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Behandlungszahlen und Cannabisverbot
1. Die Behauptungen der Verbotsbefürworter
Nachdem alte Standardargumente wie dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei inzwischen durch renommierte Studien entkräftet wurden, berufen sich Gegner einer Entkriminalisierung vermehrt auf die Zahl der Cannabiskonsumenten, die als Besucher von Drogenberatungsstellen gezählt wurden:
Bei den illegalen Drogen spielt Cannabiskonsum die Hauptrolle, über ein Viertel der Jugendlichen hat damit Erfahrungen, wobei es nur noch geringe Unterschiede in West- und Ostdeutschland gibt. Der Anteil der aktuellen Konsumenten liegt aber mit 13 % um 2 % niedriger als 1997. Bei den Erwachsenen haben rund 20% der Westdeutschen und 10 % der Ostdeutschen Cannabiserfahrung, es konsumieren aktuell etwa 6 % in den alten und 5 % in den neuen Bundesländern. Wenn auch die Gruppe der täglichen Konsumenten klein ist, wird doch zunehmend von riskanten Konsummustern und Mischkonsum in den Einrichtungen der Jugend- und Drogenhilfe berichtet. Die Zahl derjenigen, die in Beratungsstellen betreut werden, ist gestiegen und beträgt etwa 20 % der behandelten Klienten in ambulanten Drogenberatungsstellen, insgesamt.
(Seite 8)
Bei 22 % der Personen, die 1999 wegen illegaler Drogen eine Behandlung aufnahmen, war Cannabis die Hauptproblemdroge (Vorjahr: 18 %). Als Behandlungsanlass steht Cannabis damit an zweiter Stelle nach Opiaten. Im stationären Behandlungsbereich liegt der Anteil der wegen Cannabis Behandelten unter den Klienten mit illegalen Drogen bei 5 % (Vorjahr: 3 %). Der "typische" Klient mit einer cannabisbezogenen Hauptdiagnose ist relativ jung und das erste Mal in Behandlung. Er lebt in vergleichsweise stabilen Lebensverhältnissen und befindet sich noch in einer verlängerten Ausbildungsphase, die ihm einen gewissen "geschützten Raum" gewähren.
(Seite 36)
Marion Caspers-Merk
Sucht- und Drogenbericht 2000
Immer mehr Cannabiskonsumenten bedürfen offensichtlich einer
Behandlung. Waren es 1997 noch 6300 Cannabispatienten, befanden sich 1998
bereits 8700 und 1999 schließlich 11000 Konsumenten in Behandlung,
wie Hochrechnungen des renommierten Instituts für Therapieforschung
(IFT) aus ambulanten und stationären Behandlungsfällen wegen Cannabis
belegen.
Der enorme Anstieg der Cannabispatienten um 75 % in nur zwei Jahren zeigt, dass die Droge keineswegs harmlos ist und mit dem erhöhten Konsum von Cannabis auch die Problemkonsumenten erheblich zugenommen haben.
Die Gefährlichkeit von Cannabis wird übrigens vielfach unterschätzt:
Immer mehr Cannabiskonsumenten bedürfen offensichtlich einer Behandlung. Waren es 1997 noch 6300 Cannabispatienten, befanden sich 1998 bereits 8700 und 1999 schließlich 11000 Konsumenten in Behandlung, wie Hochrechnungen des renommierten Instituts für Therapieforschung (IFT) aus ambulanten und stationären Behandlungsfällen wegen Cannabis belegen.
2. Die Fakten
Therapie und Strafverfolgung - ein krasses Missverhältnis
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Jahr |
1998 |
1999 |
2000 |
stationäre Therapie Hauptdiagnose Cannabinoide |
117 |
139 |
103 |
ambulante Behandlung Hauptdiagnose Cannabinoide |
2.623 |
2.633 |
3.632 |
Strafanzeigen Cannabis Allgemeine Verstösse |
79.495 |
85.668 |
94.633 |
Strafanzeigen Cannabis Gesamt |
109.863 |
118.793 |
131.662 |
Quellen: BKA (Rauschgiftjahresbericht 1999, Polizeiliche Kriminalstatistik 2000), Institut für Therapieforschung
Laut EBIS-Datenbank des Instituts für Therapieforschung in München waren im Jahre 1999 (siehe Tabelle) Probleme im Zusammenhang mit Cannabis in weniger als 5,7% der ambulanten Drogenbehandlungsfälle Hauptanlass zur Behandlungsaufnahme. Das war weniger als ein Zehntel der Zahl der Fälle, wo wegen Alkoholproblemen eine Behandlung aufgenommen wurde. Alkohol ist mit weitem Abstand die Hauptproblemdroge. Heroin und andere Opioide kommen an zweiter Stelle, mit 13,7%.
Wegen Alkoholproblemen werden rund doppelt soviele Behandlungen aufgenommen als wegen Problemen mit allen illegalen Drogen und Medikamentenmissbrauch zusammengenommen.
