Cannabislegalisierung in Deutschland!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung

Pubdate: 09. 10. 2002
Source: Frankfurter Allgemeine Zeitung
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Hanf ist ein ganz besonderer Stoff

Das Cannabis-Verbot hat gravierende Folgen, aber keine medizinische Grundlage / Von Carl Nedelmann

In Johannes 18, Vers 38 steht die Pilatus zugeschriebene Frage: "Was ist Wahrheit?" Luther notierte an den Rand: "Ironia est." Solcher Feinsinn bei dem streitbaren Gottesmann mit seinen berüchtigten Ausfällen, in denen noch der Teufel des Mittelalters tobte, ist überraschend. Als der Journalist Fritz Rumler diese Marginalie fand, war er glücklich. Er reichte sie weiter wie ein Vermächtnis, das an der Wand erscheint, wenn ein Tatbestand zum Himmel stinkt und eine Gabe der Natur gebrandmarkt und verfolgt wird.

So ist es beim Hanf der Fall. Dabei ist Hanf kein Kraut, mit dem man beliebig spielen kann, sondern eine der ältesten Kulturpflanzen. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts kam die Hanfkultur amerikanischen Profit-Interessen in die Quere. Die Möglichkeit zum Verbot ergab sich durch Zufall. Hanf liefert nicht nur die Rohstoffe für Textilien, Papier und anderes, sondern auch Cannabis. Es war die Zeit der zu Ende gehenden Alkohol-Prohibition. Für das entfallende Rauschmittel wurde Ersatz gesucht und in Cannabis gefunden. Ein Rauschmittel ist per se nicht harmlos. Nun aber wurde Cannabis zum "Rauschgift" erklärt und zur Begründung der Gefährlichkeit neben Heroin gestellt.

Zur Verdummung der Öffentlichkeit wurde eine Kampagne aus öffentlichen Mitteln bezahlt und inszeniert. Die Beschreibung liest sich wie ein Kriminalroman. Das Gute, nach alter griechischer Anschauung auch das Schöne und Wahre, der nachhaltige Umgang mit der Natur, lag am Ende tot. Der Mörder war der Verleumder, der Hanf als "Mörderkraut" denunzierte.

Erst wird mit Worten gemordet, das gilt auch im übertragenen Sinne. Hanf wurde verboten, und vielerlei Interessen war damit gedient: der Mafia, die zu ihrer Existenz illegale Märkte braucht; den Abstinenz-Aposteln, die in der Tradition der puritanischen Moral der Pilgerväter voller Lust verbieten; dem Drogen-Verfolgungsapparat, der zu einer neuen Aufgabe kam; und der Industrie, der das profitschädigende Naturprodukt aus dem Weg geräumt war. Hanf wurde in den Untergrund gedrängt und blüht seither im verborgenen.

In der Bundesrepublik Deutschland ging das Interesse am Verbot nicht von der Industrie, sondern von der Obrigkeit aus. Sie erteilte der Jugend, die Cannabis in den sechziger Jahren zur Protestdroge gewählt hatte, eine Lektion. Schrittmacherdienste leistete das Bayerische Oberste Landesgericht. Es beschloß am 27. August 1969, "die Strafbarkeit des Erwerbs von Cannabis (Haschisch) durch das Opiumgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar", und zitierte zur Begründung hochamtliche Quellen. Besondere Aufmerksamkeit erlangte eine Feststellung des internationalen Suchtstoffamtes: "Der Konsum durch Jugendliche erscheint vielen Beobachtern als ein Symbol der Revolte gegen die bestehende Ordnung der Dinge." Die Beobachtung war berechtigt, aber das Gericht hat sie als die Begründung einer Gefahr gewertet. "Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein", schrieb es, "daß die Ungefährlichkeit von Haschisch erwiesen" sei. 1972 wurde Cannabis in das Betäubungsmittelstrafrecht übernommen. Seither spricht man vom "Cannabis-Verbot".

Wie zuvor in den Vereinigten Staaten, so übernahm auch jetzt in Deutschland die Medizin die Aufgabe, das Verbot zu begründen. Es ging zu, wie es in dem von Hans Traxler illustrierten und herausgegebenen "Neuen Roda Roda Buch: Rote Weste und Monokel" nachgelesen werden kann: "Wenn ein Gelehrter, ich bitte, eine wissenschaftliche Versuchsreihe anstellen soll, ich bitte, muß man ihm vorher klar und deutlich sagen: das und das soll sich bei den wissenschaftlichen Versuchen herausstellen. Danach richtet der Gelehrte seine wissenschaftlichen Versuche ein, und sie gelingen." Diverse Schäden wurden im Namen der Wissenschaft behauptet und zu Markte getragen. Man soll deswegen die Wissenschaft nicht schelten. Sie dient verschiedenen Zwecken. Am Ende aber - ironia est - gilt das Sprichwort: Ehrlich währt am längsten. Aus medizinischer Sicht wird kein Schaden angerichtet, wenn Cannabis vom Verbot befreit wird. Das Cannabis-Verbot kann durch medizinische Argumente nicht gestützt werden.

Es gibt indes andere Argumente, die hier eine Rolle spielen. Das erste besteht in der schlichten Warnung: Was wäre, wenn alle das täten? Entkriminalisierung oder Legalisierung zieht aber keinen Konsumrausch nach sich. Wo liberalere Handhabung zu faktischer Freigabe führt, geht der Konsum ein wenig zurück. Wo die Verfolgung sich verhärtet, nimmt der Konsum zu. Man geht kaum fehl, in diesen Schwankungen den durch vermehrte Verfolgung gereizten Protest-Charakter am Werk zu sehen. Man möchte fast vermuten, dahinter säße noch die Angst der Etablierten vor der revoltierenden Jugend von 1968.

