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Fördert die Cannabisprohibition den Konsumausstieg?

Das strafrechtliche Verbot versucht nicht nur, den Zugang zu Cannabis zu erschweren und das Probieren von Cannabis zu verhindern. Es zielt auch darauf ab, Probierer und Konsumenten wieder zur Einstellung des Konsums zu bewegen. Inwieweit das gelingt, ist jedoch fraglich. Unbestritten ist, dass die grosse Mehrzahl der Cannabiskonsumenten entweder nur wenige Male konsumieren, oder aber den Konsum innerhalb weniger Jahre dauerhaft einstellen. Umstritten ist, welche Rolle dabei eine repressive oder eher gesundheitspolitisch orientierte Drogenpolitik spielen kann.

In einem Artikel im British Medical Journal (BMJ) schreibt Stephen Sidney, Leiter der klinischen Forschung des Kaiser Permanente Medical Care Program, dass bisher kein Zusammenhang zwichen Cannabis und erhöhter Sterblichkeit nachgewiesen sei. [1] Das könne jedoch auch daran liegen, dass aufgrund des Verbots nur ein geringer Prozentsatz den Konsum lange genug fortsetze um ihre Gesundheit so ernsthaft zu schädigen, wie das etwa viele Konsumenten der legalen Drogen Tabak und Alkohol tun:

... we need to consider the time course of exposure to cannabis and its potential relation to mortality. No acute lethal overdoses of cannabis are known,(4) in contrast to several of its illegal (for example, cocaine) and legal (for example, alcohol, aspirin, acetaminophen) counterparts. Deaths due to chronic diseases resulting from substance misuse generally result from the use of that substance (for example, tobacco and alcohol) over a long time. Importantly, and in contrast to users of tobacco and alcohol, most cannabis users generally quit using cannabis relatively early in their adult lives. The table shows observations from the 1998 US national household survey on drug abuse regarding the prevalence of current (past month) use of alcohol, tobacco cigarettes, and use of cannabis among young adults (age 18-25) and older adults (age 35 or older).(5)
(...)
...the low rate of regular use of cannabis and the high rates of discontinuation during young adulthood in the United States may reflect the illegality and social disapproval of the use of cannabis. This means that we cannot assume that smoking cannabis would continue to have the same small impact on mortality (as it probably does with current patterns of use) if its use were to be decriminalised or legalised.

Was Sidney hier präsentiert ist eine Hypothese, also eine Möglichkeit. Er nennt zwar Zahlen, wonach seine Hypothese nicht von vorneherein auszuschliessen ist, versucht jedoch auch nicht, sie zu untermauern, etwa durch Vergleichszahlen aus Ländern, die Cannabis bereits entkriminalisiert haben. Die folgenden weiteren Zahlen sollen bei der Klärung dieser Frage behilflich sein.

Befragung ehemaliger Konsumenten
Scheinbar spielt das Verbot beim Entschluss, den Cannabiskonsum einzustellen, so gut wie keine direkte Rolle. Laut der Repräsentativumfrage des Instituts für Therapieforschung (Kraus/Bauernfeind 1997) gab von den befragten ehemaligen Cannbiskonsumenten folgender Prozentsatz als Grund an, warum sie damit aufgehört haben: [2]

"Angst vor Bestrafung": 2,8 Prozent
"Verfahren gegen mich": 0,2 Prozent
"Gerichtliche Verurteilung": 0,1 Prozent
"War in Haft": 0,1 Prozent
aber:
"Angst vor gesundheitlichen Schäden": 13,1 Prozent
"Wirkung unangenehm": 17,5 Prozent
"Angst süchtig zu werden": 18,5 Prozent
"Hat nichts gebracht": 48,4 Prozent
"Nur probieren": 85,4 Prozent

Konsumausstieg im internationalen Vergleich
Es kann sein, dass die Befragung ehemaliger Konsumenten dadurch verfäscht wird, dass niemand gerne zugibt, sich zu etwas zwingen lassen zu haben. Vielleicht war der Anteil der Befragten, bei denen Angst vor Strafe eine grosse Rolle spielte, in Wirklichkeit etwas größer als zugegeben wurde. Es ist auch möglich, dass eher indirekte Wirkungen des Verbots mit im Spiel sind, etwa soziale Stigmatisierung durch den Status der Illegalität, höhere Preise oder geringere Produktqualität, die das Konsumerlebnis beeinträchtigen. Um die tatsächlichen praktischen Auswirkungen des Verbots zu klären, ist ein Vergleich zweier Länder mit unterschiedlich repressiver Politik aufschlußreich.

