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Brief im Auftrag von Marion Caspers-Merk (August 2004)
Siehe auch:
Sehr geehrter Herr ...,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift vom 15.8.2004 zur Legalisierung
von Cannabis. Frau Caspers-Merk hat mich gebeten, hierzu nehme ich wie
folgt Stellung:
Die Legalisierung von Cannabis ist seitens der Bundesregierung nicht
geplant. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Artikel 4 Buchstabe c
des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von
1961 verpflichtet, die Verwendung von Suchtstoffen, einschließlich
Cannabis, auf ausschließlich medizinische oder wissenschaftliche Zwecke
zu beschränken. Daneben verlangt Artikel 3 Abs. 2 des
VN-Suchtstoffübereinkommens von 1988 von allen Vertragsparteien,
„vorbehaltlich ihrer Verfassungsgrundsätze und der Grundzüge ihrer
Rechtsordnung (...) den Besitz, den Kauf oder den Anbau von Suchtstoffen
oder psychotropen Stoffen für den persönlichen Verbrauch (…) als
Straftat zu umschreiben“. Der Verkehr mit Cannabis zu anderen als
medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken ist deshalb nach dem
Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verboten und strafbar.
Die Bundesregierung hält an der grundsätzlichen Strafbarkeit des
Besitzes, des Anbaus und des Inverkehrbringens von Cannabis fest (§ 29
Abs. 1 BtMG), weil sie Cannabis nicht als harmlose Droge ansieht. Keine
der neueren Studien hat Cannabis eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“
ausgestellt. Vielmehr wird auf eine Reihe akuter und langfristiger
Beeinträchtigungen durch nichtmedizinischen Cannabiskonsum hingewiesen,
die zwar normalerweise gering, bei chronischem Dauerkonsum aber mit
größeren Risiken, bis zur psychischen Abhängigkeit, verbunden sind. Die
Untersuchungen weisen auf die „vielen Unbekannten“ hin und empfehlen
weitere wissenschaftliche Untersuchungen im Hinblick auf den
Wirkmechanismus der Inhaltsstoffe von Cannabis.
Bei den ambulanten Drogenberatungsstellen nimmt der Anteil von Klienten,
die wegen eines Cannabisproblems in die Behandlung kommen, zu. Im Jahr
2002 war Cannabiskonsum bei 30,5% der wegen Drogenproblemen ambulant
Behandelten nach einem Bericht der Deutschen Referenzstelle für die
Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht der wichtigste
Anlass der Betreuung. Im Übrigen wird Cannabis häufig zusammen mit
anderen Suchtmitteln (wie z.B. Ecstasy und Alkohol) konsumiert.
Die Bundesregierung sieht deshalb derzeit keine Veranlassung, ein
Freigabesignal für eine berauschende Substanz zu geben. Sie wird darin
von der internationalen Gemeinschaft und der hierfür zuständigen
Weltgesundheitsorganisation bestärkt, die an dem obligatorischen
Cannabisverbot der Suchtstoffübereinkommen der Vereinten Nationen
festhalten wollen. Deutschland ist zur Umsetzung der Übereinkommen
vertraglich verpflichtet. Das Gleiche gilt übrigens in den Niederlanden,
wo der Cannabiserwerb für den Eigenkonsum ebenfalls gesetzlich nicht
erlaubt ist, sondern lediglich in sehr engen Grenzen geduldet wird. Bei
den sog. Coffeeshops handelt es sich nicht um staatlich lizensierte
Stellen, sondern um private Gaststättenbetriebe ohne Alkoholausschank,
in denen bei Einhaltung bestimmter Auflagen sog. weiche Drogen (die
Cannabisprodukte Haschisch und Marihuana) verkauft werden dürfen. Obwohl
der Verkauf weicher Drogen auch in den Niederlanden strafbar ist, wird
er nicht verfolgt, sofern es um geringe Mengen (5 Gramm pro Person) geht
und weitere Auflagen erfüllt werden.
Gerade der liberale Ansatz der Niederlande stößt EU-weit und auch
innerhalb der internationalen Gemeinschaft mehr und mehr auf Kritik. So
hat der Rat der Europäischen Union am 27. November 2003 - nach
langjährigem Widerstand der Niederlande - politisches Einvernehmen über
einen Rahmenbeschluss zur Festlegung von Mindestvorschriften über die
Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des
illegalen Drogenhandels erzielt. Danach ist in den einschlägigen
Gesetzen der Mitgliedstaaten u.a. für den Handel mit geringen Mengen von
weniger gefährlichen („weichen“) Drogen eine Höchststrafe von mindestens
1 bis 3 Jahren vorzusehen. Dies könnte möglicherweise eine Verschärfung
der Strafdrohung in den Niederlanden beim Besitz von Cannabis zur Folge
haben.
Ich möchte ergänzend darauf hinweisen, dass die Initiative zur Revision
des Schweizerischen Betäubungsmittelgesetzes, die seit 2001 beraten und
diskutiert wurde und mit der der Anbau und der Konsum von Cannabis unter
bestimmten Umständen legalisiert werden sollte, im Juni 2004 im
Schweizerischen Parlament (Nationalrat) gescheitert ist.
In Deutschland kann unter bestimmten Voraussetzungen (u.a.
