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Roques-Report
Bundessprachenamt
- Referat SM II 2
Auftragsnummer D9292
Übersetzung
aus dem Französischen
Probleme durch das Gefahrenpotential
von Drogen
Bericht von Professor
Bernard ROQUES für den Staatssekretär für Gesundheit
Mai 1998
ALLGEMEINE
SCHLUSSFOLGERUNGEN
- Während
der ersten Kontakte mit der Droge dürfte sich eine biochemische Prädisposition
für Mißbrauchsverhalten entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt dürften
zwei Parameter eine entscheidende Rolle spielen: die genetischen Voraussetzungen
sowie das soziokulturelle und emotionale Umfeld. Dies könnte erklären,
warum nicht alle Menschen gleichermaßen empfänglich für
Drogen sind und daß ein ungünstiges Zusammenspiel dieser beiden
Paramter den möglichen "Absturz" in die Sucht begünstigt. Das
häufig gleichzeitige Auftreten psychischer Störungen bei Rauschgiftabhängigen
stützt diese Hypothese. Es wäre daher wünschenswert,
wenn in Frankreich und in ganz Europa entsprechende genetische Studien,
die in dieser Form zur Zeit nahezu ausschließlich in den Vereinigten
Staaten durchgeführt werden, erarbeitet würden.
- Wiederholte
Belastungen (auch während der Schwangerschaft) bei der Ausbildung
neuronaler Netze und der Entwicklung der Persönlichkeit spielen mit
großer Sicherheit eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Empfänglichkeit
für Drogen. Aus diesem Grund stellt ein konfliktgeladenes familiäres
und soziokulturelles Umfeld in der Kindheit einen besonders hohen Risikofaktor
in bezug auf die Abhängigkeit dar. Je früher die ersten Erfahrungen
gemacht werden, desto höher scheint dabei das Risiko zu sein. Es
wäre daher wünschenswert, folgende Punkte im Tierexperiment
zu untersuchen: i) die Bedeutung wiederholter Belastungen im Hinblick
auf die Empfänglichkeit für verschiedene Drogen, ii) Entwicklung
von Abhängigkeit und Umstände, die zu Rückfällen führen.
- Der Konsum
aller "Drogen" führt zu einer Stimulierung der mesokortikolimbischen
dopaminergen Bahn. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein drogenspezifisches
Phänomen, und es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der Freisetzung
von Dopamin (DA) im limbischen System und der "Gefährlichkeit" von
Drogen. Charakteristisch für die "harten Drogen" ist wohl, daß
sie imstande sind, einen hypersensiblen Zustand des DA-Systems herbeizuführen.
Die Förderung von Studien in diesem Bereich ist wichtig, da diese
Hypothese nicht eindeutig belegt ist und die damit verbundenen molekularen
Mechanismen noch unbekannt sind. Es sollten daher insbesondere solche
Tierexperimente unterstützt werden, bei denen Mäuse mit Gendeletionen
und vor allem auch Mäuse mit Einschränkung der Genexpression
bei kontrollierter anatomischer und zeitlicher Auslösung untersucht
werden.
- Die Entwicklung
einer Hypersensibilität gegenüber einem Produkt nach wiederholtem
Konsum könnte durch die Bindung von CRF und/oder Glucocorticoiden
an ihre neuronalen Rezeptoren "stabilisiert" werden. Eine Vielzahl von
Untersuchungen in vitro und in vivo führt in diese Richtung.Daher
sollten neuroendokrinologische Forschungsarbeiten durchgeführt werden,
um die hormonalen Veränderungen zu bewerten, aufgrund derer Prognosen
zu Rückfällen sowohl beim Tier als auch beim Menschen vorgenommen
werden könnten.
- Die mit
der Langzeitabhängigkeit verbundenen biochemischen Phänomene
sollten mit Priorität erforscht werden, und zwar insbesondere
unter Anwendung molekularbiologischer Verfahren in Verbindung mit
transgenen Tieren, die teilweise mit verschiedenen Drogen behandelt werden.
