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CannabisLegalNews (Nummer 81, 18.10.2002)Ein wöchentlicher Service von cannabislegal.de"Steter Tropfen höhlt den Stein" Kontakt: info@cannabislegal.de INHALT
1. Koalitionsvertrag abgeschlossen
1. Koalitionsvertrag abgeschlossen
Die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen und der Koalitionsvertrag von den Spitzen von SPD und Grünen unterschrieben. Am Wochenende finden Parteitage der beiden Koalitionsparteien statt um über die Verträge abzustimmen. Mit einer Ablehnung wird nicht gerechnet.
Grosse personelle Veränderungen im Kabinett wird es nicht geben. Justizministerin Däubler-Gmelin wird durch die bisherige Staatssekretärin im Innenministerium, Brigitte Zypries, ersetzt. Verkehrsminister Bodewig gibt sein Amt an den ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe ab. Im Gesundheitsministerium - in dessen Zuständigkeit die Drogenpolitik fällt - gibt es keine personellen Veränderungen. Innenminister Otto Schily will sich in zwei Jahren aus dem Kabinett zurückziehen.
Der Koalitionsvertrag wurde am 16.10.2002 veröffentlicht. Darin heisst es zur Drogenpolitik der nächsten Legislaturperiode:
VI. Solidarische Politik und Erneuerung des Sozialstaats
In Bayern spricht man noch wie unter der ehemaligen unionsgeführten Bundesregierung vom "Drei-Säulen-Modell" aus Prävention, Therapie und Repression. Die Schweiz fügte diesem Konzept vor Jahren als "vierte Säule" die Überlebenshilfe hinzu. Darunter versteht man z.B. Substitution, Spritzentausch, Konsumräume und Originalstoffvergabe. Im obigen Text wird die Definition der vierten Säule auf den Oberbegriff Schadensminimierung erweitert, der auch Maßnahmen wie Märktetrennung oder Abbau von Strafverfolgung einschliesst.
VIII. Sicherheit, Toleranz und Demokratie
Diese Kompromissformel ist wie ein Rorschach-Test aus der Psychologie: Was man dort in Tintenklecksen zu erkennen glaubt, sagt etwas über den Betrachter aus.
Die vereinbarte Formel lässt die möglichen Ergebnisse weitgehend offen, von vier Jahren politischem Stillstand bis hin zur Umsetzung der dringendsten Reformen zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. Teile der SPD verstehen das Verhandlungsergebnis zweifellos so, dass keine Kurskorrektur erforderlich ist, schliesslich ist davon die Rede, die Politik der letzten Jahre "fortzuführen." Nur wenn verdeutlicht werden kann, welcher Handlungsbedarf sich aus den angesprochenen Gerichtsentscheidungen ergibt (insbesondere der auch in den letzten vier Jahren weitgehend ignorierten Cannabisentscheidung von 1994), kann es hier Fortschritte geben. Nicht nur bei der SPD muss dazu Akzeptanz geschaffen werden, sondern auch bei der Öffentlichkeit insgesamt.
Koalitionsvertrag 2002 [16.10.2002]
KV 2002: Solidarische Politik und Erneuerung des Sozialstaats
KV 2002: Sicherheit, Toleranz und Demokratie
Koalition will auf "präventive Drogenpolitik setzen" [CLN#80, 11.10.2002]
SPD und Grüne besiegeln Koalition [Financial Times Deutschland, 16.10.2002]
2. Oberstaatsanwalt fordert schrittweise Drogenreform
Bei der "Berliner Drogenkonferenz" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin am Montag kamen internationale Experten zu Wort. Während sich Erziehungswissenschaftlicher Manfred Kappeler für die "kulturelle Aneignung" von Drogen aussprach, protestierte Bundesdrogenbeauftragte Marion Caspers-Merk, sie habe nicht vor, sich "neben Tabak und Alkohol noch ein drittes Problem" aufzuladen. Die Realität, nämlich dass das strafrechtliche Verbot nicht geeignet war, zu verhindern, dass Cannabis heute nach den genannten Drogen die drittmeistverbreitete Droge ist und von mehr Minderjährigen unter 16 Jahren konsumiert wird als in den Niederlanden, scheint sie dabei gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Berliner 'taz' berichtet:
Die Debatte wieder auf den Boden zurückzuholen war Aufgabe des Frankfurter Oberstaatsanwaltes Harald Hans Körner. "Das Strafrecht", meinte Körner, auf dessen Unterstützung auch die ersten Fixerstuben in Deutschland zurückgehen, "kann das Problem nicht lösen." Stattdessen stellte er ein Modell vor, wie zumindest der Cannabiskonsum in Deutschland stufenweise entkriminalisiert werden könnte.
