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"Das Doping beginnt heute schon in der Schule"
Pubdate: Mon, 02 Apr 2001 Drogenbeauftragte prangert Medikamentenmissbrauch an Eine gesellschaftliche Debatte über die Gefahren des Medikamentenmissbrauchs fordert die neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk (SPD). Außerdem übt sie im Gespräch mit Claudia von See, Barbara Thurner-Fromm und Michael Trauthig scharfe Kritik an der Legalisierung des Haschischhandels und Hanfanbaus in der Schweiz. Bisher haben Sie sich in der Umwelt- und Europapolitik einen Namen gemacht. Was macht Sie nun zur Spezialistin für Drogen? Sich von außen in ein Thema einzuarbeiten hat natürlich einige Vorteile. Ein Quereinsteiger stellt ungenierter Fragen und sieht gegebene Schwerpunktsetzungen kritischer. So kann ich nun vernachlässigte Themen beleuchten. Haben Sie schon welche im Blick? Ein besonderes Anliegen ist es mir, den Medikamentenmissbrauch zu thematisieren. Etwa eine Million Frauen sind in Deutschland medikamentenabhängig. An gezielten Gegenmaßnahmen aber fehlt es ebenso wie an einer gesellschaftlichen Debatte darüber. Auch das Problem, dass Kinder Präparate einnehmen, um in der Schule mitzuhalten, wurde bisher kaum gesehen. Ist Letzteres nicht ein seltenes Phänomen? Das denke ich nicht. Bei hyperaktiven Kindern zum Beispiel wird heute sehr schnell zum Medikament gegriffen. Im Gegensatz zu früher wird diese Maßnahme aber häufig nicht mit einer Therapie verbunden, die die Ursachen bekämpft. Selbst Mediziner ohne Fachausbildung verordnen die Präparate. Das klingt wenig konkret. Gibt es keine aktuellen Zahlen? Leider liegen uns keine neuen Daten vor. Das wollen wir im Rahmen einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts aber bis zum Herbst ändern. Andererseits gibt es Indizien, die eindeutig in diese Richtung weisen. So haben bei einer Studie unter Bremer Schülern Mitte der 90er Jahre 60 Prozent der 14-Jährigen angegeben, dass sie regelmäßig Medikamente nehmen. Aus der Schweiz wissen wir, dass ein bestimmtes Medikament für hyperaktive Kinder heute dreimal so oft verschrieben wird wie früher. Ich habe das riskante Verschreibungsverhalten auch gegenüber der Kinderärzteschaft thematisiert. Angesichts der Kritik war der Aufschrei groß. Bei einem Kongress hat mir dann aber die Hälfte der Mediziner Recht gegeben. Warum halten sie die Entwicklung für so Besorgnis erregend? Weil das Doping heute offenbar schon in der Schule beginnt. Der Leistungsdruck hat in den Bildungsstätten ebenso zugenommen wie die Angst der Eltern, dass es zu Schulversagen kommt. Wie wollen Sie gegensteuern? Erstens wollen wir, wie gesagt, die Datenlage verbessern und eine gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema anstoßen. Zweitens ist ein Modellprojekt geplant, das wir in einer Region zusammen mit den Ärzten vornehmen. In dessen Rahmen soll die Verschreibungspraxis überprüft werden. Dann folgt eine gezielte Fortbildung der Mediziner und hernach die Analyse des anschließenden Verschreibungsverhaltens. Neue Akzente in der Drogenpolitik setzt momentan auch die Schweiz. Sie gestattet den Handel mit Haschisch und erlaubt den Anbau von Hanf. Ist diese Entwicklung auch in Deutschland denkbar? Wir haben bereits den Besitz und den Konsum geringer Mengen von Haschisch faktisch straffrei gestellt. Darüber geht jetzt die Schweiz hinaus. Diesem Weg werden wir mit Sicherheit nicht folgen. Ich halte das eidgenössische Modell auch deshalb für fatal, weil es an einer Aufklärungskampagne über die Gefahren von Haschisch ebenso fehlt wie an Therapieeinrichtungen. Für uns stellt sich aber unabhängig davon das Problem, dass wir in der Präventionsarbeit nur von den Jugendlichen akzeptiert werden, wenn wir eine gleich gerichtete Politik gegen Haschisch, Nikotin und Alkohol machen. Daraus ließe sich folgern: die Restriktionen bei Cannabis würden gelockert, die beim Alkohol aber verschärft? Nein, wir dürfen nicht die Risiken durch eine so genannte Liberalisierung nach Schweizer Modell verharmlosen. Haschisch wird weiterhin zu den illegalen, Alkohol zu den legalen Drogen zählen. Allerdings sind wir verpflichtet, die Jugend besser vor den Gefahren des Alkohols zu schützen. Aber der Alkoholkonsum in der Bundesrepublik ist doch rückläufig? Tatsächlich sinkt der Anteil der Raucher an der Bevölkerung, und auch der Alkoholkonsum geht zurück. Gleichzeitig sind aber bei den Jugendlichen gegenläufige Trends zu beobachten. So hat sich das Einstiegsalter beim Rauchen reduziert. Der Alkoholkonsum bei Jugendlichen nimmt zu. Wie wollen Sie den Trend stoppen? Wir werden das Jugendschutzgesetz verschärfen. So soll die Abgabe von Zigaretten an Jugendliche bis 16 Jahren verboten werden. Daneben ist die Umrüstung von Zigarettenautomaten auf ein Chipkartensystem geplant. Außerdem führe ich Gespräche, um die freiwillige Selbstverpflichtung der Alkoholindustrie zu verschärfen. Ich hoffe, die Wirtschaft überzeugen zu können, auf Werbung in Jugendzeitschriften zu verzichten. Insgesamt müssen die Heranwachsenden den verantwortungsvollen Umgang mit Genussmitteln lernen. Gegen überlegten Konsum ist nichts einzuwenden. Ich bin keine Verfechterin einer rein abstinenten Lebensweise. Sie sprechen von Alkohol und Nikotin. Ist aber die Zunahme des Ecstasy- und Kokainkonsums nicht das drängendere Problem? Tatsächlich gibt es auch hier alarmierende Trends. So stieg zum Beispiel die Zahl der beschlagnahmten Ecstasypillen im vergangenen Jahr stark an. Einerseits gibt es offensichtlich ein großes Angebot in diesem Markt. Andererseits wirkt der Druck bei den Kids, immer gut drauf sein zu müssen. Fatalerweise leugnen diejenigen, die diese Drogen schlucken, ihre Sucht. Deshalb ist es schwer, sie für Hilfsangebote zu gewinnen. Wir suchen noch nach Erfolg versprechenden Methoden. So werden wir im Sommer, vor der Love-Parade, ein Onlineprojekt starten, das gezielt die Technoszene anspricht. So neu ist das Phänomen der Partydrogen aber nicht. Hinkt die Politik den gesellschaftlichen Trends nur hinterher? Politik ist immer in gewisser Weise ein Hase-und-Igel-Rennen. Ein Problem baut sich in der Regel erst auf. Danach werden die Konzepte entwickelt, um es zu bewältigen. Beim Kampf gegen die Sucht ist die ganze Gesellschaft gefordert - vom Arbeitgeber bis zu den Eltern. |