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Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission zur Verbesserung der Suchtprävention

Die vollständige Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission war früher auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit abrufbar (http://www.bmgs.bund.de/downloads-themen/drogen/stellungnahme.pdf), wurde aber entfernt. Eine Kopie findet sich bei Archido:
http://www.archido.de/eldok/publ/bmg/praevention_stellungnahme02.pdf

Im Folgenden einige wichtige Auszüge:

Seite 6:

Allerdings liegt es auf der Hand, dass Zielsetzung und Methodik in der Suchtprävention stets entscheidend von dem zugrunde liegenden Suchtkonzept abhängen. Dieses aber bleibt bis heute vielfach in der öffentlichen und auch fachdisziplinären Diskussion umstritten, teiweise auch unscharf und widersprüchlich.

Vor allem mit Blick auf die unterschiedlichen psychoaktiven Substanzen folgt es oft keiner rationalen, durch wissenschaftliche Erkenntnis geleiteten Kategorisierung, die die substanzbedingte Gefährlichkeit der jeweiligen Drogen ins Zentrum rückt und dabei die Konsumsettings und -sets angemessen berücksichtigt.

Vielmehr fußt es weithin auf national- und internationalrechtlichen Bewertungen, die einer eigenen spezifischen Logik und Perspektive folgen. Nur so ist zu verstehen, dass im 1990 verabschiedeten "Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan" und in anderen Zusammenhängen im Hinblick auf den Konsum illegaler Drogen generell von Missbrauch gesprochen und völlige Abstinenz postuliert wird, so als sei ein geordneter und (selbst-) kontrollierter Gebrauch von Betäubungsmitteln prinzipiell nicht möglich.

Dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, der gesellschaftlichen Diskussion und Praxis, sowie vor allem aber auch der Glaubwürdigkeit der Prävention im Dialog mit jungen Menschen wird dies nicht (mehr) gerecht. Umgekehrt versperrt eine solche, im wesentlichen an juristischen Kategorien orientierte Sicht von ihrem Ansatz her eine sachgerechte Auseinandersetzung mit kulturell eingelebten Konsummustern bei Alkohol, Tabak und Medikamenten; der Umgang mit diesen Substanzen erscheint implizit, nämlich in Relation zum Konsum illegaler Drogen, als weniger schädlich und substanzbedingt leichter "beherrschbar".

Schließlich erschwert eine solche Perspektive in ihrer Tendenz auch jegliche gesellschaftliche Diskussion über betäubungsmittelrechtliche Reformen: Wenn jedweder nicht medizinisch begründete Gebrauch von Betäubungsmitteln per definitionem als Missbrauch gewertet wird, lässt sich hier kaum mehr diskutieren - ganz abgesehen davon, dass jenseits weniger, zumeist eng definierter klinischer Studien kaum empirische Belege über die längerfristigen Folgen unter legalisierten (Alltags-) Bedingungen gewonnen werden können.

S 10
Wenngleich Präventionsbemühungen eine Entwicklung durchlaufen haben, in der sie sich stetig professionalisiert und institutionalisiert haben, erweist sich mehr denn je als brisant, dass weithin auch heute noch das Instrumentarium der Suchtprävention dem hergebrachten Konzept von prinzipiell stets gesundheitsgefährdenden Konsum- und Missbrauchskarrieren folgt und auf dem binären Code "Abstinenz vs. Abhängigkeit" fußt.

Dabei gilt es heute als wissenschaftlich akzeptiert, dass bestimmte Formen des Konsums psychoaktiver Substanzen - und zwar auch illegaler Drogen - durchaus mit physischer, psychischer und sozialer Gesundheit vereinbar sein können, Drogenkonsum nicht nur destruktive Komponenten haben kann und er keineswegs zwangsläufig mit somatischen und/oder psychischen Störungen einhergeht und/oder per se die Gesellschaftsfähigkeit und Gesundheit der Konsumenten/innen unterminiert.

S 16
Bezogen auf Alkohol wird bspw. seit langem gefordert, die Verfügbarkeit dadurch zu reglementieren, dass die ökonomischen Kosten und/oder der persönliche (Beschaffungs-) Auf-wand erhöht werden. Im Ausland konnten mit Blick auf derartige Maßnahmen positive Effekte belegt werden, wobei allerdings die kulturelle Akzeptanz im jeweiligen Kontext eine große Rolle spielte. Die wiederholt geforderte Einführung eines sog. Alkoholpfennigs wirft hierzulande eine ganze Reihe von Problemen auf, die nicht ohne weiteres lösbar sind .

