Cannabislegalisierung in Deutschland!
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Briefwechsel: Hubert Hüppe, CDU

1) Brief an Hubert Hüppe, drogenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
To: Hubert Hüppe <hubert.hueppe@bundestag.de>
Sent: Montag, 20. November 2000 11:45
Subject: Christlich-demokratische Drogenpolitik

Sehr geehrter Herr Hüppe,

ich habe nach den angeblichen Kokainfunden im Bundestag erstmals ein Interview mit Ihnen gelesen und fand Ihre Bemerkungen dazu sehr sachlich und einfühlsam. Als Vater von zwei Kindern schreibe ich Ihnen zu einem Anliegen das uns beiden am Herzen liegt.

Die Ereignisse der letzten Monate haben die Diskussion über Drogen in Deutschland neu entfacht. Ich bin mir sicher, dass sie sich noch weiter intensivieren wird wenn erst unsere Schweizer Nachbarn, wie für Februar geplant, eine Gesetzesvorlage zur Strafbefreiung des Konsums von Cannabis und aller Vorbereitungshandlungen dazu (Besitz, Erwerb, Eigenanbau) dem Schweizer Parlament vorlegen werden.

Wie Sie sicher wissen hat eine Eidgenössische Expertenkommission die Lage in einem Untersuchungsbericht dokumentiert und ihre Empfehlungen allen politischen Parteien des Landes zur Stellungsnahme vorgelegt. Die Expertenkommission und die Parteien der Schweizer Regierungskoalition, von den Sozialdemokraten bis zur Christlichdemokratischen Volkspartei, sprachen sich dabei für eine Strafbefreiung von Cannabis aus. Sie fanden, eine Kriminalisierung von Hunderttausenden von Schweizer Bürgern wäre nicht mehr zu rechtfertigen, insbesondere auch weil nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand die Gefährlichkeit von Cannabis nicht höher als bei den legalen Suchtmitteln Alkohol und Nikotin einzuschätzen sei.

Die Legalisierung wird es der Schweiz ermöglichen, die Einkünfte aus dem Cannabisverkauf (mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr) in Zukunft zu besteuern, kriminelle Organisationen aus dem Markt zu verdrängen, beim Verkauf Alterskontrollen durchzusetzen und vor allem dem Staat wieder die dringend benötigte Glaubwürdigkeit zu sichern, die ihm bislang Hunderttausende aufgrund des unverhältnismässigen Cannabisverbots absprachen. Sie wissen dass ohne diese Glaubwürdigkeit eine erfolgreiche Drogenprävention nicht möglich ist.

Die Schweizer Cannabislegalisierung ist keine Harmlosigkeitserklärung für Cannabis, sondern nur die Wahl eines wirksameren und weniger schädlichen Mittels der Prävention. Auch Ihre Kollegen von der Schweizer CVP unterstützen diese Reform.

Dass auch in Deutschland das Betäubungsmittelgesetz nicht in der Lage ist, den Konsum illegaler Drogen, insbesondere von Cannabis, wirksam zu verhindern, beobachten wir nun schon seit Jahrzehnten. Die Strafverfolgung von Cannabisdelikten ist mehr Werturteil als gesundheitspolitische Massnahme und sie belastet die Gesellschaft mit hohen Kosten, wie die Verdoppelung der Cannabisdelikte allein in den letzten 6 Jahren zeigt. Wer hätte sich bei der Neufassung des BtMG vor drei Jahrzehnten träumen lassen dass heute 118.793 mal pro Jahr wegen Cannabis ein Ermittlungserfahren eröffnet würde, 325 mal pro Tag, tagaus, tagein? Dabei hätten unsere Polizei und Justiz, weiss Gott, wichtigeres zu tun.

Ich hoffe, die CDU/CSU bleibt lernfähig und beobachtet die Entwicklungen in der Schweiz sehr genau. Was wir brauchen sind pragmatische, ideologiefreie Lösungen. Ich denke, unsere Jugend verdient etwas besseres als eine Politik die an der Realität vorbeigeht indem sie Menschen kriminalisiert von denen einerseits die Mehrzahl keine Probleme durch ihren Konsum hätte und andererseits eine Minderheit eher Hilfsangebote als Strafe braucht.

Mit freundlichen Grüssen

Joe Wein

[Anschrift]
 
 
 


Knapp zwei Wochen später:

2) E-Mail von Herrn Hubert Hüppe, MdB

Sehr geehrter Herr Wein,

für Ihre Mail vom 22. November, in der Sie nach der Legalisierung von Cannabis fragen, bedanke ich mich.

Sie vergleichen die Gefährlichkeit von Cannabis mit der von den legalen Drogen Alkohol und Nikotin.

Die Gefahren von Cannabis liegen weniger in den physischen als in den psychischen Folgen. So spricht die Drogenbeauftragte der Bundesregierung in ihrem Suchtbericht 1999 von einer Zunahme der Zahl der Personen in den Beratungs- und Behandlungsstellen, bei denen Cannabis primärer Behandlungsanlass war.

Bei einer Legalisierung von Cannabis wäre eine enorme Zunahme des Drogenkonsums, insbesondere bei Jugendlichen und Kindern, zu erwarten. Nach einer Freigabe würde der Probierkonsum ansteigen, und zusätzlich würde sich der Konsum bei vielen, die jetzt schon Cannabis nehmen, wesentlich verstärken. Auch der Gruppendruck, der schon beim Alkohol, wie Sie sicher wissen, ein großes Problem darstellt, würde beim Rundgeben der Joints weiter steigen. Diesem Druck können sich gerade die am wenigsten entziehen, die die schwächste Persönlichkeit haben und damit ohnehin psychisch am stärksten gefährdet sind.

