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Brief an Bundesverkehrsminister Bodewig
06.11.01
Drogen und Führerschein
Sehr geehrter Herr Bodewig,
wir möchten hiermit ein Thema an Sie herantragen, das in Ihren Bereich
fällt und unserer Meinung nach eines der brennendsten der aktuellen
Drogenpolitik ist!
Sicher ist Ihnen die derzeitige Regelung bekannt, wie mit illegalen
Drogen im Straßenverkehr umgegangen wird, nämlich sehr unterschiedlich
zum Vorgehen bei Alkohol und Straßenverkehr.
Das Problem besteht nicht nur darin, daß es keine zu Alkohol
vergleichbaren Grenzwerte gibt, mit denen eine befriedigende Situation
für die konkrete Situation im Straßenverkehr geschaffen werden könnte.
Es werden sogar Führerscheine eingezogen bei Personen, die ohne
irgendeinen Zusammenhang zum Straßenverkehr wegen Drogenbesitz
aufgefallen sind. Das ist eine absurde Situation, die uns nur so
erklärbar ist, daß hier eine Strafe durch die Hintertür eingeführt
wurde, weil den Konsumenten bei geringen Mengen zum Eigenverbrauch oft
keine Strafe droht.
Das Argument, daß bei Besitz illegaler Drogen mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine Abhängigkeit besteht, durch die sich der
Drogenkonsum auch auf das Teilnehmen am Straßenverkehr ausdehnt, ist in
Anbetracht des Suchtpotentials beinahe aller Drogen im Vergleich zu
Alkohol nicht stichhaltig.
Selbst bei Cannabiskonsumenten wird ein für die Betroffenen
nervenaufreibendes, aufwendiges und teueres Verfahren mit ungewissem
Ausgang in Gang gesetzt. (MPU etc.)
Wir halten diese Vorgehensweise für verfassungswidrig und in grober
Weise ungerecht.
Natürlich sind wir an einer möglichst weitgehenden Verkehrssicherheit
interessiert und wollen, daß das Fahren unter
fahrtauglichkeitsminderndem Drogeneinfluß sanktioniert wird. Auf ein
solches Verhalten wegen bloßem Drogenbesitz zu schließen, ist aber in
keinem Fall angemessen.
In den meisten der betroffenen Fälle handelt es sich um
Cannabiskonsumenten, bei denen es besonders unsinnig ist, Ihre
persönliche Fahrtauglichkeit pauschal anzuzweifeln.
Nach zweijähriger Erfahrung und vielen Kontakten mit Betroffenen können
wir Ihnen versichern, daß es eine große Anzahl von Fällen gibt, bei
denen Verfahren zum Führerscheinentzug wegen bloßem Besitz von Drogen
(insb. Cannabis) durchgeführt werden. Bei den Betroffenen, die sich bei
uns melden, geht es sogar in ca. 90 % der Fälle um reine
Besitzverfahren.
Vor Kurzem hat der Stuttgarter Polizeipräsident Schairer offiziell
verkündet, daß auch Fußgängern, die mit Drogen erwischt werden, der
Führerschein entzogen werden soll. Außerdem sollen entsprechende Daten
auch von Minderjährigen gespeichert werden, damit sie später keinen
Führerschein bekommen können. (Wir dokumentieren zwei entsprechende
Presseberichte auf den Seiten drei und vier dieses Schreibens.)
Der Führerscheinentzug wird also zunehmend als Strafmaßnahme für
Drogenbesitz mißbraucht.
Vor diesem Hintergrund möchten wir Ihnen folgende Fragen stellen:
-
Wie stehen Sie zu der Idee, den Führerscheinentzug als Strafmittel gegen
Besitzer illegaler Drogen einzusetzen?
-
Was halten Sie von der Einführung von Grenzwerten bei der Konzentration
der einzelnen Substanzen im Blut, um eine verkehrsrechtliche
Gleichstellung von illegalen Drogen und Alkohol zu erreichen?
-
Wie denken Sie über den pauschalen Entzug des Führerscheins bei bloßem
Besitz von illegalen Drogen?
-
Wird im Bundesverkehrsministerium über eine baldige Änderung dieser
Verfahrensweise nachgedacht? Ist mit diesbezüglichen Aktivitäten Ihres
Ministeriums zu rechnen?
