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Verein für Drogenpolitik schreibt an Justizminister (08.11.2002)

Der Verein für Drogenpolitik e.V. schickte das folgende Schreiben am Freitag an die Justizminister der Bundesländer


Sehr geehrte Frau ..., bzw.
Sehr geehrter Herr ...,

am 09.03.1994, also vor über 8 Jahren, sorgte die Cannabisentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes für erhebliches Aufsehen. Das Gericht verpflichtete damals den Gesetzgeber zur Sicherstellung einer „im wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung“ zur Straffreistellung (Entpoenalisierung) des Besitzes geringer Mengen von Cannabis zum Eigenkonsum. Bis heute ist es nicht dazu gekommen. Mit den fortbestehenden erheblichen regionalen Unterschieden in der Rechtspraxis verstossen Bund und Länder, die von der Bevölkerung gesetzestreues Verhalten fordern, selbst gegen geltendes Recht!

Drei Jahre nach der Entscheidung bestätigte eine im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit durchgeführte Studie der kriminologischen Zentralstelle, Wiesbaden e.V. „teilweise gravierende Unterschiede bei der Handhabung des §31a BtMG in den einzelnen Ländern“ (Susanne Aulinger: Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten, 1997). Setzt man die von Frau Aulinger ermittelten Zahlen der nach §31a BtMG straffrei eingestellten Fälle in Relation zur Zahl der Tatverdächtigen bei allgemeinen Verstössen nach §29 BtMG in den Bundesländern, dann reicht die Spannweite der Anwendungsraten von 92,1% in Schleswig-Holstein bis 10,0% in Sachsen-Anhalt. Schon 1994 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass im Falle einer mangelnden Einheitlichkeit „weitere gesetzliche Konkretisierungen der Einstellungsvoraussetzungen erforderlich sind.“ Eine solche Reform ist seit langem überfällig!

Manchen Stimmen aus der Reformdebatte der letzten acht Jahre vermitteln den Eindruck, die Erkenntnisse aus dieser Zeit seien an einigen der Diskussionsteilnehmer spurlos vorübergegangen. So hört man nach wie vor das Argument, die repressive Politik bei Cannabis müsse deshalb fortgesetzt werden, weil es sich dabei um eine „Einstiegsdroge“ handele. Dass die Karlsruher Richter nach Einsicht der wissenschaftlichen Literatur schon 1994 befanden, diese These werde von der Fachwelt „überwiegend abgelehnt“, scheint genauso überlesen worden zu sein, wie die Feststellung des Gerichts, dass von Experten „das Suchtpotential der Cannabisprodukte als sehr gering eingestuft" werde. Eine im Auftrag von Gesundheitsminister Seehofer (CSU) erstellte Studie fasste im Jahre 1997 zusammen, „daß die pharmakologischen Wirkungen und psychosozialen Konsequenzen des Cannabiskonsums sich als weniger dramatisch und gefährlich erweisen, als dies überwiegend noch angenommen wird.“ (Dieter Kleiber, Karl-Artur Kovar: Auswirkungen des Cannabiskonsums, 1997) Bei seiner Entscheidung von 1994 stützte sich das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen auf das Übermaßverbot des Grundgesetzes. Dieses soll sicherstellen, dass bei der Durchsetzung eines in Grundrechte eingreifenden Gesetzes (wie dem Betäubungsmittelgesetz) nicht mehr Rechtsgüter verletzt werden als durch jenes Verhalten, das mit dem Gesetz negativ sanktioniert werden soll.

Oft wird bei der Rechtsgüterabwägung vergessen, dass die Grundlage für das Verbot des Cannabisbesitzes nicht die davon ausgehende Möglichkeit der Selbstschädigung ist. Die ist nämlich in einem liberalen Rechtsstaat grundsätzlich straffrei, weshalb der Konsum illegaler Drogen in Deutschland auch nicht explizit verboten ist. Im Gegensatz dazu stützt sich das Besitzverbot auf eine theoretisch bestehende Möglichkeit der Schädigung Dritter durch Weitergabe (so wie auch jeder, der ein Päckchen Zigaretten besitzt, davon einem anderen eine überlassen könnte). Auf der anderen Waagschale liegt nicht nur eine Möglichkeit, sondern ganz konkrete Schäden an Rechtsgütern der Betroffenen im Fall von Ermittlungen und Strafverfolgung gegen Konsumenten: Wohnungsdurchsuchungen, Geldstrafen, Freiheitsstrafen, Anwaltskosten und manchmal in der Folge Konsequenzen für die berufliche Existenz und/oder den Bestand von Ehe und Familie. Diese Seite darf nicht länger ignoriert werden. Mit einer repressiven Politik können Politiker den Bock zum Gärtner machen.

