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Briefwechsel: Christa Nickels
1) Brief an Christa Nickels, Drogenbeauftragte des Bundestages
From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
To: <michels@bmg.bund.de>
Sent: Montag, 18. September 2000 10:02
Subject: Das Cannabisverbot und die "Single Convention" von 1961
Sehr geehrte Frau Nickels,
ich begrüsse Ihren Einsatz für eine sachlichere Diskussion zum
Thema Drogenpolitik sehr und verstehe auch die Sachzwänge der
rot-grünen Koalition, insbesondere im Bundesrat. Ich denke dass
wahrscheinlich noch viel öffentliche Aufklärungsarbeit nötig
ist bevor auch ein Teil der Union eine pragmatischere
Drogenpolitik mitträgt die ohne Kriminalisierung der
Cannabiskonsumenten auskommt.
Auf Ihrer Homepage schreiben Sie:
"Die Verwendung von Cannabis als Genussmittel ist nicht nur nach
den nationalen Gesetzen, sondern auch aufgrund der internationalen
Suchtstoffübereinkommen, die der Deutsche Bundestag seinerzeit,
nach Unterzeichnung durch die damalige Bundesregierung, jeweils
ratifiziert hat, nicht zulässig und strafrechtlich zu verfolgen."
http://www.christanickels.de/drogen/index.html
Ich möchte im folgenden drei Punkte zur Single Convention von
1961 anmerken, als Anregungen für mögliche künftige Vorstösse
in Richtung Reformen, die mit den internationalen
Suchtstoffübereinkommen konform wären.
-
Artikel 2, Absatz 5 überlässt die Entscheidung, ob der
nichtmedizinische Anbau und Besitz von Cannabis verboten wird, der
Entscheidung der Unterzeichnerstaaten:
"A Party shall, _if in its opinion the prevailing conditions in
its country render it the most appropriate means of protecting the
public health and welfare_, prohibit the production, manufacture,
export and import of, trade in, possession or use of any such drug
except for amounts which may be necessary for medical and
scientific research only, including clinical trials therewith to
be conducted under or subject to the direct supervision and
control of the Party."
In Deutschland etwa ist die Benutzung von Cannabis nicht strafbar.
Theoretisch könnte der Bundesrat genauso entscheiden dass auch
ein Verbot des Anbaus, Handels und Besitzes von Cannabis für die
Bundesrepublik Deutschland nicht das geeignetste Mittel ist um die
öffentliche Gesundheit und Wohlfahrt zu schützen. Als Begründung
dafür wäre z.B. anzuführen dass durch den Schwarzmarkt eine
Trennung der verschiedenen Drogenmärkte, die Alterskontrolle zum
Zwecke des Jugendschutzes und die lebensmittelrechtliche
Qualitätskontrolle unmöglich werden sowie dass die zur
Abschreckung nötigen Strafen im Falle von Cannabis
unverhältnismässig hoch wären.
Die Single Convention schreibt den Mitgliedsstaaten auch nicht
vor, welche Strafen für eine Übertretung der Verbote vorzusehen
sind. Die Parteien könnten also auch Gefängnisstrafen durch
Geldstrafen ersetzen, z.B. DM 10,- pro Pflanze die unerlaubt für
den Eigenbedarf angebaut wird.
- Die bestehende Vertragslage hindert die Niederlande nicht
daran, das Cannabisverbot auf dem Papier fortbestehen zu lassen,
aber die Polizei anzuweisen, unter welchen Bedingungen von einer
Strafverfolgung generell abzusehen ist. Eine solche Lösung ware
auch für Deutschland denkbar und wurde bereits vom
Bundesverfassungsgericht für den gelegentlichen Eigengebrauch
kleiner Mengen ohne Fremdgefährdung vorgeschrieben.
- Artikel 28, Absatz 2 ermöglicht den legalen Anbau von Cannabis
als Zierpflanze. Hier wäre eine Lösung denkbar die etwa den
persönlichen Anbau von bis zu einem Quadratmeter Cannabis oder
bis zu 12 Pflanzen (nur als Beispiel) als Zierpflanzen zulässt,
ohne dass Absatz 1 (legaler Drogenhanfanbau analog zum legalen
Schlafmohnanbau) in Anspruch genommen werden muss. Der legale
Anbau kleiner Mengen von Cannabis könnte die Nachfrage nach
Cannabis auf dem Schwarzmarkt erheblich reduzieren und
gleichzeitig die Polizei und Justizbehörden entlasten.
Ich werde Ihre Aufklärungsarbeit auch weiterhin publizieren und
unterstützen und hoffe dass unsere gemeinsamen Anstrengungen
innerhalb der nächsten Jahre Früchte in Form einer
schadensminimierenden, rationaleren Drogenpolitik tragen werden.
Ich würde mich ausserdem freuen wenn Sie mir Informationen über
die geplante NL/D/CH-Cannabis-Konferenz im Frühjahr 2001 in
Gütersloh zusenden könnten die die niederländische
Gesundheitsministerin kürzlich erwähnt hat.