Bei Alkohol und Nikotin haben Legalität und leichte Zugänglichkeit zu gesellschaftlicher Etablierung, zu hohem Konsum und teilweise hochproblematischen Konsummustern geführt haben. Daher sollte man nicht eine weitere Droge legalisieren wollen, sondern überlegen, wie man den Konsum der legalen Suchtstoffe einschränken kann.

Eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums vom Dezember 1998 beziffert die Zahl der regelmäßigen Cannabis-Konsumenten mit bundesweit etwa 240.000 in Deutschland.

Die Niederlande mit ihrer bekanntlich sehr liberalen Haschischpolitik haben dagegen nach einer im Januar 1999 vorgestellten Studie des niederländischen Gesundheitsministeriums 323.000 regelmäßige Haschischkonsumenten. Bezogen auf die Bevölkerungszahlen gibt es in den Niederlanden damit über siebenmal soviel regelmäßige Haschischkonsumenten wie in Deutschland.

Wie sich die Konsumentenzahlen in der Schweiz entwickeln werden, wird ebenfalls genau zu beobachten sein.

Mit freundlichen Grüßen

Hubert Hüppe MdB
 
 
 


3) 2. Brief an Hubert Hüppe, drogenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
To: Hubert Hüppe <hubert.hueppe@bundestag.de>
Sent: Montag, 11. Dezember 2000 10:47
Subject: Re: Christlich-demokratische Drogenpolitik

Sehr geehrter Herr Hüppe,

vielen herzlichen Dank für Ihre Mail vom 7. Dezember. Ich bin davon überzeugt dass ein offener Dialog, in dem auf alle Gesichtspunkte eingegangen wird, der beste Weg ist einen neuen Konsens zur Drogenpolitik in Deutschland zu erreichen. Ich möchte vor allem auf zwei Punkte aus Ihrer Antwort eingehen.

1. Cannabis und Drogenberatungen

Sie verweisen auf die Zunahme der Cannabisfälle bei Drogenberatungsstellen. Nur wenn das Cannabisverbot problematischen Konsum verhindern könnte, wären eventuell Problemfälle als Argument gegen Cannabistolerierung verwendbar. Nach den Studien auf die Sie mich verwiesen haben ist aber scheinbar eher das Gegenteil der Fall, (Siehe Punkt 2.)

Es gibt sicher auch viele besorgte Eltern die mit ihrem Nachwuchs zu Drogenberatungen gehen wenn sie erfahren dass ihre Kinder Erfahrungen mit Cannabis gemacht haben. Deshalb kann man aus diesen Zahlen nicht direkt auf Problemkonsum schliessen, der eher Hilfe als Strafe bedarf.

Selbst wenn man aber diesen Faktor ignoriert kommen laut den Zahlen aus dem von Ihnen erwähnten Drogen- und Suchtbericht 1999 auf jeden Besucher bei Drogenberatungen wegen Cannabis pro Jahr 900 Konsumenten die keine Hilfe anfordern (2623 ambulante Besuche bei 2,4 Millionen Konsumenten, 12-Monate Prävalenz).

Laut dem selben Bericht ist die Rate von ambulanten Behandlungen bei Alkohol fast doppelt so hoch (etwa 1 zu 500, bei 98.000 ambulanten Behandlungen auf etwa 50 Million Konsumenten, 12-Monate Prävalenz). Bei stationären Behandlungen ist der Anteil Behandelter relativ zur jährlichen Konsumentenzahl bei Alkohol sogar rund 12 mal höher als bei Cannabis. Warum ist eine weniger riskante Droge verboten aber die alternativ dazu konsumierte Droge Alkohol legal?

Der Durchschnittsdeutsche trank 1996 11,5 Liter reinen Alkohol pro Kopf, der Durchschnittssniederländer nur 7,9 Liter. Das liegt unter anderen auch daran dass, wenn "Droge" und "verboten" nicht gleichbedeutend sind, auch über die Risiken von Alkohol besser aufgeklärt werden kann.

Herr Hüppe, angesichts dieser Zahlen frage ich mich wie eine Drogenpolitik eigentlich noch glaubwürdig sein kann, die einerseits Cannabis verbietet aber andererseits eine mehrfach riskantere Droge erlaubt und vielfach verharmlost. Das ist nicht nur für unsere Jugend schwer nachzuvollziehen. Die zunehmenden Ermittlungszahlen zeigen dass das Verbot deshalb immer weniger durchsetzbar wird. Mit diesem Widerspruch untergraben wir auf Dauer doch nur die Glaubwürdigkeit des Staates in der Drogenaufklärung! Das Cannabisverbot behindert die Suchtprävention. Hier geht es in erster Linie um eine gesundheitspolitisches und kein strafrechtliches Problem, weshalb eine Entkriminalisierung unumgänglich ist.
 

2. Der Vergleich Deutschland-Niederlande

Ich bin sehr erfreut, dass Sie sich bei Ihrer Argumentation auf öffentliche Berichte und Studien beziehen. Wir sollten alle bereit sein, uns die Fakten anzusehen. Davon ausgehend sollten wir dann, ganz ohne ideologische Scheuklappen, die Politik wählen die die besseren Ergebnisse vorweisen kann. Ihre zitierten Vergleichszahlen basieren auf einem Irrtum und beweisen das Gegenteil dessen was Sie damit zu belegen versuchen.