Die Einigung auf eine bundesweit einheitliche Einstellungspraxis wäre der minimal notwendige Schritt um der rechtskräftigen Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts von vor acht Jahren Folge zu leisten. Kommt es jedoch nicht zu dieser Minimallösung durch eine Einigung der Landesregierungen, dann wird die explizite Herausnahme des Besitzes einer geringen Menge Cannabis aus dem strafrechtlichen Verbot durch eine Mehrheit im Bundestag oder durch eine erneute Entscheidung aus Karlsruhe die Alternative sein. Das ist der Weg, den auch die Schweiz gehen will.

Eine bundesweite straffreie Verfahrenseinstellung beim Besitz von bis zu 15 Gramm, wie vom Berliner Justizministerium vorgeschlagen, würde die Grenzmenge deutlich niedriger ansetzen als in anderen Ländern praktiziert. 1973 folgte der US-Bundesstaat Oregon einer Empfehlung der von US-Präsident Nixon eingesetzten Shafer-Kommission und stufte den Besitz von einer Unze (ca. 30g) Cannabis zur Ordnungswidrigkeit herab. Diese Grenze übernahmen die Niederlande im Jahre 1976. Die hessische Zentralstelle zur Bekämpfung der Betäubungsmittel-Kriminalität (ZfB) schlug 1991 vor, in Hessen künftig bis zu einer Grenzmenge von 30g Cannabis bei Konsumenten von einer Anklageerhebung abzusehen. Eine Bundesratsinitiative des Bundeslands Rheinland-Pfalz (BR Drs 507/92) sah vor, nur noch Besitzdelikte ab 20g Cannabisharz oder 100g Cannabiskraut mit Strafe zu bedrohen und darunter als Ordnungswidrigkeit zu ahnden.

Das Argument, mit der Straffreiheit von Besitz zum Eigenkonsum werde die Verfolgung von Dealern unmöglich, überzeugt nicht. Durch das Verbot von Abgabe oder Handel hat sich der Staat unabhängig vom Besitzverbot eine Sanktionierungsmöglichkeit bei Fremdgefährdung vorbehalten und kann diese beim Vorliegen entsprechender Indizien auch nutzen.

Inwieweit die Strafbarkeit des Besitzes, Erwerbs und auch Kleinhandels überhaupt eine gesundheitspolitisch positive Wirkung hat, muss bezweifelt werden. Einerseits behindert die kostspielige Repression die sachgerechte Aufklärung von Millionen von Menschen, die trotz Verbot konsumieren. Andererseits ist inzwischen bekannt, wie minimal die Unterschiede bei der Verbreitung von Cannabiskonsum in der deutschen und niederländischen Bevölkerung sind: Im Jahre 2001 hatten etwa in den Niederlanden 22,6% der 16 bis 59-Jährigen Erfahrung mit Cannabis, in Westdeutschland 21,4% der 18 bis 59-Jährigen. Bei den 12 bis 15-Jährigen waren es 5,9% in den Niederlanden und rund sechseinhalb Prozent in Deutschland.

Wenn die Verfolgung keine nachweisbare konsumminimierende Wirkung hat, bleibt auch nach einer auf die Konsumenten beschränkten Entpoenalisierung oder Entkriminalisierung des Besitzes die 1994 vom Bundesverfassungsgericht noch offengelassene Frage im Raum stehen, inwieweit hier Prohibition überhaupt ein geeignetes und notwendiges Mittel ist – beides Voraussetzungen für die Verfassungsmässigkeit eines strafrechtlichen Verbots.

Mit freundlichen Grüßen

Joe Wein
Sprecher, Verein für Drogenpolitik e.V.

Verein für Drogenpolitik e.V.
Tilmann Holzer
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Tel/Fax : 0621 - 40 17 267