|
Der Vorlagebeschluss des Amtsgerichts BernauWir bedanken uns beim Hanf Journal und beim Deutschen Hanf Verband dafür, dass sie dieses Dokument online gestellt haben. Eine Adobe-PDF-Datei davon ist auf der Website des DHV zu finden: http://www.hanfverband.de/aktuell/VorlageBernau100GG.pdfFolgende einfache HTML-Fassung gibt den Text jener PDF-Datei wieder. Siehe auch:
3 Cs 224 Js 36463/01 (387/01) Dies ist die per optischer Zeichenerkennung erstellte Version des Dokuments, unter Erhaltung der Seitenangaben, trotz genauer Nachprüfung besteht keine Garantie für den Inhalt; zum Zitieren bitte sicherheitshalber die Originalstellen nachlesen: http://www.hanfverband.de/aktuell/klage.pdf Amtsgericht Bernau Beschluss In der Strafsache gegen ####################### geboren am ############## wohnhaft: ################# ledig, Deutscher wegen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz hat das Amtsgericht Bernau - Jugendrichter - aufgrund der öffentlichen Hauptverhandlung vom 11. März 2002, an der teilgenommen haben: Richter am Amtsgericht Müller als Vorsitzender, Staatsanwalt Seidel als Beamter der Staatsanwaltschaft, Rechtsanwältin Gamm als Verteidigerin, Justizangestellte Schade als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, -2- beschlossen: Das Amtsgericht Bernau hält alle Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie Cannabisprodukte in der Anlage I zu § l Abs. l BtmG mit der Folge aufführen, dass der unerlaubte Verkehr mit diesen Stoffen den Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt, für verfassungswidrig. Hilfsweise hält das Amtsgericht Bernau die Strafvorschrift des § 29 Abs. l Nr. l BtmG in den Alternativen des Erwerbens oder des sich in sonstiger Weise Verschaffens sowie § 29 Abs. l Nr. 3 BtmG jeweils i. V. m. der Anlage I zu § l Abs. l BtmG für verfassungswidrig. Das Verfahren wird ausgesetzt und gemäß Artikel 100 Abs. l GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. G r ü n d e : I. Sachverhalt und Prozessgeschichte Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, nämlich des Geständnisses des Angeklagten, steht fest, dass dieser am 17.08.2001 gegen 00:30 Uhr auf einem Parkplatz in der Leipziger Straße 126 in Berlin in seiner rechten Hosentasche eine Tüte mit einem Cannabistabakgemisch von 1,5 g brutto sowie einem Stück Cannabis mit einem Nettogewicht von 3,6 g mit sich geführt und zuvor erworben oder sich in sonstige Weise verschafft hat. Der Angeklagte war nicht im Besitz irgendwelcher Dokumente, die den Erwerb oder Besitz dieser Betäubungsmittel durch ihn hätten legitimieren können. Der Angeklagte wurde nach seinem polizeilichen Ergreifen zunächst einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. Er wurde dann verantwortlich vernommen. Der Angeklagte äußerte sich damals nicht zur Sache. - 3 Nach Abschluss der Ermittlungen wurde das Verfahren zur Entscheidung an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin abgegeben. Diese übersandte das Verfahren gemäß der §§ 42, 108 JGG der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder). Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) erklärte sich zuständig und nahm folgenden Vermerk in die Akte auf: „Die beim Beschuldigten gefundenen 3,6 g Betäubungsmittel liegen weit oberhalb der Grenze von 3 Konsumeinheiten, bis zu der im Land Brandenburg noch von einer geringen Menge im Sinne des § 31 a BtmG ausgegangen wird/' Die Staatsanwaltschaft Frankfurt / Oder beantragte daraufhin gegen den Angeklagten den Erlass eines Strafbefehls in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 55,00 DM. Das Gericht beraumte von Amts wegen Termin zur Hauptverhandlung an. Im Hauptverhandlungstermin am 17.12.2001 regte das Gericht an, das Verfahren gemäß § 31 a BtmG einzustellen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erteilte hierzu seine Zustimmung nicht. Lediglich eine Einstellung gemäß § 153 a StPO bzw. gemäß der §§ 45, 47 JGG, jeweils gegen Geldauflage in Höhe von 400,00 bis 500,00 DM wurde seitens des Sitzungsvertreters akzeptiert. Der Angeklagte und das Gericht waren hierzu nicht bereit. In Folge setzte das Gericht das Verfahren zur ersten Prüfung einer möglichen Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Betäubungsmittelvorschriften aus, Zu dem neu anberaumten Hauptverhandlungstermin lud das Gericht die Sachverständigen Prof. Dr. Dieter Kleiber von der Freien Universität Berlin, Dr. Peter Cohen von der Universität Amsterdam sowie Prof. Ambrus Uchtenhagen vom Institut für Suchtforschung in Zürich. Zugleich holte es eine behördliche Auskunft des Bundesministers für Gesundheit ein. Im Rahmen der am 11.03.2002 durchgeführten Hauptverhandlung wurde zu der Gefährlichkeit von Cannabisprodukten Beweis erhoben. Die geladenen Sachverständigen wurden gutachterlich gehört und die zwischenzeitlich eingegangene behördliche Auskunft des Bundesministers für Gesundheit verlesen. Nach Schluss der Beweisaufnahme beantragte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30,00 € zu verurteilen. Die Verteidigerin beantragte dagegen -4- das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme musste das Amtsgericht Bernau feststellen, dass die Wirkungen und Konsequenzen des Cannabiskonsums nicht die Gefährlichkeit besitzen, wie dies noch 1994 angenommen wurde. Aufgrund der gutachterlichen Stellungnahmen konnte weiter festgestellt werden, dass zwischen Cannabiskriminalisierung und Cannabiskonsum keinerlei Zusammenhang besteht und dass insbesondere eine Kriminalisierung nicht zur Eindämmung des Cannabiskonsums führt. Unter weiterer Prüfung rechtswissenschaftlicher Literatur und Judikatur konnte das Gericht darüber hinaus die rechtliche Überzeugung gewinnen, dass eine Vereinheitlichung der Rechtsanwendungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Eigenkonsum von Cannabisprodukten nicht erfolgt ist. Nach Aussetzung des Verfahrens erteilte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) mit Fax vom 15.03.2002 sodann die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 31 a Abs. 2 BtmG. Die zuständige Staatsanwaltschaft begründete ihre nunmehr erfolgte Zustimmung damit, dass die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg nunmehr die Richtlinie für die Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg zur Anwendung der Opportunitätsvorschriften im Betäubungsmittelgesetz vom 17.09.1993 verbindlich konkretisiert habe. So sei ab sofort von einer geringen Menge an Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch im Sinne des § 31 a BtmG bis zu einer Menge von 6 g verbindlich auszugehen. Der Schriftsatz der Staatsanwaltschaft vom 15.03.2002 wurde der Verteidigerin zur Stellungnahme übersandt. Diese erklärte mit Schriftsatz vom 28.03.2002, dass sie im Einvernehmen mi t dem Angeklagten eine Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 31 a BtmG nicht erteile. Zur Begründung führt sie an, dass aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme der Angeklagte letztlich freizusprechen sei. Es verbliebe insoweit bei der Ansicht, dass die anzuwendenden Vorschriften verfassungswidrig seien. -5- II. Zulässigkeit der Vorlage A. Zulässigkeit soweit Cannabisprodukte in der Anlage I zu § l Abs. l BtmG aufgeführt werden Die Vorlage ist zunächst zulässig, soweit dem Bundesverfassungsgericht alle Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes zur verfassungsrechtlichen Überprüfung vorgelegt werden, die Cannabisprodukte in Verbindung mit der Anlage I zu § l Abs. l BtmG mit der Folge aufführen, dass der unerlaubte Verkehr mit diesen Stoffen den Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt. Das vorlegende Gericht ist überzeugt von der Verfassungswidrigkeit diesen Normen. Da die Vorschriften des § 29 Abs. l Nr. l und Nr. 3 BtmG nur im Zusammenwirken mit § l Abs. l BtmG i. V. m. d. Anlage I die Strafbarkeit eines wie hier zu beurteilenden Verhaltens begründet, kommt es mithin für die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts zunächst einmal auf das grundsätzliche Aufführen von Cannabisprodukten im Betäubungsmittelgesetz an. 1. Bisherige Verfassungsgerichtsrechtssprechung Mit seinem Beschluss vom 09.03.1994 - 2 Bv L 43/49-(BVerfGE 90, 145 ff) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie Verhaltensweisen im Umgang mit Cannabisprodukten mit Strafe bedrohen, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen und hat diesbezügliche strafrechtliche Eingriffe in die Grundrechte aller Bürger als verfassungsgemäß angesehen. Dies deshalb - so das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 09.03.1994 - weil der Gesetzgeber mit der Aufnahme der Cannabisprodukte in das -6- Betäubungsmittelgesetz einen legitimen Zweck Verfolge und die diesbezüglichen Strafvorschriften geeignet und erforderlich seien. So hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass die Zielsetzung des seinerzeit geltenden Betäubungsmittelgesetzes, nämlich die Gesundheit des einzelnen sowie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche vor Abhängigkeit von Betäubungsmittel zu bewahren, vor der Verfassung Bestand habe. Es sei verfassungsrechtlich hinnehmbar, dass der Gesetzgeber auf dem Hintergrund einer noch nicht abgeschlossenen medizinischen und kriminalpolitischen Diskussion an seiner Auffassung festhalte, dass das generell strafbewährte Cannabisverbot zum Rechtsgüterschutz besser geeignet sei als eine Freigabe des Betäubungsmittel Cannabis. (vgl. BVerfGE 90, 145, 196). Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht angesichts der seinerzeit „offenen kriminalpolitischen und wissenschaftlichen Diskussion über die vom Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren und den richtigen Weg ihrer Bekämpfung" den Gesetzgeber angewiesen, „die Auswirkung des geltenden Rechts unter Einschluss der Erfahrung des Auslandes zu beobachten und zu überprüfen" (BVerfGE 90, 145, 194). Er habe dabei insbesondere einzuschätzen, „ob und inwieweit die Freigabe von Cannabis zu einer Trennung der Drogenmärkte führen und damit zur Eindämmung des Betäubungsmittelkonsums insgesamt beitragen kann oder umgekehrt nur die strafbewährte Gegenwehr gegen den Drogenmarkt insgesamt und die sie bestimmende organisierte Kriminalität hinreichenden Erfolg verspricht". Mit Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 10.06.1997 hat das Bundesverfassungsgericht ohne eine erneute Prüfung und unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 09.03.1994 die bisherige Rechtsprechung bestätigt. Ausschlaggebend hierfür war letztlich, dass nach der Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts auch seinerzeit die Ergebnisse des wissenschaftlichen Meinungsstreits nach wie vor „noch keine solche Festigkeit aufweisen würden, die den Gesetzgeber von Verfassungswegen zu einer Änderung der Betäubungsrnittelregelungen zwänge" (vgl. BVerfG, NStZ 1997, 498). Wohl auch auf Grund der Aufforderung an den Gesetzgeber, jederzeit den wissenschaftlichen Stand zu prüfen, hat das Bundesministerium für Gesundheit im -7- Jahre 1996 Expertisen zu pharmakologischen, toxikologischen, psychosozialen Auswirkungen des Cannabiskonsums im Auftrag gegeben. Die Untersuchungen der Wissenschaftler Kleiber / Kovar, deren Ergebnisse im Rahmen der Begründetheit der Verfassungswidrigkeit näher ausgeführt werden, liegen dem Bundesgesundheitsministerium bereits seit 1997 vor. Sie belegen, dass Wirkungen und Konsequenzen des Cannabiskonsums nicht die Gefährlichkeit besitzen wie sie durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 unter anderem auch auf Grund der damals eingeholten Stellungnahme des Bundesministers für Gesundheit angenommen wurde. So kommen die untersuchenden Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die mit dem Cannabiskonsum einhergehenden Probleme und Komplikationen wesentlich geringer ausfallen als bisher allgemein angenommen und befürchtet wurde (vergleiche Kleiber / Kovar, Auswirkungen des Cannabiskonsums, Berlin / Tübingen 1997, S. 252 - entgegen der üblichen Vorgehensweise nicht veröffentlicht in der offiziellen Schriftreihe des Bundesministeriums für Gesundheit -; vgl. auch Kleiber/Soellner, Cannabiskonsum, München 1998, S. 229 ff). Auch die hier in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen Prof. Dr. Cohen und Prof. Dr. Kleiber erklärten dem Gericht, dass im Rahmen der internationalen Untersuchungen hinsichtlich des Betäubungsmittels Cannabis heute Einverständnis dahingehend bestehe, dass mit diesem Rauschmittel nur geringe Risiken verbunden seien und dies auch nur für wenige Personen. Bestätigt wurden diese Auffassungen auch von dem weiter angehörten Sachverständigen Prof. Uchtenhagen. Schließlich spricht auch das Bundesministerium für Gesundheit trotz ausdrücklicher Nachfrage des Gerichts in der erteilten behördlichen Auskunft nicht mehr davon, dass es sich bei Cannabisprodukten um riskante Drogen handele. Der Bundesminister für Gesundheit verweist vielmehr unter anderem auch auf eine Studie, wonach Alkohol wesentlich gefährlicher ist als das Rauschmittel Cannabis. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen vom 09.03.1994 und 10.06.1997 den Gesetzgeber verpflichtet, die von ihm erlassenen Gesetze hinsichtlich der Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabisprodukten zu überdenken und gegebenenfalls abzuändern. Der Gesetzgeber habe „darüber zu wachen, dass Strafvorschriften jederzeit materiell im Einklang mit den Bestimmungen der -8- Verfassung stehen und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen" (vgl. BVerfG NJW 97, 1910, 1911). Zur Überzeugung des Amtsgerichts Bernau liegen mittlerweile - und zwar in Kenntnis des Gesetzgebers auf nationaler und internationaler Ebene neueste fundierte wissenschaftliche Forschungsergebnisse vor, die belegen, dass an den 1994 erfolgten Einschätzung der Risiken im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittel Cannabis heute nicht mehr festgehalten werden kann. Da der Gesetzgeber diese wissenschaftlichen Ergebnisse kennt, aber hierauf nicht reagiert, ist nunmehr die erneute Anrufung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich. Denn jedenfalls die Gerichte sind jederzeit verpflichtet, bestehende Gesetze auf deren Verfassungsgemäßheit gemäß Artikel 97 Abs. l GG zu überprüfen. Da das vorlegende Gericht seine Entscheidung auf neue Tatsachen stützt und insoweit eine Veränderung der rechtlichen Gesichtspunkte vorträgt, ist die erneute Vorlage zulässig (vgl. Umbach/Clemenz, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz 1992 zu § 80 RNr. 30 a mit Nachweisen aus der Bundesverfassungsgerichtssprechung). 