Sie haben für Ihre Argumentation Zahlen aus zwei Studien zitiert:

a) eine Studie für das niederländische Gesundheitsministeriums vom Januar 1999 (siehe http://www.cedro-uva.org/stats/national.97.html) die die Prävalenzzahlen für den Cannabiskonsum für 1997 untersuchte.

b) Die vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene Repräsentativerhebung zum Gebrauch psychoaktiver Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland vom Dezember 1998 (siehe http://www.sucht.de/fakten/konsumtrends.html).

Laut diesen beiden Studien ist die einzige Prävalenzzahl zu Cannabis, bei der die Niederlande die alten Bundesländer übertreffen der Wert beim Lebenszzeitkonsum:

NL: 15,6 %   DE: 13,4 % (West)
Diese Daten zeigen dass mehr Niederländer als Deutsche in der Vergangenheit Cannabis konsumiert haben, aber wieder damit aufgehört haben, wie man aus dem Gleichstand beim aktuellen gelegentlichen Konsum (12-monatige Prävalenz) sieht:
NL:  4,5 %   DE:  4,5 % (West)
Beim interessantesten Wert, dem "regelmässigen Cannabiskonsum" (30-Tage Prävalenz), den Sie als vermeintlichen Beleg für den relativen Erfolg der deutschen Verbotspolitik angeführt haben, liegt der deutsche Konsumentenanteil nicht um ein Mehrfaches niedriger, wie sie schrieben, sondern signifikant höher als in den toleranteren Niederlanden:
NL:  2,5 %   DE: 2,8 % (Gesamt) / 3,0 % (West)
Die von Ihnen zitierten 323.000 regelmässigen Konsumenten sind laut dem Originaltext der Studie (als PDF: http://www.cedro-uva.org/lib/abraham.npo97.html) jene 2,5 Prozent der Niederländer, die mindestens einmal im letzten Monat Cannabis konsumiert haben.

Die "regelmässigen Konsumenten" (mindestens einmaliger Konsum in den letzten 30 Tagen), die den 323.000 Personen in den Niederlanden entsprechen, zählen in Deutschland laut der Studie 1,35 Millionen, davon 1,2 Millionen im Westen und 150.000 im Osten. Die zitierten 240,000 Konsumenten sind darunter nur jene Minderheit von etwa 18%, die nicht nur mindestens einmal sondern an mindestens 20 der letzten 30 Tage Cannabis konsumiert haben. Die deutsche Studie spricht hier nicht von "regelmässigen Konsumenten" sondern von "Häufigkonsumenten".

Vergleicht man nach identischen Kriterien (mindestens einmaliger Konsum in den letzten 30 Tagen) dann liegt der prozentuale Anteil der regelmässigen Konsumenten an der Bevölkerung in Deutschland nicht niedriger sondern sogar deutlich höher als in den Niederlanden. Das gilt sogar dann, wenn man die Niederlande mit Gesamtdeutschland vergleicht, wobei die Zahlen durch die Nachwirkungen von vier Jahrzehnten Eiserner Vorhang nicht so vergleichbar sind wie bei rein westdeutschen Werten.
 

Herr Hüppe, ich würde es sehr begrüssen wenn die CDU/CSU endlich ihre drogenpolitischen Aussagen an neuere Daten und Erkenntnisse anpasst. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor 6 Jahren den Gesetzgeber aufgefordert, neuere Erkenntnisse sowie Erfahrungen aus dem Ausland bei der künftigen Cannabispolitik zu berücksichtigen. Die beiden von Ihnen erwähnten Studien lassen darauf schliessen dass unsere kostspielige Verbotspolitik (fast 119.000 Ermittlungsverfahren wegen Cannabis allein 1999) weniger erfolgreich ist als die pragmatische niederländische Politik, die gleichzeitig eine Märktetrennung und eine glaubwürdigere Aufklärung ermöglicht. Eine Reform ist deshalb nur eine Frage der Vernunft.

Nicht nur die Niederlande haben seit 24 Jahren gute Erfahrungen mit Toleranz und Aufklärung gemacht, auch die Schweiz und Belgien wollen nun eine drogenpolitische Kurswende einleiten. Ihre Kollegen von der CVP der Schweiz sind zu diesem Schluss gekommen weil die alte Politik nicht länger tragbar ist. Die CDU und Deutschland könnten durch eine glaubwürdigere Drogenpolitik, die ihre Ziele besser erreicht, nur gewinnen. Ich würde mich über eine Fortsetzung dieses Dialogs mit Ihnen deshalb freuen.

Mit freundlichen Grüssen

Joe Wein

[Anschrift]
 
 
 


Am 14.03.2001, etwa 3 Monate später:

4) E-Mail von Herrn Hubert Hüppe, MdB

Sehr geehrter Herr Wein,

aufgrund der hohen Auslastung meines Büros bitte ich Sie um Verständnis, dass ich jetzt erst auf Ihr Schreiben vom 11. Dezember zurückkomme.

Ich darf Sie nochmals darauf hinweisen, dass die Zugänglichkeit von Alkohol zu hohem und vielfach mißbräuchlichem Konsum geführt hat.

Bei Ihrer Rechnung berücksichtigen Sie nicht, dass die Cannabiskonsumenten nicht jeden Tag konsumieren, während die Intensität des Alkoholkonsums aufgrund seiner gesellschaftlichen Akzeptanz wesentlich höher ist.

Daher wäre es ein naheliegenderer Ansatz, den Alkoholkonsum weiter einzuschränken.

