grundsätzlich zu überprüfen. Entsprechende Studien wurden auch in Auftrag gegeben, aber ihre Ergebnisse werden beharrlich ignoriert.
Ein strafrechtliches Verbot muss geeignet und notwendig sein, damit es grundgesetzkonform ist. Geeignet heisst, es muß den angestrebten Zweck fördern. Notwendig bedeutet, es muß das am wenigsten in Rechtsgüter eingreifende geeignete Mittel sein. Vor zwei Jahren wandten wir uns in einem Schreiben an die gesamte SPD-Fraktion im Bundestag und verwiesen darauf, dass inzwischen vorliegende Erkenntnisse die Eignung und Notwendigkeit eines generellen, strafrechtlichen Verbots von Cannabis und damit die Verhältnismäßigkeit des Verbots in Frage stellen. Seitdem hat sich jedoch politisch nichts getan. In den Koalitionsverhandlungen im Herbst vorigen Jahres konnte sich die SPD nur zu dem Versprechen durchringen, sich an ohnehin rechtlich verbindliche Verfassungsgerichtsentscheidungen zu halten.
Das Cannabisverbot ist eine Anomalie in unserem Rechtssystem, weil es Verhalten unter Strafe stellt, das keine Rechte Dritter verletzt. Millionen Cannabiskonsumenten verstossen gegen ein Gesetz, obwohl sie dadurch keinen andere Menschen schädigen oder gefährden. Andererseits gab es von 1984 bis 2001 laut Bundeskriminalamt insgesamt 1.268.315 Ermittlungsverfahren in denen es ausschliesslich um Cannabis ging, davon 668.804 Fälle allein in den letzten sechs Jahren. Der Gesetzgeber droht für den Umgang mit Cannabis Probleme an und fügt sie auch zu, weil er sich eine "generalpräventive" (d.h. abschreckende) Wirkung von der Strafbarkeit erhofft. Statt Rechtsgüter zu schützen, verletzt sie der Staat selbst. Er greift z.B. in das Recht auf Eigentum ein, wenn er Geldstrafen verhängt, in die Freiheit der Person, wenn er Menschen inhaftiert und in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, wenn er MS-, Krebs- und AIDS-Patienten eine wirksame Medizin vorenthält. Dabei ignoriert er Studie um Studie, die die geringe Wirksamkeit der strafrechtlichen Strategie betont, wie z.B. den Bericht der Drogen- und Suchtkommission der Bundesregierung. Das Cannabisverbot verursacht mehr Probleme als es Nutzen bringt. Eine Reform, wie am 09.03.2001 von der Schweizer Regierung angekündigt, ist deshalb auch in Deutschland nötig.
Brief an die Abgeordneten der SPD-Fraktion [09.03.2001]
Die Cannabis-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts [09.03.1994]
Argument: "Das Verbot hat eine präventive Wirkung"
Ungleiche Rechtspraxis in den Bundesländern
Bundestagsdrucksache 11/4329 [1988]
2. Interpol-Ehrenpräsident kritisiert UN-Drogenabkommen
Raymond Kendall, Ehrenpräsident der internationalen polizeilichen Dachorganisation Interpol, forderte im Nahmen des Comité des Sages ("Rat der Weisen") des Netzwerkes Europäischer Stiftungen (NEF) eine offene Debatte über Drogenpolitik. Die Welt habe sich seit jener Zeit erheblich verändert, als die Einheitskonvention von 1961 beschlossen wurde. Globalisierung und AIDS erforderten neue Strategien, zu deren Entwicklung mehr politischer Spielraum erforderlich sei als ihn die Abkommen bereitstellen. Es sei an der Zeit zu prüfen, welche Erfolge die hinter den Abkommen stehende Strategie verweisen könne.