- Die Neurotoxizität
von Ecstasy beim Menschen muß prioritär untersucht werden (Metabolismus,
Neuroanatomie, Anwendung bildgebener Verfahren für neurologische
Zwecke), um die mit dem Gebrauch dieser und verwandter Substanzen verbundenen
Langzeitrisiken zu ermitteln.
- Es laufen
zur Zeit nur sehr wenige Studien auf der Grundlage bildgebender Verfahren
in Europa (einige davon im Vereinigten Königreich und in Schweden)
und insbesondere in Frankreich, um beispielsweise die Wirkung von Drogen,
die Nachwirkungen auf das zentrale Nervensystem, die Beziehung zwischen
Dosis und Wirkung (vom Drogenkonsumenten beschriebene Empfindungen), das
zwanghafte Verlangen nach der Droge und Episoden vor dem Rückfall
zu bewerten. Hierbei handelt es sich um einen Schlüsselbereich,
in dem der Forschungsrückstand Frankreichs besonders zutage tritt.
Auf diesem Gebiet sind Entwicklungsarbeiten absolut erforderlich, zumal
die damit verbundenen Auswirkungen in den kognitiven und klinischen Wissenschaften
erheblich sind.
- Es wäre
wünschenswert, wenn im Hinblick auf die klinische Entwicklung eines
neuen auf das zentrale Nervensystem wirkenden Arzneimittels mit größter
Vorsicht vorgegangen würde, um eine mögliche abhängigkeitsauslösende
Wirkung zu verhindern. So müßte man unbedingt sicherstellen,
daß folgende suchtauslösende Wirkungen nicht vorliegen: i)
aktive Metaboliten, ii) Nebenprodukte, die möglicherweise ohne weiteres
von illegalen Labors beschafft werden können, und zwar insbesondere
wenn das Arzneimittel eine einfache chemische Struktur aufweist.
- Es müssen
Maßnahmen ergriffen werden, um die Pharmaindustrie und den staatlichen
Forschungsbereich zu einem stärkeren Engagement im Kampf gegen die
Drogenabhängigkeit zu bewegen.
Vergleichende
Studie zum "Gefahrenpotential" von "Drogen"
- Anhand
der neuesten Forschungsarbeiten kann ein pharmakotoxikologisches und verhaltensbezogenes
Profil für die verschiedene Substanzen erstellt werden. Um die im
Rahmen des vorliegenden Berichts dargelegten Ausführungen nicht noch
einmal zu wiederholen, wurden die einzelnen Profile kurz und bündig
in einer übersichtlichen Tabelle aufgelistet. Diese Tabelle hat
zwanagsläufig vereinfachenden Charakter. Beispielsweise würde
MDMA aufgrund seiner Langzeitneurotoxizität - sofern sie ermittelt
wäre - automatisch die erste Stelle bei den toxischen Drogen einnehmen.
Die psychische Abhängigkeit wird anhand der Dauer der Nachwirkungen
und der von der Substanz ausgehenden "Anziehungskraft" sowie anhand der
ungefähren Bewertung des Rückfallrisikos (sehr hoch, hoch usw.)
und somit der Schwierigkeit des "Ausstiegs" beurteilt. Auf diese Weise
fallen Heroin und Tabak in die gleiche Gruppe wie Alkohol.
Bei den
sozialen Risiken wurden die Verhaltensmerkmale berücksichtigt,
die bei dem Konsumenten der betreffenden Substanz sehr aggressive und
unkontrollierte Handlungen (Cocain, Alkohol, Psychostimulantien) zwecks
Beschaffung der Droge und Risiken für sich selbst und andere beispielsweise
im Straßenverkehr auslösen können. Aus diesem Grund
werden Heroin, Cocain und Alkohol der Gruppe mit sehr hohen Risiken
zugeordnet.
Im Hinblick
auf die allgemeine Toxizität muß man die Anzahl der Konsumenten
berücksichtigen. Tabak und Alkohl werden von einem sehr großen
Teil der Bevölkerung konsumiert, und bei den als "illegal" bezeichneten
Drogen wird Cannabis bei weitem am häufigsten verwendet. Vor diesem
Hintergrund kann man Heroin aufgrund der Risiken, die mit der Verabreichung
dieser Droge verbunden sind (z.B. Spritzen, Mehrfachinfektionen, Überdosen),
als die Substanz mit dem höchsten Risiko von Todesfällen bei
dem gegenwärtigen Konsumverhalten "auf der Straße" bezeichnen.