Bei illegalen Drogen ist die Wirksamkeit analoger Maßnahmen weniger gesichert oder auch als ineffizient bekannt. Maßnahmen, die an den ökonomischen Kosten ansetzen, beziehen sich wegen der Illegalität des Umgangs mit Drogen vor allem auf Bemühungen von Zollfahndung und Strafverfolgungsbehörden zur Angebotsreduzierung. Allerdings wird seit längerem schon von hier tätigen Experten eingeräumt, dass diese Maßnahmen faktisch (zeit-lich und örtlich) nur sehr begrenzt durchschlagen und ihnen ein nachhaltiger Erfolg bisher versagt blieb.

S 30:
Zur Lenkungswirkung des Rechts in der Prävention

1. Prävention und Strafrecht

Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit der Lenkungswirkung von und der Verhaltenssteuerung durch Recht beschäftigt. Die Ergebnisse dabei sind insgesamt eher entmutigend. Viele der dem Recht zugeschriebenen Folgen oder Ergebnisse lassen sich nicht oder durch andere als rechtliche Mittel besser (z.B. mit weniger Nebenwirkungen) erreichen.

Dies gilt insbesondere für die verhaltenssteuernde Wirkung des Strafrechts, wo spezial- und generalpräventive Effekte nur bedingt nachzuweisen sind. Zwar hat das Strafrecht insgesamt eine positive generalpräventive Funktion in dem Sinne, dass es die Normtreue der Normtreuen (also der "Anständigen") verstärkt; dabei kommt es aber weniger auf die konkrete Ausgestaltung einer (Strafrechts-)Norm oder auf die Art und Höhe der Sanktion als auf die Tatsache an, dass ein Verhalten überhaupt als bestrafungswürdig vom Gesetzgeber definiert wird. Andere Faktoren (wie z.B. bei Jugendli-chen die Gruppe der Gleichaltrigen) spielen bei der individuellen Entscheidung, ob man sich an bestimmte Vorschriften hält oder nicht, eine größere Rolle als das (Straf-)Recht.

Für die Gesetzgebung im Zusammenhang mit illegalen und legalen Drogen bedeutet dies, dass keine überzogenen Erwartungen an (neue) Gesetze zu stellen sind. Vielmehr ist besonderes Augenmerk auf mögliche schädliche Nebenwirkungen solcher Gesetze (z.B. Stigmatisierung bestimmter Personengruppen, negative Effekte durch Inhaftierungen etc.) zu richten.

Zudem sollten Gesetze regelmäßig evaluiert und daraufhin überprüft werden, ob die in sie gesetzten Erwartungen auch tatsächlich erfüllt worden sind. Sollte die (unabhängige) Evaluation zu dem Ergebnis kommen, dass dies nicht der Fall ist, dann sind die Gesetze abzuschaffen, im Ausnahmefall auch zu ändern.

Da die empirische Forschung die prinzipielle Überlegenheit präventiver gegenüber repressi-ver Maßnahmen nachgewiesen hat ist darüber hinaus auch sicherzustellen, dass aus bestimmten Gründen notwendige repressive Vorschriften keine negativen Nebenwirkungen dadurch haben, dass sie präventiven Vorschriften oder Präventionsmaßnahmen entgegen-stehen, behindern oder unmöglich machen. So zeigt sich in der Praxis, dass viele Formen der akzeptierenden Drogenhilfe gegen das derzeit geltende Betäubungsmittelgesetz verstoßen.

So hat z.B. der Gesetzgeber z.B. die Ausgabe von Einmalspritzen an Drogenabhängige und die Einrichtung und das Betreiben von nach §10 a BtMG erlaubten Konsumräumen aus der Strafbarkeitszone herausgenommen. Es bleiben aber trotz des Dritten Betäubungsmittel-Änderungsgesetzes zahlreiche Formen akzeptierender Drogenhilfe, die eine Verfestigung des Drogenmissbrauchs verhindern, Lebenshilfe und Überlebenshilfe gewährleisten wollen, strafbar.