-
Was halten Sie vom Vorgehen des Stuttgarter Polizeipräsidenten,
öffentlich und offiziell zu verkünden, daß auch Fußgängern mit
Drogenbesitz der Führerschein entzogen werden soll?
-
Ist es ihrer Ansicht nach nach § 2 Abs.12 StVG vertretbar bzw.
erforderlich, daß Daten über Drogenbesitz auch von Minderjährigen, die
also noch gar nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis sind, dennoch laut
Stuttgarter Polizeipräsident durch die Polizei an die zuständigen
Straßenverkehrsbehörden weitergeleitet werden?
Eine baldige Antwort Ihrerseits würde uns freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Georg Wurth gez. Karl-Hermann Günther gez. Silke Kolwitz
(für das BND) (BND-Sprecher) (BND-Sprecherin)
Anlage: 2 Presseberichte auf S. 3 + 4
Südwest Presse vom 25.10.01
drogen / Ecstasy-Konsumenten verlieren den Führerschein
Stuttgart greift hart durch
Die Polizei und die Stadt Stuttgart nehmen Konsumenten der Partydroge
Ecstasy ins Visier. Wer mit den Aufputsch-Pillen erwischt wird, riskiert
seinen Führerschein.
RAIMUND WEIBLE
STUTTGARTˇ Jedes Wochenende, schätzt der Stuttgarter Polizeipräsident
Martin
Schairer, werden in der Landeshauptstadt zehntausende Ecstasy-Tabletten
verkauft. Käufer sind hauptsächlich Disco-Gänger, die sich mit
Amphetaminen
vollpumpen, um Nächte lang durchtanzen zu können. Viele von ihnen, weiß
Schairer, setzen sich nach solch einer Nacht ans Steuer und sind eine
Gefahr
im Straßenverkehr. Oft sind sie nach dem Disco-Besuch noch lange
unterwegs
nach Hause. Denn zwischen 60 und 70 Prozent der Besucher Stuttgarter
Discos
sind Auswärtige.
Jetzt will Schairer schärfer gegen die Drogenkonsumenten vorgehen. Die
Polizei will das mobile Disco-Volk dort treffen, wo es am meisten weh
tut:
beim Führerschein. Das Vorgehen ist mit der Landeshauptstadt Stuttgart
abgestimmt. Fahrern, die unter Ecstasy stehen, nimmt die Polizei den
Führerschein ab. Aber auch dann, wenn die Beamten feststellen, dass
Autofahrer Drogen dabei haben, kassieren sie den ¸¸Lappen''. Das gilt
auch
für andere Insassen des Autos, wenn sich herausstellt, dass sie im
Drogenregister der Polizei verzeichnet sind.
Schairer geht noch einen Schritt weiter. Selbst Fußgängern mit
Führerschein
und Jugendlichen, die noch gar keinen Führerschein haben, drohen
Konsequenzen, wenn sie mit Ecstasy oder harten Drogen wie Kokain und
Heroin
angetroffen werden. Die Polizei meldet den Drogenbesitz dann sofort der
Führerscheinstelle. Und der Drogenkonsument muss damit rechnen, dass er
den
Führerschein abgeben muss oder dass er erst gar nicht zur Prüfung
zugelassen
wird.
Der Polizeipräsident stützt sich dabei auf das 1998 erlassene
Fahrerlaubnisrecht. Das verleihe ihm das rechtliche Handwerkszeug für
sein
Vorgehen, sagte Schairer gestern.
Die Polizei macht bereits Ernst. Am vergangenen Sonntag kontrollierte
sie in
der Stuttgarter Innenstadt zwischen 7 und 9Uhr insgesamt 35 Fahrzeuge
und 50
Personen. Zwei Fahrern und zwei Beifahrern nahmen die Beamten den
Führerschein ab, weil ein Schnelltest sie als Ecstasy-Konsument
entlarvte.
Zwei weitere Beifahrer müssen ebenfalls mit dem Verlust ihrer
Fahrerlaubnis
rechnen.
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Stuttgarter Zeitung v. 25.10. 01
Härtere Gangart gegen Ecstasy-Konsumenten
Polizei und Stadtverwaltung entziehen bei Nachweis der
Designerdroge den Führerschein
Zehntausende Ecstasy-Tabletten wechseln an jedem Wochenende
in Stuttgarter Clubs und Discotheken die Besitzer. Dabei will die
Polizei nicht länger zusehen. Wer künftig als Konsument auffällt,
riskiert seinen Führerschein.