Heroin liegt noch vor Alkohol und Tabak, bei denen das Risiko z.B. von
Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen und Hepatitis sehr hoch ist.
Letztlich
ist der Konsum keiner dieser Substanzen völlig risikofrei. Alle
lösen hedonische Gefühle aus - Tabak in deutlich geringerem
Ausmaß -, alle aktivieren das dopaminerge System, und alle können
mehr oder weniger starke Auswirkungen psychischer Abhängigkeit
auslösen.
Trotzdem
kann man für einen Vergleich ihres "Gefahrenpotentials" drei Gruppen
unterscheiden.
Zu der
ersten Gruppe gehören Heroin (und die Opioide), Cocain und Alkohol,
zu der zweiten zählen Psychostimulantien, Halluzinogene und Tabak,
Benzodiazepine und schließlich Cannabis. Vor dem Hintergrund neuerer
Forschungsergebnisse - beispielsweise im Hinblick auf MDMA (Ecstasy)
- ist diese Zuordnung natürlich veränderbar. Zudem müßten
- wie bereits erwähnt - einige Benzodiazepine, die zur Auslösung
einer fremd- oder selbstinduzierten Abhängigkeit verwendet werden,
der ersten Gruppe zugeordnet werden. Die aktuellen Erkenntnisse könnten
bei einem Vergleich der französischen Gesetzgebung mit der in anderen
europäischen Ländern geltenden Rechtslage berücksichtigt
werden (siehe die entsprechende Tabelle, die im übrigen aufgrund
von aktuellen Entscheidungen überarbeitet werden müßte:
Belgien im Hinblick auf Cannabis), und auf dieser Grundlage kann die
Schweiz der Gruppe von Ländern hinzugefügt werden, zu denen
das Vereinigte Königreich, Deutschland, die Niederlande und andere
gehören.
ALLGEMEINE
EMPFEHLUNGEN
Entwicklung
von Abhängigkeit. Überwachung der Toxizität.
Die Einrichtung
eines Schnellinformationssystems in Zusammenhang mit der Entwicklung von
Substanzen mit Mißbrauchspotential und der Einführung neuer,
vor allem synthetischer Drogen, sollte gefördert werden, damit die
erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit
zu einem möglichst frühen Zeitpunkt eingeleitet werden können.
Toxikologische
Untersuchungen von "illegalen" Drogen, die von den verschiedenen Partnern
im Kampf gegen die Drogenabhängigkeit (z.B. Polizei, Zoll, toxikologische
Zentren) sichergestellt wurden, sollten intensiviert und die entsprechenden
Informationen an zentraler Stelle gesammelt werden, damit die Herkunft
der Substanzen und die verschiedenen Arten von kriminellen Handlungen in
wirksamer Weise geographisch zurückverfolgt werden können. Die
gesammelten Informationen sollten an die verantwortlichen Stellen (z.B.
Krankenhäuser, Zentren der Arzneimittelüberwachung, Ärzte,
Apotheker) weitergeleitet werden.
Klinische
Untersuchungen von Drogen
Die pharmakodynamischen
und pharmakokinetischen Eigenschaften von illegalen Drogen sind - unabhängig
davon, ob sie von Drogenabhängigen konsumiert werden oder nicht - unvollständig
oder fehlen völlig. Klinische Untersuchungen zu diesen Substanzen sind
aufgrund strafrechtlicher, anderer gesetzlicher und ethischer Bestimmungen
in Frankreich nicht realisierbar, in anderen Ländern wie den Vereinigten
Staaten oder den Niederlanden sind solche Untersuchungen hingegen zulässig.
Aufgrund der unzureichenden Kenntnisse über die klinischen Auswirkungen
dieser Art von Substanzen auf den Menschen sollte wie bei Arzneimitteln
eine Untersuchung beim Menschen im gesetzlich zugelassenen Rahmen und nach
Auswertung vorklinischer Daten zur Toxikologie beim Tier erwogen werden.
