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Briefwechsel: Christa Nickels

1) Brief aus dem Amt von Christa Nickels, der damaligen Drogenbeauftragten der Bundesregierung

From: "christa nickels" <christa.nickels@bundestag.de>
Sent: Tuesday, October 24, 2000 7:14 PM
Subject: Ihre Anfrage

Sehr geehrter Herr T. (*),

Ihre Anfrage an die Grüne Fraktion im Deutschen Bundestag wurde von mehreren Büros an uns zur Stellungnahme weitergeleitet. Lassen Sie mich dazu folgendes anmerken: Von der rot-grünen Regierung wird immer gefordert, die "drogen-politische Wende zu realisieren" und dazu insbesondere Vorschläge zur weiteren Entkriminalisierung von Cannabiskonsum zu machen. Ich sage das ausdrücklich vor dem Hintergrund, dass mich gerade von Seiten der grünen jugendlichen Parteibasis und vieler anderer junger Menschen immer wieder - zum Teil heftige - Kritik erreicht, dass die neue Drogenpolitik auf der Bundesebene in dieser Frage nichts unternommen habe oder dass ich mich "nicht trauen" würde, weitergehende Schritte einzuleiten und umzusetzen.

Zunächst einmal möchte ich allerdings klarstellen, dass eine drogenpolitische Wende von der neuen Bundesregierung in der Tat schon längst eingeleitet worden ist und es bereits eine ganze Reihe vom wichtigen Initiativen gegeben hat. Diese Trendwende ist gegen eine bisher stark ideologisierte Drogenpolitik erreicht worden. Ich glaube, dass ich auch persönlich in meiner Funktion als Drogenbeauftragte der Bundesregierung nicht unerheblich dazu beitragen konnte, dass das drogenpolitische Klima nicht mehr so stark von Polemik, ideologischen Scheuklappen und schlichten Lügen geprägt ist. Wir sind einen erheblichen Schritt zu einer parteiübergreifenden rationalen Drogenpolitik näher gekommen, aber ich bin mir auch darüber im Klaren, dass diese Wende weiterhin brüchig ist und schnell wieder in neue "Glaubenskriege" umschlagen kann, denn noch immer eignet sich das Drogenthema dazu, (Ur-) Ängste zu mobilisieren und Emotionen zu schüren. Aber dennoch:
- wir haben in zäher Kleinarbeit erreicht, dass es heute eine rechtliche Absicherung für Mitarbeiter der Drogenhilfe gibt, die in Drogenkon-sumräumen ein Angebot zur Überlebenshilfe für gesundheitlich verelendete langjährige Heroinabhängige erhalten;
- wir haben die Städte und Bundesländerländer, die schon seit Jahren eine Ermög-lichung einer heroin-gestützten Behandlung fordern, tatkräftig in dieser Zielsetzung unterstützt und ein gemeinsames Modellprojekt auf den Weg gebracht, dass sich in der Umsetzung befindet; auch hier gibt es eine Menge mühsamer Absprachen und Kleinarbeit, die häufig hinter der großen Zielsetzung verborgen bleibt;
- wir haben uns mit erheblicher Anstrengung darum bemüht, dass die Substitutionsbehandlung mit Methadon, Codein oder anderen zur Substi-tution geeigneten Mitteln als wichtiger Bestandteil der Behandlung Opiat-abhängiger mittlerweile unbestritten ist. Diese Behandlung darf nicht durch neue bürokratische Richtlinien oder durch eine enger werdende Finan-zierung gefährdet werden; die im Rahmen der Selbstverwaltung der Krankenkassen und Ärzteschaft erlassenen Richtlinien zur Finanzierung der Behandlung entsprechen nach wie vor nicht den Vorstellung des Ministeriums, das auch gewährleistet wissen will, dass als Indikation für eine Substitutionsbehandlung allein eine Opiatabhängigkeit ausreichend sein muss und nicht noch zusätzliche schwere körperliche oder psychiatrische Erkrankungen. Ich bemühe mich in zäher Kleinarbeit darum, dass diese Behandlungsform allen, die sie benötigen und wünschen so schnell und unbürokratisch, wie möglich, zugänglich ist;
- wir haben dafür gesorgt, dass der politische und öffentliche Fokus nicht länger auf die illegalen Drogen und deren Konsumenten gerichtet ist, sondern dass endlich die erheblichen gesundheitlichen und sozialen Risiken und Schäden durch den Konsum und Missbrauch von Tabak und Alkohol auf die politische Agenda genommen werden; dazu habe ich bereits zahlreiche Gespräche mit Vertretern der Tabak-, der Alkohol- und der Werbeindustrie geführt, bei denen für mich insbesondere der Kinder- und Jugendschutz im Vordergrund steht;
- wir haben eine Drogen und Suchtkommission eingesetzt mit unabhängigen und anerkannt sachkundigen Experten, die Anregungen geben sollen für eine umfassendes Konzept der Suchtprävention, in der auch die bisherige nicht sachgerechte Aufteilung in legale und illegale Mittel hinterfragt werden wird;
- wir haben uns stark dafür gemacht, dass Cannabis für medizinische Zwecke endlich allen Schwerkranken Menschen, die nachweislich davon profitieren, schnell und unbürokratisch zur Verfügung stehen muss und ich bin zuversichtlich, dass wir bis zum Jahresende hier Riesenschritte vorankommen werden.

