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Kiffer am Ball (facts.ch)
Newshawk: oxknox SPORT Kiffer am Ball Die positiven Hasch-Tests häufen sich. Nicht nur im Handball, gekifft wird in vielen Sportarten. GC-Handballer Severin Boser steht offen zum Cannabis-Konsum. Von Caroline Doka und Elmar Wagner Er hatte nicht einmal eine böse Vorahnung. Als Severin Boser im Oktober nach dem Spiel gegen Wacker Thun von einem Funktionär in eine leere Garderobe geführt wurde, dachte er nur: «Reine Routine.» Es ging um eine Dopingkontrolle, und schliesslich waren seine vorherigen Proben alle negativ gewesen - rund 15-mal. Doch diesmal irrte der Handballer des Zürcher Nationalliga-A-Klubs Grasshoppers. Wochen später, als der 28-jährige Architekt zu einem Bauherrn fährt, klingelt das Handy. Der Dopingverantwortliche des Handballverbandes ist am Apparat und eröffnet Boser, dass seine Urinprobe positiv ausgefallen sei. Gefunden wurden Spuren von Cannabis, die den erlaubten Wert von 15 Nanogramm pro Milliliter übersteigen. Dem Rückraum- und Kreisspieler fällt beinahe das Handy aus der Hand. Doch wirklich überrascht ist er nicht, denn kurz zuvor sind mit Janosz Molnar vom TV Zofingen und Tsuyoshi Ito von Amicitia Zürich schon zwei Nationalliga-A-Spieler des Cannabis-Konsums überführt worden. «Da habe ich gedacht: Wenn die bei mir ebenfalls nach Spuren suchen, könnte auch ich positiv sein.» Severin Boser hat die B-Probe nicht verlangt. Er steht dazu, dass er gelegentlich kifft. Als Cannabis-Konsument befindet er sich im Spitzensport in grosser Gesellschaft. Waren in den vergangenen Jahren höchstens ein paar einsame Fälle zu zählen, haben sie sich in jüngster Zeit gehäuft. Zu den drei Handballern kamen innert eines halben Jahres ein Wasserballer und ein Basketballer hinzu. Und schon sind vier weitere positive Hasch-Proben aufgetaucht. Über deren Herkunft hüllt der Schweizerische Olympische Verband SOV den Mantel des Schweigens. FACTS weiss: Es betrifft wiederum drei Handballer. Einer von ihnen stand am Montagmittag im Büro von Gelegenheitskiffer Severin Boser und fragte ihn verzweifelt: «Was soll ich tun?» Der Handball scheint das Kiffer-Paradies des Spitzensports zu sein. Doch der Schein trügt. Dass es momentan fast nur Fälle aus dem Handball an die Öffentlichkeit spült, hat mit der gespaltenen Haltung der Verbandsfunktionäre zu tun: Von den 80 Schweizer Sportverbänden, in denen auf Doping kontrolliert wird, bestraft nur ein gutes Dutzend die Cannabis-Sünder. Zu den Hardlinern gehören vorab kleine Verbände wie Billard, Judo, Sportklettern oder Rollsport. In den ganz grossen Sportarten hingegen bleibt ein positiver Hasch-Test ohne Folgen: Im Fussball und Eishockey darf nach Herzenslust gekifft werden. Und es wird auch. «Hasch ist im Spitzensport sehr verbreitet. Würde der Cannabis-Konsum im Schweizer Eishockey geahndet, würden wir Überraschungen erleben. Denn ein rechter Teil der Spieler kifft gelegentlich», sagt Beat Villiger, Mannschaftsarzt des HC Davos und Mitglied der Medizinischen Kommission im Internationalen Eishockeyverband. «Ein Drittel bis die Hälfte konsumiert gelegentlich Cannabis», sagt ein Experte. «In unserer Mannschaft gibt es drei Spieler, die sich regelmässig einen Joint reinziehen, und daneben noch ein paar Gelegenheitskiffer», erzählt ein Spitzenspieler aus der Nationalliga. Im Fussball hingegen scheint das Phänomen weniger verbreitet, wie verschiedene Nationalliga-Spieler berichten. «Im Fussball wird mehr gekokst als gekifft», behauptet Bruno Huber, Spielermanager und Präsident des FC Winterthur. Er spricht davon, dass die Durchdringung von Cannabis im Eishockey grösser sei. Dort gebe es eben die härteren Typen. «Im Fussball gibts vereinzelte Fälle, nicht mehr als im gesellschaftlichen Durchschnitt», weiss Fredy Bickel, der Sportchef der Young Boys. «Natürlich probierts jeder einmal, meist an einer Party. Doch vielen wirds einfach schlecht. Die können nicht mal einen Joint drehen», erzählt ein ehemaliger Nationalspieler. Einzig Ex-Natistar Thomas Bickel gesteht freimütig, dass er ab