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Email von Marion Caspers-Merk (02.10.2003)
Siehe auch:
Sehr geehrter Herr ...,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 1.10.2003. Dem Inhalt Ihrer E-Mail
entnehme ich, dass Sie sich ausführlich mit der Legalisierung von
Cannabis beschäftigen. Zu Ihrer Information habe ich im folgenden die
Politik der Bundesregierung bezüglich Cannabisprodukten zusammengefasst.
Wie sie aus den Ausführungen meines Kollegen Zeitelmann den Schluss
ziehen, ich befände mich in der falschen Partei, kann ich allerdings
nicht nachvollziehen.
Gleich vorneweg möchte ich klarstellen: Die Legalisierung von Cannabis
ist seitens der Bundesregierung nicht geplant. Die Bundesrepublik
Deutschland ist nach Artikel 4 Buchstabe c des Einheitsübereinkommens
über Suchtstoffe von 1961 verpflichtet, die Verwendung von Suchtstoffen,
einschließlich Cannabis, auf ausschließlich medizinische oder
wissenschaftliche Zwecke zu beschränken. Daneben verlangt Artikel 3 Abs.
2 des Suchtstoffübereinkommens von 1988 von allen Vertragsparteien ,
„vorbehaltlich ihrer Verfassungsgrundsätze und der Grundzüge ihrer
Rechtsordnung ... den Besitz, den Kauf oder den Anbau von Suchtstoffen
oder psychotropen Stoffen für den persönlichen Verbrauch ... als
Straftat zu umschreiben“. Der Verkehr mit Cannabis zu anderen als
medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken ist deshalb nach dem
Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verboten und strafbar. Ein Ausschluss der
Bestrafung konsumbezogener Verhaltensweisen bei geringen Mengen von
Suchtstoffen oder psychotropen Stoffen ist jedoch völkerrechtlich
zulässig und unter den Voraussetzungen des § 31 a BtMG möglich.
Der Bundesregierung geht es bei der gesetzlichen Regelung des Umgangs
mit Cannabis letztlich darum, einen verfassungskonformen Ausgleich
zwischen dem erforderlichen Gesundheitsschutz für den Einzelnen und die
Allgemeinheit einerseits, sowie den Einschränkungen der persönlichen
Handlungsfreiheit infolge des strafbewehrten Cannabisverbots
andererseits, zu finden. Dies hat das
Bundesverfassungsverfassungsgericht in seiner bekannten
„Haschisch-Entscheidung“ vom 9. März 1994 1994 ausdrücklich anerkannt
und u.a. aus diesem Grund die Rechtmäßigkeit der Cannabisverbote bestätigt.
Als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes regte
die Bundesregierung seinerzeit bei den Landesjustizministerien die
Festlegung von einheitlichen Kriterien für die Einstellungspraxis nach §
31a BtMG, insbesondere die Bestimmung der „geringen Menge“ für den
Eigenkonsum von Cannabis im Sinne dieser Vorschrift, an. Es kam dann
zwar nicht zu einer ländereinheitlichen Festlegung, da die
Justizverwaltungen nach und nach in Einzelerlassen bzw. Richtlinien
unterschiedliche Kriterien und Mengen für die Anwendung des § 31a BtMG
festgelegt haben. Eine seinerzeit im Auftrag des Bundesministeriums für
Gesundheit im März 1997 vorgelegte rechtstatsächliche Untersuchung der
Kriminologischen Zentralstelle zum Thema „Die Rechtsgleichheit und
Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten“ (Nomos
Verlag, Baden-Baden) ergab jedoch, dass beim Umgang mit sog. weichen
Drogen, insbesondere Haschisch und Marihuana, hinsichtlich der Mengen,
bei denen die Vorschrift des § 31a BtMG regelmäßig zur Anwendung kommt,
bundesweit ein hohes Maß an Übereinstimmung in der strafrechtlichen
Praxis vorliege, so dass von einer im Wesentlichen einheitlichen
Rechtsprechung, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte,
gesprochen werden könne.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat im
Oktober 2002 beim Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht, Freiburg, ein weiteres Forschungsprojekt zu
dem Thema „Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis“ in Auftrag gegeben,
dass im Oktober 2004 abgeschlossen sein wird. Ziel des Vorhabens ist die
Aktualisierung der durch die Untersuchung der Kriminologischen
Zentralstelle aus dem Jahre 1997 gewonnenen Erkenntnisse über die
Einstellungspraxis nach § 31a BtMG und anderen Vorschriften in
ausgewählten Bundesländern. Gleichzeitig sollen die Auswirkungen
justizieller Sanktionen auf das Dogenkonsumverhalten untersucht werden.