Mit freundlichen Grüssen
Joe Wein
joewein@pobox.com
[Anschrift und URLs von Websites]
Zwei Monate später:
2) Brief vom Bundesgesundheitsministerium
BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT
Bundesministerium für Gesundheit
53108 Bonn
Bonn, den 13. November 2000
Herrn
Joe Wein
[Anschrift]
Betr.: Cannabis als Genußmittel
Bezug: Ihr Email vom 18.9.2000
Sehr geehrter Herr Wein,
für Ihr o.a. Schreiben mit Vorschlägen zur Reform der Gesetzgebung für Cannabis danke ich Ihnen. Auch die Bundesregierung denkt darüber nach, wie die in Deutschland bereits praktizierte Entkriminalisierung von straffälligen Cannabiskonsumenten gesetzlich noch klarer abgesichert werden könnte. Leider bieten jedoch Ihre drei Vorschläge hierzu keine validen Ansatzpunkte.
- Sie schlagen vor, das strafbewehrte Cannabisverbot abzuschaffen, weil es nicht das "geeignetste Mittel zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Wolfahrt" im Sinne des Suchtstoffübereinkommens von 1961 sei, sondern hierfür eine Legalisierung, Trennung der Märkte sowie Qualitäts und Alterskontrolle bei der (legalen) Abgabe besser geeignet seien. Für diese Behauptungen gibt es jedoch keine überzeugende Begründung. Zur Qualitäts- und Alterskontrolle: Auch die neueren Cannabisstudien haben keine Entwarnung hinsichtlich der schädlichen Wirkungen der Cannabinoide beim nichtmedizinischen Cannabiskonsum erbracht, inbesondere beim chronischen Dauerkonsum. Das bedeutet, daß gerade die "gute Qualität" diese Wirkungen verursacht, und zwar grundsätzlich unabhängig vom Alter des Konsumenten. Auch eine Trennung der Märkte bringt nichts, da nach Untersuchungen in Deutschland 72 % der Erstkonsumenten von Cannabis dieses nicht auf dem illegalen Markt bzw von seinen Agenten/Dealern beziehen, sondern von Freunden privat bekommen. Auch der später Selbsterwerb erfolgt immer noch zu über 60 % im privaten Umkreis oder durch Selbstanbau. Die Lage scheint auch weltweit ziemlich einheitlich zu sein, denn die Aufhabung der Cannabisverbote im Rahmen des Aktionsprogramms Drogen der EU (2000-2004) sowie im Drogenaktionsplan (2000-2008) der Vereinten Nationen weder diskutiert noch in die Pläne aufgenommen worden. Die Ersetzung von Freiheitsstrafen durch Geldstrafen ist längst geltende Praxis der Gerichte, aber nur noch in schweren fällen der Konsumentendelikte. Die meisten straffälligen Konsumenten werden in der Praxis (vgl. § 31 a BtMG) überhaupt nicht bestraft (entkriminalisiert) wie eingangs bereits erwähnt.
- Die von Ihnen empfohlene "niederländische Lösung" kommt in Deutschland nicht in Betracht, da hier das sog. Legalitätsprinzip gilt. Es schliesst aus, dass die Polizei - wie in den Niederlanden nach dem sog. Opportunitätsprinzip - den Verkauf und Erwerb von Cannabis "duldet". Ausserdem verstösst diese Praxis nach unserer Rechtsauffassung gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Suchtstoffübereinkommen.
- Der von Ihnen genannte Artikel 28 Abs. 2 des Einheitsübereinkommens von 1961 kann für die Aufhebung der Cannabisverbote für den persönlichen Konsum nicht herangezogen werden, da er den Anbau der Cannabispflanze eben nur "zu ausschliesslich gärtnerischen und gewerblichen Zwecken" von dem Kontrollsystem des Übereinkommens ausnimmt. Im übrigen lässt das BtMG den Anbau von Cannabis zu gewerblichen Zwecken (Nutzhanf) zu.
Bezüglich der im nächsten Jahr geplanten Cannabiskonferenz (Konferenzort offen) liegen mir noch keine Einzelheiten vor. Ich empfehle Ihnen, nähere Informationen ggf. beim Niederländischen Gesundheitsministerium als Veranstalter einzuholen.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
[Unterschrift]
Butke
Sehr geehrter Herr Butke,
vielen Dank für Ihr Antwortschreiben (DS02-5611II) vom 13.11.2000 auf meine E-Mail vom 18.9.2000. Es hat mich gefreut dass Sie darin festgestellt haben, die Bundesregierung denke "darüber nach, wie die in Deutschland bereits praktizierte Entkriminalisierung von straffälligen Cannabiskonsumenten gesetzlich noch klarer abgesichert werden könnte." Insgesamt war ich jedoch sehr enttäuscht von Ihrem Antwortschreiben, weil es auf viele Punkte nur unbefriedigend einging. Ich will hier nur die wichtigsten Punkte herausgreifen:
-
Sie schreiben: "Auch die neueren Cannabisstudien haben keine Entwarnung hinsichtlich der schädlichen Wirkungen der Cannabinoide beim nichtmedizinischen Cannabiskonsum erbracht, inbesondere beim chronischen Dauerkonsum." Dass Cannabis völlig harmlos wäre hat doch niemand behauptet! Die Frage ist vielmehr, welche Mittel am angemessensten sind um die möglichen Schäden zu reduzieren.