3. Unsere Stellungsnahme
Genau wie die Befürworter der Fortsetzung des strafrechtlichen Verbots wollen auch wir Reformer Schäden vermeiden oder minimieren. Wir denken aber, dass die Bestrafung von Menschen nicht der geeignete Weg dafür ist, aus folgenden Gründen:
- Diese Zahlen zeigen in erster Linie, dass das Cannabisverbot nicht geeignet
war, die Entstehung von Problemen zu verhindern, weil es weder
durchsetzbar ist noch eine konsumminimierende Wirkung hat. Offizielle Studien zeigen schliesslich, dass
häufiger Cannabiskonsum in Westdeutschland nicht seltener ist
als in den Niederlanden, wo Cannabis de facto legalisiert ist.
Wie soll das Verbot die Schäden minimieren können wenn
es nicht einmal den Konsum minimiert?
-
Nur in einem Bruchteil der von der CDU/CSU genannten 6300 bzw. 11000 Fälle waren
Probleme mit Cannabis Hauptgrund des Besuchs bei Beratungsstellen.
Tatsächlich handelt es sich bei den genannten Zahlen überwiegend um behandelte Alkoholiker oder Heroinabhängige, die zusätzlich Cannabis konsumieren.
Diese Menschen haben ein ernsthaftes Drogenproblem, mit oder ohne Cannabis.
Aufschlussreicher ist die Zahl der Personen, bei denen Probleme mit Cannabis die Hauptdiagnose darstellten, wie sie der Drogen- und Suchtbericht 1999 des
Bundesgesundheitsministeriums und eine Auskunft des Instituts für Therapieforschung nennen. Danach war 1998 in 2623
Fällen Cannabis Hauptanlass für ambulante Behandlungen, sowie in
117 Fällen einer stationären Behandlung. Der Bericht beziffert die
aktuellen Konsumenten auf ca. 2,4 Millionen. Das bedeutet, dass
jährlich etwa einer von 900 Cannabiskonsumenten (1,1 von Tausend)
hauptsächlich wegen Cannabis eine Beratungsstelle aufgesucht hat.
-
Vergleicht man mit der legalen Droge Alkohol, dann sehen dort die
Zahlen leider schlimmer aus: 98'000 jährliche Besucher bei
Drogenberatungsstellen wegen Alkoholproblemen gegenüber etwa 50
Millionen erwachsenen Alkohokonsumenten ergeben eine Problemrate
von etwa einem von 500 Konsumenten (2,0 von Tausend), deutlich
höher als bei Cannabis, ohne dass deswegen ein Alkoholverbot gefordert würde.
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Es wird behauptet, eine Entkriminalisierung von Cannabis würde das Problem verschlimmern. Interessanterweise sind aber die Behandlungsraten
wegen Cannabis in den Niederlanden kaum anders als in Deutschland.
Laut der Studie von
Peter Cohen, "Cannabiskonsumenten in Amsterdam" (CEDRO, Zentrum
für Drogenuntersuchungen der Universität Amsterdam, 1995) wurden
dort 1994 insgesamt 54 Personen wegen Cannabis behandelt. Die
Gesamtzahl der aktuellen Cannabiskonsumenten in Amsterdam (12
Monateprävalenz) wurde in der Studie auf etwa 60'000 geschätzt.
Das entspricht ca. 1100 Konsumenten pro Suchtberatungsbesuch pro
Jahr (0,9 von Tausend). Eine Förderung problematischer
Konsummuster durch die Straffreiheit oder die Coffeeshops lässt
sich durch diese Zahlen zumindest nicht belegen.
jährliche Drogenberatungsbesucher
pro 1000 aktuelle Konsumenten:
Cannabis: 0,9 (NL)
Cannabis: 1,1 (DE)
Alkohol: 2,0 (DE)
Nach diesen Zahlen ist bei Alkohol das Risiko, damit Probleme zu
bekommen, etwa doppelt so hoch als bei Cannabis, und zwar
unabhängig von der Strafandrohung gegen Konsumenten. Bei
stationären Behandlungen ist der Abstand zu Cannabis im übrigen
noch erheblich deutlicher:
stationär Behandelte
pro 1000 aktuelle Konsumenten pro Jahr:
Cannabis: 0,049
Alkohol: 0,620
-
Vergleicht man die Therapiehäufigkeit mit der
Häufigkeit von Strafverfolgung gegen Konsumenten, dann ist
Kriminalisierung in der Praxis ein wesentlich häufigeres Problem
als problematischer Konsum:
jährliche Anzeigen wegen Cannabisdelikten
pro 1000 aktuelle Cannabiskonsumenten:
Konsumdelikte: 35,7
Handel und Schmuggel: 12,4
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Summe: 48,1
Juristische Probleme sind damit für Cannabiskonsumenten eine 30
bis 40mal häufigere Konsequenz des Konsums als ein Besuch bei
einer Drogenberatung. Die Anzahl der Menschen die mit Cannabis
so ernste Probleme haben, dass sie eine Beratungsstelle aufsuchen
müsste sich also vervierzigfachen um auch nur die Zahl zu
erreichen die derzeit durch die Strafverfolgung in ernsthafte
Schwierigkeiten gebracht werden.