Fünfzehn Jahre lang, von 1985 bis 2000, war Kendall Generalsekretär von Interpol. Im Jahre 1997 wurde er zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt und im Jahre 2000 zum Ehrenpräsidenten von Interpol gewählt. Bereits im Jahre 1994 nannte Kendall die strafrechtliche Verfolgung von Drogenkonsumenten "sinnlos und sogar gefährlich". Er sprach in Athen anlässlich einer viertägigen Konferenz (05. bis zum 08.03.) der griechischen EU-Präsidentschaft. Der griechische Aussenminister George Papandreou hatte im November 2002 vorgeschlagen, anlässlich des UN-Drogengipfels in Wien im April 2003 eine Revision der UN-Drogenabkommen zu überprüfen. Griechenland führt bis Ende Juni die EU-Präsidentschaft.
Keynote speech by Raymond Kendall [06.03.2003]
European civic leaders call for a review of UN drug policy [06.03.2003]
The Senlis Council - Drug Policy Advisory Forum
Griechenland will Überprüfung der UN-Drogenabkommen [CLN#87, 29.11.2002]
Polizei und Cannabis-Entkriminalisierung
3. Deutscher Hanf Verband zieht Bilanz
Der Deutsche Hanf Verband (DHV) hat einen kurzen Bericht zu seinen bisherigen Aktivitäten vorgelegt. Der Bericht ist als Adobe-PDF Datei auf der DHV-Website zu finden.
Der DHV zieht Bilanz - nach gut einem halben Jahr [DHV, 19.02.2003]
Informationen zum Deutschen Hanf Verband
4. Sachsen: 1300 Cannabispflanzen unter Lampen
In Harta bei Leipzig hat die Polizei in einer alten Bäckerei 1300 Cannabispflanzen beschlagnahmt. Die Pflanzen wuchsen unter Lampen in fünf Kellerräumen. Drei Personen wurden verhaftet. Die Plantage scheint bereits seit zwei Jahren betrieben worden zu sein. Im Februar waren in Brandenburg Plantagen in zwei Lagerhallen mit insgesamt 4000 Pflanzen ausgehoben worden.
Der relativ hohe Schwarzmarktpreis von Cannabis hat seinen Anbau selbst unter Lampen rentabel gemacht, wo hohe Stromkosten anfallen. Eine für einen Quadratmeter Garten ausreichende Speziallampe verbraucht etwa 5 kWh Strom pro Tag. Experten schätzen, dass diese Fläche etwa 150 bis 300 Gramm Cannabis pro Ernte liefert. Geerntet werden kann 2 bis 4 mal pro Jahr. Das heisst, dass zur Gewinnung eines Gramms Cannabis von der Saat bis zur Ernte etwa 3 kWh zum Preis von ca. 50 Cent verbraucht werden. Der derzeitige Endkundenpreis beträgt jedoch etwa das Zehnfache davon.
Der Anbau unter Lampen hat sich in den 80er Jahren in den USA als Reaktion auf zunehmend schärferes Vorgehen gegen Anbau im Freiland und in Treibhäusern verbreitet. Unter erheblichem finanziellem Aufwand hatte die Polizei mit Hubschraubern und Flugzeugen immer mehr Anbaugebiete aus der Luft kontrolliert. Der Anbau unter Lampen machte solche Kontrollen weitgehend sinnlos. Die Gärtner wurden so ausserdem von der Witterung und sogar von der Jahreszeit unabhängig. Weltweit führend im Anbau unter Lampen sind derzeit die kanadischen Provinzen British Columbia und sogar Quebec, wo im Winter die Temperaturen im Freien auf -40°C fallen. Ein von der kanadischen Regierung lizenzierter legaler Garten zur Produktion von Cannabis für medizinische Zwecke befindet sich 350 Meter unter der Erde. Im Freien, oberhalb des ehemaligen Kupferbergwerksstollens 600 km nördlich der kanadisch-amerikanischen Grenze, beträgt die Durchschnittstemperatur im Januar -22°C.
Großeinsatz nach Drogenfund in alter Bäckerei [LVZ, 12.10.2003]
Brandenburg: 4000 Cannabispflanzen gefunden [CLN#97, 14.02.2003]
Gärtnerjagd per Hubschrauber [CLN#28, 21.09.2001]
Cannabisanbau und Recht
5. Brandenburg: Streit um Drogenbroschüren
Vom Jugendkulturfabrik Brandenburg e.V. (JuKuFa) herausgegebene Broschüren zu "Zauberpilzen" und anderen Naturdrogen (Fliegenpilz, Bilsenkraut, Tollkirsche und Engelstrompete) sowie zu Ecstasy (MDMA) haben in Brandenburg politische Wellen geschlagen.
