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Briefwechsel: Marion Caspers-Merk, Drogenbeauftragte der Bundesregierung
Brief an Marion Caspers-Merk, Drogenbeauftragte der Bundesregierung
Von: Joe Wein <joewein@pobox.com> Sehr geehrte Frau Caspers-Merk, anbei ein Beitrag zu der von Ihnen geforderten Risikodebatte bei Cannabis. Mit freundlichen Grüssen Joe Wein Sprecher des Vereins für Drogenpolitik e.V. http://www.cannabislegal.de =====
http://www.spdfraktion.de/dialog/forum/read.php?f=14&i=626&t=425
Gerhard K. schrieb: Genau wie die CDU/CSU interessiert Frau Caspers-Merk die relative Unschädlichkeit von Cannabis nicht. Sie verweigert den Vergleich zu Alkohol und will "keine weitere Droge" zulassen. Eine Cannabislegalisierung wird von Vertretern dieses Standpunkts von der erwiesenen Unschädlichkeit der Droge abhängig gemacht: "INCB lädt erneut jede Regierung ein, die glaubt, wissenschaftliches Beweismaterial zu haben, dass die Kontrolle von Cannabis durch das Abkommen von 1961 ungerechtfertigt ist, dieses Beweismaterial der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu übergeben." Dr Carl Nedelmann, der Verfasser des bekannten Artikels im Deutschen Ärzteblatt, schrieb im April in der Zeitschrift Merkur (Heft 636): Von den Behauptungen, die das Verbot stützen sollen, ist im Grunde nur eine einzige übriggeblieben. Sie stellt rechtlich den Knotenpunkt dar. Es heißt: "Der Nachweis der Ungefährlichkeit von Cannabis ist nicht erbracht." Das ist einerseits richtig, zerfällt andererseits schon bei einfacher Betrachtung in nichts. Die Medizin kann Krankheiten, Störungen und Schädigungen nachweisen. Gesundheit kann sie nicht nachweisen und eine Ungefährlichkeit auch nicht. Es ist daher eine medizinische Regel, daß es am Ende einer Untersuchung nicht heißt, daß der Patient gesund ist, sondern daß "kein Befund" erhoben wurde. Das hindert jedoch weder Mediziner noch Juristen, sich unentwegt auf den fehlenden Nachweis der Ungefährlichkeit von Cannabis zu berufen. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar die nicht beweisbare Ungefährlichkeit zum entscheidenden Hindernis gemacht, das Verbot aufzuheben, und in einem Beschluss vom 9. März 1994 geschrieben: "Die ursprüngliche Einschätzung der Gesundheitsgefahren durch den Gesetzgeber ist heute umstritten. Jedoch ist auch die ... Annahme mangelnder Gefährlichkeit von Cannabisprodukten ungesichert ... Dies hat zur Folge, dass auch die Bewertung der Gefahren, die dem Einzelnen und der Gemeinschaft durch den Cannabiskonsum drohen, unterschiedlich ausfällt". Die Sichtweise, dass jedes mit Cannabiskonsum verbundene Risiko für sich ein Verbot rechtfertigt, ignoriert, dass zu jeder Abwägung zwei Waagschalen gehören. Denn nicht nur der Konsum von Cannabis kann Schäden verursachen, sondern auch der Versuch, den Konsum zu verhindern. Das muss nicht gleich der Tod am Galgen sein, wie in Singapur oder Malaysien. Es gibt viele Sanktionen, die alle mehr oder minder stark in vom Grundgesetz ausdrücklich geschützte Rechte eingreifen. Dass Cannabis trotz seines illegalen Statuses bereits von 9,5 Millionen Menschen in Deutschland konsumiert wurde, darunter von 3,4 Millionen im vorigen Jahr, von denen übrigens 2,9 Millionen Erwachsene waren, belegt eine gewisse Attraktivität dieser Droge. Um dieser entgegenzuwirken, versucht der Staat bei einer repressiven Strategie, den Konsumenten über die Risiken des Konsums hinaus beträchtliche zusätzliche Risiken aufzubürden. Er will sie so vom Konsum abhalten und der Utopie von der totalen Cannabisabstinenz zumindest näherkommen. Diese staatlich produzierten Risiken sind jedoch per Definition nicht folgenlos, insbesondere wenn man bedenkt, das dieser Abschreckungseffekt bei einem Delikt mit einer sehr hohen Dunkelquote erzielt werden soll. Voriges Jahr wurden wieder 131.842 Ermittlungsverfahren nur wegen Cannabis eröffnet. In 93.449 Fällen wurde gegen Personen wegen eines "allgemeinen Verstosses" (Besitz, Erwerb oder Anbau, ohne mit Cannabis Handel zu treiben) ermittelt. Die repressive Strategie kann die Probleme nicht minimieren, weil die zusätzlichen Schäden der Repression die Gesamtbilanz eskalieren lassen. Niemand traut sich jedoch, eine solche Bilanz der derzeitigen drogenpolitischen Strategie zu ermitteln und vorzulegen. Die Schäden der Prohibition sind tabu und werden nicht erhoben. Niemand weiss zur Zeit, wieviele Verfahren in welchen Bundesländern straffrei eingestellt werden und wieviele nicht. Die letzten Zahlen stammen von 1994 und 1995 und belegen extreme Unterschiede bei der Einstellungsrate (von 10 bis 92%). Neuere Daten liegen nicht vor. Es gibt keine Daten zu den Fallzahlen beim Führerscheinentzug aufgrund der Fahrerlaubnisverordnung der CDU-geführten Bundesregierung. Niemand summiert die Dienststunden von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern, die mit Cannabisdelikten vergehen. Die Kosten der repressiven Politik tauchen in der politischen Buchführung nicht auf. Ein Privatunternehmen mit einer solchen Buchhaltung würde bei jeder Buchprüfung durchfallen, sofern es nicht vorher Pleite macht. Vielleicht wird der Bericht der Drogen- und Suchtkommission der Bundesregierung demnächst Neues bringen. Die Politiker bleiben aufgefordert, das Thema ehrlicher zu diskutieren und ihre Bereitschaft zum Dialog zu beweisen. "Ihre Meinung ist uns wichtig! Diskutieren Sie mit!" So heisst es am Anfang eines jeden Threads im Forum der SPD-Fraktion. Wie wichtig ist Ihnen unsere Meinung wirklich, Frau Caspers-Merk? Sie selbst diskutieren effektiv nicht mit, weil Sie auf keines der zahlreichen Argumente eingehen, die hier vorgebracht wurden. Darunter wird nicht nur Ihre Glaubwürdigkeit leiden, sondern auch das Wahlergebnis Ihrer Partei im Herbst. Mit freundlichen Grüssen Joe Wein
Frau Caspers-Merk und die Cannabisreform Hier geht es zu unserer Briefseite, hier zur SPD-Bundestagsfraktion. Hier geht es zu unserer Linkseite zur Parteipolitik, mit Thesenpapieren der Parteien und unseren Erwiderungen darauf, Links zu parteipolitischen Onlineforen sowie zu den Listen der Abgeordneten der Fraktionen im Bundestag. |