Die Plakataktion der AIDS-Hilfe, die Opiatabhängige zu Safer-Use-Techniken gewinnen wollte, wurde wegen Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 12 BtMG (= öffentliche Auf-forderung zum Verbrauch von Betäubungsmitteln, die nicht zulässiger Weise verschrieben worden sind) verfolgt. Sozialarbeiter oder Ärzte, die für einen AIDS-Kranken Marihuana zu Therapiezwecken beschaffen, machen sich wegen unerlaubten Betäubungsmittelerwerbes strafbar. Wenn eine Mutter, ein Leiter einer betreuten Wohngemeinschaft oder eines Über-nachtungsheimes für Drogenabhängige, ein Polizeibeamter oder ein Sozialarbeiter eine Tochter/Sohn, einen Mieter/in, einen Besucher oder Straßenpassanten in einen hygieni-schen Raum zum Konsum weisen, so ist dies nach den §§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 und 11 BtMG (neue Fassung) immer noch strafbar.

Wenn außerhalb der staatlichen Untersuchungsstellen, die gemäß § 4 BtMG von der Erlaubnispflicht befreit sind, Drogenberatungslehrer, Chemiker oder Drogenhelfer (wie die Organisation Eve & Rave in Berlin) am Rande von großen Musikveranstaltungen Betäubungsmittel-Proben auf ihre Zusammensetzung untersuchen, um Drogenkonsumenten vor gefährlichen Designerdrogen zu warnen, so stellt dies nach herrschender Meinung ein strafbares Verschaffen von Gelegenheit zum unbefug-ten Verbrauch nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 BtMG dar.

Wenn Drogenhelfer auf der Drogenszene verelendenden Opiatabhängigen mit vereiterten und zerstochenen Venen beim Injektionsvorgang durch Hilfe beim Abbinden, bei der Venensuche oder beim Setzen der Spritze helfen, so verschaffen sie mit dieser Hilfeleistung eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch und machen sich nach § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG strafbar.

Das BtMG und teilweise auch das Strafgesetzbuch bedrohen bisweilen Präventionsmaßnahmen mit Strafe, anstelle Präventionsmaßnahmen zu fördern und eine Rechtsgrundlage zu bieten.

Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren aus politischen Erwägungen mit den §§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10, 11 und 12 BtMG besondere Tatbestandsformen der Beihilfe zum Kon-sum geschaffen und mit Strafe bedroht, obwohl von Seiten der Strafverfolgung hier kein Bedürfnis bestand.

So zeigen denn auch die Statistiken der Strafverfolgungsbehörden, dass diese Vorschriften nicht zu Verurteilungen führen, aber von den politischen Parteien bei der Bewertung von Drogenhilfe und Therapiemaßnahmen häufig zitiert werden. Die Lösung der Probleme wäre deshalb eine ersatzlose Streichung dieser Vorschriften.

Insgesamt ergeben sich somit folgende Empfehlungen:

  • Der häufig unterstellte verhaltenssteuernde Effekt von (Straf-)Gesetzen ist kritisch zu hinterfragen.
  • Die Nebenwirkungen von bestehenden und neuen Gesetzen sind intensiver als bisher zu untersuchen und zu dokumentieren.
  • Von den Möglichkeiten experimenteller Gesetzgebung (Befristungen/ Evaluationsgebot/ Berichtspflichten) sollte verstärkt Gebrauch gemacht werden. Insbesondere sollte eine durch unabhängige Gutachter durchzuführende Evaluation von (neuen) Gesetzen gewährleisten, dass nur solche Gesetze in Kraft bleiben, die ihre (klar definierten) Ziele auch tatsächlich erreichen.
  • Repressive Vorschriften sollten regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob sie präventive Maßnahmen behindern. Im Zweifel sollte der Grundsatz "Prävention vor Repression" gelten. Es böte sich in diesem Zusammenhang möglicherweise an, in einer Präambel zum BtMG nicht nur das vier Säulen Prinzip: a) Prävention, b) Therapie, c) Überlebenshilfe und d) Repression zu verankern, sondern auch eine Zielklausel aufzunehmen, die besagt, dass bei Widerstreit von Prävention (bzw. Drogenhilfe) und Repression dem Präventions- und Hilfegedanken den Vorrang einzuräumen ist.
  • Die Polizeigesetze der Länder und die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) sind dahin zu ergänzen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft alle Präventions-maßnahmen nach Kräften zu unterstützen haben.
  • Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn sollte durch vermehrte Ausnahmegenehmigungen Erprobungsprojekte ermöglichen, ob zukünftig auf bestimmte repressive Bestimmungen verzichtet werden kann (z.B. Untersuchung von Betäubungsmittelproben zur Schadensminimierung - "drug checking")

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