2. Entscheidungserheblichkeit bezüglich Aufnahme von Cannabisprodukten in der Anlage I zu § l BtmG Unter Würdigung der dem Gericht dargelegten Forschungsergebnisse ist das Amtsgericht Bernau der Überzeugung, dass die gesamte Kriminalisierung des Umgangs mit dem Betäubungsmittel Cannabis und damit die diesbezügliche Aufnahme von Cannabisprodukten in der Anlage I i. V. m. § l BtmG verfassungswidrig ist. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ist für die im vorliegenden Verfahren zu erfolgende Entscheidung entscheidungserheblich. Angesichts des prozessualen Standes des vorgelegten Verfahrens wäre, sofern die Rechtsauffassung des Amtsgerichts vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben sollte, der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Denn die Aufnahme von Cannabisprodukten in der Anlage I - 9 - führt i. V. m. § l BtmG und § 29 BtmG erst zu strafbewährtenVerhalten. 3. Keine verfassungskonforme Auslegung möglich Durch die Aufnahme von Cannabisprodukten in das Betäubungsmittelgesetz macht sich jeder, der mit solchen Produkten auch nur im minimalen Umfang umgeht, nach dem klaren und eindeutigen Normtext strafbar. Nach ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Vorlageverfahren gem. Art. 100 Abs. l GG dann nicht zulässig, wenn eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist (vgl. BVerfGE 32, 373, 383; 48, 40, 45; 54, 251, 273). Eine verfassungskonforme Auslegung möglicherweise dahingehend, dass bei geringen Mengen freizusprechen ist, scheitert vorliegend an der Auslegungsfähigkeit der Norm. So darf nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verfassungskonforme Auslegung nicht dazu führen, dass der normative Gehalt und Zweck der Rechtsvorschrift geändert wird (vgl. BVerfGE 78, 20, 24; 71, 81, 105; 54, 277, 209). Dies gilt insbesondere dann, wenn es dem Gesetzgeber von Verfassungswegen freigestellt ist, auf eine Regelung ganz zu verzichten oder sie durch andere inhaltlich abweichende verfassungsgemäße Normen zu ersetzen. Im Rahmen der Pönalisierung des Cannabiskonsums hat der Gesetzgeber bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt deutlich gemacht, dass er die gesamte Cannabispönalisierung will. Er hat trotz Möglichkeit und verschiedener Gesetzesentwürfe (vgl. u. a. Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion im Bundestag Bt-Drs. 13/6534 sowie zahlreiche Gesetzesanträge der Länder bei Körner, Betäubungsmittelgesetz Anhang C l RdNr. 283 ff) eine Teilentkriminalisierung nicht für notwendig erachtet. Wenn dem aber so ist, würde das Gericht sofern es bei geringen Mengen freisprechen würde, die Aufgabe der Legislative übernehmen. Auch die Möglichkeit des Gerichts gem. § 29 Abs. 5 BtmG von Strafe abzusehen, kann hier nicht zu einer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung der vorgelegten Vorschriften führen. Denn diese Norm setzt zunächst voraus, dass sich der Angeklagte gem. § 29 Abs. l Nr. l bzw. Nr. 3 BtmG strafbar gemacht hätte und grundsätzlich ein Schuldspruch erfolgen müsste (vgl. dazu: Körner, BtmG - Kommentar, 5. Aufl., 2001 zu § 29 Rdnr. 1640). Das vorlegende Amtsgericht geht aber - wie dargestellt - von einer Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften in Bezug auf Cannabis aus. Schon ein aus § 29 Abs. l Nr. l bzw. Nr. 3 BtmG folgender Schuldspruch wäre dementsprechend - 10- verfassungswidrig. Hinzu kommt, dass auch bei Anwendung des § 29 Abs. 5 BtmG dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen wären (vgl. auch S. 15). Da eine verfassungskonforme Auslegung mithin nicht möglich ist, verbleibt es an einer Entscheidungserheblichkeit. Nur durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage der Verfassungsgemäßheit der vorgelegten Vorschriften des Betäubungsmittelgesetz erhält das vorlegende Amtsgericht die Möglichkeit, die verfassungswidrigen Normen nicht anzuwenden und den Angeklagten freizusprechen. B. Zulässigkeit bezüglich der hilfsweise zur Überprüfung vorgelegten § 29 Abs. l Nr. l BtmG und § 29 Abs. l Nr. 3 BtmG Sofern man jedoch nach wie vor der Ansicht sein sollte auch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse führten nicht dazu, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 entsprechend der Vorlage des Landgerichts Lübeck vom 19.12.1991 (vgl. NJW 1992, 1571 ff), auf die Bezug genommen wird. geändert werden müsste, ist die Vorlage des Amtsgerichts Bernau gleichwohl bezüglich der hilfsweise zur Überprüfung gestellten Vorschriften zulässig. 1. Bisherige Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung In seinem Beschluss vom 09.03.1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie Verhaltensweisen mit Strafe bedrohen, die wie vorliegend ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, deshalb nicht gegen das verfassungsmäßige Übermaßverbot verstoßen, weil der Gesetzgeber es den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, durch das Absehen von Strafe (§ 29 Abs. 5 BtmG) oder von Strafverfolgung (§§. 153 ff StPO, 31 a BtmG) einem geringen individuellen Unrecht und Schuldgehalt der Tat Rechnung zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht führte weiter -11- aus, dass in diesen Fällen die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der bezeichneten Straftaten regelmäßig abzusehen hätten. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits seinerzeit die stark uneinheitliche Einstellungspraxis in den Ländern beanstandet und eine einheitliche Anwendung des § 31 a BtmG bei Cannabisdelikten sowie eine Angleichung der Grenzwerte auf Bundesebene durch eine einheitliche Richtlinie gefordert (vgl. BVerfGE 90, 145, 190, 191). Nach nunmehr über acht Jahren, in denen die Strafverfolgungsbehörden diesen Beschluss anzuwenden und die verfassungskonforme Auslegung der Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetz in die Praxis umzusetzen hatten, zeigt sich, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten werden. So haben bis auf die Bundesländer Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen alle anderen Richtlinien geschaffen, allerdings in unterschiedlicher Form. So besteht einmal das Modell „Obergrenze", bis zu der von einer geringen Menge Cannabis ausgegangen werden kann: Baden Württemberg bei 3 Konsumeinheiten, Bayern bis zu 6 g, Bremen bis zu 10 g, Brandenburg bis zu 3 Konsumeinheiten, Hamburg bis zu 10 g, Rheinland- Pfalz bis zu 10g, Nordrhein-Westfalen bis zu 10g, Schleswig-Holstein bis zu 30 g. In anderen Bundesländern besteht das Modell „Untergrenze". So haben die Länder Berlin, Hessen, Niedersachsen, Saarland und Sachsen-Anhalt eine Untergrenze festgelegt, bis zu der von der Verfolgung abgesehen werden muss und eine Obergrenze, bis zu der von der Verfolgung abgesehen werden kann. - Berlin: 6 g bis zu 15 g - Niedersachsen: 6 g bis zu 15 g - Saarland: 6 g bis zu 10 g - Sachsen-Anhalt: 6 g ohne Obergrenze - Hessen: 6 g bis zu 15 g - (vgl. zum Ganzen Körner a. a. O. zu § 31 a Rdnr. 29 ff; Aulinger, Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten - Endbericht eines Forschungsprojekts der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden e. V. / Susanne Aulinger. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit Baden-Baden 1997 - aufgenommen in die offizielle Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, Bd. 89, S. 104). Abgesehen von den unterschiedlichen Richtlinien hinsichtlich der zuvor dargelegten Mengen bestehen weitere Auffassungsunterschiede bezüglich der Behandlungen von Wiederholungstätern sowie der Anwendung der Richtlinien auf Jugendliche und Heranwachsende. Während einige Länder die Richtlinien nur für Ersttäter gelten lassen - 12- wollen, stellen andere Länder die Strafverfahren auch regelmäßig bei Wiederholungstätern ein (vgl. Aulinger a. a. O., S. 114 ff.). In Bereich des Jugendstrafrechts sehen einige Richtlinien darüber hinaus vor, dass die Anwendung des § 31 a BtmG nicht angezeigt sei (vgl. Aulinger a. a. O., S. 127). Markante Unterschiede zeigen sich darüber hinaus auch im polizeilichen Ermittlungsverfahren. Während in einigen Ländern auch bei Vorfindung geringer Mengen in 40 % aller Fälle Hausdurchsuchungen erfolgen, finden solche Strafverfolgungsmaßnahmen in anderen Ländern kaum statt (vgl. Aulinger a. a. O., zum polizeilichen Ermittlungsaufwand S. 123 ff. zu Hausdurchsuchungen S. 250). Schließlich ist zu sehen, dass selbst in einem Bundesland die verschiedenen Staatsanwaltschaften im Bereich des § 31 a BtmG trotz gleicher Richtlinien unterschiedlich agieren (vgl. Aulinger a. a. O., S. 189), Nach Beschlussverkündung in vorliegender Sache erklärte der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg in Konkretisierung der Richtlinie für die Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg zur Anwendung der Opportunitätsvorschriften im Betäubungsmittelgesetz vom 17.09.1993 eine nunmehr landeseinheitliche verbindliche Rechtsauffassung, wonach von einer geringen Menge an Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch im Sinne des § 31 a BtmG bei Cannabis in einer Menge von bis zu 6 g auszugehen sei. Ähnlich aber im Sinne einer Verschärfung der Richtlinien reagierte das Land Hessen mit einer Rund Verfügung der dortigen Generalstaatsanwaltschaft vom 22.10.2001. So wurde mit dieser Rundverfügung die ehemals bestehenden Rundverfügungen vom 12.02.1992 und vom 21.07.1995 dahingehend abgeändert, dass die ehemals bestehende .Obergrenze zur Möglichkeit einer Einstellung nach § 31 a BtmG von 30 g auf eine Obergrenze von 15 g abgeändert wurde. Bereits bei Sichtung der zuvor dargelegten Richtlinien zeigt sich, dass eine Vereinheitlichung im Bundesgebiet nicht erfolgt ist. So wäre es im vorliegenden Verfahren nach den Richtlinien des Bundeslandes Berlin - zwingender Einstellung bis 6 g - nicht zum Antrag auf Erlass eines Strafbefehls oder aber zu einem gerichtlichen Strafverfahren gekommen. Vielmehr wäre das Verfahren eingestellt worden. Da aber der zum Tatzeitpunkt heranwachsende Angeklagte in vorliegender Sache seinen Wohnsitz im Bundesland Brandenburg hatte und auf Grund der insoweit anderen - 13 - Zuständigkeit (Gerichtsstand des Aufenthaltsortes gemäß §§ 42, 108 JGG) in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Brandenburg fiel, wurde er mit dem vorliegenden Strafverfahren überzogen. Dies erfolgte, dem zuständigen Staatsanwalt zufolge, deshalb, weil die bei dem Beschuldigten gefundenen Betäubungsmittel „weit oberhalb der Grenze von 3 Konsumeinheiten, bis zu der im Land Brandenburg noch von einer geringen Menge im Sinne des § 31 a BtmG ausgegangen wird" lägen. Im Jugendstrafverfahren stellt dieser Fall keinen Einzelfall dar. Er zeigt jedoch die rechtsstaatlich nicht mehr nachvollziehbare unterschiedliche Praxis der Bundesländer. Soweit der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg gerichtsbekannt im Hinblick auf das vorliegende Verfahren nunmehr seine Rechtsauffassung landesverbindlich erklärte, zeigt dies wie auch die Abänderung der Richtlinien in Hessen, darüber hinaus deutlich, wie willkürlich im Bereich der Festsetzungen von Grenzwerten verfahren werden kann und verfahren wird. So könnte bereits morgen ein anderer Generalstaatsanwalt möglicherweise seine Rechtsauffassung wieder dahingehend verbindlich erklären, dass 3 Konsumeinheiten nur bei einer Menge von bis zu l g Cannabis vorlägen. Da es den Ländern trotz Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 nicht gelungen ist, eine Angleichung der Grenzwerte auf Bundesebene herbeizuführen, ist das eingetreten, was das Bundesverfassungsgericht bereits 1994 als letztlich nicht hinnehmbar betrachtete, nämlich, dass Behörden in den Ländern durch allgemeine Weisungen die Verfolgung bestimmter Verhaltensweisen nach abstrakt-generellen Merkmalen wesentlich unterschiedlich festlegen (vgl. BVerfGE 90, 145, 191 s. auch abweichende Ansicht Sommer S. 224). Da die 1994 durch das Bundesverfassungsgericht gewählte sogenannte prozessuale Lösung offenkundig und für jedermann nachvollziehbar zu einem unheitlichen und so durch das Bundesverfassungsgericht nicht gewollten Ergebnis geführt hat, bedarf es, um eine klare Vereinheitlichung herbeizuführen, einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. auch Siebel, Drogenstrafrecht in Deutschland und Frankreich, Dissertation 1996, S. 249). - 14- 2. Entscheidungserheblichkeit Unter Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der in der Beweisaufnahme eingebrachten internationalen Vergleiche ist zumindest die Überprüfung der hilfsweise als verfassungswidrig angesehenen Normen des § 29 Abs. l Nr. l und 3 BtmG, wie in der Beschlussformel genannt, unerlässlich. Denn jedenfalls soweit es lediglich um Verhaltensweisen geht, die dem eigenen Konsum von geringen Mengen Cannabis dienen, sind diese nach Ansicht des Gerichts im Rahmen des § 29 BtmG insgesamt verfassungswidrig. Auf die Gültigkeit dieser Rechtsnormen kommt es für die hier zu treffende Entscheidung auch an. Nachdem sämtliche Einstellungsversuche scheiterten, könnte das vorliegende Verfahren nur mit einem Urteil beendet werden. Wenn die vom Amtsgericht beanstandeten Normen nicht verfassungswidrig und damit gültig wären, müsste der Angeklagte verurteilt werden. Wären sie dagegen - entsprechend der Ansicht des Amtsgerichts - zumindestens aufgrund eines zuweit gefassten Tatbestandes verfassungswidrig, so wäre der Angeklagte freizusprechen. Nur diese Entscheidung und keine andere wäre dann geboten. Das Amtsgericht Bernau sieht sich auch nicht in die Lage versetzt, im Rahmen des § 29 Abs. 5 StPO von Strafe abzusehen und insoweit verfassungsgemäß auf das Verhalten des Angeklagten zu reagieren. An einer solchen entsprechend der 1994 gewählten prozessualen Lösung angedachten Verurteilung gemäß § 29 Abs. 5 BtmG sieht sich das Amtsgericht aus folgenden Gründen gehindert. Zunächst einmal weiß das Amtsgericht Bernau - einfach dargelegt - nicht, bei welcher Menge ein Absehen von Strafe angezeigt ist. Sind es etwa 3 Konsumeinheiten., wie im Land Brandenburg oder Baden-Württemberg, oder sind es l g, 5 g , 10g, 1 5 g oder 30 g, wie im Land Schleswig Holstein oder ist es entsprechend der Entscheidung der Obergerichte noch bis zu 6 g möglich, den § 29 Abs. 5 BtmG in Anwendung zu bringen (vgL zum Streitstand: Wienröder, Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz § 29 RNr. 232 ff.). Abgesehen hiervon wäre gem. § 29 Abs. 5 BtmG die Schuld des Angeklagten festzustellen. Dem Angeklagten würde mithin seitens des Staates dargelegt, dass er sich außerhalb der Rechtsgemeinschaft gestellt - 1 5 - habe. Er würde damit staatlich stigmatisiert und inkriminiert werden. Es bliebe ein Rechtswidrigkeit- und Unwerturteil der Gesellschaft über das Verhalten des Angeklagten erhalten (vgl. insoweit auch BVerfGE 6, 7 ff.; 13, 97 ff., 103). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten würde hierdurch verletzt. Hinzu kommt, dass bei einem Absehen von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG der Angeklagte gemäß § 465 Abs. l Satz 2, 2. Alternative StPO die Kosten des Verfahrens, mithin eigene Anwaltskosten, eigene Fahrtkosten, eigene Ausfallkosten sowie Auslagen des Gerichts zu tragen hätte (vgl. Nellis/Velten, NStZ 94, S. 366, 367; Büttner, Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Betäubungsmittelstrafrechts - zum Cannabisbeschluss des Bundesverfassungsgerichts - Dissertation, Frankfurt am Main 1996, S. 146). insgesamt würde der Angeklagte zwar nicht mit Strafe versehen, aber doch letztlich einer strafgleichen Sanktion unterzogen werden. Er hätte die durch die Nichtbeachtung des Übermaßverbotes erfolgten Kosten zu tragen. Schließlich käme die Anwendung des § 29 Abs. 5 BtmG nur in Betracht, wenn entgegen der Ansicht des Amtsgerichts die Vorschrift des § 29 Abs. l Nr. l bzw. Nr. 3 BtmG verfassungsgemäß wäre. Dies ist aber zur Überzeugung des Gerichts gerade nicht der Fall. 3. Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung Schließlich ist dem Amtsgericht auch hier eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich. Dies ergibt sich aus denselben Erwägungen, die schon im Rahmen der Zulässigkeit der grundsätzlichen Kriminalisierung der Cannabisprodukte dargestellt wurde (s. oben S. 9, 10). - 16- III. Begründetheit A. Grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabisprodukten Das Aufführen von Cannabisprodukten in der Anlage I zu § l BtmG mit der Folge, dass das Umgehen mit Cannabisprodukten jeglicher Art und Menge unter Strafe gestellt und Geldstrafe oder Freiheitsstrafe für das Umgehen mit Cannabisprodukten verhängt werden kann, ist unter Würdigung des gegenwärtigen wissenschaftlichen Urkenntnisstandes mit wesentlichen Regelungen des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, mithin verfassungswidrig. l. Verstoß gegen Art. 2 Abs. l GG Art. 2 Abs. l GG schützt alle Formen menschlichen Verhaltens unabhängig davon, in welchem Grad sie zur Entfaltung der Persönlichkeit beitragen (vgl. BVerfGE 6, 32, 36; 54, 143, 146; 80, 137; 152 ff). Der Bundesgesetzgeber verbietet in den §§ l Abs. l, 29 ff. BtmG i. V. m. der Anlage I zu diesem Gesetz Handlungen, die dem Konsum von Cannabis notwendig vorausgehen oder ihn begleiten, nämlich Anbau, Erwerb, Besitz, Veräußerung und Einfuhr. Diese Handlungen stellt der Bundesgesetzgeber unter Strafe. Damit bezweckt er, den Konsum von Cannabis zu unterbinden. Er greift somit in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. l GG ein. Der Umgang mit Cannabisprodukten gehört jedoch nicht zum absolut geschützten Kernbereich des Grundrechts, weil der Umgang mit Cannabis und das Sichberauschen hiermit auf Grund seiner vielfältigen sozialen Aus- und Wechselwirkungen über den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltungen hinausgehen (vgl. BVerfGE 90, 145 ff., 171). Unter Berücksichtigung dieser Auslegung des Art. 2 Abs. l GG ist daher dem Gesetzgeber von Verfassungswegen nicht grundsätzlich untersagt auch den Cannabiskonsum zu regeln. Allerdings müssen alle eingreifenden Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes gemäß Art. 2 Abs. l GG Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sein. Sie müssen mithin den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie - 17- Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen (vgl. BVerfGE 80, 244, 255 mit weiteren Nachweisen). Dazu gehört insbesondere, dass sich die eingreifenden Regelungen als verhältnismäßig erweisen. Das Aufführen von Cannabisprodukten wäre nur dann verhältnismäßig im verfassungsrechtlichen Sinne, wenn dies einen legitimen Zweck verfolgen und hierzu ein zulässiges Mittel eingesetzt würde. Das Mittel müsste sodann geeignet und schließlich auch erforderlich sein. Auch darf es zur Erreichung des Zwecks kein weniger stark in die Grundrechtsausübung eingreifendes aber gleich geeigneten Mittel geben. Schließlich dürfen die an sich geeigneten und erforderlichen Mittel keine Grundrechtseingriffe bei den Betroffenen bewirken, die im Vergleich mit der durch sie möglichen Zweckerreichung oder wenigstens Annäherung unangemessen sind (so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung zum Verhältnismäßigkeitsprinzip, vgl. m. w. N.: BVerfGE 61, 291, 312; 76, 196, 207; 83, l, 16; 90, 145, 172 ff.). Das so beschriebene Verhältnismäßigkeitsprinzip muss dabei im Bereich der Strafverfolgung durch den Staat besonders strikte Anwendung finden. Denn die Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafen bringen als Sanktionen von besonderem Ernst den Vorwurf zum Ausdruck, der Täter habe „elementare Werte des Gemeinschaftsleben verletzt" (vgl. BVerfGE 45, 187, 253). Aufgrund des daraus folgenden besonders intensiven Eingriffscharakters darf das Strafrecht nur als letztes Mittel angewandt werden. Bei einer verfassungsmäßigen Überprüfung strafrechtlicher Vorschriften kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesteigerte Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 6, 289, 433 ff.; 39, l, 47; 88, 203, 258). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweisen sich die vorgelegten Vorschriften nicht als verfassungsgemäß. a. Rechtmäßigkeit des Eingriffs Den zuvor ausgeführten Grundsätzen genügen die hier angegriffenen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes nicht, jedenfalls nicht mehr. So verfolgen die angegriffenen Strafvorschriften schon keinen legitimen Zweck mehr. Dem Gesetzgeber steht zwar hinsichtlich der Frage, welche Zwecke er für derart wichtig hält, dass er ihre Erreichung mit den Mitteln des Strafrechts verfolgt, ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Jedoch ist ein Zweck jedenfalls dann nicht mehr mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen, - 18- wenn offensichtlich ist, dass die hinter der Festlegung liegenden zielstehenden Erwägungen objektiv nicht mehr als zutreffend bezeichnet werden können (vgl. BVerfGE 13, 97, 107). In diesem Fall ist der Gesetzgeber von Verfassungswegen gehalten, die entsprechenden Vorschriften zu überprüfen und den neuen Erkenntnissen anzupassen. Seine ehemals bestehende Einschätzungsprärogative und der damit verbundene Ermessensspielraum reduziert sich jedenfalls dann auf Null, wenn wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass von Cannabis lediglich geringe Gefahren ausgehen und auch dies nur für wenige Menschen (vgl. auch Schwitter, Die Vorverlagerung der Strafbarkeit beim unerlaubten Handeltreiben im Betäubungsmittelstrafrecht , 1998, S. 78). Ziele des Gesetzgebers waren bei Einführung der Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes der Schutz der Volksgesundheit, der Familie und insbesondere der Jugend (vgl. BT - Drs. 665/10). Man ging davon aus, dass der Konsum von Drogen - darunter auch Cannabisprodukten - die Gesundheit ihrer Verbraucher in erheblichem Maße gefährde. Diesen Gefährdungen sollte mit einem umfassenden Umgangsverbot und einer ebenso umfassenden Pönalisierung begegnet werden (vgl. RegE zum BtmG BT-Drs. 8/3551 S. 23 f.). Schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 musste das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass sich die von Cannabisprodukten ausgehenden Gefahren aus damaliger Sicht als wesentlich geringer darstellten, als der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes angenommen hatte. Allerdings ging der 2. Senat 1994 davon aus, dass auch nach dem damaligen Erkenntnisstand nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken verblieben. Das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994: „Jedoch ist auch die den Vorlagebeschlüssen zu Grunde liegende Annahme mangelnder Gefährlichkeit von Cannabisprodukten ungesichert" (vgl. BVerfGE 90, 145, 177). Zwar sei man sich - so die Begründung des Bundesverfassungsgerichts seinerzeit - wohl letztlich darüber einig, dass Cannabisprodukte' keine körperliche Abhängigkeit hervorrufen, dass sie entgegen weitläufig nach wie vor verbreiteten Vorstellung auch keine Schrittmacherfunktion auf härtere Drogen, insbesondere Heroin hätten, es verblieben jedoch nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken, welche die Cannabispönalisierung rechtfertigten. So bestände insbesondere noch die Möglichkeit einer psychischen Abhängigkeit von - 19- Cannabiskonsumenten bei hohem, langandauernden Missbrauch: auch könne der Konsum zu Verhaltensstörungen, Letargie, Gleichgültigkeit, Angstgefühlen, Realitätsverlust und Depressionen führen. Letztlich könnte durch den Cannabiskonsum insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen nachhaltig gestört werden. Auch könne das sogenannte amotivationale Syndrom, ein durch Apathie, Passivität und Euphorie gekennzeichnetes Zustandsbild, durch Cannabis hervorgerufen werden. Auf Grund der seinerzeit vom Senat eingeholten fachbehördlichen Stellungnahmen des Bundesministers für Gesundheit sowie des Bundeskriminalamtes verblieben - so das Bundesverfassungsgericht 1994 - nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken, so dass die Gesamtkonzeption im Bezug auf Cannabisprodukte als vcrfassungsgemäß einzustufen war (vgl. BVerfGE 90, 145, 181). So hatte der Bundesminister für Gesundheit in dem damaligen Verfahren namens der Bundesregierung und ausweislich der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 09.03.1994 von einer erheblichen Gefahrdung des allgemeinen Freiheitsrechts dritter Personen in Folge der Drogenwirkung durch Cannabis gesprochen. Darüber hinaus sei das strafrechtliche Verbot der Abgabe von Cannabis geeignet und erforderlich, um die Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen. Insoweit - so seinerzeit der Bundesminister für Gesundheit - sei die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis wohl ein notwendiges Mittel, um den Verkehr mit dieser riskanten Droge zu unterbinden oder jedenfalls sobald als möglich zurückzudrängen und dadurch vor allem junge Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren (vgl. hierzu BVerfGE 90, 145, 163 ff.) Nach dem neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt sich diese Feststellung heute nicht mehr halten. Unter Berücksichtigung der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Kleiber, Prof. Dr. Peter Cohen und Prof. Dr. Uchtenhagen, allgemein zugänglicher wissenschaftlicher Literatur, der behördlichen Auskunft des Bundesministers für Gesundheit und nicht zuletzt der Gerichtskenntnis von jugendlichen und heranwachsenden Cannabiskonsumenten, ist das Amtsgericht Bernau der festen Überzeugung, dass dem Gesetzgeber ein legitimer Zweck zur Pönalisierung des Rauschmittels Cannabis heute nicht mehr zur Seite steht. - 2 0 - So führte zunächst der Gutachter Prof. Kleiber (Prof. für Psychologie an der Freien Universität Berlin und Leiter des Instituts für Prävention und psychosoziale Gesundheitsforschung) aus, dass er zusammen mit anderen Experten im Auftrag des Bundesministerium für Gesundheit im Jahre 1997 eine Expertise zu den pharmakologischen und toxikologischen Wirkungen sowie den psychosozialen Konsequenzen des Cannabiskonsums erstellt habe. Im Rahmen der Untersuchung habe man insbesondere auch die bis zu diesem Zeitpunkt bekannte Forschungsliteratur zusammengefasst und verglichen. Zusammenfassend sei die Forschergruppe zu folgenden Ergebnissen gelangt: die pharmakologischen Wirkungen und psychosozialen Konsequenzen des Cannabiskonsums seien weniger dramatisch und gefährlich, als dies überwiegend in der Vergangenheit noch angenommen worden sei. So sei die akute Toxizität von Cannabis eher gering. Abgesehen von lapidaren Begleiterscheinungen, sei lediglich der chronische Konsum der Droge nicht frei von Risiken, dies jedoch nur im Hinblick auf psychosoziale Verhaltensweisen. Insbesondere führe der Konsum von Cannabis nicht zu einer Verschlechterung der körperlichen Gesundheit. Zwar lasse sich zeigen, dass stärker problembehaftete Personen, insbesondere Jugendliche, besonders häufig Cannabis konsumierten, Belege für eine schädigende Substanzwirkung von Cannabis ließen sich hingegen nicht aufführen. Auch führe die Droge keineswegs - wie landläufig angenommen - zu einer psychischen Abhängigkeit. Sofern es jedoch zu einer Abhängigkeitsentwicklung kommen könnte, ließe sich diese nicht primär aus der pharmakologischen Wirkung der Droge, sondern vielmehr aus der vorab bestehender psychischen Stimmung und Problemen der Konsumenten erklären. Insoweit dürfe die Abhängigkeit von Cannabis lediglich als Symptom solcher Probleme gesehen werden. Schließlich könne auch die These, Cannabiskonsum führe in einer gewissen Regelmäßigkeit zu einem „amotivationalen Syndrom" nicht belegt werden. So hätten Studien, in denen relativ unausgelesene Schüler- und Studentenstichproben untersucht worden seien, ergeben, dass der größere Teil der Konsumenten weder geringere noch schlechtere akademische Leistungen als Nichtkonsumenten aufwies. Zusammenfassend führte der Sachverständige Prof. Dr. Kleiber aus, dass die mit dem Cannabiskonsum verbundenen Risiken im Verhältnis zur Zahl der Konsumenten - die er -21 - und andere auf in der Bundesrepublik Deutschland bis zu 4 Millionen schätzten - geringer sein, als bei jeder anderen Droge, letztlich sogar als bei einem übermäßigen Verbrauch von Zucker, Schokolade oder infolge sonstiger gesundheitswidriger Ernährung (vgl. zu den Schätzungen auch BVerfGE 90, 145, 178; vgL Körner, BtmG, 5. Auflage, Anhang C l Rndr. 251). Die gesundheitlichen Risiken, die durch Aufnahme von übermäßigen Mengen an Alkohol entständen, seien für die Volksgesundheit wesentlich höher. Allein die Dosis sei entscheidend. Prof. Kleiber bestätigte schließlich die in der Hauptverhandlung verlesene und vorgehaltene Zusammenfassung