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Teilrückzug des Hanfmarktes in Untergrund

Angebot/Nachfrage stabil trotz Repressionsmassnahmen

Die Razzien und Gerichtsverfahren gegen die Betreiber von offiziellen Hanfläden haben zu einem Teilrückzug des Cannabis-Marktes in den Untergrund geführt. Auf Preise und Konsumverhalten scheint die Repression jedoch kaum Auswirkungen zu haben. Der Stoff wird vermehrt über Kuriere und Postversand verteilt.

axb . Bei der CHanf GmbH an der Zentralstrasse in Zürich Wiedikon herrscht wie immeram Freitagnachmittag reger Betrieb. Die Kundschaft, die sich hier für das Wochenende mit Cannabis eindeckt, ist bunt gemischt, aber keineswegsauffällig. Die Leute, die vor der Ladentheke geduldig Schlange stehen, könnte man ohne weiteres als helvetischen Durchschnitt bezeichnen: einHandwerker im Overall, ein mutmasslicher Student (Rollkragenpullover, Brille, Buch unter dem Arm), eine Hausfrau (der Kinderwagen musste draussen bleiben), ein leicht ergrauter Herr mit Windjacke, zwei jüngere Frauen, die angeregt diskutieren, ein kraushaariger Mittdreissiger der hochdeutsch spricht. Das Ambiente im Laden wirkt hell und gepflegt, die Bedienung ist zuvorkommend, das Sortiment reichhaltig: von Kleidern und Schuhen über Limonade und Sekt, Knabberzeug, Süssigkeiten und Nudeln bis hin zu Seifen, Parfums und Kosmetika, gar Schreibutensilien und Büchern wird allerhand feilgeboten. Gemeinsam ist dem Sortiment, dass alles auf der Basis von Hanf hergestellt wurde.

Walliser Queen mit «fruchtigem Abgang»

Das vielfältige Angebot kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem eines hier verkauft wird: Hanfblüten, Marihuana eben, zum Rauchen. Die Kundschaft hat die Qual der Wahl zwischen rund zehn Sorten «Schweizer Naturhanf», der säuberlich abgepackt in Plastictüten unter der Verkaufstheke lagert. Der Einheitspreis liegt bei 50 Franken, wofür der Kunde je nach Qualität des Stoffes sieben bis zehn Gramm Marihuana erhält. Neulinge werden vom sachkundigenVerkaufspersonal über Vor- und Nachteile bestimmter Sorten informiert. Die Klassiker «Walliser Queen» (leicht sedierend, fruchtig im Abgang)und «Alp King» (eher anregend, herb im Geschmack) verkaufen sich nach wie vor gut, gefragt sind aber auch etwa «Ticino Dream», «Durban Poison», «White Widow» und «XTS». Kreditkarten sind willkommen, bei allen Preisen ist die Mehrwertsteuer inbegriffen.

CHanf-Geschäftsführer François Reusser macht sich nichts vor, auch wenn er keine Zahlen nennen mag: Das Geschäft besteht praktisch ausschliesslich aus dem Verkauf von Marihuana. Im Gegensatz zu anderen Hanfläden, wo das lange verteufelte und nach wie vor verbotene Kraut pro forma als «Duftsäcklein», «Zierpflanzen» oder «Badezusatz» verhökert wird, werden die Dinge hier bewusst beim Namen genannt. Denn Reusser, der es einmal bis zum Vizepräsidenten der SP des Kantons Zürich geschafft hatte und nach wie vor in seiner Partei aktiv ist, versteht sich als Vorreiter für die Legalisierung von Cannabis. Es brauche eben immer Leute, sagt er, die mit Taten statt mit Worten, mit der Macht des Faktischen längst überfällige Gesetzesrevisionen vorwegnähmen. Das habe Tradition im Land. Als Beispiele nennt Reusser etwa die Entkriminalisierung der Abtreibung, die Privatisierung von Telekom und elektronischen Medien oder die Liberalisierung im Gastgewerbe - letztlich seien es immer einzelne Gesetzesbrecher gewesen, die den Staat gezwungen hätten, seine Gesetze den gesellschaftlichen Realitäten anzupassen.

Ein bekennender Überzeugungstäter

François Reusser ist sogar bereit, für seine Überzeugung ins Gefängnis zu gehen. Zurzeit ist eine Anklage beim Bezirksgericht Zürich hängig, in der eine Strafe von 14 Monaten Gefängnis bedingt gefordert wird. Das Urteil, wie immer es ausfallen mag, wird voraussichtlich durch alle Instanzen gehen. Derweil ist die nächste Anklage gegen ihn bereits in Arbeit. Reusser will trotzdem nicht aussteigen oder das Geschäft wenigstens pro forma an einen Strohmann abtreten, wie das andere getan haben. Früher oder später wird der Zürcher Justiz nichts anderes übrig bleiben, als den bekennenden Überzeugungstäter und Familienvater einzusperren.