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In vielen Fällen sind es gerade der zunehmende Anzeigen, die
zusätzliche Drogenberatungsbesuche provozieren, mit denen dann
in einem Zirkelschluss eine Ablehnung der Entkriminalisierung
begründet wird:
Henning Klöppelt, Leiter der Suchtberatungsstelle unter
dem Dach der Sozialpädagogischen Einrichtung (SPE) Mühle, Hilden (NRW):
Deutlich zugenommen hat im vergangenen Jahr auch die Beratung
konsumierender Jugendlicher.
Das, so Klöppelt, liege daran, das die Gerichte mehr junge
Klienten in die Beratung schickten. "Die Eigenbedarfs-Regelung, nach der
Haschisch-Besitz in geringen Mengen nicht geahndet wird, gilt bei
Jugendlichen nicht. Jeder, auch der, der zum ersten Mal erwischt wird,
kriegt eine Auflage."
Ein Artikel im Main-Echo vom 22.4.2002 bezog sich in einem Bericht über die Sucht- und Drogenberatung der Caritas in Marktheidenfeld auf Hubert Auth, den verantwortlichen Leiter der Beratungsstelle in Lohr:
Während bei harten Drogen, wie Heroin und Kokain, eher die Abhängigen selber kämen, seien es bei den »weichen Drogen« eher die Eltern oder die Arbeitgeber der Konsumenten. Mancher Konsument »weicher Drogen« wende sich persönlich an die Beratungsstelle, da er die Fahrerlaubnis entzogen bekommen habe.
Eine Vertreterin einer Drogenberatung kritisierte bei der akzept-Veranstaltung in Nürnberg die Argumentation der Bundesdrogenbeauftragten wie folgt:
"Die Zahlen sind totaler Quatsch", meldet sich eine Mitarbeiterin der Drogenhilfe aus dem Publikum zu Wort. "Die Jugendlichen kommen nicht, weil sie Probleme mit dem Konsum haben, sondern mit der Justiz und den Eltern!"
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Andreas Gantner vom Therapieladen e.V. Berlin, der sich speziell mit Personen mit Cannabisproblemen befasst hat:
"Nimmt man diese [von Frau Caspers-Merk genannte] Zahl als Grundlage, hat es in den vergangenen Jahren einen Anstieg cannabisbezogener Probleme in der ambulanten Drogenhilfe gegeben. Ob dies mit einer tatsächlichen Zunahme von Problemen bei CannabiskonsumentInnen oder mit verbesserten Dokumentationssystemen der Einrichtungen oder mit zunehmender Freude der Berater am Diagnostizieren von ICD 10 Suchtdiagnosenzu tun hat, lässt sich schwer ausmachen."
Das Fazit: Die staatliche Strafverfolgung löst Probleme
nicht sondern vergrössert nur die Summe der Probleme. Das ist keine vernünftige Präventionspolitik. Der Deutsche Bundestag muss das Gesetz an die Realität anpassen.
Wir haben aufgrund der Argumentation der CDU/CSU mit der Zahl "Cannabispatienten" an das Institut für Therapieforschung geschrieben und dazu folgende Angaben erhalten:
Hier nun die Zahlen von 1999:
Im ambulanten Bereich verzeichneten die EBIS-Einrichtungen 2.633 mal die
Hauptdiagnose Cannabinoide. Die Einzeldiagnose Cannabis (schädlicher
Gebrauch oder Abhängigkeit) wurde in 16.854 Fällen vergeben. "Hauptdiagnose"
meint dabei die im Vordergrund der Behandlung/Beratung stehende Substanz
(wiederum schädlicher Gebrauch oder Abhängigkeit).
Im stationären Bereich traten der schädliche Gebrauch oder die Abhängigkeit
von Cannabinoiden insgesamt 3.440 mal auf (Einzeldiagnosen). In 139 Fälle
war der schädliche Gebrauch oder die Abhängigkeit von Cannabis die
Hauptdiagnose.
2000 finden sich folgende Zahlen:
Ambulant: Hauptdiagnose Cannabinoide: 3.632
Einzeldiagnose Cannabinoide: 12.648
Stationär: Hauptdiagnose Cannabinoide: 103
Einzeldiagnose Cannabinoide: 1.861
Laut diesen Zahlen kamen also im Jahr 2000 auf jeweils 30.000 Personen die in diesem Jahr Cannabis konsumierten jeweils ein wegen Hauptdiagnose Cannabis stationär Behandelter. Bei Alkohol wurde laut Zahlen aus dem Jahr 1998 etwa ein Konsument unter 1500 stationär therapiert, d.h. die Problemrate bezogen auf die Konsumentenzahl lag etwa 20 mal höher als bei Cannabis.
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