Seit langem setze ich mich für konsequenteren Jugendschutz und dafür ein, dass auf Alkoholprodukten Etikette angebracht werden, die vor einer Schädigung Ungeborener warnen. Wie die Löser-Studie deutlich macht, kommen über 2000 Kinder im Jahr durch Alkohol geschädigt zur Welt. Hier wären Warnhinweise wirklich sinnvoll, da viele Schwangere laut der Studie gar nicht wissen, welche Schäden mit dem Alkoholkonsum während der Schwangerschaft verbunden sind.

Nachdem ich die Zahlen überprüft habe, ist es in der Tat so , dass mein früher für Drogenpolitik zuständiger Mitarbeiter die "regelmäßigen" Cannabiskonsumenten mit den "häufigen" Konsumenten verwechselt hat, was natürlich, und darauf weisen Sie zu Recht hin, nicht zulässig ist.

Einig sind wir uns sicher darin, dass bei solchen Zahlen ohnehin Zurückhaltung geboten ist, unter anderem sind gewiss noch sozio-kulturelle Gegebenheiten in Rechnung zu stellen. Allerdings muß man sagen, dass der Cannabiskonsum auch in Deutschland erheblich zugenommen hat. Fraglich ist aber, ob dies nicht auch auf Legalisierungskampagnen, Verharmlosung und Verherrlichung der Droge zurückzuführen ist. Ebenso kennen Sie sicher die Interpretationen der deutschen Rechtsprechung, die den Eindruck erweckt haben, im Grunde sei der Besitz kleiner Mengen legal. Dies hat dazu geführt, dass ein Unrechtsbewußtsein beim Cannabiskonsum bei Jugendlichen meistens nicht mehr vorliegt.

Ich darf darauf hinweisen, dass das Betäubungsmittelgesetz auch in den letzten Jahren der CDU-geführten Regierung eher entschärft als verschärft wurde und in den einzelnen Bundesländern auch durch entsprechende Erlasse weiter aufgeweicht wurde. Von daher stellt sich die Frage, warum ausgerechnet der Konsum dann zunimmt, wenn die Strafverfolgung eher zurückgefahren als verschärft wurde.

Gerade hier ist auch bedenkenswert, dass die Behandlungszahlen der Cannabiskonsumenten in den letzten Jahren ebenfalls angestiegen sind. Waren es 1997 noch 6300, sind es mittlerweile 11000 .

Mit freundlichen Grüßen

Hubert Hüppe MdB
 
 
 


5) 3. Brief an Hubert Hüppe, drogenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
To: Hubert Hüppe <hubert.hueppe@bundestag.de>
Sent: Freitag, 23. März 2001
Subject: Re: Drogenpolitik

Sehr geehrter Herr Hüppe,

vielen Dank für ihre ausführliche Antwort auf meine Email vom Dezember. Ich freue mich, dass Sie unseren Dialog fortsetzen und sich dabei weiterhin auf empirische Daten berufen. Der Massstab für den Erfolg einer jeden Drogenpolitik ist schliesslich die Summe ihrer Ergebnisse.

Ich begrüsse es, dass Sie mehr Aufmerksamkeit auf Schäden durch die zwei gängigsten Drogen lenken wollen. Die grosse Zahl der Probleme bei Alkohol und Nikotin zeigt, dass sich Drogenprobleme nicht allein auf illegale Substanzen reduzieren lassen. Bei Alkohol und Nikotin akzeptieren wir, dass das Strafrecht keine realistische Antwort auf Probleme ist und setzen auf Aufklärung. Warum nicht auch bei bei der weniger riskanten Droge Cannabis?

Sie schreiben von Entschärfungen der gesetzlichen Lage. Dabei wurde doch noch 1998 das Führerscheinrecht erheblich verschärft. Inzwischen interessiert nicht mehr, ob Spuren von THC (oder Abbauprodukten davon) überhaupt geeignet sind, die Fahrfähigkeit zu beeinflussen. Würde das auch bei Alkohol so gehandhabt, dann könnte einem für den natürlichen Alkoholanteil eines Glases Apfelsaft der Führerschein entzogen werden. Wir brauchen einen Grenzwert für THC-Spuren im Blut der sich nicht einfach an der Nachweisbarkeit sondern an den tatsächlichen Auswirkungen auf die Fahrfähigkeit orientiert, wie von verschiedenen Experten gefordert.

Die vorige Regierung hat ausserdem im Februar 1998 das erste Hanfsamenverbot der deutschen Geschichte erlassen. Beim Versuch, den Eigenanbau von Cannabis zu erschweren, wurde nicht berücksichtigt, dass das nur die Nachfrage nach Schmuggelware auf dem Schwarzmarkt ankurbelt. Dort werden teilweise auch härtere Drogen angeboten und Kriminelle machen Geschäfte damit.

Herr Hüppe, um die angemessenste Drogenpolitik zu wählen ist es nützlich, deren praktische Auswirkungen zu erfassen. Wertvolle Hinweise lieferte eine am 15.02.2001 veröffentlichte landesweite Repräsentativerhebung der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA):

"Kantone: Repression ohne Einfluss auf Erfahrungsrate
 
Verglichen mit der Deutschschweiz schlagen die französischsprachigen Kantone bei Cannabis eine klar härtere Gangart an (wesentlich mehr polizeiliche Verzeigungen von Konsumierenden). Diese höhere Repressivität in der Romandie schlägt sich jedoch insgesamt nicht in einer tieferen Rate an Cannabiserfahrenen nieder. Im Gegenteil: Die Anteile der 15- bis 74-jährigen Männer mit mindestens einmaligem Cannabiskonsum liegen in der Romandie tendenziell gar am höchsten (39% gegenüber 32% in der Deutschschweiz und 28% im Tessin), bei den Frauen sind sie etwa gleich (23% gegenüber 24% in der Deutschschweiz und 15% im Tessin). Dass gerade in der Westschweiz die Cannabiserfahrenen deutlich häufiger über psychische, physische oder soziale Probleme im Zusammenhang mit ihrem Konsum berichten (22%) als in der Deutschschweiz oder auch im Tessin (je 10%), scheint jedoch angesichts der höheren Repressivität in dieser Sprachregion kein Zufall zu sein."
Es ist angesichts dieser Ergebnisse nicht verwunderlich, dass auch die SFA eine Entkriminalisierung von Cannabis befürwortet.