Solange wesentlich problematischere Drogen wie Nikotin und Alkohol weiterhin frei verfügbar sind wird ein Verbot von Cannabis nicht glaubwürdig sein und damit auch nicht praktisch durchsetzbar sein, wie die steigenden Konsumraten gerade bei Jugendlichen zeigen. Das bestehende Verbot untergräbt nur die Glaubwürdigkeit jeglicher staatlichen Drogenprävention.
- Sie schreiben: "Das bedeutet, daß gerade die "gute Qualität" diese Wirkungen verursacht, und zwar grundsätzlich unabhängig vom Alter des Konsumenten." Das ist sachlich unrichtig, denn der Bericht des Institute of Medicine kam 1999 zu dem Schluss, nicht die Wirkung der Cannabinoide sondern einzig die Risiken der Konsumform des Rauchens gingen über die Nebenwirkungen gängiger Medikamente hinaus. THC-reichere Cannabisprodukte erzielen die selbe Wirkung mit weniger Rauch und reduzieren dadurch gesundheitliche Risiken.
Zum Alter der Konsumenten: Glauben Sie wirklich, dass jugendliche Konsumenten nicht stärker gefährdet sind als Erwachsene und dass sie keinen besonderen Schutz verdienen? Das fände ich schockierend.
Mir ging es ausserdem beim Stichpunkt "Qualitätskontrollen" um etwas ganz anderes, nämlich die Möglichkeit der Kontaminierung von Schwarzmarktware durch Schimmelsporen sowie Pflanzenschutzmittel die mangels staatlicher Kontrollen Millionen Konsumenten unnötig gefährden.
- Sie behaupten, eine weitere Märktetrennung sei nicht nötig weil 60 % der Konsumenten Cannabis im privaten Umfeld oder aus Eigenanbau beziehen. Nun, auch die verbleibenden 40 % machen nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums immer noch eine Million aktueller Konsumenten aus die durch vermengte Märkte gefährdet werden.
Auch ist dann nicht einzusehen warum Eigenanbau, der auch nach ihrem Eingeständnis die Märktetrennung fördert, vom Staat härter bestraft wird als Einkauf bei Dealern. Die derzeitige Mengenregelung zur Verfahrenseinstellung nimmt auf einmal pro Jahr erntende Eigenanbauer keinerlei Rücksicht. Sie behandelt sie pauschal als potenzielle Dealer die, falls sie pro Ernte gar 7,5 g THC überschreiten, mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis rechnen müssen. Auch das Hanfsamenverbot der Vorgängerregierung wurde unter der jetzigen Regierung nicht zurückgenommen. Will das Bundesgesundheitsministerium denn wirklich eine Märktetrennung bekämpfen?
- Sie schreiben dass in Deutschland kein Opportunitätsprinzip nach Niederländischem Muster besteht. Das ist richtig, genau deswegen muss das Gesetz ja auch geändert werden! Würden z.B. Konsumdelikte wie Besitz und Anbau zum Eigenbedarf zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft oder explizit vom § 163 der StPO (Ermittlungspflicht) ausgenommen dann stünde einer "niederländischen Lösung" auch in Deutschland nichts mehr im Wege.
- Sie schreiben dass bei Konsumdelikten in den meisten Fällen keine Strafen ergehen, ohne dabei aber auf das regionale Gefälle einzugehen. Insbesondere in Bayern und Baden-Württenberg sowie den Neuen Bundesländern ergehen weiterhin empfindliche Strafen. Unberücksichtigt blieb auch, dass immer mehr das Verwaltungsrecht, wo keine Unschuldsvermutung existiert, zur Bestrafung missbraucht wird. So ist Führerscheinentzug für Nachweis nicht psychoaktiver THC-Metaboliten nach wie vor an der Tagesordnung, auch ohne dass Fahren im berauschten Zustand nachgewiesen wird. Dieser Zustand ist nicht tragbar.
- Sie bestätigen dass das Einheitsabkommen von 1961 den Cannabisanbau zu gärtnerischen Zwecken aus dem Suchtstoffabkommen ausnimmt, ohne darauf einzugehen dass diese Ausnahme vom BtMG bis heute ignoriert wird. Es gibt in Deutschland derzeit keine legale Möglichkeit, Cannabis zu gärtnerischen Zwecken anzubauen, obwohl das sogar bei Mohnpflanzen möglich ist aus denen theoretisch Morphin gewonnen werden könnte.
Zur geplanten Cannabiskonferenz im Frühjahr werde ich mich, wie vorgeschlagen, mit dem Niederländischen Gesundheitsministerium in Verbindung setzen. Ich sehe Ihrer Antwort zu den verbliebenen Punkten mit grossem Interesse entgegen.
Mit freundlichen Grüssen
Joe Wein
[Anschrift]
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