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Das Bundesministerium für Gesundheit zu Cannabis als Medizin (2001)

Themen - Drogen und Sucht - Informationen - Cannabis

Cannabis als Medizin
Horst Möller, Ingo Flenker

In jüngster Zeit wird in der Fachpresse und in den Tagesmedien verstärkt die Verwendung von Cannabisprodukten als Arzneimittel (nachstehend Cannabis-Arzneimittel) erörtert. Die Diskussion darüber ist aus fachlicher Sicht nicht immer ausgewogen und insbesondere dann bedenklich, wenn
- die Anwendung von Cannabis-Arzneimitteln mit der Legalisierung von Hanf auch für Rauschzwecke in Zusammenhang gebracht wird,
- Cannabis-Arzneimittel kritiklos als eine Art Wundermittel zur Therapie einer Vielzahl auch schwerster Erkrankungen angepriesen werden,
- das Inverkehrbringen von Cannabis-Arzneimitteln entgegen den Grundsätzen des Arzneimittelgesetzes (AMG) gefordert wird.
Die Autoren vertreten dazu aus Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit und der Bundesärztekammer folgende Auffassung:


1. Die Anwendung von Cannabis-Arzneimitteln erfordert in keiner Weise die generelle Legalisierung von Hanf. Sowohl die internationalen Suchtstoffübereinkommen als auch das deutsche Betäubungsmittelgesetz (BtMG) lassen es grundsätzlich zu, Betäubungsmittel als Arzneimittel zu verwenden. So heißt es in Artikel 14 des Einheitsübereinkommens von 1961 über Suchtstoffe: "Die Vertragsparteien treffen alle erforderliche Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen, ...um nach Maßgabe dieses Übereinkommens die Gewinnung, Herstellung, Ausfuhr, Einfuhr, Verteilung, Verwendung und den Besitz von Suchtstoffen sowie den Handel damit auf ausschließlich medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu beschränken." Folgerichtig wird in § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG als Zweck dieses Gesetzes bestimmt, "die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln ... sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen." Die Bemühungen um die Bereitstellung von Cannabis-Arzneimittel können sich daher auf die damit zusammenhängenden fachlichen und rechtlichen Fragen konzentrieren und sollten keinesfalls mit einer Debatte über die Legalisierung von Hanf belastet werde. Dies würde dem Anliegen der Verfügbarkeit von Cannabis-Arzneimitteln nicht dienlich sein. Nicht zuletzt könnten dadurch auch Patienten als potentielle Drogenkonsumenten diskretediert werden, wenn sie sich für die Verfügbarkeit von Cannabis-Arzneimittel einsetzen.


2. Zweifellos haben Cannabis-Arzneimittel ein breites pharmakologisches Potential [s. u. a. 1]. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Informationen über die Wirkung von Cannabis häufig auf anekdotische Berichte oder Untersuchungen zurückzuführen sind, die nicht den Anforderungen einer klinischen Prüfungen nach dem AMG genügen. Grotenhermen hat deshalb mit Recht und verantwortungsbewusst den sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnisstand hinsichtlich verschiedener Indikationen zum Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln in einer "Hierarchie der therapeutischen Effekte" wie folgt zusammengefasst:

"1. Etablierter Effekt: Übelkeit und Erbrechen, Anorexie und Gewichtsverlust.
2. Relativ gut gesicherter Effekt: Spastik, Schmerzzustände, Bewegungsstörungen, Asthma, Glaukom.
3. weniger gut gesicherter Effekt: Allergien, Juckreiz, Entzündungen und Infektionen, Epilepsie, Depressionen, bipolare Störungen und Angststörungen, Abhängigkeit und Entzugssymptome.
4. Grundlagenforschung: Autoimmunerkrankungen, Krebs, Neuroprotektion, Fieber, Blutdruckstörungen." [2]

Auch die Argumentation, natürliche Gemische der Cannabispflanze würden besser wirken als isolierte Wirkstoffe, ist bislang wissenschaftlich nicht belegt. Hier könnte jedoch eine 1999 begonnene und vom Europäischen Institut für onkologische und immunologische Forschung Berlin koordinierte Multicenterstudie zu validen Ergebnissen beitragen. Mit dieser Studie wird erstmals die Wirksamkeit von Cannabisextrakt gegen Arzneimittel mit isoliertem Dronabinol zur Appetitanregung bei Krebspatienten in Form einer klinischen Prüfung nach dem AMG untersucht .

Der insgesamt wissenschaftlich noch unbefriedigende Kenntnisstand zu den Wirkungen von Cannabis-Arzneimitteln schließt zwar in begründeten Einzelfällen ärztliche Heilversuche auch bei umstrittenen Indikationen nicht aus, erfordert aber vom behandelnden Arzt im Interesse der Patienten aber auch vor dem Hintergrund haftungsrechtlicher Fragen besondere Sorgfalt beim Verschreiben derartiger Arzneimittel. Aus ärztlicher Sicht ist die Selbstmedikation mit ungeprüften Cannabis-Produkten abzulehnen.



3. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch mit Cannabis-Arzneimitteln ist ordnungsgemäß nur möglich, wenn die arzneimittelrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Danach müssen insbesondere reproduzierbare Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der eingesetzten Arzneimittel wissenschaftlich nachgewiesen werden. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können die entsprechenden Wirkstoffe in die Anlage III des BtMG (verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel) aufgenommen werden. Dies ist bislang aufgrund klinischer Prüfungen für die Cannabis-Wirkstoffe Nabilon und Dronabinol erfolgt. Ebenso könnten natürliche Gemische (z. B. Cannabisextrakt) in die Anlage III aufgenommen werden, wenn dafür die Voraussetzungen erfüllt sind. Bei Haschisch, Marihuana und anderen illegalen Hanfzubereitungen ist dies nicht der Fall. So sind bei diesen Produkten weder der Wirkstoffgehalt noch Art und Umfang schädlicher Beimengungen (Lösungsmittel, Schwermetalle, Insektizide usw.) bekannt. Es ist u. a. deshalb nachvollziehbar, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Anwendung von derartigen ungeprüften Produkten für arzneiliche Zwecke nicht erlaubt hat. Ziel muss es daher sein, Cannabisarzneimittel auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes in den Verkehr zu bringen.

Nach dem AMG können Arzneimittel entweder als Prüfarzneimittel im Rahmen einer klinischen Prüfung, oder als Fertigarzneimittel pharmazeutischer Unternehmer oder als in der Apotheke hergestellte Rezepturarzneimittel in den Verkehr gebracht werden.

Prüfarzneimittel können nach § 3 Abs. 2 BtMG "zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken" auf der Grundlage einer entsprechenden Erlaubnis eingesetzt werden. Eine solche Erlaubnis ist im Mai 1999 für die vorgenannte multizentrische klinische Prüfung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilt worden.

Fertigarzneimittel müssen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für den Verkehr zugelassen sein. Nach den Grundsätzen des AMG kann die Zulassung eines Fertigarzneimittels nur durch einen pharmazeutischen Unternehmer betrieben werden. Derzeit sind in der Bundesrepublik Deutschland keine Arzneimittel auf der Grundlage von Cannabis für den Verkehr zugelassen. Arzneimittel mit dem Wirkstoffen Nabilon (Cesamet) und Dronabinol (Marinol) sind jedoch in Großbritannien bzw. den USA im Verkehr. Diese können auf der Grundlage des § 73 Abs. 3 AMG für den Einzelfall verschrieben und importiert werden. Dies erfolgt auch im geringen Umfang.

Rezepturarzneimittel können auch ohne Zulassung in den Apotheken nach spezifischer ärztlicher Verschreibung hergestellt werden, wenn dafür Ausgangsstoffe mit definierter Qualität zur Verfügung stehen. Dies ist grundsätzlich auch für Arzneimittel mit standardisierten natürlichen Gemischen oder isolierten Wirkstoffen von Cannabis möglich. Seit Mitte des letzten Jahres können die Apotheken den Hauptwirkstoff von Cannabis, Dronabinol, mit definierter Qualität von einer Firma beziehen, die eine entsprechende betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis für die Herstellung und den Vertrieb erhalten hat (PZN-Nr. 1270411).

Natürliche Gemische von Cannabis werden derzeit als Ausgangsstoff für die Arzneimittelherstellung in der Apotheke noch nicht angeboten. Die Bereitstellung von standardisiertem Cannabisextrakt wird jedoch von verschiedenen Firmen in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Arzneimittelkodex vorbereitet und dürfte in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang wird die Aufnahme von Cannabisextrakt in die Anlage III des BtMG vorbereitet.

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass Cannabis-Arzneimittel mit Dronabinol als dem Hauptwirkstoff von Hanf bereits jetzt auf Betäubungsmittelrezept verschrieben und durch Apotheken bereitgestellt werden können. Zur Verbesserung der Versorgung mit Cannabis-Arzneimitteln sollte nicht nur die bereits absehbare Bereitstellung von Cannabisextrakt für Rezepturarzneimittel gewährleistet, sondern auch die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf der Basis von Cannabis betrieben werden.

[1] Goedecke, Karkos: Die arzneiliche Verwendung von Cannabisprodukten. Dtsch. Apoth. Ztg. 136, 2859-2862 (1996)
[2] Grotenhermen: Cannabis und Cannabinoide. Verlag Hans Huber, Bern, 2001 ISBN 3-456-83220-6, S. 142


Anschrift der Verfasser
Dr. Horst Möller
Bundesministerium für Gesundheit
Am Propsthof 78 a
53121 Bonn

Dr. Ingo Flenker
Ärztekammer Westfalen-Lippe
Gartenstr. 210-214
48147 Münster

Aktuelle URL:
http://www.bmgs.bund.de/deu/gra/themen/praevention/drogen/2386_2391.cfm

Ursprüngliche URL:
http://www.bmgesundheit.de/bmg-text/themen/drogen/dokumente/informationen/canabisalsmedizin.htm


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