Sie verweisen in Ihrem Brief auf 6'300 Cannabiskonsumenten, die 1997 Beratungsstellen in Deutschland aufgesucht haben und nennen eine aktuelle Zahl von 11'000 Behandelten. Diese Zahlen zeigen jedoch in erster Linie, dass das Cannabisverbot nicht geeignet war, die Entstehung von Problemen zu verhindern, weil es nicht durchsetzbar ist. Die beiden Studien auf die Sie mich im Dezember verwiesen haben, zeigen schliesslich, dass häufiger Cannabiskonsum in Westdeutschland nicht seltener ist als in den Niederlanden, wo Cannabis de facto legalisiert ist. Als Argument gegen eine Cannabisentkriminalisierung sind diese Zahlen deshalb kaum tauglich.

Im Übrigen sind nur in einem Bruchteil der genannten Fälle Probleme mit Cannabis Hauptgrund des Besuchs bei Beratungsstellen. In Ihren Zahlen sind behandelte Heroinabhängige oder Alkoholiker, die nebenbei auch Cannabis erwähnen, mitgezählt, ob sie ein Problem mit Cannabis haben oder nicht. Aufschlussreicher sind dagegen nach der Hauptdiagnose aufgeschlüsselte Zahlen, wie sie der aktuelle Drogen- und Suchtbericht 1999 des Bundesgesundheitsministeriums nennt. Danach war 1999 in 2623 Fällen Cannabis Hauptanlass für ambulante Behandlungen, sowie in 117 Fällen einer stationären Behandlung. Der Bericht beziffert die aktuellen Konsumenten auf ca. 2,4 Millionen. Das bedeutet, dass jährlich etwa einer von 900 Cannabiskonsumenten (1,1 von Tausend) hauptsächlich wegen Cannabis eine Beratungsstelle aufgesucht hat.

Vergleicht man mit der legalen Droge Alkohol, dann sehen dort die Zahlen leider schlimmer aus: 98'000 jährliche Besucher bei Drogenberatungsstellen wegen Alkoholproblemen gegenüber etwa 50 Millionen erwachsenen Alkohokonsumenten ergeben eine Problemrate von etwa einem von 500 Konsumenten (2,0 von Tausend), deutlich höher als bei Cannabis.

Interessanterweise sind die Behandlungsraten wegen Cannabis in den Niederlanden kaum anders als in Deutschland. Laut der Studie von Peter Cohen, "Cannabiskonsumenten in Amsterdam" (CEDRO, Zentrum für Drogenuntersuchungen der Universität Amsterdam, 1995) wurden dort 1994 insgesamt 54 Personen wegen Cannabis behandelt. Die Gesamtzahl der aktuellen Cannabiskonsumenten in Amsterdam (12 Monateprävalenz) wurde in der Studie auf etwa 60'000 geschätzt. Das entspricht ca. 1100 Konsumenten pro Suchtberatungsbesuch pro Jahr (0,9 von Tausend). Eine Förderung problematischer Konsummuster durch die Straffreiheit oder die Coffeeshops lässt sich durch diese Zahlen zumindest nicht belegen.

jährliche Drogenberatungsbesucher 
pro 1000 aktuelle Konsumenten: 

Alkohol: 2,0 (DE)
Cannabis: 1,1 (DE)
Cannabis: 0,9 (NL) 

Nach diesen Zahlen ist bei Alkohol das Risiko, damit Probleme zu bekommen, etwa doppelt so hoch als bei Cannabis, und zwar unabhängig von der Strafandrohung gegen Konsumenten. Bei stationären Behandlungen ist der Abstand zu Cannabis im übrigen noch erheblich deutlicher (stationär Behandelte pro 1000 aktuelle Konsumenten pro Jahr: Alkohol 0,620, Cannabis 0,049).

Vergleicht man andererseits die Therapiehäufigkeit mit der Häufigkeit von Strafverfolgung gegen Konsumenten, dann ist Kriminalisierung in der Praxis ein wesentlich häufigeres Problem als problematischer Konsum:

jährliche Anzeigen wegen Cannabisdelikten
pro 1000 aktuelle Cannabiskonsumenten: 

Konsumdelikte: 35,7
Handel und Schmuggel: 12,4
Gesamt: 48,1 
Juristische Probleme sind damit für Cannabiskonsumenten eine 30 bis 40mal häufigere Konsequenz des Konsums als ein Besuch bei einer Drogenberatung. Die staatliche Strafverfolgung löst Probleme nicht sondern vergrössert nur die Summe der Probleme. Herr Hüppe, das ist keine vernünftige Präventionspolitik!

Solange Besitz und Konsum der riskanteren Droge Alkohol straffrei sind, schafft sich der Gesetzgeber mit der Strafandrohung zu Cannabis nur eine massive Glaubwürdigkeitslücke, die seine Präventionspolitik scheitern lässt. Hier liegt ein Grund, warum der Konsum von Cannabis trotz vermehrter Anzeigen weiter zugenommen hat. Ein Gesetz, dessen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist, wird heute von einem zweistelligen Prozentsatz der Bevölkerung ignoriert (darunter auch potenziellen Wählern Ihrer Partei) obwohl es immer noch bis zu 5 Jahre Gefängnis androht.