Reusser spekuliert wohl auch darauf, dass bis dahin die vom Bundesrat angestrebte Duldung eines kontrollierten Cannabis-Marktes Realität ist. Jedenfalls hat sich der Laden selber eine Reihe von freiwilligen Einschränkungen auferlegt: kein Verkauf an Minderjährige, es werden bloss Gebrauchsmengen aus heimischer und vor allem auch ökologischer Produktion abgeben, Handel vor dem Laden oder ausserhalb der offiziellen Zeiten wird nicht geduldet, die Kunden müssen zumindest einen Wohnsitz in der Schweiz haben und im Zweifelsfall einen Ausweis vorlegen. Damit geht CHanf teilweise über die Auflagen hinaus, unter denen der Bundesrat den Verkauf von Cannabis tolerieren möchte. Das interessiert die Zürcher Justiz im Moment allerdings nur mässig. Sie hält sich an das geltende Recht, und das wird sich so schnell nicht ändern, selbst wenn die Räte der Liberalisierungsvorlage zustimmen sollten.

Die CHanf GmbH beschäftigt insgesamt zehn Mitarbeiter und erzielt einen Umsatz in Millionenhöhe. Zeitweise belieferte die Firma auch kleinere Hanfläden in der Region. Feldweibel Heinz Weber, zuständig für das Dossier Cannabis bei der Stadtpolizei Zürich, mag sich nicht auf genaue Schätzungen einlassen. Er weist aber darauf hin, dass im Detailhandel mit Cannabis heute bei bedeutend geringerem Risiko massiv höhere Gewinne erzielt würden als etwa mit Heroin. Viele nähmen es deshalb mit dem Jugendschutz nicht so genau. Derartiges will der erfahrene Ermittler François Reusser, mit dem er einen unverkrampften Umgangston pflege, nicht unterstellen. Dem «Hanfpolitiker» gehe es offensichtlich nicht ums grosse Geld, sondern vor allem um die Sache - doch damit sei er eher eine Ausnahme.

Seit sich Polizei und Justiz wieder vermehrt ins Hanfgeschäft einmischen, ist die Zahl der offenen Verkaufsstellen in der Stadt Zürich merklich zurückgegangen - gemäss Webers Schätzungen von rund 35 auf gegen 25 Läden. Einerseits werde nun vermehrt «unter der Theke durch» und ohne offizielle Buchhaltung verkauft. So soll es etwa eine Videothek geben, in der sich Stammkunden bis Mitternacht mit «Gras» eindecken können. In einem einschlägig bekannten Laden, der offiziell nur Modeaccessoires verkauft, werden Cannabis- Kunden heute in eine nahe Privatwohnung geschickt. Klandestine Verkaufsräume ohne Schilder und Auslagen sind in der Szene dank «Mund- zu-Mund-Propaganda» schnell bekannt. Andere Händler vertreiben den Stoff über Kurierdienste oder Postversand, die Bestellung erfolgt über das Internet oder eine Natelnummer. Dabei entgehen dem Staat einerseits Steuereinnahmen. Andererseits sind Auflagen wie beispielsweise ein Jugendschutz kaum mehr durchzusetzen.

Polizei unter Handlungszwang

Heinz Weber arbeitet seit 25 Jahren bei der Stadtpolizei Zürich, seit 1983 als Rauschgiftfahnder. Er hat den Wandel der Drogenszene aus nächster Nähe miterlebt - aber auch den Wandel bei der Polizei. Weber weiss nur zu gut, dass unter den jüngeren Polizisten viele Erfahrungen mit Cannabis haben - wenn sie nicht selber schon konsumiert haben, so wurden sie zumindest im Freundeskreis oder etwa in der Rekrutenschule damit konfrontiert. Doch auch an den älteren Kollegen ist der gesellschaftliche Wandel nicht spurlos vorbeigegangen. Bei den meisten Polizisten ist nach Webers Erfahrung die Bereitschaft gering, aus eigenen Stücken gegen einen «Paffer» vorzugehen. Kommt dazu, dass in Zürich die Hanfkonsumenten seit den achtziger Jahren aus polizeitaktischen Überlegungen eher geschont wurden. Einerseits wollte man die Kräfte auf die harten Drogen konzentrieren. Andererseits habe man so gezielt eine räumliche und personelle Abgrenzung zwischen der Haschszene und der teilweise doch erheblich kriminalisierten Kokain- und Heroinszene erreicht.

Weber macht kein Hehl daraus, dass die Aktionen gegen Hanfläden in jüngerer Zeit nicht vonder Polizei ausgingen. Durch Anzeigen von Anwohnern, die sich belästigt fühlten, teilweise abersicher auch aus politischen Überlegungen agierten, sowie durch Rechtshilfeersuchen aus anderenKantonen und aus dem Ausland wurde die Zürcher Polizei vielmehr zum Handeln gezwungen. Aus polizeitechnischer Sicht ist der «Erfolg» der Aktionen indes eine zweischneidige Sache. Wenn der Handel wieder vermehrt in den Untergrund abdriftet, so Weber, bestehe die Gefahr, dass man zumindest einen Teil der Szene aus den Augen verliere. Die seit Jahren erstaunlich stabilen Preise für Cannabis-Produkte weisen indes darauf hin, dass sich bei Angebot und Nachfrage nicht viel verändert hat.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung (http://www.nzz.ch), 26. März 2001