Die DVU stellte wegen der Ecstasy-Broschüre eine kleine Anfrage im Brandenburger Landtag. Sie störte sich an folgender Passage: "Statt Steuergelder sinnlos für Razzien und Schnüffeleien in Clubs rauszuschmeißen, sollten diese Mittel besser zur Finanzierung von Aufklärungsarbeit verwendet werden." Laut einer Presseerklärung der Jungen Union verharmlose die Jukufa Rauschgiftkonsum und gebe Jugendlichen eine Anleitung zum Anbau von Biodrogen an die Hand. Sozialminister Blaaske (SPD) kritisierte Tipps zum Umgang mit der Polizei. Auch "BILD" nahm sich des Themas bereits an.
Die "Märkische Allgemeine" / "Brandenburger Stadtkurier" vom 11.03.2003 berichtete unter der Überschrift "Schmidt will Drogenflyer einziehen":
Sozialminister Baaske: Broschüre liegt an der Grenze zum juristischen EinschreitenDie JuKuFa-Broschüren weisen ausgiebig auf die Risiken der behandelten Drogen hin. So steht darin etwa zur Engelstrompete:
Engelstrompete Brugmansia arborea
Die Sozialbeigeordnete Birgit Hübner (PDS) nahm die Broschüren in Schutz. "Ich sehe da nicht viel Schlimmes."
Die Broschüren wurden erstellt und gedruckt nachdem Tibor Harrach (Bündnis 90/Die Grünen LAG Drogen Berlin; Arbeitskreis Partydrogenprojekte Berlin-Brandenburg) im Dezember 2001 einen Vortrag zu der pharmakologischen Wirkungsweise und den daraus abzuleitenden Präventionsstrategien vor dem kommunalen Arbeitskreis Drogen und Sucht in der Jugendkulturfabrik (JuKuFa) der Stadt Brandenburg (Havel) gehalten hatte. Inhaltlich orientieren sich die Broschüren stark an Vorlagen von Bündnis 90/Die Grünen.
Zauberpilze und Naturdrogen - If you do it, do it right! [JuKuFa.de]
Ecstasy und Techno [Landesarbeitsgemeinschaft DROGEN Berlin]
Jugendkulturfabrik - Homepage:
6. Prof. Böllinger: "Sucht ist ein Symptom"
Der Kriminologe und Psychotherapeut Prof. Lorenz Böllinger sprach sich in einem Interview mit der taz für eine Legalisierung von Cannabis und eine "staatliche Regulierung von Herstellung, Vertrieb und Gebrauch" anderer Drogen aus."Die größten Schäden durch Drogenkonsum gehen nicht auf die Substanzen selbst, sondern auf die Kriminalisierung und die damit einhergehenden Risiken wie unsicheren Konsum und schlechte Qualität zurück." Drogensucht sei keine Krankheit, sondern ein Symptom für persönliche Defizite und psychische Störungen. Kritisch beurteilt der Experte Drogenaufklärungsversuche der Polizei an Schulen:
"Erfahrungsgemäß steigt die Zahl der drogenerfahrenen Jugendlichen an den Schulen an, an denen die Polizei vorher Aufklärung mit dem erhobenen Zeigefinger betrieben hat. Was wir brauchen, ist eine Drogengebrauchs- und keine Drogenverbotskunde an Schulen - die wirkt kontraproduktiv. Eine Sucht wird nie durch die Substanz allein bedingt, sondern durch das Zusammenwirken vieler verschiedener Faktoren."
"Sucht ist keine Krankheit" [taz, 10.03.2003]
7. Termine zu Cannabis und Drogenpolitik:
19.03.2003 Berlin: Fachgespräch zu UN-Verträgen
Unsere Ankündigungen sowie Links finden Sie bei unseren Terminen:
Wissen Sie von Veranstaltungen? Schreiben Sie uns! Mit freundlichen Grüßen
Joe Wein
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