In Amsterdam wird Cannabis seit ca. 1972 toleriert. Im Jahre 1976 wurde diese Politik auf die gesamten Niederlande ausgeweitet. Der Besitz von bis zu 30g Cannabis wird seitdem nicht mehr verfolgt. Mehrere Hundert "Coffeeshops" verkaufen seitdem Cannabis an Erwachsene, ohne von der Polizei verfolgt zu werden. Im Gegensatz dazu werden in den USA alljährlich etwa 700.000 Menschen aufgrund des Cannabisverbots verhaftet und viele von ihnen zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Auf Handel und Anbau stehen drastische Strafen, bis hin zu lebenslänglich ohne Möglichkeit der Bewährung. Allein die US-Bundesregierung gibt alljährlich rund 10 Milliarden Dollar für Cannabisrepression aus.

Wenn die Prohibition beim Nichtkonsum und beim Ausstieg aus dem Konsum von Cannabis die dominierende Rolle spielen würde, wäre zu erwarten, dass in den Niederlanden mehr Einwohner Cannabis konsumieren und weniger davon den Konsum im Laufe der Jahre einstellen würden.

Zunächst einmal die Zahlen aus dem US National Houshold Survey 1998, der US-Studie, auf die Sidney in seinem Artikel verweist. [3] Die Studie liefert Prävalenzzahlen für Lebenszeitkonsum, Konsum im letzten Jahr und im letzten Monat. Diese Zahlen werden alljährlich im Auftrag des US-Gesundheitsministeriums durch anonyme telefonische Befragungen von Haushalten ermittelt. Aus Gründen den Vergleichbarkeit verwenden wir im Folgenden die Zahlen für den Konsum innerhalb der letzten 30 Tage aus dem Jahr 1997, da hierfür sowohl in den USA als auch in den Niederlanden nach Altersgruppen aufgeschlüsselte Daten vorliegen.

USA: Konsum in den letzten 30 Tagen
US National Houshold Survey 1998, Zahlen für 1997
Alter Alkohol Zigaretten Cannabis
18-25 58,4% 40,6% 12,8%
35+ 52,8% 27,9% 2,6%

Quelle: US National Houshold Survey 1998
(Table 2.11 Trends in Percentage of Respondents Reporting Drug Use in the Past Month, by Age Group: 1997 and 1998)

Obige Zahlen zeigen, dass zum einen wesentlich weniger Menschen Cannabis konsumieren als Tabak oder Alkohol und dass zum anderen ein erheblich geringerer Teil der Konsumenten den Konsum über das gesamte Erwachsenenalter hinweg fortsetzt. Während sich der Konsum von Alkohol zwischen den Altersgruppen nur um ein Zehntel reduziert und der von Zigaretten um ein Drittel zurückgeht, stellen vier Fünftel der Cannabiskonsumenten den Konsum ein.

Um zu ermitteln, welchen Beitrag das Risiko der Strafverfolgung dazu leistet, wollen wir nun die landesweiten Zahlen für das selbe Jahr betrachten, die im Auftrag des Niederländischen Ministeriums für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport ermittelt wurden. [4]

Um die Zahlen möglichst vergleichbar zu machen, haben wir versucht, die Resultate für die von den niederländischen Statistiken verwendeten Altersgruppen auf die US-Altersgruppen umzurechnen (siehe Zeile "Gewichtetes Mittel"). Der gemittelte Wert für 18-25 Jahre ergibt sich aus den Werten für 16-19 und 20-24, im Verhältnis 2:5 gewichtet. Der gemittelte Wert ab 35 Jahren ergibt sich aus den Werten der Altersgruppen 35-39, 40-49, 50-59, 60-69 und 70+, im Verhältnis 5:10:10:10:5 gewichtet.

Niederlande: Cannabiskonsum in den letzten 30 Tagen
National Drug Monitor 2002, Zahlen für 1997
Alter 16-19 20-24 35-39 40-49 50-59 60-69 70+
Prävalenz 8,3% 7,1% 3.6% 1,5% 0,5% 0,0% 0,0%
Gewichtetes Mittel
7,4%
1,0%

Quelle: National Drug Monitor 2002
(Figure 2.1 Cannabis users in the Netherlands by age group. Survey years 1997 and 2001)
Wäre das Risiko der Strafverfolgung der ausschlaggebende Faktor für den Konsum oder Nichtkonsum von Cannabis, dann wäre anzunehmen, dass der Konsum in den toleranten Niederlanden in allen Altersgruppen stärker verbreitet wäre. Die Statistiken zeigen das Gegenteil: Der Anteil der Cannabiskonsumenten unter jüngeren Amerikanern ist rund 1,7-mal höher als unter ihren niederländischen Altersgenossen (12,8% zu 7,4%).