der Expertise Kleiber / Kovar: „Auswirkungen des Cannabiskonsum" Seiten 238 bis 253 wie im folgenden auf den Seiten 21 bis 38 vollzitiert. Zitat Beginn „Zusammenfassung und Fazit" Marihuana und Haschisch sind seit über 25 Jahren die am meisten konsumierten illegalen Drogen in Deutschland. Etwa ebensolange ist Cannabis Gegenstand vielfältiger Forschungsarbeiten, die Zahl der Veröffentlichungen ist inzwischen kaum mehr zu überblicken. Gleichwohl ist die Frage nach dem Gefährdungspotential der Droge auch heute noch umstritten. Cannabis ist nicht nur die am häufigsten konsumierte, sondern wohl auch die am kontroversesten diskutierte illegale Droge der letzten Jahrzehnte. Die öffentliche Diskussion wurde Anfang der 90er Jahre mit einem Beschluss des Landgerichts Lübecks, einen Cannabisfall an das Bundesverfassungsgericht weiterzuleiten, und einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erneut angestoßen. In dieser Zeit wurden auch zwei neuere deutsche Gutachten verfasst, die sich mit möglichen Wirkungen des Cannabiskonsums auseinandersetzten: ein von der nordrheinwestfälischen Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten des Bochumer Instituts für Sozialmedizinische Forschung BOSOFO e. V. (Konegen, 1992) und die "Expertise zur Liberalisierung des Umgangs mit illegalen Drogen" des Münchner Instituts für Therapieforschung (Bühringer et al., 1993). - 2 2 - Ein Vergleich der gerichtlichen Stellungnahmen und der Expertisen zeigt, dass auch noch in den 90er Jahren der Wissensstand zu Wirkungen und Konsequenzen des Cannabiskonsums alles andere als eindeutig ist. Aus diesem Grund gab das Bundesministerium für Gesundheit die vorliegende Expertise in Auftrag: Unter der Leitung von Prof. Kovar wurden am pharmazeutischen Institut der Eberhard-Karls- Universität Tübingen umfangreiche Basisdaten zur Botanik und Chemie der Inhaltsstoffe, zur Pharmakokinetik und -dynamik aufgeführt sowie kurzfristige und langfristige pharmakologische und toxikologische Wirkungen dargestellt. Psychische und soziale Konsequenzen des Cannabiskonsums wurden unter der Leitung von Prof. Kleiber an der Freien Universität Berlin (Institut für Prävention und psychosoziale Gesundheitsforschung) zusammengetragen. Botanik und Pharmakokinetik Die Stammpflanze Cannabis sativa L. enthält über 420 Inhaltsstoffe, darunter sind etwa 60 verschiedene Cannabinoide, Hauptcannabinoide sind CBD, CBN und Delta9-THC, wobei hauptsächlich Delta9-THC für die psychotropen Wirkungen verantwortlich ist. Die wichtigsten Cannabispräparate sind Marihuana, Haschisch und Haschischöl, die üblicherweise geraucht oder in Form von Gebäck eingenommen werden. Die Resorption der Cannabinoide erfolgt im Lungengewebe, seltener über den Gastrointestinaltrakt. Über die Lunge werden die Cannabinoide sehr schnell aufgenommen. Nach oraler Applikation werden Cannabinoide nur langsam und mit ausgeprägten interindividuellen Schwankungen resorbiert. Die Verteilung der Cannabinoide in tiefere Kompartimente erfolgt äußerst rasch. Sie werden hauptsächlich in fettreichen Geweben gespeichert. Ihre Ausscheidung geschieht überwiegend über die Faeces, ca. 30% der Gesamtdosis wird über die Nieren ausgeschieden. Nach dem Rauchen von Marihuana kommt es zu einem sehr schnellen Anstieg des THC-Spiegels im Plasma, der nach Durchlaufen des Maximums nach ca. 3 bis 10 Minuten rasch wieder abfällt. Nach etwa einer Stunde ist die THC-Konzentration auf ca. l ng/ml abgesunken. Die Plasmaspiegel sind nach oraler Applikation deutlich - 2 3 - niedriger und erreichen nach ein bis sechs Stunden ein plateauartiges Maximum. Maximale psychische Effekte treten nach 35-40 Minuten (Rauchen) bzw. nach 2-3 Stunden (orale Einnahme) auf. Die Elimination aus dem Plasma erfolgt durch Verteilung und Metabolisierung zunächst sehr schnell. In einer zweiten Eliminationsphase werden die Cannabinoide jedoch nur noch langsam ausgeschieden, da sie kontinuierlich aus ihren Speichergeweben freigesetzt werden. Eine Eliminationshalbwertszeit ist für THC derzeit nicht verbindlich anzugeben, sie liegt vermutlich in der Größenordnung von ein bis vier Tagen, Pharmakodynamik Es sind zur Zeit zwei Subtypen des Cannabinoid-Rezeptors bekannt und in ihrer Struktur aufgeklärt. Der zentrale CBl-Rezeptor kommt hauptsächlich im ZNS vor, aber auch in peripheren Geweben, der CB2-Rezeptor hingegen ist ausschließlich außerhalb des ZNS lokalisiert. Als erster endogener Ligand wurde das Arachidonsäure-Derivat Anandamid identifiziert, weitere endogene Liganden sind inzwischen bekannt. Als Folge einer CBl-Rezeptor-Aktivierung treten vielfältige Wechselwirkungen auf, wie eine Hemmung der Acetycholin-Freisetzung und der präsynaptischen Glutamat- Freisetzung im Hippocampus. In einer vermutlich nicht rezeptorvermittelten Reaktion stimulieren Cannabinoide außerdem die Arachidonsäure-Freisetzung und erhöhen somit die Prostaglandin-Konzentration. Der CBl -Rezeptor ist offensichtlich weitgehend für die ZNS-vermittelten Cannabinoid-Wirkungen verantwortlich. Er spielt zudem eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Schmerzreizen, wobei komplexe Wechselwirkungen mit Opioid-Rezeptoren auftreten. Der CB-2-Rezeptor hingegen erfüllt Regelfunktionen im Immunsystem. Ferner gehen Cannabinoide Wechselwirkungen mit dem Glucocorticoid-Rezeptor vom Subtyp 11 im Hippocampus ein. THC besitzt hier sowohl agonistische als auch antagonistische Eigenschaften. Wie andere Suchtstoffe auch stimuliert THC die dopaminergen Bahnen des Reward-Systems im Gehirn. Weitere Wirkmechanismen werden diskutiert. Cannabinoide lösen generell ausgesprochen komplexe und vielfältige - 2 4 - Reaktionen in biologischen Systemen aus, die mit dem derzeitigen Wissensstand auf dem Gebiet der Rezeptorforschung noch nicht vollständig erklärt werden können. Kurzfristige Wirkungen Kurzfristige Cannabiswirkungen werden in der Literatur und auch in den jüngst erschienenen Gutachten weniger kontrovers diskutiert. Auch die Auswertung der von uns gesichteten Literatur bestätigt in diesem Punkt die Einschätzungen früherer Gutachten. Die akute Toxizität von Cannabis ist sehr gering. Tödliche Überdosierungen sind bisher nicht bekannt geworden. Akute körperliche Wirkungen sind Tachykardie und eine leichte Blutdrucksteigerung, gefolgt von einer orthostatischen Hypotonie beim Aufstehen. Diese Effekte zeigen eine ausgeprägte Toleranzwirkung, Cannabinoide vermindern die Darmmotilität und zeigen eine antiemetische Wirkung (THC). Niedrige Dosen rufen eine milde Sedation und Euphorie hervor, Personen im Cannabisrausch erfahren eine subjektiv gesteigerte Gefühlsintensität in verschiedenen Sinnesmodalitäten und ein verlangsamtes Zeitempfinden. Im Zusammenhang mit einer intensivierten Geschmackswahrnehmung kommt es häufig zu einem gesteigerten Appetit. Unter Cannabiseinfluss ist die Konzentrationsfähigkeit herabgesetzt, ebenso zeigen sich Leistungseinbußen im Bereich Gedächtnis und Reaktionsfälligkeit. Bei hoher Dosierung kann der Konsum von Cannabis zu Halluzinationen und zu Depersonalisationserlebnissen führen. Ab einer Konzentration von 300 µg/kg Körpergewicht (Rauchen) überwiegen dysphorische (v. a, Angst-) Zustände und unangenehme Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Brennen im Hals, Mundtrockenheit, Reizhusten und Gliederschwere. Die dysphorischen Zustände können im Extremfall die Form akuter Panikreaktionen und leichter paranoider Zustände annehmen. Diese Reaktionen finden sich vor allem bei relativ unerfahrenen, unvorbereiteten Konsumenten. -25- Akute Intoxikatonspsychosen sind möglich. Für die Existenz einer eigenständigen „Cannabispsychose" finden sich hingegen keine Belege. Das Auftreten von Flashbacks (Echorausch) kann derzeit noch nicht befriedigend erklärt werden, doch sind sie nach alleinigem Cannabiskonsum offensichtlich sehr selten. Langfristige pharmakologisch-klinische Wirkungen Langfristige Folgen des Cannabiskonsums werden im Vergleich mit den akut auftretenden Wirkungen wesentlich kontroverser diskutiert. Folgende Ergebnisse wurden zusammengetragen. Nach langfristigem Cannabis-Rauchen ist eine Beeinträchtigung der Bronchialfunktion möglich. Es kann zu Entzündungen, Obstruktion, Bronchitis und zu präkanzerösen Veränderungen kommen. THC besitzt jedoch auch eine bronchodilatorische Wirkung. Das Rauchen von Cannabis muß dennoch insgesamt als ein Risikofaktor für die Entstehung von Krebserkrankungen des Aerogestivtraktes und der Lunge angesehen werden. Insbesondere der häufige Beikonsum von Tabak führt zu additiven Effekten. Das vorhandene Risiko nach alleinigem Cannabis-Rauchen an Krebs zu erkranken, ist jedoch derzeit nicht eindeutig quanitifzierbar. THC hat in vitro und in vivo immunsuppressive Eigenschaften, deren klinische Relevanz derzeit noch unklar ist. Cannabinoide üben in vielfältiger Weise Einfluss auf die Plasmaspiegel verschiedener Hypophysen-Hormone aus. Akut wird die Freisetzung von GH, Prolactin, LH und FSH vermindert. Nach chronischem Konsum treten hingegen oft gegenteilige oder (aufgrund von Toleranz) gar keine Effekte auf. Bei Langzeitkonsumenten kann es potentiell zu einer Beeinträchtigung der Spermatogenese bzw. zu einer Störung des Menstruationszyklus kommen, diese Effekte sind jedoch reversibel. Es ist nicht sicher auszuschließen daß bei jungen Heranwachsenden die veränderten Hormonspiegel zu einer Verzögerung der Pubertät führen können. Die Datenlage auf diesem Gebiet ist jedoch sehr uneinheitlich und eine abschließende Beurteilung daher nicht möglich. -26- Auch eine Beeinträchtigung des Fötuswachstums und der Entwicklung vom Neugeborenen aufgrund eines Cannabiskonsums der Mutter während der Schwangerschaft ist nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. Das Ausmaß und die klinische Bedeutung solcher Beeinträchtigungen werden allerdings in der Literatur kontrovers diskutiert. Das Aufreten von physischen Gehirnschäden konnte nicht nachgewiesen werden, frühere Befunde erwiesen sich als nicht reproduzierbar. > Für die Mehrzahl der pharmakologischen Effekte von Cannabis wird bei langfristigem, regelmäßigen Konsum hoher Dosen eine Toleranzentwicklung festgestellt, Physische Entzugssymptome wie Zittern, innere Unruhe, erhöhte Körpertemperatur, Gewichtsverlust und Schlafstörungen sind selten. Sie treten nur nach Entstehung einer ausgeprägten Toleranz auf. Langfristige psychische und sowie (soziale?) Konsequenzen Über mögliche somatische Folgeschäden hinaus werden auch (negative) Konsequenzen für die psychische und soziale Situation der Cannabiskonsumenten diskutiert. Zur Abklärung der psychosozialen. Risiken des Cannabiskonsums wurde Literatur zu folgenden Fragen ausgewertet: - Beeinträchtigt der Konsum von Cannabis langfristig die allgemeine psychische Gesundheit bzw. das Wohlbefinden der Konsumenten? - Werden kognitive Grundfunktionen wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit dauerhaft durch den Konsum von Cannabis beeinträchtigt? - Welche Rolle spielt Cannabis bei der Entstehung und dem Verlauf von (schizophrenen) Psychosen? - Wie groß ist das Abhängigkeitspotential der Substanz Cannabis? - 2 7 - - Dient Cannabis als Einstiegsdroge für den illegalen Drogenkonsum? Besteht die Gefahr eines Umsteigeeffekts von Cannabis zu harten Drogen? - Welche Auswirkungen hat Cannabis auf Motivation und Leistung der Konsumenten? Ruft Cannabis ein amotivationales Syndrom und damit negative Konsequenzen für die Ausbildungs- und Berufssituation der betroffenen Personen hervor? Ist mit weiteren negativen sozialen Konsequenzen zu rechnen? - In welchem Ausmaß beeinträchtigt Cannabis die Fahrtüchtigkeit? Zu diesen Fragestellungen liegen zahlreiche, häufig widersprüchliche Studienergebnisse vor. Ein Teil dieser Widersprüchlichkeiten ist auf unterschiedliche Studiendesigns oder auch methodische Unzulänglichkeiten zurückzuführen. Zwar sind die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Cannabis und seinen diskutierten möglichen Konsequenzen grundsätzlich schwer untersuchbar, einzelne Studien unterscheiden sich aber aufgrund ihres Designs durchaus erheblich in ihrer Aussagekraft. Die vorhandene Literatur wurde deshalb unter Zuhilfenahme einer methodischen Bewertung analysiert. Eine Berücksichtigung der methodischen Qualität der Einzelstudien erschien uns geboten, da in der Vergangenheit Studien Ergebnisse oftmals unzulässig interpretiert worden waren bzw. viele Ergebnisse aufgrund methodischer Beschränkungen (z. B. der Untersuchung hoch selektierter und zudem oft klinisch auffälliger Untersuchungsgruppen) schwer zu interpretieren sind. Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Cannabiskonsum und psychische Gesundheit Einige Forschungsarbeiten fokussieren den Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und möglichen gesundheitlichen Begleiterscheinungen, die nicht durch die unmittelbare Drogenintoxikation bedingt werden, von denen aber angenommen wird, dass sie (längerfristig betrachtet) doch mit dem Cannabiskonsum in Zusammenhang stehen könnten: So befasste man sich mit Merkmalen wie „psychischen Beschwerden", „emotionalen Problemen", „Lebenszufriedenheil" oder „Selbstwertgefühl". Aufgrund - 2 8 - der vorliegenden Ergebnisse muss die allgemeine Annahme, dass der Konsum von Cannabis eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit nach sich zieht, zurückgewiesen werden. Zwar lässt sich zeigen, dass stärker problembehaftete Personen besonders häufig konsumieren, Belege für eine schädigende Substanzwirkung von Cannabis lassen sich hingegen nicht finden. Wird Drogenkonsum jedoch allgemein ohne eine Differenzierung nach Art und Kombination der konsumierten Drogen erfasst, zeigen sich negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Auf der anderen Seite gibt es auch Hinweise dafür, dass der Konsum von Cannabis sogar positive Konsequenzen haben kann. Im Studienmaterial befinden sich zwei Studien, in denen von einer verminderten Problembelastung bzw. von positiven Veränderungen des Selbstwertgefühles im jungen Erwachsenenalter berichtet wird. Beeinträchtigung kognitiver Grundfunktionen Unter der akuten Drogeneinnahme kommt es zu Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit. Vor allem Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen sind, eingeschränkt. Nachwirkungen dieser akuten Folgen, über deren klinisch-praktische Relevanz in den Studien allerdings keine Aussagen getroffen werden, können noch Stunden bis Tage, in seltenen Fällen sogar Wochen bestehen bleiben. Nach Absetzen des Konsums verbessern sich die Leistungen jedoch wieder, und es ist nicht davon auszugehen, dass der Cannabiskonsum bleibende kognitive Beeinträchtigungen nach sich zieht. Von großer Bedeutung scheint die Stärke und Frequenz des Cannabiskonsums zu sein: die genannten Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprobleme wurden in der Regel nur bei sehr schweren Konsumformen (bei Personen, die über einen längeren Zeitraum mehrmals täglich konsumierten) beobachtet; ein leichter bis mittlerer Konsum (hierunter wurde in den entsprechenden Studien ein immerhin mehrmals wöchentlicher Cannabisgebrauch verstanden) zieht hingegen keine länger anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen nach sich. Einfluss von Cannabiskonsum auf Entstehung und Verlauf von Psychosen - 2 9 - Die Forschungslage zum Zusammenhang zwischen Cannabis und längerfristigen Psychosen ist uneindeutig. Während man früher von der Existenz einer eigenständigen „Cannabis-Psychose" ausging, scheint sich inzwischen die Überzeugung durchzusetzen, daß es sich bei den derartig diagnostizierten Psychosen um Schizophrenien handelt. Cannabis scheint auf den Verlauf einer bereits bestehenden Schizophrenie Einfluss zu nehmen. Es zeichnet sich die Tendenz ab. dass ein starker, mehrmals täglicher Konsum eine Verstärkung produktiver Symptome wie Wahn und Halluzinationen bewirken kann, weniger harte Konsumformen hingegen nicht. Für den Einfluss des Cannabiskonsums auf die schizophrene Negativsymptomatik (Antriebs- und Motivationsprobleme) kann die Aussage aufgrund zu weniger Studienergebnisse noch weniger klar ausfallen. Es könnte vermutet werden, dass ein (geringer bis mäßiger) Konsum zur Verbesserung der Symptomatik führt. Nach wie vor umstritten ist auch die Frage, ob Cannabis ein unabhängiger Risikofaktor für die Ausbildung einer Schizophrenie ist bzw. das Risiko psychotisch vorbelasteter Personen, an Schizophrenie zu erkranken, erhöht. Die Ergebnisse einer als aussagekräftiger -eingeschätzten Studie weisen in diese Richtung, eine abschließende Beurteilung ist zur Zeit jedoch nicht möglich. Abhängigkeit Die von der Weltgesundheitsorganisation. (WHO) eingeführte Kategorie einer Abhängigkeit „vom Typ Cannabis" wird durch eine mäßig starke psychische Abhängigkeit definiert. Psychische Abhängigkeit wird mit einem starken psychischen Bedürfnis nach periodischem oder dauerndem Genuss der Droge zur Erhöhung des Wohlbefindens beschrieben. Bezüglich des Abhängigkeitspotentials der Droge Cannabis fassen wir zusammen: Der Konsum von Cannabis führt keineswegs zwangsläufig zu einer psychischen Abhängigkeit, es kann jedoch, zu einer Abhängigkeitsentwicklung kommen. Eine solche Abhängigkeit vom Cannabistyp kann jedoch nicht primär aus den pharmakologischen Wirkungen der Droge erklärt werden, ohne vorab bestehende psychische Stimmungen und Probleme zu berücksichtigen. Die Abhängigkeit von Cannabis sollte als Symptom solcher Probleme gesehen werden. - 3 0 - Cannabis als Einstiegsdroge Ein wichtiges Argument in der Diskussion um Cannabis ist seine mögliche „Schrittmacherfunktion" für den Einstieg in illegale Drogen bzw. den Umstieg auf härtere Substanzen. Diese These muss nach Analyse der vorliegenden Studien zurückgewiesen werden. Es lässt sich zwar ein Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und dem Konsum weiterer Drogen nachweisen: Opiatabhängige Personen haben tatsächlich in der Regel zuvor Cannabis als erste illegale Droge konsumiert (ebenso wie Cannabis konsumierende Personen in der Regel vorher legale Drogen wie Alkohol und Tabak konsumiert haben). Hieraus ist aber nicht abzuleiten, dass Cannabis zu dem Konsum härterer Drogen führt Sicher auszuschließen ist die These, dass die Substanzwirkung selbst für ein späteres Umsteigen verantwortlich ist. Eher ist anzunehmen, dass das Image der Substanz bei den Konsumenten bzw. kulturelle Moden für die heutige Reihenfolge in der Drogeneinnahme verantwortlich sind. Möglicherweise fördert auch die nach wie vor vorhandene Illegalität eine gewisse Assoziation zu anderen illegalen Drogen, die Verbindung ist allerdings für die heutige Zeit aufgrund der zunehmenden „Normalisierung" bzw. „Veralltäglichung" des Konsums (zumindest bei jungen Menschen) in Frage zu stellen. Entwicklung eines amotivationalen Syndroms Die Frage, ob der Konsum von Cannabis ein amotivationales Syndrom hervorruft, das durch Passivität, Interesse- und Motivationsverlust gekennzeichnet ist, nimmt in der Diskussion um die Droge einen besonderen Stellenwert ein. Zur Beurteilung dieser Frage griffen wir einerseits auf Studien zurück, die dieses Störungsbild direkt zu operationalisieren versuchten, andererseits auch auf Untersuchungen, die aufgrund der Erhebung von Teilaspekten oder sozialen Folgeerscheinungen des Syndroms ebenfalls für diese Fragestellung von Bedeutung waren. Die These, Cannabiskonsum führe mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu einem amotivationalen Syndrom, kann anhand der analysierten Studien nicht belegt werden, Studien, in denen relativ unausgelesene Schüler- und Studentenstichproben untersucht -31 - wurden, zeigen für den größten Teil der Konsumenten keine geringere Leistungsmotivation oder schlechtere akademische Leistungen als Nichtkonsumenten. Die Studien, die die deutlichsten Hinweise für die Existenz eines durch Cannabis bedingten amotivationalen Syndroms zu erbringen scheinen, sind aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten nicht in der Lage, konfundierende Effekte (z. B. eine depressive Symptomatik oder auch alternative Werte und Lebensstile seit Ende der 60er Jahre) von den Effekten des Cannabiskonsums zu trennen. In Studien, die den Einfluss solcher möglicherweise konfundierenden Effekte hingegen kontrolliert haben, erscheint der Cannabiskonsurn nicht als eigenständiger Risikofaktor für Demotivationserscheinungen. Neben Aspekten der schulischen und beruflichen Leistung und Integration wurden als weitere mögliche soziale Folgen auch Besonderheiten in bezug auf Partnerschaft und Familie untersucht. Der Cannabiskonsum erhöht nicht das Risiko einer frühzeitigen Schwangerschaft, scheint aber eher mit einer verzögerten Übernahme von Erwachsenenrollen in Verbindung zu bringen sein. Fahrtüchtigkeit Leistungseinbußen im Bereich Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen, wie sie im akuten Cannabisrausch auftreten, beeinträchtigen unbestritten die Fahr- und Flugtüchtigkeit. Umstritten ist hingegen die Frage nach der Stärke bzw. zeitlichen Länge dieser Beeinträchtigungen. Mit Schmidt, Scheer und Bergbaus (1995), auf deren aktuelle und umfassende Literaturauswertung wir uns für diese Fragestellung stützen, lässt sich festhalten: Cannabis beeinträchtigt akut -abhängig von der Dosis, von der Art der erforderlichen Leistung und vom Gebrauchsmuster die Fahr- bzw. Flugtauglichkeit. Signifikante Leistungseinbußen sind vor allem in der ersten Stunde nach Cannabiskonsum beobachtet worden, in Einzelfällen jedoch (in den sehr sensiblen Flugsimulatorstudien) auch noch nach 24 Stunden. Die Cannabiswirkung der ersten Stunde beeinträchtigt vor allem komplexe, kontrollierte Leistungen (z. B. das Reaktionsverhalten in unvorhergesehenen Situationen), die ab der zweiten Stunde nach Rauschbeginn vollständig ausgeglichen werden können. Automatisierte Leistungen werden länger herabgesetzt und können nicht ausgeglichen werden. - 3 2 - Das subjektive Rauscherleben ist häufiger zu beobachten als tatsächliche Leistungseinbußen, auch hält es länger an als die objektiven Beeinträchtigungen. Medizinische Anwendungsgebiete Neben der Untersuchung möglicher schädlicher Cannabiswirkungen ist in den letzten Jahren ein verstärktes Bemühen zur Erforschung therapeutischer Anwendungsmöglichkeiten des - schon im Altertum als Heilmittel verwendeten -Cannabis bzw. seiner Inhaltsstoffs festzustellen. Die antiemetische Wirkung von THC, Nabilone und Levonantradol sind gut belegt. Einige weitere synthetische Cannabinoide befinden sich in der Testphase. Cannabinoide werden bei der Therapie von Zytostatikainduziertem Erbrechen von Krebspatienten eingesetzt. In den USA ist THC als Fertigarzneimittel für diese Indikation zugelassen. Ein Vergleich der Wirksamkeit von Cannabinoiden und den modernen, neuentwickelten Therapieansätzen (5-HT3- Antagonisten, Metoclopramid, Kombinationen etc.) steht noch aus; allerdings können Cannabinoide bei therapieresistentem Erbrechen durchaus eine sinnvolle Behandlungsalternative darstellen. Die appetitanregende Wirkung von Cannabinoiden ist sehr variabel und von zahlreichen Faktoren abhängig. Ein versuchsweiser Einsatz bei schlechtem Allgemeinzustand von AIDS- und Krebspatienten ist jedoch zu befürworten, wenn damit zumindest der körperliche Verfall abzubremsen ist. THC und zahlreiche andere Cannabinoide senken signifikant den Augeninnendruck und könnten somit in der Therapie des Glaukoms eingesetzt werden. Sinnvoll ist hier ausschließlich eine topische Applikation, wobei entsprechende Zubereitungen zur Anwendung am Auge bisher nicht entwickelt und am Menschen getestet wurden. Die bronchodilatatorische Wirkung von THC ist gut belegt. Einsatzmöglichkeiten in der Asthmatherapie sind bisher nur wenig erprobt worden, da in Einzelfällen ausgeprägte Bronchokonstriktionen ungeklärter Ursache auftraten. Eine Trennung der bronehodilatatorischen Wirkung von den zentralen Nebenwirkungen scheint möglich zu - 3 3 - sein. Erfolgversprechend ist die Applikation in Form von Aerosolen, jedoch besteht auf diesem Gebiet noch Forschungsbedarf, bevor eine endgültige Beurteilung vorgenommen werden kann. Als Antiepileptikum ist offensichtlich CBD das am besten geeignete Cannabinoid. Über die Wirksamkeit beim Menschen ist derzeit nur wenig bekannt und eine abschließende Beurteilung eines sinnvollen Einsatzes ist noch nicht möglich. Die Anwendung von THC als Muskelrelaxans bei spastischen Symptomen ist bisher nur in Einzelfällen untersucht worden, wobei die Ergebnisse recht erfolgversprechend sind und zumindest eine weitergehende Untersuchung rechtfertigen würden. Der Einsatz von Cannabinoiden als Analgetika konnte sich hingegen in der Praxis nicht bewähren, da die Opioid-Analgetika den Cannabinoiden in der Nutzen-Risiko- Abwägung überlegen sind. Auf diesem Gebiet liegt jedoch noch ein großes Entwicklungspotential von selektiven, synthetischen Cannabinoiden, da man nach Entdeckung der Cannabinoid-Rezeptoren die Wirkmechanismen besser versteht und hier nun gezielter eingreifen kann. Generell ist bei der therapeutischen Verwendung von Cannabinoiden das Augenmerk auf die galenische Zubereitungsform und Applikationsart zu richten, da die Substanzen aufgrund ihrer ausgeprägten Lipophilie und der pharmakokinetischen Charakteristik nicht einfach zu handhaben sind. Die Wahl einer falschen Galenik, die keine ausreichende Resorption ermöglicht, kann zu völligem Therapieversagen führen. Auf diesem Gebiet sind mit Sicherheit noch nicht alle Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden. Das Rauchen von Cannabis-Zubereitungen (Marihuana etc.) ist aufgrund der Nebenwirkungen und potentieller Krebsrisiken abzulehnen. Der Verabreichung von Mono- Präparäten (z. B. THC) zur oralen, inhalativen (als Aerosol) oder topischen Applikation ist der Vorzug zu geben. - 3 4 - Ein großer Aufschwung in der Erforschung therapeutischer Einsatzmöglichkeiten von Cannabinoiden geht von der derzeitigen Entwicklung spezifischer Rezeptor-Agonisten und -Antagonisten aus, die es ermöglichen, bei verbesserter Wirkung die Nebenwirkungen deutlich zu reduzieren. Insbesondere die Trennung der erwünschten Wirkungen von zentralen Effekten ist bereits mit einigen Substanzen gelungen. Dies wird auch in zunehmendem Maße von der Pharmaindustrie (USA Frankreich) erkannt, eine entsprechend rege Forschungstätigkeit hat in den letzten Jahren bereits eingesetzt. Forschungsbedarf Aus pharmakologischer Sicht ist vor allem die weitere Erforschung des Cannabinoid- Rezeptor-Systems ein vielversprechender Forschungsbereich. Bislang wurden zwei Subtypen (CB1 und CB2) des Cannabinoid-Rezeptors entdeckt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass weitere Subtypen existieren. Die Suche nach weiteren Subtypen ist für das Verständnis des Cannabinoid-Rezeptor-Systems von großer Bedeutung, In diesem Zusammenhang besteht Bedarf an der Synthese von spezifischen Agonisten und Antagonisten, um die beiden Rezeptor-Typen besser charakterisieren zu können. Mit Hilfe solcher spezifischen Liganden könnten die pharmakologischen Effekte des zentralen und des peripheren Cannabinoid-Rezeptors erst genauer untersucht werden. Im Gegensatz zum CBl-Rezeptor ist beim CB2-Rezeptor noch sehr wenig über die Signalübertragungswege bekannt. Das Verständnis der molekularen Effekte ist eine Voraussetzung, um die Funktion des peripheren Rezeptors im Immunsystem verstehen zu können. Wenig ist bisher über die Rolle des endogenen Liganden Anandamid bekannt, der zu beiden Rezeptor-Subtypen Affinität zeigt. Vermutlich werden in naher Zukunft noch eine Reihe weiterer endogener Liganden entdeckt werden, mit deren Hilfe die Bedeutung des Rezeptor-Systems im Körper besser verstanden werden kann. Mit Hilfe der PET-Techmk und radioaktiv markierten Substanzen ist erstmals die Erforschung der Rezeptorverteilung in vivo beim Menschen möglich. In der Suchtforschung kommt dieser hochmodernen Technik eine wachsende Bedeutung zu, - 3 5 - wobei bisher keine Arbeiten mit markierten Cannabinoiden durchgeführt wurden. Die Erkenntnisse aus der Rezeptorforschung eröffnen erstmals die aussichtsreiche Möglichkeit, neue Arzneistoffe zu entwickeln, die spezifisch an einem bestimmten Rezeptor-Subtyp angreifen. Durch die Entwicklung gezielter Agonisten und Antagonisten könnte somit eine pharmakologische Spezifität bei fehlender halluzinogener Wirkung erreicht werden. Erste Forschungsansätze auf diesem Gebiet, die recht vielversprechend sind, gibt es bereits. Betrachtet man die vielseitigen pharmakologischen Wirkungen der Cannabinoide, so liegt hier ein großes Potential an neuen Arzneistoffen. Das zunehmende Interesse der pharmazeutischen Industrie, insbesondere in den USA und in Frankreich, ist ein Indiz für die wachsende Bedeutung dieses Forschungszweiges. Auf dem Gebiet der Pharmakokmetik der