Das zweite Argument ist die Feststellung, die das Bayerische Oberste Landesgericht 1969 bekanntgegeben hat: "Die Ungefährlichkeit von Cannabis ist nicht erwiesen." Aber es stellt nur fest, was ohnehin gilt. Die Nachweise werden von der Medizin geführt. Die Medizin kann nur Gefährlichkeiten nachweisen. Sie kann im Hinblick auf die Ungefährlichkeit von Cannabis nur sagen, daß sie keinen pathologischen Befund erhoben hat, der das Verbot rechtfertigt. Ungefährlichkeit erweisen kann sie nicht. Hier verlangt die Rechtsprechung Unmögliches, obwohl allgemein gilt, daß das Recht Unmögliches nicht verlangen darf.

Das dritte Argument ist die Mahnung: "Man darf Cannabis nicht verharmlosen." Sie verharmlost die Folgen des Verbots. Nicht der Gebrauch, sondern das Verbot von Cannabis stiftet Schaden. Ironia est: Das Verharmlosungsargument fällt auf die zurück, die es im Munde führen. Sie verharmlosen die Folgen ihrer Mahnung. Das Verbot ist kein Hindernis für den Konsum. Aber das Verbot macht den Markt schwarz, also unkontrolliert und kriminell. Es vernachlässigt den Jugendschutz. Es verhindert die Anleitung zu vernünftigem Gebrauch.

Fiktionen sind die Legitimationsbasis für die Geister, die man rief. Sie besetzen Planstellen und plustern sich auf. Man wird sie nur schwer wieder los. Zwar ist das Strafrecht müde geworden, doch die Verfolgungslust besteht weiter. Sie fand ein neues Feld in den Gefahren des Straßenverkehrs. Am 1. Januar 1999 trat eine Verkehrserlaubnis-Reform in Kraft. Sie schlug Bedenken, die das Bundesverfassungsgericht mehrfach geäußert hatte, in den Wind und sanktioniert den unmittelbaren Konsum, der vorher nie mit Strafe bedroht war, mit dem strafersetzenden Übel des Führerscheinentzugs, obwohl Publikationen, die das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben oder mit öffentlichen Mitteln gefördert hatte, zu Ergebnissen kamen, die wenig von den unterstellten Gefahren übriggelassen haben. Es würde genügen, das Fahren im akuten Rauschzustand mit Strafe zu bedrohen.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 8. Juli 2002 einem Beschwerdeführer recht gegeben, der sich geweigert hatte, der behördlichen Anordnung eines "Drogen-screenings" nachzukommen, was die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge hatte. Das Gericht entschied: "Der in dem Entzug der Fahrerlaubnis liegende Eingriff in die Handlungsfreiheit war im vorliegenden Fall verfassungswidrig, weil er in keinem angemessenen Verhältnis zum Ausmaß der Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs stand." Wo für das Bundesverfassungsgericht "ein angemessenes Verhältnis" beginnen kann, hat es an einem anderen Fall klar gemacht. Dort hatte die Polizei nicht nur Cannabis-Besitz festgestellt, sondern auch die Reste eines mit Haschisch versetzten Joints im Aschenbecher des Fahrzeugs gefunden. Der Fund wurde so sehr zum "maßgebenden" Verdachtsmoment, als würde man bei einer leeren Flasche Bier, die im Auto gefunden wird, obwohl keine Fahrfehler festgestellt wurden, gleich an das Schlimmste denken. In diesem Fall, schrieb das Gericht, "kann die aktive Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers verlangt und darf die Verweigerung zum Nachteil des Betroffenen gewürdigt werden".

Das Bundesverfassungsgericht hat vor Jahren den Gesetzgeber aufgefordert, die Frage zu prüfen, ob die Gründe, die zu dem Cannabis-Verbot geführt haben, noch genügend Gültigkeit besitzen, um das Verbot aufrechtzuerhalten. Der Gesetzgeber traut sich aber an diese Frage nicht heran, denn Meinungsumfragen ergeben, daß die Mehrheit der Wähler das Cannabis-Verbot für richtig hält. Deshalb mögen die Parteien daran nicht rühren. So beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht darauf, wie schon vor Jahren dem Strafrecht so jetzt dem Verwaltungsrecht einen Dämpfer aufzusetzen.

Während einerseits, wie man sieht, der Staat dazu neigt, mit dem Cannabis-Verbot Unfug zu treiben, macht er sich andererseits einer sträflichen Unterlassung schuldig. Der schwarze Markt läßt sich durch das Cannabis-Verbot nicht bekämpfen. Er funktioniert und hat sich längst bis auf die Schulhöfe ausgedehnt. Mit steigender Tendenz treten in den letzten Jahren auf diesem Markt Kinder als Käufer und Konsumenten auf und verfallen Jugendliche einem Exzeß, der sich über Monate erstrecken kann.

Indem der Staat den Genuß von Cannabis unter Strafe stellt, legt er die Steuerung des Umgangs damit in die Hände von Kriminellen. Er begibt sich somit freiwillig seiner bewährten Instrumente des Jugendschutzes und läßt es zu, daß bereits Kinder Zugang zu einem Markt haben, der nach eigenen Regeln funktioniert, nicht nach den Regeln des Jugendschutzes. Die Bemühung um die Legalisierung von Cannabis ist deshalb weder eine Empfehlung zum Konsum noch ein Zeichen der Verharmlosung, sondern der einzige erfolgversprechende Weg, den Cannabis-Markt unter Kontrolle zu bringen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.10.2002, Nr. 234 / Seite 40