In dem für Sidneys Hypothese entscheidenden Vergleich der Altersgruppe ab 35 Jahren vergrössert sich der Abstand gar auf das 2,6-fache (2,6% zu 1,0%). Mit anderen Worten: In den cannabis-repressiveren USA konsumieren nicht nur mehr jüngere Menschen regelmäßig Cannabis, es stellt auch im Laufe der Jahre ein geringer Teil von ihnen den Konsum wieder ein als in den toleranteren Niederlanden. Die Rate der Konsumaufgabe bei einem toleranteren Regime ist also genau umgekehrt als von Steven Sidney für möglich gehalten: Höher statt niedriger.

Eine Erklärungsmöglichkeit wäre, dass Repression die Ausbildung von Subkulturen fördert, in denen der Konsum zur Norm wird. Eine repressive Politik kann auch Mittel aufbrauchen, die in einer schadensminimierenden Politik für wirksamere gesundheitspolitische Maßnahmen zur Verfügung stehen würden. Versuche, den Handel zu unterbinden oder zu stören ermutigen Konsumenten zum Eigenanbau und zur Anlegung von Vorräten, die zum häufigeren Konsum anmimieren können. Andererseits, was man jederzeit im Coffeeshop kaufen könnte, muss man nicht selbst anbauen oder auch nur im Haus haben, und was man nicht im Haus hat, konsumiert man auch nicht so oft.

Wie genau sind die Statistiken?
Bei allen Fragen nach illegalem oder sozial unerwünschem Verhalten ist zu bedenken, dass nicht alle Befragten wahrheitsgemäß antworten. Berücksichtigt man diesen Faktor, dann dürfte das tatsächliche Ergebnis für die repressive Politik der USA noch ernüchternder ausfallen. Je höher die Strafen die drohen, desto geringer dürfte die Bereitschaft sein, einem fremden Menschen am Telefon wahrheitsgemäß Auskunft über eigenes rechtswidriges Verhalten zu erteilten. Dies gilt insbesondere für Menschen, die viel zu verlieren haben, etwa Familienväter mit einer fortgeschrittenen beruflichen Laufbahn, während Jugendliche mehr Risikobereitschaft zeigen. [5] Daher ist anzunehmen, dass unter der repressiveren Politik der USA im Vergleich zu den Niederlanden der Prozentsatz der Konsumenten, die langfristig den Konsum einstellen, noch geringer ist, als obige offiziellen Studien bereits nahelegen.

Schlußfolgerungen
Der Konsum von Cannabis ist besonders unter jungen Erwachsenen verbreitet. Er wird normalerweise innerhalb weniger Jahre wieder eingestellt, ob Cannabisbesitz und -handel entkriminalisiert sind oder nicht. Verfügbare Daten sprechen gegen die Annahme, dass Strafverfolgung ein geeignetes Mittel sei, um langfristigen Konsum und damit mögliche gesundheitliche Risiken durch Cannabis zu minimieren. Die Indizien sprechen dafür, dass eine gesundheitspolitisch ausgerichtete Strategie der Schadensminimierung, wie in den Niederlanden, eher zum gewünschten Ergebnis führt.


Anmerkungen:
[1] British Medical Journal, 20.09.2003, http://bmj.bmjjournals.com/cgi/content/full/327/7416/635
[2] Sehen Sie dazu auch Argument: "Das Verbot hat eine präventive Wirkung"
[3] http://www.samhsa.gov/oas/NHSDA/98MF.pdf
[4] National Drug Monitor 2002, Trimbos Institute, http://trimbos.nl/Downloads/English_General/NDM_2002_cannabis.pdf
[5] Das zeigt sich auch in den Verhaftungsstatistiken, die deutlich von den Konsumstatistiken abweichen–Jugendliche machen einen höheren Anteil der Verhafteten als der Konsumenten aus. In Deutschland kommen auf jeden minderjährigen Konsumenten rund sechs volljährige Konsumenten. Bei den Ermittlungsverfahren sind es dagegen nur vier Erwachsene pro Jugendlicher.


Artikel:
BMJ: "Kein negativer Einfluß auf öffentliche Gesundheit" [CLN#127, 26.09.2003]