Cannabinoide sind die meisten Daten bereits bekannt. Es wäre jedoch sinnvoll, einen Teil der kinetischen Parameter mit dem heutigen Stand der modernen Analytik neu zu bestimmen. Insbesondere für die Eliminationshalbwertszeit von THC liegen derzeit keine eindeutig bestimmten Werte vor, ebenso zur Kinetik nach Mehrfachdosierungen. Diese Informationen sind wichtig, um bei therapeutischen Anwendungen ein optimales Dosierungsschema entwickeln zu können. Werden hier nicht ausreichende Plasmaspiegel über einen längeren Zeitraum erzielt, so kommt es zu unnötigem Therapieversagen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass auch neue, potentiell therapeutisch einsetzbare, synthetische Cannabinoide frühzeitig bezüglich ihrer Pharmakokinetik untersucht werden. Entwicklungsmöglichkeiten bestehen ebenfalls noch auf Seiten der Galenik, um eine optimale Freisetzung und Resorption der Cannabinoide bzw. von THC aus den jeweiligen Zubereitungsformen zu ermöglichen. Interessante Ansätze sind mit der Erprobung von diversen rektalen und topischen Zubereitungsformen bereits erkennbar. Die pharmakologischen Eigenschaften von Cannabis und seinen Inhaltsstoffen sind in den letzten Jahrzehnten intensiv erforscht worden. Trotz der vorhandenen großen Datenmenge sind viele Sachverhalte nicht eindeutig und widerspruchsfrei geklärt. Die Erkenntnisse aus der Rezeptorforschung werden mit Sicherheit in absehbarer Zukunft viele pharmakologische Aspekte in einem neuen Licht erscheinen lassen. Hier wäre -36- beispielsweise an die verwirrenden Auswirkungen auf das Hormonsystem oder an die Beeinträchtigung von Gedächtnisleistungen zu denken. Mit den verbesserten Kenntnissen ist dann ein optimiertes Studiendesign möglich, das zu eindeutigeren Ergebnissen führt. Ein weiteres wichtiges Gebiet ist die Durchführung von klinischen Studien mit neuen Cannabinoiden bzw. Rezeptorliganden. Pharmakologische Untersuchungen, wie sie früher in größeren Rahmen mit THC durchgeführt wurden, müssten mit neu entwickelten Cannabinoiden wiederholt werden. Einige dieser Substanzen sind bereits gut in vitro und im Tierversuch erprobt, ihre mögliche therapeutische Relevanz läßt sich aber letztlich nur in klinischen Versuchen ermitteln. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ergeben sich - bezogen auf die psychischen und sozialen Auswirkungen des Cannabiskonsums - eine Reibe von Anschlussfragen, die weiterer Forschung bedürfen: Angesichts der Tatssache, daß einige Phänomene, die oftmals als Wirkungen des (Langzeit-) Konsums von Cannabis interpretiert wurden, sich häufig als vorausgehende Bedingungen eines chronischen Cannabiskonsums entpuppen, wären stärker als bisher die entwicklungspsychologischen, sozialisatorischen und gesellschaftlichen Faktoren zu untersuchen, die (problematischen) Substanzkonsum erst wahrscheinlich machen. Diagnostizierte Probleme von Drogenkonsumenten werden gegenwärtig oftmals als Substanzwirkungen. und -folgen interpretiert, obgleich sie zumindest in Ansätzen bereits vor dem Substanzkonsum bestanden. Psychosoziale Probleme von Konsumenten lediglich als Substanzwirkungen bzw. - folgen zu interpretieren, verengt aber die theoretische Perspektive auf die Anwendung eines Noxenmodelles, produziert einen Opferstatus und hat für Konsumenten und die Gesellschaft gleichermaßen verantwortungsentlastende Funktion. Die attributionstheoretisch fassbaren labelingtheoretisch aufzeigbaren und sozialpsychologisch analysierbaren Mechanismen, denen der Drogendiskurs unterliegt, sollten genauer untersucht werden. Zudem sollte Substanzkonsum - starker als bisher - als Copingstrategie und mithin als Versuch der Bewältigung von persönlichen Krisen verstanden und erforscht werden. -37- Dadurch würden erst mögliche adaptive Funktionen des Substanzkonsums sichtbar, die bisher noch weitgehend unerforscht sind. Eine wichtige Zielgruppe für solche Forschungsansätze könnten Langzeitkonsumenten sein Wer sind sie? Was machen sie beruflich? Welche subjektiven Theorien haben sie bezüglich der Rolle von Cannabis in ihrer Biographie? Welche Folgen des Langzeitkonsums oder Beschwerden werden sichtbar? Viele Phänomene, die z. B. der Wirkung konkreter Substanzen, wie Cannabis zugeschrieben werden, müssten faktisch als Ergebnis polyvalenten Substanzkonsums interpretiert werden, da die Mehrzahl der klinisch oder sozial auffälligen Konsumenten polyvalenten Substanzkonsum aufweist. In den meisten Forschungsvorhaben wurde aber der (Bei-)konsum legaler und illegaler Substanzen leider in der Regel nicht kontrolliert. Ursachen und Folgen polyvalenten Substanzkonsums sollten daher genauer als bisher untersucht werden. Bedarf besteht vor allem auch an Forschungen, die „Politikentscheidungen" selbst zum Gegenstand machen. Haben politische Entscheidungen, die auf die Veränderung der Verfügbarkeit von Substanzen abzielen, überhaupt einen die Inzidenz und Prävalenz des Substanzkonsums beeinflussenden Effekt - und wenn, welchen Effekt haben sie unter welchen Bedingungen? Bisherige Analysen deuten eher auf eine generelle Überschätzung des Einflusses von gesetzlichen Rahmenbedingungen und auf eine generelle Unterschätzung des Steilenwertes des 'cultural support Systems', in dem das Image, die subjektive Verfügbarkeit und der funktionale Nutzen des Substanzkonsums festgelegt werden. Zusammenfassend stellen wir fest, dass Wirkungen und Konsequenzen des Cannabiskonsums nicht die Gefährlichkeit und Dramatik besitzen, wie dies noch überwiegend angenommen wird Der Konsum der Droge ist dennoch nicht frei von Risiken: In bezug auf körperliche Risiken sind vor allem die Beeinträchtigung der Bronchialfunktionen und die kanzerogenen Effekte des Rauchens von Cannabisprodukten, vor allein in Kombination mit starkem Nikotinrauchen, zu nennen. Hormonelle Beeinträchtigungen oder auch eine Beeinträchtigung der pränatalen Entwicklung sind nicht einheitlich belegt, dennoch sollte insbesondere in der -38- Schwangerschaft auf einen Konsum von Cannabis (wie auch auf den Konsum anderer Drogen) verzichtet werden. Desgleichen ist bei jungen Jugendlichen entsprechende Vorsicht indiziert. Für den Bereich psychischer und sozialer Konsequenzen muss vor allem auf die zwar reversiblen, aber doch Stunden anhaltenden kognitiven und psychomotorischen Beeinträchtigungen hingewiesen werden, die das Fahrvermögen und sicher auch die Leistungsfähigkeit in Schule und Beruf einschränken. Aus diesem Grund sollte sicherheitshalber bis zu 24 Stunden nach Cannabiskonsum kein Kraftfahrzeug geführt werden. Auch sollte klar sein, daß ein hochfrequenter, stark dosierter Konsum mit der Bewältigung schulischer und beruflicher Anforderungen kaum zu vereinen ist. Weitere in der Diskussion um Cannabis aufgeführten Thesen zu möglichen Gefahren der Droge lassen sich hingegen nach der Analyse der vorliegenden Forschungsliteratur nicht bestätigen." - Zitat Ende - Der zu den Risiken gleichfalls gehörte Gutachter Prof. Dr. Peter Cohen erläuterte dem Gericht, dass die Risiken des Cannabiskonsums jahrelang ohne wissenschaftliche Fundierung erheblich überschätzt worden seien. So sei es heute wissenschaftlicher Stand, dass Cannabis das Betäubungsmittel sei, von welchem die geringsten Risiken ausgingen. Es sei wissenschaftlich belegt, dass die Gefahren von Cannabis äußerst gering seien. Lediglich bei dauermäßigem und übermäßigem Konsum könne es zu Problemen bei den Konsumenten führen, wobei die Gruppe der Dauerkonsumenten mit Problemen in der Zahl sehr gering sei. Deren Probleme seien allerdings nicht auf das Betäubungsmittel Cannabis an sich, sondern vielmehr auf bereits vorhandene Probleme bei den jeweiligen Menschen zurückzuführen. Auch dem Gutachter Prof. Dr. Peter Cohen wurden in der Hauptverhandlung die Zusammenfassung aus der Expertise Kleiber/Kovan, wie auf den Seiten 2 1 - 3 8 voll zitiert, vorgehalten. Prof. Dr. Cohen führte insoweit aus, dass er die dort festgestellten Ergebnisse uneingeschränkt auch auf Grund eigener jahrelanger Studien als richtig ansehe. - 3 9 - Der Gutachter Prof. Dr. Uchtenhagen führte schließlich zur Frage des Gerichts nach der Gefährlichkeit des Betäubungsmittel Cannabis aus, dass er letztlich nur noch geringe Gefahren sähe. Auch er könne im Einklang mit der überwiegenden Wissenschaft das Gefahrenpotenzial als äußerst gering einschätzen. So ist die von ihm geleitete Kommission zur Vorbereitung der angedachten Reform des schweizerischen Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2000 zu der Überzeugung gelangt, dass von dem Wirkstoff Cannabis nur ganz geringe Risiken ausgingen. Insoweit könne er die ihm gleichfalls vorgehaltene Zusammenfassung der Expertise Kleiber / Kovar voll umfänglich im Ergebnis teilen. Es verblieben lediglich geringe Risiken im Bereich von Langzeitkonsumenten. Diese seien entsprechend der Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Kleiber und Prof. Dr. Cohen allerdings nicht in dem Wirkstoffgehalt selber zu suchen, sondern seien bedingt durch langjährig angewachsene persönliche Probleme bei den jeweiligen Konsumenten. Alle Gutachter erklärten auf Nachfrage des Gerichts, dass ihnen ein Todesfall, der auf Cannabiskonsum beruhe, nicht bekannt sei. Das Bundesministerium für Gesundheit führte im Rahmen der behördlichen Auskunft schließlich aus, dass zur Frage der gesundheitlichen Gefahrdung durch Cannabis festzustellen sei, dass entsprechende Untersuchungen unter dem Umstand litten, dass zunehmend mehr legale und illegale Substanzen in Kombination konsumiert würden und daher einzelne Kausalitäten schwer feststellbar seien. Zu einer möglichen Reihenfolge der Risiken einzelner Suchtstoffe verwies das Bundesministerium für Gesundheit auf eine Expertise, wonach beispielsweise Alkohol und Ecstacy wesentlich gefährlicher seien. Das Bundesministerium für Gesundheit erklärte weiter, dass dem Betäubungsmittel Cannabis auf Grund aller erlangten Studien noch keine „Unbedenklichkeitsbescheinigung" ausgestellt werden könne. Zwar seien die Risiken akuter und langfristiger Beeinträchtigungen durch nicht medizinischen Cannabiskonsum normalerweise gering. Bei einem chronischen Dauerkonsum sei der Gebrauch des Betäubungsmittels Cannabis allerdings mit größerem Risiken, bis zur psychischen Abhängigkeit, verbunden. Angesichts der vielen Unbekannten könne zur Zeit noch kein unbegrenztes Freigabesignal gesetzt werden. Insgesamt ist der behördlichen Auskunft des Bundesministerium für Gesundheit jedoch zu entnehmen, dass dieses heute nicht mehr wie noch im Rahmen des Verfahrens vor dem - 4 0 - Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 von einer erheblichen Gefährdung des allgemeinen Freiheitsrechts dritter Personen in Folge der Drogenwirkung durch Cannabis sowie von einer riskanten Droge spricht. Trotz ausdrücklicher Nachfrage des Amtsgerichts Bernau, ob heute noch von einer „riskanten Droge" gesprochen werden könne, erfolgte eine diesbezügliche Einschätzung nicht. Insoweit konnte das Gericht zur sicheren Überzeugung feststellen, dass auch das Bundesgesundheitsministerium das Rauschmittel Cannabis als lange nicht mehr so gefährlich ansieht, wie noch seinerzeit im Jahre 1994 (vgl. Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit vom L März 2002 Blatt 72 bis 74 der Akte). Das vorlegende Gericht muss nach den Ergebnissen der soeben dargestellten Beweisaufnahme davon ausgehen, dass nach neuestem Stand der Wissenschaft keine entscheidende Gefahren von Cannabiskonsum ausgehen, die es rechtfertigen könnten, diesen mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Insbesondere sieht das Gericht keinen Anlass, die Ausführung der gehörten Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Es handelt sich bei diesen um international anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Cannabisforschung. Sie sind bereits seit Jahren mit den gesundheitlichen und den gesellschaftlichen Folgen des Cannabiskonsums befasst. Prof. Dr. Kleiber leitet das Institut für Prävention und psychosoziale Gesundheitsforschung der Freien Universität Berlin und wurde aufgrund seiner Arbeit immer wieder in staatliche deutsche Forschungsvorhaben eingebunden, so zuletzt hinsichtlich der durch das Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebene Studie - Auswirkungen des Cannabiskonsums -. Prof. Dr. Peter Cohen ist seit über 20 Jahren in der Niederlande anerkannter Gutachter im Bereich der Cannabisforschung. Er ist heute Leiter des SCO Konstamm Institut in Amsterdam - Centrum voor Drugsonderzoek Cedro und hat ebenfalls an einer Vielzahl von Forschungsvorhaben, zum größten Teil finanziert von der niederländischen Regierung teilgenommen. Prof. Dr. Uchtenhagen schließlich wurde aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Drogenforschung von der Schweizer Regierung zum Leiter der Kommission berufen, die im Jahre 2000 die Reform des schweizerischen Betäubungsmittelstrafrechts vorbereitete. Alle vom Gericht gehörten Gutachter genießen sowohl national als international einen hervorragenden Ruf. Man kann sie letztlich als die jeweiligen „Päpste" ihrer Länder im Bereich der Cannabisforschung betrachten. Von all diesen Experten wurden die in der Ilauptverhandlung verlesenen Ergebnisse der Studie Kleiber/ Kovar bestätigt. Auch das -41 - . vorlegende Gericht hat nach intensiver Befassung mit den Untersuchungsmethoden keinen Anlass, an den Ergebnissen zu zweifeln. So wurden zur Feststellung der biologischen, chemischen und pharmadynamischen Wirkungsweise von Cannabis umfangreiche Datensammlungen und Untersuchungen an der Universität Tübingen unter Leitung von Prof. Kovar durchgeführt. Die Frage der langfristigen körperlichen, psychischen und sozialen Konsequenzen wurde unter Leitung von Prof. Kleiber insbesondere durch Heranziehen und Auswertung zahlreicher weiterer Studien aus der Vergangenheit unter kritischer Würdigung ihrer Methodik erforscht. Damit gelang es erstmals, eine Vielzahl von Forschungsergebnissen auszuwerten und die Ursachen möglicher Widersprüche aufzudecken. So sieht auch das Bundesministerium für Gesundheit offensichtlich keinen Anlass an den Ergebnissen dieser Studie zu zweifeln, wie das Schreiben an das Gericht in diesem Verfahren zeigt. Damit bestätigt und bekräftigt das Ergebnis der Beweisaufnahme letztlich auch die Feststellung des Landgerichts Lübeck in seinem Vorlagebeschluss vom 19.12.1991 (NJW 1992, 1571, 1572). Bereits damals führte das Landgericht