und zu Cannabis konsumiert habe, zu Beginn seiner Karriere. «Doch dann habe ich die Lust daran verloren und ganz aufgehört», sagt er. Martial Saugy vom Lausanner Dopinglabor stellt fest, dass Cannabis als soziale Droge vor allem im Mannschaftssport vorkomme. Snowboard gilt als die grosse Ausnahme. «In unserem Sport ist das Kiffen ein Megaproblem. Ich wage zu behaupten, dass sich nur die Topfahrer an die Dopingliste halten», sagt Brigitte de Roche, die Dopingverantwortliche des Schweizer Snowboardverbandes. Im Lausanner Dopinglabor jedenfalls ist die Zahl positiver Haschisch-Befunde steigend. Das hängt einerseits mit der gewachsenen gesellschaftlichen Akzeptanz der immer noch illegalen Substanz zusammen. Anderseits mit dem Umstand, dass nach dem peinlichen Marihuana-Fall des Snowboard-Olympiasieger Ross Rebagliati 1998 im japanischen Nagano die Kontrollen in vielen Verbänden verschärft wurden. Eine langfristige Statistik lässt sich für den Trend hier zu Lande noch nicht bemühen, schliesslich wird erst seit dem April vergangenen Jahres flächendeckend auf die Cannabis-Spur namens Carboxy-THC kontrolliert. Immerhin lässt sich sagen, dass Handball mit insgesamt sechs positiven Fällen klarer Spitzenreiter der jungen Rangliste ist. GC-Handballer Severin Boser schätzt, dass die Cannabis-Durchdringung in seinem Sport ähnlich gross ist wie im Eishockey. Und Jean-Jacques Fasnacht, Mannschaftsarzt der Kadetten Schaffhausen, weiss von Spielern, die angesichts der positiven THC-Proben gehörig gezittert haben. Trotzdem ist nicht zu erwarten, dass der Handball seine Spitzenposition in der Dopingstatistik ausbauen wird. Denn die sportlichen Kiffer haben Lunte gerochen, so leicht werden sie sich nicht mehr erwischen lassen. «Seit dem Puff mit der positiven Kontrolle bei Janosz Molnar kiffe ich nicht mehr», sagt ein Schweizer Top-Handballer. Nur ungern verzichtet er auf den wöchentlichen Joint. «Kiffen ist für mich Entspannung wie für andere ein gutes Glas Rotwein. Es macht mich locker, zufrieden und entspannt», schwärmt er. Die Flut von Cannabis-Sündern im Handball ist auf eine Mischung von Unvorsichtigkeit und schlechter Information zurückzuführen. Einerseits gibt es viele Spieler, die davon ausgehen, dass Haschisch-Spuren nur ein paar Stunden nach dem Konsum nachgewiesen werden können. Mediziner wissen jedoch, dass ein Nachweis bis zu sechs Wochen danach möglich ist. Anderseits wies der Handballverband nie explizit darauf hin, dass ein positiver Befund bestraft würde. Rolf Hess, der Dopingverantwortliche im Schweizer Handball, hält hingegen fest, dass Anfang Saison jedem Klub die SOV-Dopingliste mit den verbotenen Substanzen abgegeben worden sei. Er gehe also davon aus, dass die Spieler informiert gewesen seien. Dass die Cannabis-Sünder zu bestrafen sind, hat er nach den positiven Befunden im hiesigen Handball vom internationalen Verband erfahren. «Das Vorgehen des Schweizer Verbandes ist hirnlos und inkompetent. Die Spieler wurden auf stossende Art in aller Öffentlichkeit kriminalisiert», ereifert sich Kadetten-Arzt Fasnacht. Im Fall von Cannabis liegt im ganzen Spitzensport ohnehin einiges im Argen. In den meisten Verbänden wissen die Verantwortlich nicht einmal, ob der Hanfkonsum bestraft wird oder nicht. In Sachen Sanktionen herrscht ein reges Kommen und Gehen. Der Eishockeyverband beispielsweise trat nach Olympia 1998 aus dem Hardliner-Klub aus. Andere Verbände hingegen wollen urplötzlich Strafen gegen die Kiffer sprechen. Um Ordnung ins Chaos zu bringen, verlangt der SOV dieser Tage von den Sportverbänden ein endgültiges Bekenntnis. Bis im Frühjahr soll alles klar sein. Oder wenigstens einiges. Denn in Sachen Strafen gibts immer noch eine beträchtliche Bandbreite; sie reicht von sechs Spielsperren (Handball) bis zu mehrmonatigen Pausen (Basketball). Selbst innerhalb der Sportart ist keine Kohärenz auszumachen: Der Handballer Janosz Molnar wurde nach seiner positiven Dopingprobe vom TV Zofingen fristlos entlassen; die anderen Kiffer kamen weit glimpflicher davon. «Die Entlassung ist mir absolut