Eigenverbrauch in geringer Menge) von der Bestrafung bzw. von der
Strafverfolgung abgesehen werden (§§ 29 Abs. 5, 31a BtMG). Der
Bundesregierung geht es bei der gesetzlichen Regelung des Umgangs mit
Cannabis letztlich darum, einen verfassungskonformen Ausgleich zwischen
dem erforderlichen Gesundheitsschutz für den Einzelnen und die
Allgemeinheit einerseits, sowie den Einschränkungen der persönlichen
Handlungsfreiheit infolge des strafbewehrten Cannabisverbots
andererseits, zu finden. Dies hat das
Bundesverfassungsverfassungsgericht in seiner bekannten
„Haschisch-Entscheidung“ vom 9. März 1994 ausdrücklich anerkannt und
u.a. aus diesem Grund die Rechtmäßigkeit der Cannabisverbote bestätigt.
Mit seinem Beschluss vom 29.06.2004 (Az: BVerfG, 2 BvL 8/02) hat das
Bundesverfassungsgericht seine früheren Beschlüsse zur Strafbarkeit und
damit die Position der Bundesregierung ausdrücklich bekräftigt. Nach dem
einstimmigen Kammerbeschluss liegen keine neuen Erkenntnisse vor, die
die frühere Einschätzung zur Gefährlichkeit von Cannabis-Produkten
erschüttern würde.
Als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr
1994 regte die Bundesregierung seinerzeit bei den
Landesjustizministerien die Festlegung von einheitlichen Kriterien für
die Einstellungspraxis nach § 31a BtMG - insbesondere die Bestimmung der
„geringen Menge“ für den Eigenkonsum von Cannabis im Sinne dieser
Vorschrift - an. Es kam dann zwar nicht zu einer ländereinheitlichen
Festlegung, da die Justizverwaltungen nach und nach in Einzelerlassen
bzw. Richtlinien unterschiedliche Kriterien und Mengen für die Anwendung
des § 31a BtMG festgelegt haben. Eine seinerzeit im Auftrag des
Bundesministeriums für Gesundheit im März 1997 vorgelegte
rechtstatsächliche Untersuchung der Kriminologischen Zentralstelle zum
Thema „Die Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der
Strafverfolgung von Drogenkonsumenten“ (Nomos Verlag, Baden-Baden) ergab
jedoch, dass beim Umgang mit sog. weichen Drogen, insbesondere Haschisch
und Marihuana, hinsichtlich der Mengen, bei denen die Vorschrift des §
31a BtMG regelmäßig zur Anwendung kommt, bundesweit ein hohes Maß an
Übereinstimmung in der strafrechtlichen Praxis vorliege, so dass von
einer im Wesentlichen einheitlichen Rechtsprechung, die das
Bundesverfassungsgericht gefordert hatte, gesprochen werden könne.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat im
Oktober 2002 beim Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht, Freiburg, ein weiteres Forschungsprojekt zu
dem Thema „Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis“ in Auftrag gegeben,
dass im Oktober 2004 abgeschlossen sein wird. Ziel des Vorhabens ist die
Aktualisierung der durch die Untersuchung der Kriminologischen
Zentralstelle aus dem Jahre 1997 gewonnenen Erkenntnisse über die
Einstellungspraxis nach § 31a BtMG und anderen Vorschriften in
ausgewählten Bundesländern. Gleichzeitig sollen die Auswirkungen
justizieller Sanktionen auf das Dogenkonsumverhalten untersucht werden.
Sollte sich aus diesen oder aus sonstigen Erkenntnissen ergeben, dass
die erforderliche Bundeseinheitlichkeit nicht mehr gewährleistet ist, so
wird die Bundesregierung mit den Ländern Kontakt aufnehmen und die
notwendigen Maßnahmen prüfen.
Die Bundesregierung befürwortet alle Anstrengungen, um wirksame
Arzneimittel auf der Basis von Cannabis in den Verkehr bringen zu
können. Dies kann jedoch im Interesse der Patienten wie bei allen
Arzneimitteln nur auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes (AMG) und
des BtMG erfolgen. Danach müssen insbesondere reproduzierbare Qualität,
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der eingesetzten Arzneimittel
wissenschaftlich nachgewiesen werden. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt
sind, können die entsprechenden Wirkstoffe in die Anlage III des BtMG
(verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel) aufgenommen
werden. Dies ist bislang aufgrund klinischer Prüfungen für die
Cannabis-Wirkstoffe Nabilon und Dronabinol erfolgt. Ebenso könnten
natürliche Gemische (z. B. Cannabisextrakt) in die Anlage III
aufgenommen werden, wenn dafür die Voraussetzungen erfüllt sind. Bei
Haschisch, Marihuana und anderen illegalen Hanfzubereitungen ist dies
nicht der Fall. So sind bei diesen Produkten weder der Wirkstoffgehalt
noch Art und Umfang schädlicher Beimengungen bekannt. Die Aufnahme
dieser Zubereitungen in die Anlage III des BtMG ist deshalb nicht zu
verantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
--
Martin Langendorf
Wiss. Mitarbeiter
Abgeordnetenbüro Marion Caspers-Merk
Parlamentarische Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung
Drogenbeauftragte der Bundesregierung
Platz der Republik 1
11011 Berlin
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