Damit die staatliche Drogenpolitik wieder glaubwürdig wird, muss der Staat künftig statt auf das Strafrecht vermehrt auf Prävention setzen. Die Mittel sind dort sinnvoller angelegt. Die Schweiz hat das bereits erkannt. Weil das Cannabisverbot mehr Schäden produziert als es verhindert, will die Schweizer Regierung einerseits den Erwerb, Anbau und Besitz von Cannabisprodukten nicht länger unter Strafe stellen, andererseits aber die Prävention ausbauen. Das wäre auch in Deutschland ein vernünftiger Ansatz.

Mit freundlichen Grüssen

Joe Wein

joewein@pobox.com

[Anschrift]


Auf obige dritte Email an Herrn Hüppe kam leider keine Antwort mehr. Am 09.03.2002 stellten wir Herrn Hüppe wie allen Bundestagsabgeordneten ein Exemplar des Infohefts des Vereins für Drogenpolitik zu. Darin werden viele Argumente wiederlegt, die im folgenden Schreiben vom 02.04.2002 aus dem Büro von Herrn Hubert Hüppe enthalten sind, das an uns weitergeleitet wurde:

Sehr geehrter Herr S.,

Herr Hüppe dankt Ihnen für Ihre Mail und hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.

Cannabis ist nicht harmlos. Selbst das Gutachten, das den "Modellversuch" Schleswig-Holsteins mit der Haschischabgabe in Apotheken stützen sollte, und von daher kaum im Verdacht steht, zu dramatisieren (eher das Gegenteil), spricht von "Gefährdungen", "gesicherten Schäden", "akutem Rausch", "akuter toxischer Psychose", "Lungenschäden" usw. Weiter erwähnt es "Psychosen" bei einem eingeschränkten Personenkreis, der "vollständige Abstinenz von Cannabis" wahren sollte. Wie wäre auszuschließen, daß auch diese Personen nach einer Freigabe zu Haschisch greifen?

Forschungergebnisse belegen gefährliche Parallelen zwischen Cannabis und sogenannten "harten" Drogen, wie zwei im angesehenen "Science Magazine" im Juni 1997 veröffentlichte Studien zeigen. Der rauscherzeugende Wirkstoff THC besitzt den selben Rezeptormechanismus im Gehirn wie Heroin, und auch beim Entzug vonTHC steigt im Suchtzentrum schlagartig der Pegel jenes Stoffes an, der auch bei Kokainentzug gebildet wird. THC und Heroin bewirken eine gleichartige, lokal erhöhte Dopaminausschüttung. Entgegen anderslautenden Behauptungen kann der regelmäßige Joint doch der erste Schritt zum Konsum harter Drogen sein, und bereits diese mögliche Schrittmacherfuktion ist Grund genug, am Verbot von Cannabis festzuhalten.

Würde Cannabis heute legalisiert, wäre eine enorme Zunahme des Drogenkonsums, insbesondere bei Jugendlichen und Kindern, zu erwarten. Nach einer Freigabe würde der Probierkonsum ansteigen, und zusätzlich würde sich der Konsum bei vielen, die jetzt schon Cannabis nehmen, wesentlich verstärken. Man bräuchte ja nicht mehr heimlich seinen Joint zu rauchen oder seinen "Space-Cake" zu knabbern, sondern Cannabis könnte beim Schützenfest, bei öffentlichen Veranstaltungen im Jugendheim, in der Raucherecke auf dem Schulhof oder wo auch immer konsumiert werden.

Dies würde neben der Konsumausweitung auch eine Zunahme riskanterer Konsummuster mit sich bringen. Bei den "legalen Drogen" Alkohol und Nikotin ist unübersehbar, daß Legalität und leichte Zugänglichkeit zu gesellschaftlicher Etablierung, zu hohem Konsum und teilweise hochproblematischen Konsummustern führen.

Mit einer Legalisierung würde der Gruppendruck, der schon beim Alkohol, wie Sie sicher wissen, ein großes Problem darstellt, auch beim Rundgeben der Joints weiter steigen. Diesem Druck können sich gerade die am wenigsten entziehen, die die schwächste Persönlichkeit haben und damit ohnehin psychisch am stärksten gefährdet sind.

Zwar macht Haschisch körperlich nicht abhängig - das gilt aber auch für Kokain, und niemand würde Kokain deswegen für harmlos erklären. Und selbst bei einer so harten Droge wie Heroin kann die rein physische Abhängigkeit durch Entgiftung innerhalb von Tagen beseitigt werden. Die psychische Abhängigkeit hingegen bedarf monatelanger, manchmal erfolgloser, Therapien.

Grundsätzlich wird es daher bei einem Verbot von Cannabisprodukten bleiben. Sie sollten auch nicht der Versuchung erliegen, das Wahlkampfgetöse einzelner mit dem politischen Handeln in Regierungsverantwortung zu verwechseln.

Was die Bedeutung von Hanfprodukten als Medikament anbelangt, ist Ihnen sicher bewußt, daß für eine etwaige Zulassung das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig ist. Das BfArM ist ein unabhängiges Institut, das nach fachlichen Kriterien vorliegende Zulassungsanträge prüft, einer politischen Einflußnahme aber nicht unterliegt.