Von Rüdiger Bäßler
Polizeipräsident Martin Schairer hat gestern eine gemeinsame
Strategie der Landeshauptstadt Stuttgart und der Polizei zur
Bekämpfung der synthetischen Droge Ecstasy vorgestellt.
Autofahrer, die jetzt im Besitz oder unter dem Einfluss der Droge
in eine Verkehrskontrolle geraten, werden nicht nur nach dem
Strafrecht behandelt, sondern müssen mit dem Entzug des
Führerscheins rechnen. Ecstasy werde künftig "in eine Reihe mit
Heroin und Kokain gestellt", so Schairer. Lediglich Cannabis bleibe
eine Ausnahme.
Nach Schätzungen der Polizei konsumieren 90 Prozent aller
Discogänger Drogen. Speziell die Ecstasy-Tabletten werden nach
Erkenntnis von Ermittlern ohne jedes Problem- oder
Unrechtsbewusstsein geschluckt. "Niemand weiß, was in der
Tablette drin ist, wo und wie sie hergestellt wurde", sagte Schairer.
Dass die Droge das Nervensystem nachhaltig schädigt und unter
anderem auch zum Verlust der Fahrtauglichkeit führen kann, scheine
kaum jemanden zu stören. 60 bis 70 Prozent der Stuttgarter
Discogänger kommen laut Polizei aus dem Umland, der überwiegende
Teil davon mit dem eigenen Auto. Eine Riesenzahl von Leuten, die
berauscht über die Straßen fährt, so die Vermutung. Allein bei
Verkehrskontrollen der vergangenen Wochen wurden in unmittelbarer
Nähe von Stuttgarter Szenediscotheken nach Kontrollen 57
führerscheinrechtliche Verstöße festgestellt. 15 der jungen Autofahrer
standen unter Drogeneinfluss, acht von ihnen hatten Ecstasy
genommen. Die Droge lässt sich leicht durch das so genannte
Drugvipe-Verfahren feststellen. Dabei wischt der Beamte mit einem
speziellen Kontrollstreifen, der Amphetamine nachweist, etwas
Schweiß von der Stirn.
Vom Straßenrand aus wollen Stadt und Polizei den Missstand weiter
bekämpfen, und zwar mit Hilfe des Fahrerlaubnisrechts. "Es ist eine
noch schärfere Waffe als das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht,
weil es auf der Gefahrenabwehr beruht", so Schairer. Es muss also
keine Straftat mehr nachgewiesen werden, sondern es genügt eine
Prognose über die Fahrtauglichkeit, um ein Strafmaß zu finden. Die
dafür zuständige Führerscheinstelle der Stadt sei bereits zu einer
schärferen Bewertung angewiesen worden, sagte der Polizeipräsident.
Er rechne damit, dass auch die Landratsämter außerhalb Stuttgarts
mitzögen. Die Führerscheinstellen entscheiden dann über die Dauer
des Führerscheinentzugs und weitere Fahrtauglichkeitsprüfungen,
zum Beispiel ein Drogenscreening.
Aber nicht nur der Fahrer, sondern auch aller Beifahrer will die
Polizei habhaft werden. Wer mit im Auto sitzt und unter
Ecstasy-Einfluss steht oder Pillen bei sich hat, dessen Führerschein
beschlagnahmt die Polizei ebenfalls. Ob und wann er zurückgegeben
wird, entscheidet wiederum die Führerscheinstelle. Wer als Konsument
schon bekannt ist, muss auf jeden Fall mit dem Verlust rechnen.
Mehr noch: sogar Sechzehn- oder Siebzehnjährige, die im Rausch
in eine Kontrolle kommen, sollen belangt werden. Ihnen kann die
Fähigkeit abgesprochen werden, den Führerschein später überhaupt
zu machen.
Schairer geht von einem "Riesendunkelfeld" von Ecstasy-Konsumenten
aus. Seiner Ansicht nach steht die Gesellschaft "erst am Anfang dieser
Geschichte". Vor allem die Fahrschulen, fordert der Polizeipräsident,
müssten jetzt intensive Aufklärung über Drogen am Steuer und die
Folgen leisten.
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Cannabis und Führerschein
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