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Briefwechsel: Regina Schmidt-Zadel, SPD1) Brief an Regina Schmidt-Zadel, drogenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
From: Joe Wein <joewein@pobox.com> Sehr geehrte Frau Schmidt-Zadel, anlässlich der geplanten Cannabislegalisierung in der Schweiz habe ich mir das Parteitagsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Drogenpolitik von 1998 nochmals angesehen. Dort heisst es: "Neue Wege in der DrogenpolitikWarum ist sind Besitz und Anbau von Cannabis für den Eigenbedarf immer noch Straftaten, auf die bis zu 5 Jahre Gefängnis stehen? Laut der Studie von Professor Dieter Kleiber für die Kohl-Regierung sind nur 2 Prozent der untersuchten Cannabiskonsumenten, die noch keine anderen illegalen Drogen probiert haben, psychisch davon abhängig. "Süchtig" im konventionellen Sinn ist niemand davon. Selbst unter Berücksichtigung der Beikonsumenten anderer Drogen sind elf von zwölf Cannabiskonsumenten nicht psychisch davon abhängig. Warum muss nach geltenden Recht gegen jeden von ihnen Anzeige erstattet werden, der auch nur einen Joint besitzt? Das ist nicht mehr zeitgemäss. Wem wird denn durch Kriminalisierung geholfen, abhängig oder nicht abhängig? "Wir setzen auf Prävention, weil wir mit Aufklärung und vorbeugender Hilfe für gefährdete Personen alles dafür tun wollen, daß Menschen nicht in die Suchtabhängigkeit geraten." Prävention setzt aber Glaubwürdigkeit voraus. Ohne sie verhallen alle Warnungen ungehört. Wie sollen denn junge Menschen der Botschaft eines Staates trauen der Cannabiskonsumenten kriminalisiert obwohl härtere Drogen wie Alkohol und Nikotin weiter legal sind? In dem für Tabak und Alkohol überall geworben wird? Wo Zigaretten an öffentlichen Automaten für Minderjährige zugängig sind? Wo Politiker in Bierzelten öffentlich zum Drogenkonsum einladen ("o'zapft is!")? Erst wenn Alkohol, Nikotin und Cannabis nach konsistenten Kriterien eingestuft werden, wird wirksame Prävention möglich sein, bei Cannabis wie bei Alkohol und Nikotin. Eine Besteuerung von Cannabis würde auch die Mittel dafür bereitstellen. "Wir setzen auf Hilfe, weil wir wissen, daß Sucht eine Krankheit ist und der Behandlung bedarf." Warum werden nicht-Abhängige und Abhängige gleichermassen kriminalisiert? Warum werden weiter Krebskranke und Rollstuhlfahrer kriminalisiert wenn sie Cannabis als Medizin verwenden? Warum wird weiterhin nicht-Abhängigen der Führerschein entzogen ohne dass sie berauscht am Steuer gessessen hätten, obwohl bei Alkohol sogar bis zu 0,8 Promille legal sind? "Wir sagen der Drogenmafia den Kampf an." Warum wird der Cannabismarkt mit Millionen von Abnehmern (davon laut BKA über 80 Prozent Erwachsenen) den Kriminellen überlassen, die daran jährlich Milliarden DM verdienen? Im Jahrzehnt der Einigung, 1990-1999, kamen die wenigen Prozente des Cannabisumsatzes, die von Polizei und Zoll beschlagnahmt wurden auf insgesamt 152 Tonnen. Wenn die tatsächlich konsumierte Menge 10-20 mal höher liegt, also bei 1500 bis 3000 Tonnen, dürfte der geschätzte Verkaufswert etwa 15 bis 30 Milliarden DM betragen haben. Der Fiskus sah davon keinen Pfennig, obwohl die öffentlichen Haushalte jährlich Hunderte von Millionen DM für eine sechstellige Anzahl von Ermittlungsverfahren wegen Cannabisdelikten ausgeben. Ohne das Cannabisverbot wäre dieser riesige unkontrollierte Schwarzmarkt (an dem nur die Kriminellen ein Interesse haben) nicht möglich. "Wir wollen der Drogenkriminalität den Boden entziehen: Wir wollen Hilfe statt Strafe für die Abhängigen, aber eine rigorose Strafverfolgung der Drogenhändler." Die SPD muss sich endlich der Realität stellen: * In keinem Punkt des drogenpolitischen Programms differenziert die SPD zwischen Cannabis und Heroin. Wir brauchen verschiedene Formen der Kontrolle für verschieden gefährliche Drogen. * Nicht alle Konsumenten illegaler Drogen sind abhängig, insbesondere nicht bei der "weichen" Droge Cannabis. Wir brauchen effektivere Wege, Drogen zu kontrollieren und Abhängigen zu helfen als die pauschale Kriminalisierung aller Konsumenten. * Etwa 80 Prozent der Konsumenten illegaler Drogen in Deutschland konsumieren nur Cannabis. Die grosse Mehrzahl von ihnen hat keine Probleme damit, wird aber trotzdem kriminalisiert. Hier produziert der Staat zusätzliche Probleme ohne alte Probleme zu lösen. Dieser soziale Minusposten darf bei der politischen Bilanz nicht länger ignoriert werden. * Die Erfahrung anderer Länder zeigt dass eine Verschwendung von Ressourcen durch härtere Verfolgung der Anbieter die Situation nur verschlimmert. Man sehe sich nur die USA mit ihren 2 Millionen Gefängnisinsassen an. Andererseits haben die Niederlande seit 24 Jahren mit ihrer pragmatischen Politik gute Erfahrungen gemacht. Was wir brauchen sind wirklich neue Wege in der Drogenpolitik, wie z.B. eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene mit Alterskontrollen, wie in der Schweiz geplant (und dort von der SP bis zur CVP getragen). Die Schweiz war Schrittmacher bei neuen Wegen im Umgang mit harten Drogen. Wenn erst einmal die Schweiz Cannabis legalisiert, wird sich die Debatte in Deutschland nicht länger vermeiden lassen. Ich hoffe dass dann die SPD zu ihrem Wort von "neuen Wegen" stehen wird! Mit freundlichen Grüssen Joe Wein
[Anschrift]
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