Durch eine Cannabisfreigabe würde die Beschaffungskriminalität nicht eingeschränkt werden. Sie werden vielleicht selbst eine Vorstellung vom Preis eines Joints haben. Niemand wird angesichts solch geringer Beträge kriminelle Handlungen begehen, um sich das Geld für seinen Cannabiskonsum zu besorgen. Sollten Sie allerdings der Auffassung sein, der Suchtdruck könne bei Cannabis derart gravierend sein, daß Beschafffungskriminalität entstehen kann, so wäre dies doch ein starkes Argument gegen die Legalisierung.

Lassen sie mich abschließend festhalten: Niemand ist gezwungen, Cannabis zu nehmen, und wenn er es dennoch tut, so hat er sich der Konsequenzen bewußt zu sein. Das Interesse des Gesundheitsschutzes, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, muß Vorrang behalten vor dem Interesse regelmäßiger Cannabiskonsumenten an der Legalisierung ihres Verhaltens.

Mit freundlichen Grüßen

Johanna Lorenz
Büro Hüppe MdB
Deutscher Bundestag
11011 Berlin

Tel. 0 30 - 22 77 75 89
Fax 0 30 - 22 77 67 08

email: hubert.hueppe@bundestag.de
Internet: www.huberthueppe.de


PM von Herrn Hüppe, MdB: "Freigabe kommt nicht in Frage" [05.06.2002]

05. Juni 2002
Hubert Hüppe

Lieblingsthema der Grünen - Legalisierung von Cannabis
Freigabe kommt nicht in Frage

Zu der Forderung der Grünen nach einer Legalisierung von Haschisch erklärt der drogenpolitische Beauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hubert Hüppe MdB:

Rechtzeitig zum Wahlkampfauftakt tritt der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, mit der alten Forderung nach Legalisierung von Haschisch und Marihuana auf.

Die Grünen sitzen seit fast 4 Jahren in der Bundesregierung und stellten dort sogar jahrelang die Drogenbeauftragte. In dieser Zeit hat weder die Drogenbeauftragte selber noch die Fraktion irgendwelche Schritte in Richtung der Cannabislegalisierung unternommen. Und dafür gibt es gute Gründe:

Cannabis ist entgegen der Behauptung von Beck nicht harmlos. Der regelmäßige Joint kann der erste Schritt zum Konsum harter Drogen sein, und bereits diese Schrittmacherfunktion ist Grund genug, am Verbot von Cannabis festzuhalten.

Beck möchte geringe Mengen zum Eigenbedarf freigeben. Er schweigt sich aber darüber aus, wie sichergestellt werden soll, dass der Konsument wirklich nur eine geringe Menge kauft, bzw. wie häufig er diese geringe Menge kauft.

Bei einer Freigabe von Cannabis würde der Probierkonsum ansteigen und der Konsum würde sich bei denen, die jetzt schon Cannabis nehmen, wesentlich verstärken. Dies würde eine Zunahme riskanter Konsummuster mit sich bringen. Bei den "legalen Drogen" Alkohol und Nikotin ist unübersehbar, dass Legalität und leichte Zugänglichkeit zu gesellschaftlicher Etablierung, zu hohem Konsum und teilweise hochproblematischen Konsummustern führen.

Grund für Drogenkonsum ist fast immer der Wunsch nach einer Veränderung der Realität. Bei regelmäßigem Konsum besteht daher das Risiko, mit den realen Problemen nicht mehr fertig zu werden. Dies trifft besonders auf Jugendliche zu, die sich in einer Phase der Orientierung befinden.

Angesichts der schon bestehenden Drogenproblematik und der Unmöglichkeit, einen einmal in der Gesellschaft gefestigten Konsum wieder rückgängig zu machen, kommt die Freigabe nicht in Frage. Offensichtlich haben die Grünen die Cannabis-Freigabe aus der Mottenkiste geholt, um eine ihrer alten Wählergruppen zu mobilisieren. Dies hat mit ernsthafter und verantwortungsbewusster Drogenpolitik nichts zu tun.


Geringe Mengen und das Grundgesetz [12.06.2002]

From: Joe Wein <joe_wein@drogenpolitik.org>
To: Hubert Hüppe <hubert.hueppe@bundestag.de>
Sent: Mittwoch, 12. Juni 2002
Subject: Geringe Mengen und das Grundgesetz

Sehr geehrter Herr Hüppe,

in Ihrer Pressemitteilung vom 05. Juni 2002 kritisierten Sie die Forderung der Grünen, den Besitz geringer Mengen von Cannabis straffrei zu stellen. Die Forderung nach einer Entkriminalisierung der Millionen von Konsumenten wird jedoch nicht nur von Experten im In- und Ausland unterstützt, sondern auch von Ihrer christdemokratischen Schwesterpartei in der Schweiz, der CVP, sowie von Mitgliedern der Jungen Union und (laut einer aktuellen Repräsentativumfrage) von rund 2,6 Millionen Wählern der CDU/CSU.

Sie versuchen, das Cannabisverbot damit zu begründen, dass bereits mit den beiden legalen Drogen Alkohol und Nikotin erhebliche Probleme bestehen. Ja, mit Alkohol und Nikotin wird zu sorglos umgegangen. Niemand schlägt jedoch vor, Cannabis in Zigarettenautomaten an Kinder zu verkaufen, wie das bei Tabak bisher legal ist. Der richtige Weg, bei Alkohol und Nikotin wie auch bei Cannabis, bestünde aus Alterskontrollen bei der Abgabe, sachlicher Aufklärung und einem Werbeverbot.

