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Teilrückzug des Hanfmarktes in UntergrundAngebot/Nachfrage
stabil trotz Repressionsmassnahmen axb . Bei der CHanf GmbH an der Zentralstrasse in Zürich Wiedikon herrscht wie immeram Freitagnachmittag reger Betrieb. Die Kundschaft, die sich hier für das Wochenende mit Cannabis eindeckt, ist bunt gemischt, aber keineswegsauffällig. Die Leute, die vor der Ladentheke geduldig Schlange stehen, könnte man ohne weiteres als helvetischen Durchschnitt bezeichnen: einHandwerker im Overall, ein mutmasslicher Student (Rollkragenpullover, Brille, Buch unter dem Arm), eine Hausfrau (der Kinderwagen musste draussen bleiben), ein leicht ergrauter Herr mit Windjacke, zwei jüngere Frauen, die angeregt diskutieren, ein kraushaariger Mittdreissiger der hochdeutsch spricht. Das Ambiente im Laden wirkt hell und gepflegt, die Bedienung ist zuvorkommend, das Sortiment reichhaltig: von Kleidern und Schuhen über Limonade und Sekt, Knabberzeug, Süssigkeiten und Nudeln bis hin zu Seifen, Parfums und Kosmetika, gar Schreibutensilien und Büchern wird allerhand feilgeboten. Gemeinsam ist dem Sortiment, dass alles auf der Basis von Hanf hergestellt wurde. Walliser Queen
mit «fruchtigem Abgang» CHanf-Geschäftsführer François Reusser macht sich nichts vor, auch wenn er keine Zahlen nennen mag: Das Geschäft besteht praktisch ausschliesslich aus dem Verkauf von Marihuana. Im Gegensatz zu anderen Hanfläden, wo das lange verteufelte und nach wie vor verbotene Kraut pro forma als «Duftsäcklein», «Zierpflanzen» oder «Badezusatz» verhökert wird, werden die Dinge hier bewusst beim Namen genannt. Denn Reusser, der es einmal bis zum Vizepräsidenten der SP des Kantons Zürich geschafft hatte und nach wie vor in seiner Partei aktiv ist, versteht sich als Vorreiter für die Legalisierung von Cannabis. Es brauche eben immer Leute, sagt er, die mit Taten statt mit Worten, mit der Macht des Faktischen längst überfällige Gesetzesrevisionen vorwegnähmen. Das habe Tradition im Land. Als Beispiele nennt Reusser etwa die Entkriminalisierung der Abtreibung, die Privatisierung von Telekom und elektronischen Medien oder die Liberalisierung im Gastgewerbe - letztlich seien es immer einzelne Gesetzesbrecher gewesen, die den Staat gezwungen hätten, seine Gesetze den gesellschaftlichen Realitäten anzupassen. Ein bekennender
Überzeugungstäter Reusser spekuliert wohl auch darauf, dass bis dahin die vom Bundesrat angestrebte Duldung eines kontrollierten Cannabis-Marktes Realität ist. Jedenfalls hat sich der Laden selber eine Reihe von freiwilligen Einschränkungen auferlegt: kein Verkauf an Minderjährige, es werden bloss Gebrauchsmengen aus heimischer und vor allem auch ökologischer Produktion abgeben, Handel vor dem Laden oder ausserhalb der offiziellen Zeiten wird nicht geduldet, die Kunden müssen zumindest einen Wohnsitz in der Schweiz haben und im Zweifelsfall einen Ausweis vorlegen. Damit geht CHanf teilweise über die Auflagen hinaus, unter denen der Bundesrat den Verkauf von Cannabis tolerieren möchte. Das interessiert die Zürcher Justiz im Moment allerdings nur mässig. Sie hält sich an das geltende Recht, und das wird sich so schnell nicht ändern, selbst wenn die Räte der Liberalisierungsvorlage zustimmen sollten. Die CHanf GmbH beschäftigt insgesamt zehn Mitarbeiter und erzielt einen Umsatz in Millionenhöhe. Zeitweise belieferte die Firma auch kleinere Hanfläden in der Region. Feldweibel Heinz Weber, zuständig für das Dossier Cannabis bei der Stadtpolizei Zürich, mag sich nicht auf genaue Schätzungen einlassen. Er weist aber darauf hin, dass im Detailhandel mit Cannabis heute bei bedeutend geringerem Risiko massiv höhere Gewinne erzielt würden als etwa mit Heroin. Viele nähmen es deshalb mit dem Jugendschutz nicht so genau. Derartiges will der erfahrene Ermittler François Reusser, mit dem er einen unverkrampften Umgangston pflege, nicht unterstellen. Dem «Hanfpolitiker» gehe es offensichtlich nicht ums grosse Geld, sondern vor allem um die Sache - doch damit sei er eher eine Ausnahme. Seit sich Polizei und Justiz wieder vermehrt ins Hanfgeschäft einmischen, ist die Zahl der offenen Verkaufsstellen in der Stadt Zürich merklich zurückgegangen - gemäss Webers Schätzungen von rund 35 auf gegen 25 Läden. Einerseits werde nun vermehrt «unter der Theke durch» und ohne offizielle Buchhaltung verkauft. So soll es etwa eine Videothek geben, in der sich Stammkunden bis Mitternacht mit «Gras» eindecken können. In einem einschlägig bekannten Laden, der offiziell nur Modeaccessoires verkauft, werden Cannabis- Kunden heute in eine nahe Privatwohnung geschickt. Klandestine Verkaufsräume ohne Schilder und Auslagen sind in der Szene dank «Mund- zu-Mund-Propaganda» schnell bekannt. Andere Händler vertreiben den Stoff über Kurierdienste oder Postversand, die Bestellung erfolgt über das Internet oder eine Natelnummer. Dabei entgehen dem Staat einerseits Steuereinnahmen. Andererseits sind Auflagen wie beispielsweise ein Jugendschutz kaum mehr durchzusetzen. Polizei unter
Handlungszwang Weber macht kein Hehl daraus, dass die Aktionen gegen Hanfläden in jüngerer Zeit nicht vonder Polizei ausgingen. Durch Anzeigen von Anwohnern, die sich belästigt fühlten, teilweise abersicher auch aus politischen Überlegungen agierten, sowie durch Rechtshilfeersuchen aus anderenKantonen und aus dem Ausland wurde die Zürcher Polizei vielmehr zum Handeln gezwungen. Aus polizeitechnischer Sicht ist der «Erfolg» der Aktionen indes eine zweischneidige Sache. Wenn der Handel wieder vermehrt in den Untergrund abdriftet, so Weber, bestehe die Gefahr, dass man zumindest einen Teil der Szene aus den Augen verliere. Die seit Jahren erstaunlich stabilen Preise für Cannabis-Produkte weisen indes darauf hin, dass sich bei Angebot und Nachfrage nicht viel verändert hat. Quelle: Neue Zürcher Zeitung (http://www.nzz.ch), 26. März 2001 |