Je nach Substanz könnten diese Untersuchungen mit gesunden Freiwilligen
oder Drogenkonsumenten durchgeführt werden. Dieses Vorgehen würde
zudem eine Zusammenarbeit auf nationaler Ebene, d.h. die Einrichtung von
zugelassenen "Fachzentren" (im Sinne eines Zentrums für klinische Forschung),
und Unterstützung von Seiten des Gesetzgebers erfordern. Die Durchführung
solcher Studien und die Berücksichtigung vorklinischer Daten dürfte
zu einer Verbesserung der Kenntnisse über die unerwünschten Wirkungen
dieser Substanzen, ihre möglichen Interaktionen mit Arzneimitteln oder
anderen Produkten und über ihr Abhängigkeitspotential führen.
Es wäre
wünschenswert, wenn die Fürsorge zur personellen und materiellen
Unterstützung dieser Untersuchungen wie im Falle von AIDS beitragen
könnte.
Schul-
und Hochschulbereich
Es ist dringend
erforderlich, spezielle Unterrichtsprogramme zur Drogenabhängigkeit
(unter Berücksichtigung medizinischer, soziokultureller und rechtlicher
Aspekte) für die Beschäftigten im Bereich des Gesundheitswesens
(z.B. Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal) zu entwickeln. Diese Unterrichtsprogramme
sollten unter Federführung des Schul- und Hochwesens in einer begrenzten
Zahl (< 10) von Universitätsstädten eingerichtet werden.
Zudem sollte
ein spezieller Baustein "Drogenabhängigkeit" in verschiedene Aufbaustudiengänge
in den Bereichen Pharmakologie, Neurowissenschaften und öffentliches
Gesundheitswesen integriert werden.
Eine bessere
Einbindung der Problematik der Drogenabhängigkeit in den Unterricht
im schulischen Sekundarbereich und im Hochschulbereich (Medizin, Pharmazie)
wäre sinnvoll.
Ziel dieses
Unterrichts wäre eine Verbesserung der Kenntnisse über die verschiedenen
Formen der Drogenabhängigkeit, die damit verbundenen Risiken und mögliche
Behandlungsformen.
Substitutinsbehandlungen
- Für die
Einrichtung einer größeren Zahl von Zentren für Substitutionsbehandlungen
müßten finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Diese
Politik wird zur Zeit in zahlreichen europäischen Ländern und in
den Vereinigten Staaten (115.000 von 600.000 Opioidabhängigen werden
mit Methadon behandelt) vorangetrieben. Die Ergebnisse zeigen, daß Abhängigkeit
weder unabwendbar noch unumkehrbar ist.
- Die kontrollierte
Abgabe von Methadon wurde mit einigem Erfolg in den Vereinigten Staaten auf
die Behandlung von Cocainabhängigen ausgeweitet. Statistische Daten des
NIDA belegen eindeutig, daß der Erfolg der Methadonbehandlung durch
eine begleitende psychotherapeutische und/oder psychosoziale Behandlung erheblich
verbessert wird (mehr als zweimal weniger Rückfälle). Damit wird
deutlich, daß die Substitution ein wirksames Mittel bei der Behandlung
der tieferen Ursachen der Abhängigkeit darstellt.
- All diese Maßnahmen
dienen - wie ohnehin eingeräumt wird - der Senkung der Risiken für
den einzelnen (z.B. sexuell übertragbare Krankheiten, Selbstmorde, psychische
Störungen, Infektionen) und für die Gemeinschaft (Straftaten, Prostitution,
Verbrechen). Die bei Verwendung Methadon zu verzeichnende Mortalität
ist nahezu zweimal niedriger als beim Konsum von "illegalem" Heroin.
- Die Kosten
für die Behandlung müssen sowohl vor dem Hintergrund der Verbesserung
des Gesundheitszustandes des Patienten als auch im Hinblick auf die Kosten
für die Gesellschaft, die aufgrund des zwanghaften Beschaffungsverhaltens
des Abhängigen entstehen, beurteilt werden.