Die Probleme mit legalen Drogen sind kein glaubwürdiges Argument für die Bestrafung von Cannabiskonsumenten. Mit dem Verbot einer weniger riskanten Alternative zur legalen Droge Alkohol beraubt sich der Staat seiner drogenpolitischen Glaubwürdigkeit, ohne den Konsum von Cannabis zu verhindern. Die verbotsbedingte Tabuisierung und der Glaubwürdigkeitsverlust behindern jedoch die Aufklärung der Konsumenten. So fördert das Verbot auf unbeabsichtigte Weise riskante Konsummuster.

Ein Griff in die politische Mottenkiste ist Ihre Behauptung, eine "Schrittmacherfunktion" von Cannabis zu harten Drogen sei "Grund genug, am Verbot von Cannabis festzuhalten." Schon vor 8 Jahren befand das Bundesverfassungsgericht nach Einsicht der wissenschaftlichen Literatur, Cannabis habe keine direkte Schrittmacherfunktion, diese sei allenfalls durch verbotsbedingt vermengte Drogenschwarzmärkte gegeben. Mit anderen Worten, soweit dieses Argument überhaupt relevant ist, spricht es für eine Reform. Drei Jahre später wurde diese Sichtweise übrigens durch die von Gesundheitsminister Seehofer (CSU) in Auftrag gegebene Kleiber/Kovar-Studie bestätigt.

Sie fragen, wie sichergestellt werden soll, dass der Konsument nur eine geringe Menge kauft, bzw. wie häufig er diese geringe Menge kauft. Herr Hüppe, auf dem derzeitigen Schwarzmarkt gibt es gar keine Mengenbeschränkungen beim Verkauf (vom Brieftascheninhalt des Käufers mal abgesehen)! Kontrollieren, wieviel ein Kunde bei sich trägt und wie alt er ist, kann die Polizei nur dort, wo die Verkaufsstellen den Behörden bekannt sind weil sie nicht im Untergrund operieren müssen.

Ich finde es übrigens gut, dass Sie sich über solche praktischen Details Gedanken machen. Das zeigt, dass legale, staatlich kontrollierte Abgabe auch für Sie nicht völlig undenkbar ist...

Sie behaupten, mit einer "Freigabe" würden Probierkonsum und riskante Konsummuster zunehmen. Dabei waren Sie es doch, der mich auf zwei Studien für die Gesundheitsministerien Deutschlands und der Niederlande von 1997 aufmerksam gemacht hat, die zeigen, dass sich die Verbreitung von Cannabiskonsum in den beiden Ländern trotz unterschiedlicher Rechtspraxis nicht wesentlich unterscheidet:
http://www.cannabislegal.de/studien/ift98.htm

Eine den Konsum minimierende Wirkung der Strafandrohung ist damit also nicht zu belegen. Die Euregio-Studie im Dreiländereck Deutschland / Belgien / Niederlande fand gar, dass der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen in Deutschland weiter verbreitet ist als in den Niederlanden:
http://www.cannabislegal.de/cln/cln055.htm#4

Dass Cannabis nicht harmlos ist, wie Sie hervorheben, ist nur eine Seite der Medaille. Das spricht für sich noch nicht für ein Verbot, denn auch das Cannabisverbot ist alles andere als unschädlich: Jene 583.692 Ermittlungsverfahren allein in den letzten fünf Jahren (von denen viele zu Gerichtsverfahren oder zu Problemen mit den Führerscheinbehörden führten) sollen ja schliesslich der Abschreckung dienen. Wer die Strafandrohung für Cannabis beibehält, muss verantworten, dass er gezielt anderen Menschen Probleme schafft, obwohl angesichts der erwähnten Studien fraglich ist, ob damit überhaupt ein Nutzen verbunden ist.

Es geht um die Abwägung, welche Politik insgesamt zu den wenigsten Problemen führt. Das Verbot von Cannabis minimiert Probleme damit nicht unbedingt und es fügt ihnen zusätzliche Probleme hinzu. Das hat scheinbar auch die Drogen- und Suchtkommission der Bundesregierung erkannt, die in ihrem jüngst veröffentlichtem Bericht empfohlen hat, künftig auch gesetzesbedingte Schäden zu berücksichtigen und unwirksame Verbote wieder aufzuheben. Die Kommission von 14 namhaften Experten, die den Bericht in zweieinhalb Jahren erarbeiteten, stellte darin fest:

"Viele der dem Recht zugeschriebenen Folgen oder Ergebnisse lassen sich nicht oder durch andere als rechtliche Mittel besser (z.B. mit weniger Nebenwirkungen) erreichen."

Das ist eine bemerkenswerte Aussage. 1994 hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber ein in Grundrechte eingreifendes Verbot nur dann erlassen darf, wenn dieses Mittel erstens geeignet ist und es zweitens kein gleich wirksames, aber weniger schädliches Mittel zur Förderung des Zwecks gibt. Ein Verbot, das auch nur eine dieser beiden Bedingungen nicht erfüllt, verstösst gegen das Grundgesetz und muss geändert werden.

Mit freundlichen Grüssen

Joe Wein

P.S. Um die notwendige Diskussion zu fördern, lasse ich eine Kopie dieses Schreibens auch Ihren Kollegen bei den anderen Fraktionen und der Drogenbeauftragten zukommen.


Nach der Bundestagswahl 2002 gab Herr Hüppe seine Position als drogenpolitischer Sprecher der Fraktion an Frau Gerlinde Kaupa von der bayerischen Schwesterpartei CSU ab:

Gerlinde Kaupa (CSU-MdB), drogenpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Gerlinde Kaupa (CSU) neue Sprecherin der Union [CLN#92, 10.01.2003]


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