Sollte sich aus diesen oder aus sonstigen Erkenntnissen ergeben, dass
die erforderliche Bundeseinheitlichkeit nicht mehr gewährleistet ist, so
wird die Bundesregierung mit den Ländern Kontakt aufnehmen und die
notwendigen Maßnahmen prüfen, um eine verfassungskonforme
Rechtsanwendung sicher- bzw. wiederherzustellen.
Die Bundesregierung nimmt im übrigen den jeweils neuesten Stand der
Forschung zum Anlass, mit allen Beteiligten in Gesellschaft und
Wissenschaft die Diskussion über die Entkriminalisierung bzw.
Entpönalisierung von - ggf. - nicht strafwürdigen Konsumentendelikten
weiterzuführen, wobei auch mögliche gesetzliche Änderungen grundsätzlich
nicht ausgeschlossen werden.
Allerdings hat keine der neueren Studien Cannabis eine
„Unbedenklichkeitsbescheinigung“ ausgestellt. Vielmehr wird auf eine
Reihe akuter und langfristiger Beeinträchtigungen durch
nichtmedizinischen Cannabiskonsum hingewiesen, die zwar normalerweise
gering, bei chronischem Dauerkonsum aber mit größeren Risiken, bis zur
psychischen Abhängigkeit, verbunden sind. Die Untersuchungen weisen auf
die „vielen Unbekannten“ hin und empfehlen weitere wissenschaftliche
Untersuchungen im Hinblick auf den Wirkmechanismus der Inhaltsstoffe von
Cannabis.
Die Bundesregierung sieht deshalb derzeit keine Veranlassung, übereilt
ein unbegrenztes Freigabesignal für eine berauschende Substanz zu geben.
Sie wird darin von der internationalen Gemeinschaft und der hierfür
zuständigen Weltgesundheitsorganisation bestärkt, die an dem
obligatorischen Cannabisverbot der Suchtstoffübereinkommen der Vereinten
Nationen festhalten wollen. Deutschland ist zur Umsetzung der
Übereinkommen vertraglich verpflichtet. Das gleiche gilt übrigens in den
Niederlanden, wo der Cannabiserwerb für den Eigenkonsum ebenfalls
gesetzlich nicht erlaubt ist, sondern lediglich in sehr engen Grenzen
geduldet wird.
Gerade dieser liberale Ansatz stößt EU-weit und auch innerhalb der
internationalen Gemeinschaft mehr und mehr auf Kritik. So scheiterten
Ende 2002 die seit Sommer 2001 laufenden EU-Verhandlungen zu einem
Rahmenbeschluss des Rates zur Festlegung von Mindestvorschriften über
die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich
des illegalen Drogenhandels allein an der Forderung der Niederlande, für
den Handel mit geringen Mengen von weniger gefährlichen („weichen“)
Drogen auch eine Mindesthöchststrafe von weniger als 1 bis 3 Jahren
vorsehen zu dürfen. Die übrigen Mitgliedstaaten sprachen sich gegen eine
entsprechende Ausnahmeregelung aus.
Auf der letzten Tagung der UN-Suchtsoffkommission im April dieses Jahres
wandten sich die USA, gefolgt von Japan, Italien, Schweden und Dänemark,
ebenso wie die geschlossenen Gruppen der afrikanischen und
lateinamerikanischen Staaten vehement gegen alle Tendenzen der
Legalisierung, Entkriminalisierung und Liberalisierung, insbesondere im
Hinblick auf Cannabis. Dabei wurde die Debatte über nachgiebige oder
harte Drogenpolitik viel heftiger und emotionaler geführt als in den
Vorjahren. Insgesamt war bei den drogenpolitischen Grundsatzfragen eine
deutliche Rückwärtsbewegung im Vergleich zu den letzten Jahren zu
beobachten.
Ich hoffe Ihnen die wesentlichen Positionen und Grundlagen der
Drogenpolitik der Bundesregierung verdeutlich zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Marion Caspers-Merk
--
Marion Caspers-Merk, MdB
Parlamentarische Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung
Drogenbeauftragte der Bundesregierung
Platz der Republik 1
11011 Berlin
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