Mit Hilfe dieser
Empfehlungen soll eine grundlegende Änderung der äußerst negativen
Einstellung der Öffentlichkeit (und zahlreicher Beschäftigter im Gesundheitswesen)
zur Drogenabhängigkeit bewirkt werden. Das Beispiel AIDS hat gezeigt, daß
Frankreich durchaus imstande ist, sich einem solchen Problem im Bereich des
öffentlichen Gesundheitswesens in wirksamer und humaner Weise anzunehmen.
Verbesserung
der Auswertung statistischer Angaben zur Drogenabhängigkeit
Aufgrund der
enormen Komplexität der Datenerfassungs- und -verwaltungssysteme ist
es derzeit in Frankreich nicht möglich, "die Intensität und den
zeitlichen Ablauf der Drogenkarriere wie den Einstieg in den Betäubungsmittelkonsum,
den Beginn der Abhängigkeit, den "Ausstieg" oder auch den durch den
Konsum der Betäubungsmittel ausgelösten Tod genau einzuschätzen"
[Auszug aus der Dissertation von Aline Desquelles "Consommation de stupéfiants
en France: Expertise d'un système d'information et mesure du phénomène"
(Konsum von Betäubungsmitteln in Frankreich: Prüfung eines entsprechenden
Informations- und Bewertungssystems, Universität von Bordeaux IV (29/01/97)].
In ähnlicher Weise äußern sich die Verantwortlichen das
Fachbereichs für Epidemiologie von INSERM, insbesondere in Zusammenhang
mit dem Risiko von Todesfällen und Todesursachen. Die Informationen
stammen gegenwärtig aus verschiedenen Quellen (z.B. Polizei, Einrichtung
des Gesundheits- und Sozialsystems, Zentrum für Arzneimittelüberwachung).
Nach Ansicht von A. Desquelles geht es nicht darum, das Informationserfassungssystem
von Grund auf zu verändern, sondern eine vollständige Berücksichtigung
all derjenigen, die Betäubungsmittel mißbrauchen oder von ihnen
abhängig sind, sicherzustellen. Dazu wäre jedoch ein Datenerfassungsverfahren
erforderlich, wie es in Großbritannien bereits seit langem (unter
Wahrung der Anonymität des Patienten) angewandt wird und bei dem der
Arzt einen Fragebogen zu allen Behandlungsterminen mit Drogenabhängigen
(bei harten Drogen mit Abhängigkeitspotential) ausfüllt und zur
Verfügung stellt.
Nach Ansicht
von A. Desquelles bedarf es nach wie vor einer Vereinheitlichung des statistischen
Systems durch die Festlegung einheitlicher Kriterien in allen Fragebogen
(z.B. Alter beim ersten Konsum von Drogen, Umstände, Begleiterkrankungen).
Natürlich müssen die Daten aus Gründen der Effizienz zunächst
auf nationaler, dann auf europäischer Ebene gesammelt und verwaltet
werden. Auf diese Weise könnten auf der Grundlage vergleichbarer Beobachtungen
die Auswirkungen der verschiedenen Formen der Rechtsprechung und Politik
im Bereich des Gesundheitswesen in Europa, die aufgrund unterschiedlicher
soziokultureller und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen nach wie vor voneinander
abweichen, auf die Entwicklung des Konsums von Betäubungsmitteln geprüft
werden.
EINRICHTUNG
EINER EUROPÄISCHEN UND FRANZÖSISCHEN UNTERSUCHUNGS- UND FORSCHUNGSSTELLE
ZUM DROGENKONSUM
(European Research Agency on Drug Absue, ERADA)
In allen Industrieländern
ist eine Zunahme des Konsums von "Drogen" zu verzeichnen. Aus den im Anfangsteil
des vorliegenden Berichts erwähnten Gründen ist es leider sehr
unwahrscheinlich, daß sich dies schlagartig ändert. Das Problem
der Drogenabhängigkeit muß daher auf nationaler und europäischer
Ebene angegangen werden.
