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Briefwechsel: Rudolf Henke, drogenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im NRW-Landtag

1) Brief an Rudolf Henke, drogenpolitischer Sprecher der CDU im nordrhein-westfälischen Landtag

From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
To: Rudolf Henke <rudolf.henke@landtag.nrw.de >
Cc: Hubert Hüppe <hubert.hueppe@bundestag.de>
Sent: Freitag, 21. Dezember 2001
Subject: Ärzteblatt, 20.11.2001

Sehr geehrter Herr Dr. Henke,

ich habe ihre kritische Stellungnahme zur Cannabislegalisierung in der Aerztezeitung gelesen [1]. Als Arzt wissen Sie, dass bei verschiedenen Therapiealternativen jeweils der Nutzen für den Patienten gegen die möglichen Nebenwirkungen und Risiken abgewogen werden muss.

Genauso ist es auch in der Drogenpolitik. Jedem Vorteil stehen Nachteile gegenüber, die es sorgfältig abzuwägen gilt. Ich bin der Meinung, dass praktische Erfahrungen dabei einen besseren Wegweiser abgeben als Mutmassungen. Es ist auch günstiger, aus den Erfahrungen anderer zu lernen als aus eigenen Fehlern. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber in seiner Cannabisentscheidung im Jahre 1994 aufgefordert, Erfahrungen aus dem Ausland zu berücksichtigen.[2]

In den Niederlanden hat man mittlerweile ein Vierteljahrhundert Erfahrung mit einer am Prinzip der Schadensminimierung ausgerichteten Drogenpolitik. Zu der von Ihnen befürchteten Angleichung der Prävalenz von Cannabiskonsum an die Werte bei Alkohol und Nikotin ist es dort nicht gekommen, trotz Hunderter von Coffeeshops, in denen ohne Strafverfolgung bis zu 5 Gramm Cannabis an Erwachsene abgegeben wird. Die Steuereinahmen aus den Umsätzen und die Einsparungen bei Strafverfolgung können in glaubwürdige Aufklärung investiert werden.

Der regelmässige Konsum von Cannabis ist heute in den Niederlanden nicht weiter verbreitet als in Westdeutschland, wo selbst der Besitz geringer Mengen zum Eigenkonsum in jedem Fall weiterhin nach dem Legalitätsprinzip von der Polizei verfolgt werden muss. Im Jahre 1997 hatten laut einer Studie im Auftrag des niederländischen Gesundheitsministeriums [3] etwa 323.000 von 15,5 Millionen Einwohnern innerhalb der letzten 30 Tage Cannabis konsumiert. Das sind rund 2 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Westdeutschland waren es nach einer Studie des Instituts für Therapieforschung (IFT) im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums [4] im selben Jahr 1,2 Millionen von 66 Millionen Einwohnern, also 1,8 Prozent, wobei jedoch minderjährige Konsumenten anders als in der niederländischen Erhebung noch nicht mitgezählt sind. Berücksichtigt man auch diese, dann herrscht im wesentlichen Gleichstand. 532.993 Ermittlungsverfahren in Deutschland nur wegen des Cannabisverbots allein in den letzten fünf Jahren halten Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte von ihrer eigentlichen Arbeit ab, was bestimmt nicht der inneren Sicherheit dient, ohne erkennbaren Nutzen bei der Konsumrate.

Diese interessante Tatsache scheint jedoch kaum jemandem in der Politik bekannt zu sein. In der Cannabisentscheidung von 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Gesetzgeber nach dem Grundgesetz verpflichtet ist, das am wenigsten schädliche, geeignete Mittel zur Förderung des von ihm angestrebten Zwecks zu wählen. Die mittlerweile verfügbaren Daten zeigen, dass ähnlich niedrige Konsumraten wie in Westdeutschland auch mit einer weniger in die Grundrechte einer grossen Zahl von Menschen eingreifenden Politik erreicht werden können.

Internationale Drogenabkommen zwingen die Bundesregierung nicht dazu, die eigene Verfassung zu verletzen, da sie ausdrücklich einen Vorbehalt bezüglich der Verfassungsmässigkeit von Vertragsvorschriften enthalten. Eine Strafbefreiung der Konsumenten verstösst deshalb nicht gegen internationale Abkommen.[5]

Die Niederlande haben mit ihrer auf Aufklärung basierenden Drogenpolitik nicht nur Gleichstand bei Cannabis sondern auch einen um ein Drittel niedriger liegenden pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol vorzuweisen. [6] Angesichts der jährlich 42.000 Toten durch Alkoholmissbrauch erscheint es unverständlich, warum der deutsche Gesetzgeber durch den Einsatz des Strafrechts weiterhin versucht, Erwachsenen eine weniger schädliche Alternative zu Alkohol vorzuenthalten.

Die Frage der sinnvollen Cannabispolitik wird heute quer durch das politische Spektrum diskutiert, nachdem der alte Konsens zur repressiven Drogenpolitik zerbrochen ist. Es muss ein neuer Konsens gefunden werden, wie in der Schweiz, wo ein politischer Reformkompromiss zur Strafbefreiung von Cannabis von Sozialdemokraten (SP), Liberalen (FDP) und Christdemokraten (CVP) gemeinsam getragen wird. Um unserer Jugend willen, die Aufklärung statt Strafverfolgung braucht, hoffe ich, dass sich auch die CDU den in der Schweiz gewonnenen Erkenntnissen nicht mehr lange verschliessen wird.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein frohes Weihnachtsfest!

Mit freundlichen Grüßen

Joe Wein
http://www.cannabislegal.de

Beisitzer im Verein für Drogenpolitik e.V.
http://www.drogenpolitik.org

_______________________________________
Anmerkungen:
[1] http://www.aerztezeitung.de/docs/2001/12/20/231a1007.asp?cat=/medizin/cannabis
[2] http://www.cannabislegal.de/recht/bverfg.htm
[3] http://www.cedro-uva.org/stats/national.97.html
[4] http://www.sucht.de/fakten/konsumtrends.html
[5] http://www.cannabislegal.de/argumente/un-konventionen.htm
[6] http://www.cannabislegal.de/international/alkoholverbrauch.htm

 
 
 


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