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Wildwest im Hanfmarkt (Neue Zürcher Zeitung, 16.06.2001)Pubdate: Sat, 16 Jun 2001Source: Neue Zürcher Zeitung Contact: redaktion@nzz.ch Copyright: © Neue Zürcher Zeitung AG Website: http://www.nzz.ch In den letzten zehn Jahren hat der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen und betroffenen Städten drogenpolitische Konzeptionen entwickelt, die im Inland auf breite Akzeptanz und auch im Ausland zunehmend auf Interesse stossen. Die Viersäulenpolitik als Gesamtstrategie mit den Zielsetzungen Reduktion der Zahl neuer Drogenkonsumenten (Prävention), Ausstiegshilfe für Abhängige (Therapie), Gesundheitsschutz und soziale Integration von Süchtigen (Schadensbegrenzung) sowie Schutz der Gesellschaft vor negativen Auswirkungen des Drogenproblems (Repression) hat sich bewährt: Es gelang, die Spitzen des Drogenelends zu brechen und gleichzeitig die Lebensqualität für die Bevölkerung in den betroffenen Städten merklich zu steigern. Wichtiger Prüfstein für die Akzeptanz der neuen Drogenpolitik war die Referendumsabstimmung über den Dringlichen Bundesbeschluss zur heroingestützten Behandlung, der 1999 vom Souverän überraschend deutlich gutgeheissen wurde. Die jetzt vom Bundesrat in seinem Entwurf zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) vorgeschlagene gesetzliche Verankerung des Viersäulenmodells und die Überführung der gesundheitspolitisch sinnvollen (bis Ende 2004 befristeten) medizinischen Heroinabgabe ins ordentliche Recht entsprechen einem Gebot der Vernunft. Auf grosse Sprünge bei der Neuformulierung der in den siebziger Jahren erlassenen Strafbestimmungen im BetmG dagegen hat sich das Stimmvolk bisher nicht eingelassen. Sowohl die restriktive, abstinenzorientierte Initiative «Jugend ohne Drogen» (1997) wie auch die auf eine generelle Liberalisierung abzielende «Droleg-Initiative» (1998) stiessen auf Nein-Stimmen-Anteile von jeweils über 70 Prozent. Entsprechend hat der Bundesrat in seinem Entwurf nun auf eine volle Freigabe verzichtet und unterscheidet - dem Urteil von Fachleuten wie auch den geänderten Einstellungen in der Bevölkerung folgend - zwischen sogenannt «harten» und «weichen» Drogen. Das Rauchen der Blüten und Fruchtstände des Hanfs (Cannabis) wird heute von einer Mehrheit der Schweizer nicht mehr als kriminelles Verhalten beurteilt. Gemäss Umfragen hat mindestens ein Viertel der Bevölkerung in der Schweiz schon einmal Cannabis ausprobiert, rund 600 000 Konsumenten greifen regelmässig oder gelegentlich zum Joint. Der psychotrope Hanf gilt somit kaum mehr als «Rauschgift», sondern eher als Genussmittel; seine strafrechtliche Ahndung wird von Betroffenen als Schikane und von Fachleuten als kostspielige Sisyphusarbeit einer ausgelasteten Polizei und Justiz empfunden. Der Bundesrat hat sich deshalb im vergangenen Oktober für die materiellrechtliche Entkriminalisierung des Cannabiskonsums (und damit auch des Besitzes und Anbaus zum Eigenkonsum) entschieden. Die zunehmende Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Realität und gesetzlichen Normen (mit entsprechend nachteiligen Konsequenzen auf das Rechtsempfinden bei einem grossen Teil der Bevölkerung) haben inzwischen auch die meisten Kantone, Parteien und interessierten Organisationen erkannt. Nun ist allerdings eine Politik, die den Cannabiskonsum zulässt, die Frage der Produktion und des Handels aber ausklammert, in sich wenig kohärent. Handlungsbedarf lässt sich auch bei näherem Augenschein der Wildwest-Bedingungen ablesen, die sich hier in den letzten Jahren eingestellt haben: Produktion und Handel von Cannabis sind unter Strafe gestellt, und doch sind es offenbar Schweizer Produzenten, die derzeit mehr als eine halbe Million inländischer Konsumenten versorgen. Umgekehrt liegt die Toleranzschwelle im Strafvollzug aber nur scheinbar hoch: Mittels punktueller Zugriffe und drastischer Sanktionen (Konfiszierung, Erntevernichtung, hohe Geldbussen und Gefängnisstrafen) wird exemplarisch klargestellt, was im Gesetz eigentlich geschrieben steht. Das Resultat ist ein Zustand grosser Rechtsunsicherheit und -ungleichheit. Das Bundesgericht hat unlängst in zwei Entscheidungen diese Willkür im Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden festgestellt. So sind es jetzt nicht zuletzt Polizei und Gerichte, die zu klaren politischen Entscheidungen drängen. Das zuständige Departement des Innern (EDI) suchte nach einer Lösung, die der geänderten gesellschaftlichen Realität wie auch dem Anspruch auf verbesserte Rechtssicherheit gerecht wird, wollte sich gleichzeitig aber aussenpolitisch