Arzneiliche Nutzung ist ein relevanter Grund
Beitrag von Dr. med. Franjo Grotenhermen (ACMED) im Forum des Deutschen Ärzteblatts am 15.04.01
Der Beitrag des Kollegen Nedelmann weist überzeugend auf einige Übertreibungen unerwünschter Cannabiseffekte hin, die oft auch heute noch den nüchternen Blick auf die pharmakologischen Eigenschaften der Hanfpflanze trüben. Die arzneiliche Nutzung ist ein weiterer und zunehmend relevanter Grund für die Einnahme von Cannabisprodukten, auf den hier ergänzend hingewiesen werden soll. Dies dokumentieren eine Anzahl umfangreicher Untersuchungen aus Großbritannien (House of Lords 1998), den USA (Joy 1999) und Australien (Working Party 2000). Auch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte unterstrich bereits im Jahre 1995 in einem kurzgefassten Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium das arzneiliche Potenzial von Cannabisprodukten (Goedecke 1996).
Der deutsche Gesetzgeber hat daraufhin den wichtigsten pharmakologischen
Inhaltsstoff der Hanfpflanze, THC (Dronabinol), der auch für den charakteristischen Cannabisrausch verantwortlich ist, im Zuge der letzten Änderung des Betäubungsmittelgesetzes in die Anlage III umgestuft, so dass er seit dem l. Februar 1998 verschreibungsfähig ist. Das Medikament ist allerdings sehr teuer und die Krankenkassen müssen es nicht erstatten. Weitere Erleichterungen sind daher geplant. Am 28. Juni 2000 befürwortete der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eine Petition für die Möglichkeit einer medizinischen Verwendung natürlicher Cannabisprodukte und einzelner Cannabinoide. Cannabisprodukte wirken spasmolytisch, antidystonisch, analgetisch, antiemetisch, orektisch, bronchodilatatorisch und zeigen weitere therapeutisch nutzbare Eigenschaften, die bei einer Vielzahl von Krankheitszuständen Verwendung finden (Grotenhermen 2000). Klinische Studien mit THC beziehungsweise einem natürlichen Cannabisextrakt werden zur Zeit im deutschsprachigen Raum an Patienten mit Krebs, chronischen Schmerzzuständen, Multiple Sklerose, Querschnittssyndromen und Tourette-Syndrom durchgeführt.
Welche Blüten eine gelegentlich anachronistische Einstellung zum Thema auch heute noch treiben kann, zeigt ein Beispiel aus der Praxis. Einem Patienten, der ein ärztlich verordnetes niedrig dosiertes Dronabinol-Präparat einnahm, wurde von der zuständigen Behörde der Führerschein entzogen. Er könne seine Fahrerlaubnis erst zurückerhalten, wenn er die Einnahme des Medikamentes einstelle, wurde ihm bedeutet. Zwar sieht die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 28. April 1998 die Möglichkeit vor, das Führen eines Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss berauschender Mittel als Ordnungswidrigkeit zu behandeln und mit einer Geldbuße zu bestrafen. Ausgenommen wurde jedoch ausdrücklich die bestimmungsgemäße Verwendung ärztlich rezeptierter Arzneimittel (§ 24a, Abs. 2, Straßenverkehrsgesetz).
Wie Nedelmann zutreffend ausführt, wird die Bedeutung von Cannabis zudem hinsichtlich verkehrssicherheitsrelevanter Fragen oft überschätzt. Eine jüngst erschienene Metaanalyse von Verursacherstudien mit insgesamt 2.500 Fahrern bestätigte, dass Cannabiskonsumenten im Gegensatz zu Alkohol- und Benzodiazepinkonsumenten nicht häufiger schuldhaft an einem Unfall beteiligt waren als vollständig drogenfreie Fahrer (Longo 2000). In der jüngeren Vergangenheit wurden Versuche unternommen, auch die übrigen Gefahren, die von den gebräuchlichsten legalen und illegalen Drogen ausgehen können, zu vergleichen. Besondere Aufmerksamkeit erzielten zwei umfangreiche Untersuchungen, ein im Auftrag des französischen Gesundheitsministeriums angefertigter Bericht (Roques 1998) sowie eine vorbereitende Studie für den letzten WHO-Bericht zu Cannabis (Hall 1999). Zusammenfassend kamen beide Berichte zu dem Schluss, dass starker Cannabiskonsum geringere gesundheitliche Schäden verursacht als der starke Konsum der gebräuchlichsten anderen legalen und illegalen Drogen Tabak, Alkohol, Benzodiazepine und Opiate.
Hinsichtlich einer medizinischen Verwendung setzt sich heute weitgehend eine Einschätzung durch, wie sie beispielsweise im Bericht des Medizininstituts der USA von 1999 zur medizinischen Verwendung von Marihuana formuliert wurde: „Marihuana ist keine vollständig gutartige Substanz. Es ist eine starke Droge mit einer Vielzahl von Effekten. Allerdings bewegen sich die unerwünschten Effekte einer Marihuanaverwendung mit Ausnahme der Schäden, die mit dem Rauchen verbunden sind, innerhalb der Effekte, die bei anderen Medikamenten toleriert werden“ (Joy 1999). Auch bei der Beurteilung rauscherzeugender Substanzen gilt es, nüchtern zu bleiben.
Literatur:
1. Goedecke H, Karkos J: Die arzneiliche Verwendung von Cannabisprodukten. Bundesgesundheitsblatt 1996;39:206-209.
2. Grotenhermen F (Hrsg): Cannabis und Cannabinoide. Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potential. Huber, Bern 2000, im Druck.
3. Hall W, Room R, Bondy S: Comparing the health and psychological risks of alcohol, cannabis, nicotine and Opiate use. In: Kalant H, Corrigan W, Hall W, Smart R (eds): The health effects of cannabis. Toronto: Addiction Research Foundation, 1999, S. 477-508.
4. House of Lords Select Committee on Science and Technology. Cannabis. The scientific and medical evidence. London: The Stationery Office, 1998.
5. Joy JE, Watson SJ, Benson JA (eds): Marijuana and Medicine: Assessing the Science Base. Washington DC: Institute of Medicine, National Academy Press, 1999.
6. Longo MC, Hunter CE, Lokan RJ, White JM, White MA: The prevalence of alcohol, cannabinoids, benzodiazepines and stimulants amongst injured drivers and their role in driver culpability. Part II: the relationship between drug prevalence and drug concentration, and driver culpability. Accid Anal Prev 2000;32:623-632.
7. Roques B. Problemes posees par la dangerosite des drogues. Rapport du professeur Bernhard Roques an Secretaire d'Etat ä la Sante. Paris, 1998.
8. Working Party on the Use of Cannabis for Medical Purposes. The Use of Cannabis for Medical Purposes. Report to the Prime Minister ofNew South Wales. Svdnev2000.
Dr. med. Franjo Grotenhermen, International Association for Cannabis as Medicine, Arnimstraße l A, 50825 Köln