Lübeck wie folgt aus: „Das schweizerische Bundesgericht hat in seiner Entscheidung vom 29.08.1991 (Strafverteidiger 1992, 18, (19)) hierzu folgendes festgestellt: Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse lässt sich somit nicht sagen, dass Cannabis geeignet sei, die körperlich und seelische Gesundheit vieler Menschen in eine naheliegende oder ernstliche Gefahr zu bringen. Der Sachverständige Prof. Dr. Dee hat erklärt, dass Cannabis nach seiner Erkenntnis das Rauschmittel mit den geringsten individuellen gesamtgesellschaftlichen Wirkungen sei, dass es zur Zeit auf der Welt gebe. Binder hat in seinem Aufsatz im deutschen Ärzteblatt (1981, 124) ausgeführt: „Medizinisch gesehen, dürfte der Genuss ein bis zwei Joints Marihuana (l bis 2 g Marihuana, resorbierte THC-Menge 8 bis 16 mg) pro Tag unschädlich sein, zu mindestens aber weniger schädlich sein, als der tägliche Konsum von Alkohol oder von 20 Zigaretten. Für alle drei Drogen gilt das Prinzip, „sola dosis facit venenum" und somit wäre gegen den gelegentlichen Konsum von Marihuana im Grunde genauso wenig einzuwenden wie gegen das gelegentliche Glas Wein oder gelegentliche Zigarette. Jede Droge, im Übermaß genossen, ist schädlich." - 4 2 - Auch der im März 2001 eingereichte Gesetzesentwurf der Schweizer Regierung, der eine Freigabe des Cannabiskonsums zum Inhalt hat, wird insbesondere damit begründet, dass die gesundheitlichen Risiken bei moderaten Cannabiskonsum nicht größer als bei anderen legal erhältlichen Substanzen seien (vgl. Bl. 99 der Akte). Unter Berücksichtigung der gehörten Gutachter und in Würdigung der behördlichen Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit kann das Amtsgericht keine Gefahren mehr erkennen, die vom Konsum von Cannabisprodukten ausgehen die es rechtfertigen könnten, diesen mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Wenn man darüber hinaus noch sieht, dass ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland einerseits allgemeinkundig jährlich ca. 40.000 Alkoholtote zu verzeichnen hat und hunderttausende Menschen aufgrund von Alkoholgenuss geschlagen und verprügelt werden, andererseits der Staat hier nicht mit den Mitteln des Strafrechts eingreift, so darf er dies erst recht nicht beim Betäubungsmittel Cannabis. Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass die seinerzeit bei Begründung der Cannabiskriminalisierung zielstehenden Erwägungen heute objektiv nicht mehr als zutreffend bezeichnet werden können. Dem Gesetzgeber steht damit kein legitimer Zweck im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Seite, der den durch die Strafbarkeit erfolgenden Eingriff in Art. 2 Abs. l GG rechtfertigen könnte. Wenn wie vorliegend kaum noch Zweifel dahin gehend bestehen, dass von einem letztlich einzubindenen Rauschmittel nur ganz geringen Gefahren ausgehen, wobei auch diese bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht einmal wissenschaftlich deutlich belegt sind, dürfte schließlich die Beweislast für die Gefährlichkeit beim Gesetzgeber liegen. Dieser dürfte verpflichtet sein, tatsächlich vorhandene Risiken darzulegen (vgl. Siebel a. a. o. S. 201; Schneider Betrifft Justiz, 2001, 37, 45). Die Strafrechtsgebung darf unter Berücksichtigung einer modernen Verfassung nicht den Selbstzweck der Gesetzgebung geopfert werden; dies zumal es sich bei dem Wirkstoff Cannabis mittlerweile um die besterforschteste psychotrope Substanz handelt (vgl. auch Körner a. a. O., Betäubungsmittelgesetz Anhang C. l Rdnr. 275; BVerfGE 90, 145, 221, Sondervotum Sommer). b.Geeignetheit - 4 3 - Aber selbst wenn unterstellt würde, dass der Gesetzgeber mit der Strafandrohung gegen den Umgang von Cannabisprodukten noch einen legitimen Zweck verfolgte, so ist dieses Mittel jedenfalls nicht geeignet, den angestrebten Zweck, insbesondere die Jugend vor Suchtgefahren zu schützen, zu erreichen. Ziel der Cannabispönalisierung ist letztlich den Umgang mit dem Betäubungsmittel aufgrund der mutmaßlichen Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit einer umfassenden staatlichen Kontrolle zu unterwerfen und zur Durchsetzung dieser Kontrolle den unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten lückenlos unter Strafe zu stellen. Ziel war mithin von Anfang an, wie auch heute, die Verbreitung der Droge in der Gesellschaft einzuschränken und die damit angeblich vorhandenen Gefahren im Ganzen zu verringern (vgl. BVerfGE 90, 145, 182). Ob diese Gefahren mittels des Strafrechts eingedämmt und insoweit die Strafandrohung geeignet ist, obliegt grundsätzlich zunächst auch hier der Ermessensentscheidung des Gesetzgebers. Ihm steht insoweit auch hier eine Einschätzungsprärogative dahingehend zu, dass er entscheidet, welche Mittel tauglich zur Zweckerreichung sind. In der Folge dieses Einschätzungsspielraumes darf ein Gesetz nur dann mangels Geeignetheit als verfassungswidrig qualifiziert werden, wenn die gesetzgeberische Prognose offensichtlich fehlsam ist (vgl. BVerGE 38, 61, 87 ff., 50, 290, 232 ff.; Degenhart, Staatsrecht l, 11. Aufl. 1995, RdNr. 328). Im Falle der Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis liegen mittlerweile gesicherte Kenntnisse dahingehend vor, dass die Strafandrohung nicht konsumhindernd wirkt, also kein konkreter Zusammenhang zwischen Strafandrohung und Konsumverhalten besteht. Damit hat sich hier die gesetzgeberische Prognose der Geeignetheit als offensichtlich falsch erwiesen. Nach Darlegung der gehörten Experten, Prof. Dr. Kleiber, Prof. Dr. Peter Cohen und Prof. Dr. Uchtenhagen spielt eine Pönalisierung des Wirkstoffes Cannabis für seine Ausbreitung nicht die geringste Rolle. So führte insbesondere der Sachverständige, Prof. Dr. Cohen aus, dass die Verbreitung der Droge Cannabis in den Niederlanden, in denen ein liberaler Umgang gepflegt wird, sich letztlich als geringer darstellt als in Ländern, die eine repressive Drogenpolitik betreiben würden. So befände sich die Niederlande hinsichtlich des Cannabiskonsums nach den Ländern Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Irland und Großbritannien an siebter Stelle (vgl. Bl. 141 d. A.). Im - 4 4 - Rahmen intensiver internationaler Vergleiche könne er zur sicheren Überzeugung darlegen, dass ein strafbewertes Umgangsverbot hinsichtlich keiner Region oder keinem Mitgliedsland in der europäischen Union der Verbreitung der Droge Cannabis irgendetwas hätte entgegen setzen können. Auch Prof. Kleiber erklärte, dass keiner der von ihm im Rahmen der umfassenden Studie angehörten Cannabiskonsumenten auch nur irgendeinen Gedanken daran verschwendet habe, dass der Gebrauch der Droge und das Umgehen mit derselben strafbewert sei. Vielmehr hätten alle letztlich ein natürliches Recht zur Verwendung der Droge für sich selbst gesehen und hätten sich in keiner Weise von einer Pönalisierung abhalten lassen. \ Auch Prof. Uchtenhagen sah keine direkte Verbindung zwischen Prävalenz des Drogenkonsums und der jeweiligen nationalen Drogenpolitik. Zur Frage, inwieweit eine restriktive Drogenpolitik geeignet sei, den Cannabiskonsum zu verringern, verwies das Bundesministerium für Gesundheit auf den Jahresbericht 2001 der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle (EBDD). Auch aus diesem ergibt sich, dass die Lebenszeitprävalenz unter Schülern im Alter von 15 bis 16 Jahren nicht im Verhältnis zu der jeweiligen Drogenpolitik steht (wegen näherer Einzelheiten wird auf die Webseite der EBDD verwiesen, www.emcdda.europa.eu). Der Sachverständige Prof. Dr. Cohen erklärte insoweit auf Nachfrage des Gerichts, dass die Verbreitung des Betäubungsmittel Cannabis statt von der jeweiligen Drogenpolitik von anderen Faktoren abhängig sei. So habe er europaweit feststellen können, dass insbesondere in ländlichen Gebieten weniger Cannabis konsumiert würde. Dagegen seien regelmäßig in großstädtischen Bereichen erheblich mehr Cannabiskonsumenten feststellbar gewesen. Dies sei von Land zu Land in etwa gleich. Abhängig sei Cannabiskonsum schließlich auch von der jeweiligen Bildung der Bevölkerung. So sei insbesondere festzustellen, dass Personen mit höherem Bildungsgrad statistisch gesehen mehr Cannabis konsumieren würden als Personen mit niedrigerem Bildungsstand. Die Gutachter führten desweiteren im Einklang aus, dass alle von ihnen gesichteten Untersuchungen jedenfalls insoweit übereinstimmten, dass alle Wissenschaftler sich darüber sicher seien, dass mit einer Kriminalisierung der Cannabiskonsum nicht - 4 5 - eingeschränkt werden könne (vgl. zum Einfluss der Drogenpolitik auch Körner, Anhang Cl,RNr. 251). Vielmehr ist nach Überzeugung des Gerichts die Bestrafung des Umgangs mit Cannabisprodukten letztlich sogar kontraproduktiv. So konnte das Gericht in den vergangenen Jahren regelmäßig feststellen, dass gerade das Verbotene an der Droge Cannabis dazu geführt hat, dass junge Leute diese Droge konsumieren, insbesondere deshalb, weil sie sich anderen Jugendlichen gegenüber durch Besitz oder Konsum der Droge wie auch durch Verkaufen derselben als besonders „wichtig" darstellen können. In den jeweiligen Szenen wollen und können sie sich als Personen darstellen, die sich frei und ohne Druck nach außen geben. Dies ist die kontraproduktive Begleiterscheinung des bisherigen Cannabisverbots (vgl. Landgericht Lübeck NJW 1992, 1571, 1575). Hinzu kommt, dass Drogendealer oftmals nicht nur das Betäubungsmittel Cannabis sondern auch harte Drogen wie Ecstacy, LSD, Kokain und Heroin veräußern und damit die Jugendlichen wirklichen Gefahren ausgesetzt werden. Eine Trennung der Drogenmärkte würde insoweit besseren Schutz darstellen. Nach alledem steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kriminalisierung von Cannabisprodukten nicht geeignet ist, deren Konsum und den Verkehr mit diesen unter eine staatliche Kontrolle zu bringen. Wenn die politischen Entscheidungsträger dieses mittlerweile wissenschaftlich stabile und anerkannte Ergebnis missachten und ihre Drogenpolitik insoweit nicht ändern mag das eine Sache sein. Die Gerichte jedenfalls sind verpflichtet, die Verfassung zu achten und anzuwenden. Insbesondere die Jugendgerichte haben sich tagtäglich mit den praktischen Auswirkungen der Gesetze auseinanderzusetzen und - wie vorliegend - sodann unter Berücksichtigung sachverständiger Ausführungen zu prüfen, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seitens des Gesetzgebers noch Berücksichtigung findet (vgl. zur Geeigentheit des Mittels, Büttner, a. a. 0., S. 119, insbesondere die dort unter Bezug genommenen Stellungnahme verschiedener öffentlicher Stellen; vgl. auch Bt-Drs.: 12/934, S. 5). - 4 6 - c. Erforderlichkeit Sofern man jedoch den Eingriff in das Grundrecht noch als von einem legitimen Zweck getragen und geeignet ansieht, so ist das strafbewehrte Verbot des unerlaubten Umgangs mit Cannabisprodukten jedenfalls nicht erforderlich, um die Ziele des Gesetzes zu erreichen. Auf der Grundlage des heutigen Erkenntnisstandes ist die nach wie vor vorhandene Auffassung des Gesetzgebers, ihm stünden zur Erreichung des gesetzlichen Ziels keine gleich wirksamen und weniger eingreifenden Mittel als die Strafandrohung zur Verfügung, nicht mehr haltbar. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1994 (BVerfGE 90, 145, 183) angedeutet, dass es sein könne, dass gesicherte kriminologische und wissenschaftliche Erkenntnisse den Gesetzgeber im Rahmen einer erneuten Normenkontrolle dazu bringen könnten, die ehemals getroffene Regelung abzuändern und durch eine neue zu ersetzen. Seinerzeit ging das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass kriminalpolitisch gesicherte Erkenntnisse noch keinen solchen Festigkeitsgrad erlangt hätten (vgl. BVerfGE 90, 145 , 183). Mittlerweile liegt jedoch ein solcher Festigkeitsgrad vor. Ausgehend von dem oben Dargelegten hat die Pönalisierung die Ausbreitung des Wirkstoffes Cannabis nicht verhindert. So gehen Schätzungen dahin, dass 20 bis 30 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland Cannabis bereits probiert haben, und dass regelmäßig die Droge von bis zu 4 Millionen Menschen konsumiert wird (vgl. BVerfGE 90, 145 a. a. O.; Körner a. a. O., Anhang Cl Rdnr. 251). Trotz Kriminalisierung ist es insbesondere nicht gelungen, den Konsum von Cannabis gerade bei jungen Menschen zu unterbinden. Vielmehr dürfte der Konsum regelmäßig weiter zunehmen. Kommt mithin der Strafnorm im Spektrum der möglichen staatlichen Maßnahmen die schwerwiegendste Eingriffsintensität zu, wirkt diese jedoch nicht, so ist der Gesetzgeber aufgefordert ein letztlich milderes Mittel zur Zweckerreichung zu suchen, wenn denn noch der Konsum und Verkehr des Betäubungsmittels Cannabis eingeschränkt oder reguliert werden soll. So stehen zur Überzeugung des Gerichts weit weniger einschneidende Möglichkeiten als das strafbewehrte Verbot zur Verfügung. - 4 7 - So ist zunächst, um insbesondere Jugendliche vor den Konsum dieser Droge wie auch vor den Konsum anderer Drogen zu bewahren, eine weit stärkere und ehrlich praktizierte Präventionsarbeit in den Schulen und Ausbildungsstätten das geringere eingreifende Mittel. Würde diese im weitaus größeren Umfang als bisher durch gut ausgebildete Pädagogen und Sozialarbeiter betrieben bestände zunächst die Möglichkeit, dass Jugendliche aufgrund der dann erworbenen Kenntnisse über einen verantwortungsvollen Umgang mit der Droge Cannabis betrieben. Sie könnten sich darüber hinaus auch mit den Ursachen ihres Rauschmittelkonsums auseinandersetzen und möglicherweise ihre dahinterstehenden persönlichen Probleme erkennen und angemessen verarbeiten. In diesem Zusammenhang weist das Gericht daraufhin, dass die pauschale Pönalisierung des Umgangs mit Cannabis letztlich auch verhindert, dass der Staat seiner Verpflichtung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (vgl. Art. 6 Abs. 3 GG) im erforderlichen Umfang nachkommt. Es ist insoweit aufgrund der jugendrichterlichen Tätigkeit gerichtsbekannt, dass viele Eltern aufgrund der bestehenden Pönalisierung nicht mit ihren Kindern über die Problematik des Cannabiskonsums sprechen. Aus dem gleichen Grund reagieren auch viele Pädagogen in den Schulen nicht mit erzieherischen Maßnahmen auf die Einnahme der Droge. Die einzige präventive Arbeit, die derzeit stattfindet, ist oftmals das Erscheinen von Polizeibeamten, die den Kindern und Jugendlichen darlegen, dass der Umgang mit Cannabisprodukten strafgefährdet sei. Dies aber kann