nicht exponieren. Dieser Versuch der Quadratur des Kreises führte zu einem Regime, das den Anbau und Handel von psychotropem Hanf zwar weiterhin unter Strafe stellt, bei der Verfolgung aber verbindlich eine gewisse Toleranz spielen lässt: Innerhalb gesetzlich festgelegter Leitplanken möchte der Bundesrat künftig auf dem Verordnungsweg festlegen, unter welchen Bedingungen die Untersuchungsbehörden auf eine Strafverfolgung zu verzichten haben. Dieses am holländischen Opportunitätsprinzip orientierte Modell der sogenannten Prioritätensetzung in der Strafverfolgung ist aber weder Fisch noch Vogel: Cannabis bleibt ein für Produktion und Handel verbotener Stoff, gleichzeitig werden aber die Behörden per Verordnung daran gehindert, diese Straftatbestände auch zu verfolgen. Die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen hatte die fehlende Kohärenz dieser Politik in ihrem Cannabisbericht vom Mai 1999 deutlich zum Ausdruck gebracht und mit Hinweis auf die Glaubwürdigkeit der staatlichen Drogenpolitik ein Lizenzsystem mit klaren und besser durchsetzbaren Rahmenbedingungen vorgeschlagen. Ein solches Lizenzmodell würde nicht nur die Gewährleistung von Produktevorschriften ermöglichen, Cannabis könnte auch - wie andere Genussmittel - fiskalisch belastet und mit Preisbindungen versehen werden (was immerhin vom Bundesamt für Gesundheit, BAG, unlängst für den Jugendschutz im Bereich Tabakprävention als unabdingbar beschrieben worden ist). Das Lizenzmodell liesse es zu, die derzeit horrenden Margen für Produktion und Handel abzuzweigen und in die Prävention zu lenken. Nur ein einziges Argument spricht gegen das Lizenzmodell (vorausgesetzt natürlich, man will überhaupt eine Liberalisierung): Es steht in Widerspruch mit dem von der Schweiz ratifizierten Internationalen Einheitsübereinkommen aus dem Jahr 1961 (auch wäre ein jüngeres Übereinkommen nur mit Vorbehalt ratifizierbar). Die Übereinkommen werden international als Verpflichtung zur Kriminalisierung des Handels interpretiert und teilen dabei Cannabis in die Kategorie der Opiate ein wie das Heroin. Die Schweiz hält die Einhaltung internationaler Abmachungen hoch (was an sich richtig ist), und so hat der Bundesrat die Verträglichkeit der Revision mit den internationalen Verpflichtungen zur Auflage gemacht; mit der Konsequenz allerdings, dass die vernünftigste Lösung bereits im Vernehmlassungsentwurf nicht mehr zur Diskussion stand. Der Cannabismarkt bleibt in einen Graubereich verbannt, der aber verwaltungsrechtlich kontrolliert werden muss, nur um einem internationalen Übereinkommen von 1961 zu genügen, das in seiner Philosophie mit den Grundzügen der Revision in keiner Weise übereinstimmt. Die rechtliche Unschärfe des Opportunitätsprinzips, berechtigte Zweifel an seiner Vollzugstauglichkeit und Skepsis hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Relation werden selbst liberalisierungswillige Beobachter zur Frage verleiten, ob unter diesen Umständen im Bereich Cannabisanbau und -handel überhaupt legiferiert werden soll. Der Bundesrat wird zur Klärung der vielen offenen Fragen einen ausgearbeiteten Verordnungsentwurf bereithalten müssen, wenn die Vorlage im Oktober in der ständerätlichen Kommission behandelt wird. Das Parlament wird genau wissen wollen, wie sich der Bundesrat Jugendschutz, Werbeverbot, Mengenbeschränkungen, Regelung des Standorts von Verkaufsstellen, Verhinderung des Exports usw. konkret vorstellt. Übervorsichtige Stimmen drängen bereits jetzt mit Hinweis auf die Dringlichkeit der Überführung der medizinischen Heroinabgabe ins ordentliche Recht darauf, die Vorlage aufzuschnüren und die Cannabisfrage abzukoppeln. Aber auch das Parlament ist gefordert, intellektuelle Kreativität walten zu lassen. Zum einen ist zu prüfen, welcher Schaden der Schweiz aussenpolitisch denn tatsächlich entstehen würde, wenn eine mutigere Lösung in Richtung Lizenzmodell angepeilt würde und - zwecks kohärenter Legiferierung - ein veraltetes internationales Übereinkommen allenfalls gekündigt werden müsste. Wird dieser Schaden nach differenzierter Abwägung gegenüber dem Nutzen einer sauberen politischen Lösung als zu hoch eingestuft, ist allerdings zweitens zu prüfen, ob unter diesen Umständen im Bereich Anbau und Handel von Cannabis überhaupt legiferiert werden soll. Die Hanffelder jedenfalls sind bereits wieder bestellt, im Oktober wird die neue Ernte eingebracht. Zeitgleich mit der Aufnahme der ständerätlichen Kommissionsarbeiten dürfte der saisonale Hanf-Wildwest seine Fortsetzung finden. se. Neue Zürcher Zeitung, Ressort Inland, 16. Juni 2001, Nr.137, Seite 13 |