In Europa
gibt es keine gemeinsame wissenschaftlich begründete Politik im Kampf
gegen toxikophile Verhaltensweisen. Es existieren Überwachungs- und
Bewertungseinrichtungen im Hinblick auf die Prävalenz und Inzidenz
der Rauschgiftabhängigkeit, die zwar insgesamt zufriedenstellend arbeiten,
jedoch nicht für die Planung grundlegender, klinischer, epidemiologischer,
soziologischer und anderer Untersuchungen zu dieser Problematik geschaffen
wurden.
Die Entstehung
einer politischen, wirtschaftlichen und monetären europäischen
Plattform legt die Schaffung einer zentralen europäischen Organisation
zur Rauschgiftabhängigkeit nahe.
Nach Meinung
der europäischen Bevölkerung sollte sich Europa an den Vereinigten
Staaten orientieren, wo es das National Institute of Drug Abuse (NIDA) gibt,
das aus dem National Institute of Health (NIH) entstanden ist und erheblich
zu einer wissenschaftlichen Beurteilung der durch toxikophile Verhaltensweisen
verursachten Probleme, ihrer Entwicklung und der Schaffung einer präventiven
und behandlungsorientierten Politik beigetragen hat. Diese Einrichtung findet
zudem in wissenschaftlichen und politischen Kreisen und in den Medien aufgrund
der strengen Kontrolle der Ergebnisse von Grundlagen- und klinischen Untersuchungen
aus dem Bereich der "Drogen" Gehör. Durch sein Ansehen in der Öffentlichkeit
hat das NIDA erheblich zur Veränderung der Einstellung sowohl der Öffentlichkeit
als auch der Ärzteschaft zur Rauschgiftabhängigkeit beigetragen.
Europa und insbesondere Frankreich weisen in diesem Bereich einen großen
Rückstand auf; hier wird zwar AIDS nicht länger als eine "beschämende"
Krankheit angesehen, die Rauschgiftabhängigkeit wird jedoch nach wie
vor in dieser Weise klassifiziert.
Schließlich
hat das NIDA mit großem Erfolg eine Vielzahl von Untersuchungen über
die Probleme in Zusammenhang mit dem Gebrauch von Drogen lanciert; diese
Arbeiten stießen auf sehr positive Resonanz in verschiedenen Schlüsselbereichen
wie den kognitiven Wissenschaften, dem Bereich der Nutzung bildgebender
Verfahren zu neurologischen Zwecken oder dem massiven Einsatz genetisch
veränderter Tiere, um nur einige Beispiele zu nennen. Ebenso verhält
es sich auf dem Gebiet der Entwicklung neuer auf das zentrale Nervensystem
einwirkender Arzneimittel.
Europäische
Forschungen im Bereich der Rauschgiftabhängigkeit werden nur wenig
unterstützt. Die künftigen Programme auf europäischer Ebene
- wie etwa BIOMED - deuten darauf hin, daß der Bereich "Rauschgiftabhängigkeit"
in ein Programm eingebunden werden soll, eine Bestätigung gibt es bisher
jedoch nicht; in jedem Fall werden jedoch punktuelle Hilfsmaßnahmen
durch einen Ausschuß geschaffen, dem allerdings nur äußerst
wenige Spezialisten für Rauschgiftabhängigkeit angehören.
Aufgrund
der Qualität seiner Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Neurowissenschaften
und seiner regelmäßigen und wichtigen Beiträge im Hinblick
auf grundlegende Erkenntnisse zu toxikophilen und insbesondere opioiden
Substanzen und zu den Wirkungsmechanismen von Drogen auf biochemischer und
verhaltensbezogener Ebene könnte Frankreich eine Vorreiterrolle bei
der Schaffung einer europäischen Einrichtung übernehmen.
Die Situation
in Frankreich
Zur Zeit gibt
es in Frankreich eine Vielzahl von Beauftragten, Ämtern, Ausschüssen,
Kommissionen usw., die sich mit der Problematik des Drogenkonsums beschäftigen.
