An: claudia.roth@gruene.de
Sehr geehrte Frau Bundesvorsitzende,
Liebe Frau Roth,
zuerst möchte ich Ihnen recht herzlich zum guten Abschneiden Ihrer Partei bei der Bundestagswahl gratulieren und Ihnen für die nächsten Jahre viel Erfolg, Mut und Durchsetzungsvermögen für eine grüne Politik wünschen, in die vielleicht auch mehr der berechtigten Forderungen globalisierungskritischer Gruppen (wie z. B. ATTAC) einfließen wird. Wenn Bündnis 90/Die Grünen nicht kompetent für diese Problematik sind, wer sonst? ( an sich sollte es ja auch die SPD sein!)
Mein eigentliches Anliegen, mit dem ich mich an Sie wende, dürfte bei Ihrem Koalitionspartner und unserem Bundeskanzler, Gerhard Schröder, wohl im besten Fall ein resigniertes Augenverdrehen auslösen. Schon zu Beginn der letzten Legislaturperiode bzw. in den damaligen Koalitionsverhandlungen wurde der Anstoß Ihrer Partei zu einer Reform der derzeitigen Drogenpolitik vom großen Partner abgeschmettert. Diese "Mit-mir-nicht"-Haltung des Bundeskanzlers kann ich mir persönlich nur mit Desinteresse an der Drogenpolitik, mangelndem Wissen oder fehlendem Mut erklären. Um etwas besser machen zu können, muß man es oft auch einfach mal anders machen - und sich erfolgreiche Nachbarn als Vorbild (Holland, Schweiz) nehmen.
Ich bin sicher, Ihnen müssen all die Argumente, die für eine Legalisierung/Tolerierung von Cannabis sprechen, nicht noch einmal aufgetischt werden. Ich selber gehe mit den unter http://www.cannabislegal.de/argumente/index.htm aufgeführten Argumenten und Forderun-gen konform.
Alles, was politisch noch gegen eine Reform spricht, ist pure Ideologie und Leugnen von Tatsachen. Sachargumente, Logik, Verantwortung gegenüber Kinder und Jugendlichen und auch pures Gerechtigkeitsempfinden sprechen für eine verantwortungsvolle Legalisierung/Tolerierung, vorzugsweise nach dem holländischen Modell.
Es ist mir durchaus bewußt, daß vor Ihnen und Ihrer Partei eine der schwierigsten Legislaturperioden seit Bestehen der BRD liegt. Sie müssen mit einer knappen Mehrheit regieren, eine Blockadehaltung der Mehrheit der Bundesländer wird Ihnen im Bundesrat das Leben schwermachen; ausserdem hat der Ex-Kanzlerkandidat ja schon angekündigt, daß CDU/CSU nur auf ein Scheitern warten, um schnellstmöglich doch noch die Macht zu übernehmen. Drogenpolitik scheint da einer der Punkte zu sein, die man notfalls vernachlässigen kann.
Liebe Frau Roth, ich bin davon überzeugt, daß Bündnis 90/Die Grünen mindestens 4 bis 5 % Ihres guten Ergebnisses bei der Bundestagswahl Wählern zu verdanken haben, die entweder einer Legalisierung/Tolerierung positiv gegenüber stehen oder schlichtweg Kiffer sind. Viele wollen auch einfach nur eine andere Drogenpolitik, weil für sie auf der Hand liegt, daß die bisherige völlig gescheitert ist. Und wir werden immer mehr...
Cannabis ist aus dem Alltag diese Landes nicht mehr wegzudenken. Haschisch und Marihuana wird quer durch alle sozialen Gruppen Deutschlands konsumiert. Die aktuelle Gesetzgebung wird verlacht. Nichtsdestotrotz leiden viele Kiffer, die bei Ihrem "Laster" erwischt wurden, unter einer Kriminalisierung, die eines fortschrittlichen Gemeinwesens nicht mehr würdig ist. Für viele, die wegen sog. Mißbrauch verurteilt wurden, ist die Existenz schon in jungen Jahren zerstört oder sehr gefährdet (siehe besonders die Zustände in Bayern).
Natürlich ist der Konsum weder gänzlich unbedenklich noch ungefährlich. Regel- bis unmäßiger Konsum kann sich, besonders in jungen Jahren, sogar verheerend auswirken. Auf der anderen Seite sind Fälle psychischer Störungen bzw. sozialer Abstürze direkt durch Cannbiskonsum wohl eher eine sehr geringe Ausnahme. Man kann dabei nicht oft genug die gesellschaftlichen Folgen und Kosten des Alkoholmißbrauchs gegenüber aufrechnen. Und das Argument "wir brauchen nicht noch eine Droge" ist ja wohl ebenso intelligent wie "Mein Strom kommt aus der Steckdose". Nebenbei: Es gibt meines Wissens immer noch keinen Todesfall, der direkt auf den Konsum von Cannabis zurückzuführen ist. Wie sieht's denn da mit Alkohol aus?
Zum Schluß noch eine Art Outing und persönlicher Hinweis: Ich selber lebe in intakten (wenn auch nicht sonderlich bürgerlichen) Verhältnissen, komme beruflich zurecht und kann mir in einem italienischen Restaurant zusammen mit einem Kellner ein Menü zusammenstellen, ohne zu kichern und zu sabbern. Das ist das erschütternde Ergebnis von ca. 25 Jahren Cannabismißbrauch.
Vielleicht sollten Sie (bzw. die VerhandlungsführerInnen) bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen dem Herrn Bundeskanzler in diesem Punkt einfach ein "herzliches Willkommen im Alltag" entgegenschmettern. Hat er nicht für sich plakatiert, ein "moderner Bundeskanzler" für moderne Zeiten zu sein?
Zumindest einen Versuch wär's doch wieder wert...
Mit herzlichen Grüßen (und viel Hoffnung)
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