Nun geht es um die weiteren Schritte zur Entkriminalisierung des Cannabiskonsum und diese Intention wird von mir voll unterstützt. Es ist mittlerweile unbestritten, dass Cannabis eine "illegale Alltagsdroge" geworden ist. Aber ich möchte in der Frage, was wir tun können, um diesem Ziel näher zu kommen oder es gar zu erreichen, nicht aus der Hüfte schießen, sondern Vorschläge in die Diskussion zu bringen, die mit den geltenden Internationalen Übereinkommen vereinbar sind und zugleich zu einer spürbaren Entlastung von Konsumenten führen, die immer noch mit Strafverfolgung konfrontiert sind und mit Schikanen. Ich biete bei dieser Suche nach gangbaren Wegen meine Unterstützung an. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass die Regierungsbeteiligung nur ein zusätzliches Element ist, um gesellschaftliche Reformprozesse voranzutreiben, aber man darf nicht alle Segnungen von ihr erwarten und schon gar nicht allein vom kleinen Koalitionspartner!

Auch wenn Anhaltspunkte für eine gewisse Vereinheitlichung der Strafverfolgungspraxis der Länder bei einer Höchstmenge von bis zu 10 g bundeseinheitlich Strafverfahren sprechen, wird nach wie vor von einer uneinheitlichen Handhabung dieser Regelungen in den Bundesländern (mit einem Nord-Süd- und West-Ost-Gefälle) berichtet, ebenso über Strafverfahren wegen (unerlaubtem) Anbau von Cannabis, die zu zum Teil unverhältnismäßigen Strafen führen. Außerdem mehren sich die Fälle, in denen die Behörden zum Zwecke der Prüfung der Fahrerlaubnis auch dann Führerscheine zu entziehen und Medizinisch-Psychologische Gutachten anzuordnen, wenn nicht nachweislich unter Drogeneinfluss am Straßenverkehr teilgenommen wurde. Was die Führerscheinproblematik anbetrifft, so geht selbst aus den offiziellen Daten des Verkehrsministeriums hervor, dass bislang in 0,1 % aller registrierten Fälle von Unfällen im Straßenverkehr auf den Einfluss von illegalen Drogen oder Medikamenten zurückzuführen ist und bei Verkehrskontrollen in nur etwa 2-3 % der Fälle der Konsum illegaler Drogen nachweisbar war. Natürlich will ich weder, dass jemand bekifft noch alkoholisiert Auto fährt, es ist aber verfassungsrechtlich höchst bedenklich, wenn der bloße Besitz von Cannabis ausreicht, um die Fahrerlaubnis zu entziehen und eine charakterliche Ungeeignetheit zu unterstellen. Ich meine, es wäre an der Zeit, wenn die Grünen zu diesen Fragen möglichst bald ein Hearing veranstalten, um konkrete Vorschläge auszuarbeiten, wie auf gesetzgeberischer und politischer Ebene Reformen eingeleitet werden können.

Es liegen zudem international anerkannte Gutachten vor (z.B. die Roque-Studie im Auftrag der französischen Regierung oder auch die Kleiber-Studie im Auftrag des BMG noch unter Federführung der vorherigen Bundesregierung), die belegen, dass die gesundheitliche Gefährdungen durch Cannabiskonsum als gering und die Toxizität von Cannabis geringer einzustufen ist, als beispielsweise die von Alkohol. Die weitaus meisten Cannabis-konsumenten sind Probierer bzw. Gelegenheitskonsumenten ohne gravierenden gesund-heitliche, psychische oder soziale Probleme, sodass es fraglich ist, ob die Anwendung strafrechtlicher Ermittlungen und die Pönalisierung für die Betroffenen nicht schädlichere Konsequenzen aufweist, als der Konsum selbst. Allerdings ist eine weitgehende Freigabe (Legalisierung) auch nach den in den Internationalen Suchtstoffübereinkommen eingegangenen Verpflichtungen Deutschlands völkerrechtlich nicht möglich. Es ist deshalb zu prüfen, welche Möglichkeiten einer weiteren Entpönalisierung rechtlich und tatsächlich bestehen. Auch die mögliche Abgabe von Cannabis an erwachsene Konsumenten in staatlich zugelassenen Abgabestellen ist in diese Prüfung einzubeziehen. Inzwischen liegt auch ein Gutachten aus der Schweiz vor, was eine mögliche Abgabe von Cannabisprodukten für vereinbar mit dem Internationalen Suchtstoffübereinkommen hält.

Mit freundlichen Grüßen
i. A.
Simone D'Avis
wiss. Mitarbeiterin

 

Bitte beachten Sie auch einen Brief von Frau Nickels vom 31.07.2001


(*) Der Name des Empfängers ist cannabislegal.de bekannt.