Da Drogen als toxische Substanzen angesehen werden, unterliegen sie folglich
der Überwachung und Untersuchung durch Einrichtungen, die sich mit
Toxikologie befassen, zu denen auch u.a. die Zentren für Arzneimittelüberwachung
hinzuzuzählen sind. Diese Situation führt zwangsläufig
dazu, daß redundante Untersuchungen durchgeführt werden, ein
gemeinsames Vorgehen fehlt, Informationseinbußen auftreten und Schwierigkeiten
entstehen, eine wirkliche staatliche Gesundheitspolitik für die Rauschgiftabhängigen
erfolgreich umzusetzen. Zudem besteht eine echte Notwendigkeit und
gewisse Dringlichkeit für eine Verbesserung der Arbeitsweise französischer
und europäischer Überwachungseinrichtungen für Rauschgiftabhängigkeit.Die
Schaffung einer zentralen europäischen Einrichtung sollte den Aufbau
nationaler Behörden begünstigen. In Frankreich könnte sich
eine solche Stelle beispielsweise an der Agence Nationale de Recherche sur
le SIDA (ANRS - nationale Forschungsstelle für AIDS) und der Ligue
Nationle contre le Cancer (Nationale Liga zur Krebsbekämpfung) orientieren.
Eine Solche Einrichtung sollte über eigene Haushaltsmittel verfügen
können.
Die europäische
Behörde und die nationalen Behörden sollten eine gewisse Anzahl
von wissenschaftlichen Kommissionen mit folgendem Aufgabenspektrum umfassen:
- Entwicklung
von Programmen zur Untersuchung und Erforschung der Wirkungsmechanismen von
"Drogen", Behandlungsmöglichkeiten und Präventivmaßnahmen.
- Förderung
von klinischen Forschungsarbeiten in allen für die Rauschgiftabhängigkeit
relevanten Bereichen (z.B. Psychiatrie, Neuropsychologie, Genetik, bildgebende
Verfahren, Pharmakokinetik und Metabolismus, Soziologie, Anthropologie, wirtschaftliche
Aspekte im Bereich des Gesundheitswesens).
- Koordinierung
von Grundlagen- und klinischen Forschungsprogrammen durch Zusammenführung
von Spezialisten, Neurobiologen, Medizinern, Pharmazeuten, Chemikern und Physikern
(PET Scan, Kernspinresonanz-Tomographie), Psychologen, Epidemiologen und anderen
Experten, die für eine erfolgreiche Umsetzung der Programme erforderlich
sind.
- Bewertung
der Ergebnisse dieser verschiedenen Programme und entsprechende Unterrichtung
der federführenden Einrichtungen zur Förderung bestimmter Bereiche
der akademischen Forschung in den einzelnen Mitgliedsländern (beispielsweise
in Frankreich: Universität, CNRS, INSERM, AP).
- Zusammenführung
der Resultate klinischer Untersuchungen und der Ergebnisse von Arbeiten verschiedener
öffentlicher und privater Einrichtungen, die sich mit der Problematik
der Rauschgiftabhängigkeit beschäftigen.
- Entwicklung
einer wirksamen und koordinierten Politik zur Überwachung der Entwicklung
der Rauschgiftabhängigkeit und der Risiken für die öffentliche
Gesundheit.
- Ausarbeitung
von Vorschlägen zur Verbesserung der Arbeitsweise europäischer und
nationaler Überwachungseinrichtungen für Rauschgiftabhängigkeit.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es unbedingt erforderlich, daß die Erfahrungen
der Mitgliedsstaaten Experten aus Ländern (insbesondere europäischen
Ländern) zur Verfügung gestellt werden, die in naher Zukunft mit
der Problematik der Rauschgiftabhängigkeit konfrontiert werden könnten.
Zudem können sich diese Länder zu Herstellern in unmittelbarer Nähe
der Mitgliedsländer entwickeln.
- Überwachung
der Qualität wissenschaftlicher Informationen zur Unterstützung
der Informationsverarbeitung.
- Förderung
der Entwicklung industrieller Programme im Bereich der Behandlung der Rauschgiftabhängigkeit.
Sehen Sie dazu auch:
Cannabis, Alkohol, Tabak und Co. - Ein Vergleich der gesundheitlichen Risiken von Drogen (Hanf 1999/8)
Eine Grafik zum Vergleich verschiedener Drogen
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