Von der Intimität der Droge [taz, 15.10.2002]
Rede von Dr. Körner in Nürnberg zur CannabisKampagne [18.04.2002]
3. Antwortschreiben der Grünen
Viele Reformbefürworter haben in den letzten Wochen an die Grünen geschrieben, um sie für die Koalitionsverhandlungen zu motivieren. Ein diese Woche verschicktes Standardschreiben, das die Ergebnisse aus grüner Sicht darstellt, haben wir jetzt online gestellt.
Antwortschreiben der Grünen [14.10.2002]
Die Grünen und Cannabis:
4. Schweiz: Suchtfachleute für Straffreiheit
Die Nationale Arbeitsgemeinschaft Suchtpolitik (NAS) hat sich bei einer Pressekonferenz in der Schweizer Bundeshauptstadt Bern für die Straffreiheit bei Drogenkonsum ausgesprochen. Sie bezogen damit vor den Debatten der Nationalratskommission (Parlamentsausschuss) zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes Stellung.
Beim Cannabis gelte es angesichts der hohen Anzahl Konsumierender und des geringen Suchtpotentials eine möglichst einfache und pragmatische Regelung des Anbaus, des Handels und des Konsums von Cannabis sicherzustellen, welche die heutige Illegalität überwinde, so die Fachleute.
Zur NAS gehören u.a. pro juventute (eine Stiftung zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Familien), der Verband Sucht- und Drogenfachleute Deutschschweiz, das Groupement Romand d´études sur l´alcoolisme et les toxicomanies (GREAT, französischsprachige Studiengruppe Alkoholismus und Drogensucht), die Aids-Hilfe Schweiz und der Schweizer Ärzteverband FMH. Bereits im Februar 2001 hat die Schweizer Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) eine Entkriminalisierung von Cannabis mit Tolerierung des Kleinsthandels gefordert.
«Es ist den Betroffenen nicht zu vermitteln, warum Gerichte in den Bundesländern unterschiedliche Urteile dazu fällen», sagte FDR-Geschäftsführer Jost Leune am Montag in Leipzig zum Auftakt des 24. Bundes-Drogen-Kongresses, bei dem rund 500 Teilnehmer bis Mittwoch über Wege in der Drogenhilfe für Jugendliche und junge Erwachsene diskutieren.
Drogenpolitische Weichenstellungen gefordert [news.ch, 15.10.2002]
Die Cannabisstudie der SFA [15.02.2001]
Fachverband Drogen- und Rauschmittel für Entkriminalisierung [CLN, 12.05.2001]
Cannabis in der Schweiz:
5. Niederlande lehnen EU-Mindeststrafen ab
Auch die derzeitige christdemokratisch geführte Mitte-Rechts-Regierung in den Niederlanden lehnt eine Einführung von Mindeststrafen beim Handel mit geringen Mengen Cannabis ab. Das machte sie am Montag, 14.10.2002, beim EU-Gipfel der Justizminister deutlich.
Im Juli konnte der damalige niederländische Justizminister Henk Korthals die Verschiebung eines Beschlusses erreichen, der den Mitgliedsländern Mindeststrafen bei Drogendelikten vorgeschrieben hätte und zwar selbst wenn es nicht um Ein- und Ausfuhr von Drogen geht sondern nur um Kleinhandel im Inland. Dieser Entwurf stand nun wieder zur Debatte und wurde erneut verschoben:
Keine Einigung erzielte der EU-Rat bei der Harmonisierung des Strafrechts bei Drogendelikten. Eine Einigung scheiterte nach Angaben aus diplomatischen Kreisen am Widerstand der Niederlande, die beim Handel mit weichen Drogen auf Straffreiheit bestehen. Im November soll ein neuer Versuch zu einer Einigung unternommen werden.
In den Niederlanden wird befürchtet, dass über die Hintertür die Tolerierung von Coffeeshops gestoppt werden soll. Selbst für den Verkauf geringer Mengen Cannabis sieht der Entwurf ein Jahr Gefängnis vor. In dem Dokument "Eckpunkte für den Aktionsplan Drogen und Sucht" des Bundesgesundheitsministeriums wird darauf wie folgt Bezug genommen:
(5) EU-Rahmenbeschluss zum Drogenhandel
Subsidiarität ist ein Prinzip des Föderalismus, das besagt, dass Angelegenheiten grundsätzlich in den Gliedstaaten geregelt werden, solange es keine besonderen Gründe für eine zentrale Regelung gibt. Dieses Prinzip würde verletzt, wenn Mindeststrafen in Bereichen vorgeschrieben würden, wo es in erster Linie um inländische Belange der Teilstaaten geht.