unbegreiflich. Man hat mir mitgeteilt, dass einige Grosssponsoren kein Geld mehr bezahlen, falls ich nicht weggeschickt werde», sagt Molnar. Kein Wunder, hat sich soeben eine Fraktion von Handballtrainern und -ärzten formiert, welche eine Amnestie für die Cannabis-Sünder fordern. «Wir sollten unter klaren Voraussetzungen neu beginnen», sagt Kadetten-Arzt Jean-Jacques Fasnacht. Der Ungereimtheiten sind noch mehr. So wurde die tolerierte Grenze von THC auf 15 Nanogramm pro Milliliter festgelegt - damit kein Passiv-Kiffer positiv getestet werden kann. Doch das war dem internationalen Radsportverband zu streng: Sein Toleranzwert liegt bei 40 Nanogramm pro Milliliter. Für den ganzen Radsport? Mitnichten: Nur den Mountainbike-Downhillern bleibt der Joint verwehrt. Bei den verwegenen Downhillern ist das Verbot wenigstens medizinisch sinnvoll. Wer sich benebelt in die Tiefe stürzt, setzt sich einem beträchtlichen Risiko aus. In praktisch allen anderen Sportarten aber entspringt das rigorose Verbot einzig einer moralinsauren Haltung der Funktionäre. So etwa spricht der Handballverband in einer Mitteilung zu den Dopingfällen von einer «Vorbildwirkung der Leistungssportler». Und Jean-Pierre Desarzens vom Basketballverband sagte noch vor kurzem: «Wir wollen keine Drogen in unserem Sport, das ist unsere Philosophie.» Diese Sprüche bescheren den Experten Sorgenfalten. «Wir dürfen Dopingbekämpfung und Drogenprävention nicht vermischen. Ich finde es schlecht, dass man im Sport nun noch gegen Haschisch loszieht», sagt der Präventivmediziner Bernard Marti. Und Matthias Kamber, der Fachmann im Bundesamt für Sport, schlägt vor, mit den Athletinnen und Athleten spezifische «Drogenverträge» aufzusetzen. So könnte ein Verstoss ausserhalb der Dopingdiskussion geregelt werden. Das wäre umso sinnvoller, als es im Mannschaftssport höchst unterschiedliche Drogenkulturen gibt. «Hasch», sagt Eishockey-Arzt Beat Villiger zwar, «hat eine Teamkultur. Meistens wird in kleinen Gruppen gekifft.» Doch je nach Sportart ist die Ausprägung verschieden stark: Im Handball führt Cannabis, im Fussball überwiegt Kokain. Im Eishockey ist Snus, ein Kautabak, ebenso verbreitet wie Cannabis, und im Basketball steht Ecstasy zahlenmässig auf der Höhe von Haschisch. Das Schlusswort steht dem entlassenen Handball-Kiffer Janosz Molnar zu, der heute in Prag spielt: «Seit der positiven Kontrolle habe ich nicht mehr gekifft. Ich möchte baldmöglichst in die Schweiz zurück, denn da gefällt es mir sehr gut.» Wohl dem, der den hiesigen Cannabis-Fahndern so viel Toleranz entgegenbringt Kästen am Rand: Drogen
Janosz Molnar
Tsuyoshi Ito
Thomas Bickel Die Wirkung Cannabis ist wegen der Auswirkungen auf die Psyche und des Suchtpotenzials in der Schweiz seit Anfang der Fünfzigerjahre verboten. Trotzdem ist das Kraut im Trend. Rund 600'000 Schweizer sagen von sich, dass sie regelmässig haschen. Das Spektrum der Effekte von Cannabis reicht je nach Dosierung von beruhigender Wirkung bis hin zu psychotischen Rauschzuständen im Extremfall. Zudem verändert es auch Herz- und Kreislauftätigkeit. Traditionellerweise wird Cannabis eine schmerzlindernde Wirkung zugeschrieben. Untersuchungen lassen jedoch vermuten, dass es den heute üblichen Schmerzmitteln unterlegen ist. Über die Auswirkungen für Spitzensportler sind sich Ärzte und andere Experten einig: Hanf ist nicht leistungsfördernd. Trotzdem steht Cannabis seit Ende der Achtzigerjahre auf der Dopingliste des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) und damit auch auf derjenigen des Schweizerischen Olympischen Verbandes (SOV). Haschisch lagert sich im Fettgewebe des Körpers ab und soll mehrere Wochen nach dem Konsum nachgewiesen werden können. In der internationalen Dopingstatistik des IOK rangierte der Missbrauch mit Cannabis 1998 auf dem vierten Platz. Sport und Cannabis Eishockey
Beat Villiger Fussball
Bruno Huber Snowboard
Brigitte de Roche Handball
Jean-Jacques Fasnacht Mannschaftsarzt Kadetten Schaffhausen Basketball
Jean-Pierre Desarzens Der Experte
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