Im derzeit ministerlosen Justizministerium ist Staatssekretär Dr. Geiger für die Verhandlungen zuständig. Unter Bundeskanzler Kohl war er zuletzt Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Vorher arbeitete er in verschiedenen Funktionen für die bayerische Staatsregierung. Der Staatssekretär will allenfalls eine Übergangsfrist bis zu einer Einführung von EU-weiten Mindeststrafen zulassen. Nicht nur die bayerische Staatsregierung ist für die Mindeststrafen sondern auch der drogenpolitische Hardliner Schweden, während es aus Frankreich diesmal relativ ruhig ist.
Noch vor ein paar Monaten sagte Innenminister Schily in einem Interview mit "de Volkskrant": "Eine etwas restriktivere Politik in den Niederlanden würde ich natürlich begrüssen. Aber der Eindruck darf nicht entstehen, dass wir in die niederländische Souveränität eingreifen wollen. Das liegt mir fern."
Der Föderalismus ist ein wichtiges Prinzip sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der EU. Doch wenn es politisch nicht opportun ist, werden Prinzipien gerne ignoriert, genauso wie Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
EU-weit harmonisierte Strafen für Kinderpornografie [Yahoo News, 14.10.2002]
Das niederländische Coffeeshop-Modell (Übersicht)
Eckpunkte für den Aktionsplan Drogen und Sucht (BMG)
Innenminister Schily distanziert sich von Artikel über NL-Kritik [CLN#52, 08.03.2002]
Drogenpolitik in den Niederlanden:
6. Kopf an Kopf-Rennen bei Cannabisinitiative in Nevada
Eine Gesetzesinitiative, bekannt als "Question 9", will im US-Bundesstaat Nevada den Besitz von bis zu 3 Unzen (86g) Cannabis für Erwachsene ab 21 Jahren legalisieren. Die Wahllokale sind vom 19.10. bis zum 01.11. geöffnet und dann nochmals am 05.11. Was dabei herauskommen wird ist völlig offen: Laut einer Umfrage sind 46% der Wähler dagegen, genausoviele dafür und 8% noch unentschieden. Wenige Tage vor der Umfrage, am 10. und 11.10.2002, besuchte "Drogenzar" John Walters die zwei größten Städte des Bundesstaats, Las Vegas und Reno, um für eine Ablehnung des Reformentwurfs zu werben.
Eine Gruppe, die gegen die Reform auftritt, musste vorige Woche ihren Sprecher auswechseln. Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Gary Booker hatte versucht, "Nevadans for Responsible Law Enforcement" (NRLE), die Initiatoren der Gesetzesinitiative, mit der südamerikanischen Kokainmafia in Verbindung zu bringen. Zusammen mit dem Abgeordneten Joe Neal behauptete Booker, einer der größten Spender des Marijuana Policy Project (MPP, der Mutterorganisation von NRLE) habe Beziehungen zu lateinamerikanischen Drogenkartellen. Als Quelle für diese Behauptung konnte Neal jedoch nur einen Newsletter des amerikanischen Rechtsextremisten Lyndon LaRouche vorweisen. Dieser sei für ihn eine "glaubwürdige Quelle." Von 1989 bis 1994 sass LaRouche eine fünfjährige Haftstrafe wegen Betrugs ab.
"Gary Booker und Joe Neal verlassen sich auf das Wort eines Kriminellen, der sagt, Präsident George W. Bush sei wahnsinnig und der behauptet, dass Königin Elizabeth hinter dem Bombenanschlag von Oklahoma City steckt," kommentierte die Abgeordnete und NRLE-Sprecherin Chris Giunchigliani.
Nevadans for Responsible Law Enforcement
Question 9 Opponents Quote Man Who Called Bush "Insane" [NRLE, 07.10.2002]
Nevada marijuana legalization foes replace spokesman [AP, 09.10.2002]
Nevada: 44% für Cannabisreform [CLN#72, 16.08.2002]
7. Wir berichteten vorige Woche:
Koalition will auf "präventive Drogenpolitik setzen"
8. Termine zu Cannabis und Drogenpolitik:
28.02.2003-02.03.2003 Bern (CH): CannaTrade
Unsere Ankündigungen sowie Links finden Sie bei unseren Terminen:
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