den Drogenkonsum nicht effektiv verhindern und führt in vielen Fällen gerade dazu, dass Jugendliche und bereits Kinder erst Neugierde verspüren. Eine vernünftige und nicht durch die Strafbarkeit des Cannabiskonsums behinderte Präventionsarbeit wäre zwar wesentlich kosteninsiver als derzeit. Es sei aber angemerkt, dass auf der anderen Seite auch eine erhebliche finanzielle Entlastung erfolgen könnte, wenn nach einer Entkriminalisierung des Umgangs mit Cannabis Strafverfolgungs- und Vollzugsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte, Strafvollzugsbeamte) nicht mehr mit diesem Delikt befasst wären. Wenn auch nur ein Teil der dadurch frei werdenden Ressourcen, in die Präventionsarbeit umgelenkt würde, wäre zur Überzeugung des Gerichts ein weitaus größerer Erfolg zu erzielen, so insbesondere bei Langzeitkonsumenten. - 4 8 - Dem Gesetzgeber steht ferner das wesentlich mildere Mittel des Ordnungswidrigkeitsrecht, wie auch das Mittel des Gewerberechts zur Verfügung. Er wäre desweiteren in der Lage über eine vernünftige Fiskalpolitik den Konsum des Betäubungsmittels Cannabis einzudämmen. So könnte über die Festlegung hoher Preise sehr wohl eine Verringerung des Cannabiskonsums insbesondere bei Jugendlichen erfolgen. Schließlich steht dem Staat auch die Möglichkeit der Abgabe über Apotheken zur Verfügung (vgl. insoweit Landgericht Lübeck NJW 92, 1571, 1575 , vgl. auch den Gesetzesentwurf der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 21.01.1993 BR-.Drs. 58/93; vgl. auch Büttner a. a. O. Seite 127 m. w. N.). Abgesehen davon, dass es eine Vielzahl von milderen Mitteln gibt, die den Gebrauch von Cannabis staatlich regulieren und somit möglicherweise einer weiteren Verbreitung verhindern könnten, könnte auch der Jugendschutz im Rahmen einer glaubwürdigeren Cannabispolitik vernünftig eingebaut werden. So könnte im Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (Jugendschutzgesetz) der Umgang mit dem Betäubungsmittel Cannabis unter Jugendschutzerwägungen sachgemäß geregelt werden. In diesem Rahmen stände sodann die Möglichkeit offen, die generelle Abgabe des Betäubungsmittels Cannabis an Jugendliche auch unter Strafe zu stellen. Dies analog der Abgabe von alkoholischen Getränken an Jugendliche. Auch im Rahmen des Gaststättengesetzes bzw. der Gewerbeordnung wäre ein vernünftiger Jugendschutz hinsichtlich des Cannabiskonsums praktizierbar. Mit diesen Möglichkeiten könnten die letztlich noch als verblieben zu betrachtenden Risiken im Bereich des Jugendschutzes besser, glaubwürdiger und schließlich auch verfassungsgemäß behandelt werden. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass das Mittel Strafandrohung nicht erforderlich ist. Die strafrechtliche Legalisierung nebst umfassender Präventionsarbeit als klar weniger eingreifendes Mittel zeitigt nach den Ausführungen der Sachverständigen bessere konsummindernde, schützende, d. h. Zweck annähernde bzw. erreichende Ergebnisse. Die Präventionsarbeit ist wesentlich besser in der Lage» den Gefahren des Cannabiskonsums - die nach dem oben Dargelegten ohnehin nur sehr gering sind - zu begegnen und damit das durch die Cannabispönalisierung angestrebte Ziel zu erreichen. d. Übermaßverbot - 4 9 - Sollte man dennoch die Pönalisierung des Cannabisumgangs für legitim, geeignet und erforderlich erachten, so ist sie allerdings unter heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne (Übermaßverbot). Nach Auffassung des Amtsgerichts verstoßen die zur Prüfung gestellten Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie den Umgang mit Cannabisprodukten betreffen, gegen das Übermaßverbot. Nach dem Erkenntnisstand in der Wissenschaft kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die mit dem Cannabiskonsum einhergehenden Probleme und Komplikationen wesentlich geringer ausfallen als noch 1994 seitens des Bundesverfassungsgerichts angenommen und befürchtet wurde. Es kann heute lediglich noch vertreten werden, dass bei einem äußerst geringen Anteil von jugendlichen Konsumenten Restrisiken verbleiben. Das Übermaßverbot kann dazu führen, dass ein ursprünglich geeignetes und erforderliches Mittel des Rechtsgüterschutzes nicht mehr angewandt werden darf, weil die davon ausgehenden Beeinträchtigungen der Grundrechte des oder der Betroffenen den Zuwachs an Rechtsgüterschutz deutlich überwiegen dies mit der Folge, dass der Einsatz des Schutzmittels unangemessen ist (vgl. BVerfGE 90, 145, 185). Die Frage, ob ein Eingriff in ein Grundrecht das Übermaßverbot verletzt, ist mit Hilfe einer Abwägung zu beantworten. Dabei sind einerseits die Wertigkeit des Rechtsgutes, um dessen Schutz es dem Gesetzgeber geht (hier Schutz der Volksgesundheit, der Familie, der Jugend), das Ausmaß des diesem Rechtsgut drohenden Schadens, der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie etwa bestehender Zeit- und Problemdruck für den Gesetzgeber in Rechnung zu stellen. Andererseits müssen die Schwere des Eingriffs, seine Breite sowie „Nähe des inkriminierten Verhaltens" zu dem Schaden bedacht werden. Letzteres spielt insbesondere bei Strafandrohungen^ die abstrakt - gefährliches Verhalten sanktionieren, eine erhebliche Rolle. Die Gefahrdung der geschützten Güter kann ein so geringes Maß erreichen, dass die generalpräventiven Gesichtspunkte, die eine generelle Androhung der Strafe rechtfertigen, an Gewicht verlieren. Die Strafe könnte dann im Blick auf die Freiheitsrechte des Betroffenen und unter Berücksichtigung der individuellen Schuld des Täters und der sich hieraus ergebenden spezialpräventiven kriminalpolitischen Ziele eine übermäßige und deshalb verfassungswidrige Sanktion darstellen (vgl. BVerfGE 90, 145, 185). - 5 0 - Wie oben bereits dargelegt, sind nur wenige überwiegend jugendliche Konsumenten von Haschisch und Marihuana - und auch dieses wissenschaftlich nicht einmal gesichert - durch den Konsum der diesbezüglichen Wirkstoffe gefährdet. Relevante Gefahren für die Allgemeinheit insgesamt oder auch für den Einzelnen ergeben sich nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen durch den Konsum von Cannabisprodukten nicht. Soweit Gefahren für den einzelnen, insbesondere jugendlichen Konsumenten verbleiben, sind diese Gefahren letztlich immer auch auf das geringe Alter und den Entwicklungsstand der Jugendlichen zurückzuführen. Jeder junge Mensch ist im Rahmen der gesellschaftlichen Sitten und Moralvorstellungen einer Vielzahl von Gefahren ausgeliefert. Als Beispiele seien genannt: übermäßiger Konsum von Powervideos, übermäßiger Konsum von Computerspielen, übermäßiger Konsum von Schokolade und Zucker, übermäßiger Konsum von Alkohol, Betreiben gefährlicher Sportarten, Teilnahme am Straßenverkehr und schließlich Medikamenten und Nikotinmißbrauch. Die mit dem Cannabiskonsum einhergehenden Gefahren dürften für Jugendliche letztlich nicht höher einzustufen sei, als das übermäßige Gebrauchen oder Nutzen anderer Stoffe und Produkte. Wenn dem aber so ist, so ist auch der Konsum von Cannabis letztlich ein Teil der bei jedem jungen Menschen vorhandenen allgemeinen Tendenz, in seiner Jugend Fehler zu begehen und Risiken einzugehen. Auf der anderen Seite ist die Intensität des Eingriffs in das Grundrecht der Einzelnen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeiten insgesamt sehr erheblich. Der Betroffene muss polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen sich erdulden, gegebenenfalls anschließend die gerichtliche Hauptverhandlung und danach die Vollstreckung einer in diesem Verfahren ausgesprochenen Geld- oder Freiheitsstrafe. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Beschluss vom 09.03.1994 festgestellt, dass dieser Abwägung durchaus die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zur Folge haben könne. Zieht man den heutigen Erkenntnisstand zu Rate, sieht man auf der anderen Seite noch die erheblichen Eingriffe in Freiheitsrechte von Bürgern und berücksichtigt man darüber -51 - hinaus noch, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgrund von Cannabiskonsum nicht ein einziger Todesfall herbeigeführt wurde, ist es verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt mit den Mitteln des Strafrechts eine Eindämmung des Cannabiskonsums anzugehen. 2. Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG Soweit die dem Bundesverfassungsgericht zur Beurteilung vorgelegten Strafgesetze für das Gericht die Möglichkeit der Verhängung von Freiheitsstrafen oder Jugendstrafen vorsehen, verstoßen sie weiterhin gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach die Freiheit der Person unverletzlich ist. In dieses durch das Grundgesetz als besonders hohes Rechtsgut ausgeprägte Grundrecht darf nur auf Grund des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG eingegriffen werden. Die Freiheitsbeeinträchtigung im vorliegenden Fall beginnt bereits damit, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, den Angeklagten zu einer Hauptverhandlung zu laden und für den Fall des Nichterscheines Vorführung oder gar Haftbefehl gemäß § 230 StPO zu erlassen. Abgesehen hiervon sieht das Gesetz selbst bei Verhalten, die letztlich nur den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, jedenfalls grundsätzlich auch die Möglichkeit des Freiheitsentzuges vor. Auch im Falle der Anwendung des Jugendstrafrechtes hat das Gericht die Möglichkeit, Arrest oder Jugendstrafe zu verhängen. Bereits der Wochenendarrest stellt einen Freiheitsentzug dar. Das Gericht hätte vorliegend also die Möglichkeit, dem Angeklagten kurzfristig seiner Freiheit zu entziehen und damit in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG einzugreifen Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Freiheitsentziehungen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (vgl. BVerfGE 58, 208, 224 ff.; 59, 275, 278). Wie oben bereits ausgeführt, sieht das Amtsgericht die Strafvorschriften des Betäubungsmittelrechts, soweit sie Handlungsweisen im Umgang mit Cannabis unter Strafe stellen, angesichts des - 5 2 - wissenschaftlichen Standes für nicht mehr verhältnismäßig an. Wenn sich dieses bereits im Rahmen der Prüfung einer Verfassungswidrigkeit gemäß Art. 2 Abs. l GG ergibt, dann muss dies erst recht im Bereich der Einschränkung des Rechts auf Freiheit der Person gelten. Die Gefahren für den Konsumenten, Dritte und die Allgemeinheit sind, wie oben ausgeführt, dermaßen gering, dass sie die Verhängung von freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht rechtfertigen und insoweit nicht verhältnismäßig sind. Hinsichtlich der einzelnen Aspekte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gilt das oben bei der Prüfung von Art. 2 Abs. l GG dargelegte (vgl. S. 17 ff.). 3. Verstoß gegen Art. 3 Abs. l GG - Gleichheitsgrundsatz - Im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. l GG hält das Amtsgericht weiter das Betäubungsmittelstrafrecht, soweit es Umgangsformen mit dem Betäubungsmittel Cannabis unter Strafe stellt, deswegen für verletzt, weil der Umgang mit Alkohol nicht der Kriminalisierung durch das Betäubungsmittelgesetz unterliegt und für diese Unterscheidung keine sachliche Rechtfertigung besteht. Im Rahmen der Vorlagebeschlüsse des Landgerichts Lübeck (vgl. NJW 1992, 1571 ff.) und des Landgerichts Frankfurt (Main) (vgl. Strafverteidiger 1993, S. 77, 81) wurde bereits seinerzeit umfassend dargelegt, dass im konkreten Vergleich zwischen der Droge Alkohol einerseits und der Droge Cannabis anderseits das Gefahrdungspotenzial bei Alkohol erheblich größer ist. Wegen der Darlegung im Einzelnen wird auf die Beschlüsse verwiesen. Es sei jedoch nochmals in Erinnerung gebracht, dass ca. 40 000 Todesfalle im Jahr auf Alkoholmissbrauch zurückzuführen sind. Ein Cannabistoter ist dagegen wissenschaftlich nicht bekannt. Die Risiken, die der Volksgesundheit durch Missbrauch von Alkohol entstehen, dürften heute wissenschaftlich anerkannt und insoweit auch in der Hauptverhandlung durch die gehörten Gutachter dargelegt um ein Vielfaches höher sein, als die Risiken, die mit dem Cannabisgebrauch einhergehen (vgl. auch zu den Risiken von Alkohol und Nikotin Schmidtbauer / vom Scheidt, Handbuch -53 - der Rauschdrogen). Trotz der seinerzeit bekannten erheblichen Risiken bei Alkohol hielt das Bundesverfassungsgericht gleichwohl den Gleichheitsgrundsatz für nicht verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hielt damals die unterschiedliche Behandlung von Cannabisprodukten und Alkohol für gerechtfertigt, weil sich der Konsum von Alkohol dadurch von dem Konsum von Cannabis unterscheide, dass er in der Regel und im Rahmen einer Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten erfolge (vgl. BVerfGE 90, 145, 197). So könne man alkoholhaltige Substanzen als Lebens- und Genussmittel einsetzen, in Form von Wein würden sie auch im religiösen Bereich verwandt. Insbesondere sei der Konsum von Alkohol nicht rauschorientiert; so dominiere eine Verwendung des Alkohols dahingehend, dass dieser nicht zu Rauschzuständen verwandt würde. Dagegen - so das Bundesverfassungsgericht 1994 - stehe beim Konsum von Cannabisprodukten typischerweise die Erzielung einer berauschenden Wirkung im Vordergrund (vgl. BVerfGE 90, 145, 197). Schließlich sei die unterschiedliche Behandlung von Alkohol und Cannabis deswegen gerechtfertigt, weil es sich letztlich, so sinngemäß, bei Alkohol um eine europäische Kulturdroge handle, die sich insoweit von dem Rauschmittel Cannabis unterscheide. Dabei ging das Bundesverfassungsgericht unter Berücksichtigung des damaligen Erkenntnisstandes noch davon aus, dass es sich bei den von ihm im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes geprüften Drogen um „potenziell gleichschädliche Drogen" handele. Dies kann heute nicht mehr vertreten werden. Unter Berücksichtigung der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse kann heute nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Betäubungsmitteln Alkohol und Cannabis um potenziell gleich schädliche Drogen handelt. Bei Beachtung der- wissenschaftlich noch haltbaren Risiken hinsichtlich des Cannabiskonsums (Vgl. oben) und den als allgemeinkundig zu betrachteten Risiken beim Alkoholmissbrauch kann die These der „potenziell gleich schädlichen Drogen" nicht mehr gehalten werden. Insoweit ist auch auf die Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit einzugehen. Hier verweist das Bundesministerium für Gesundheit zu einer möglichen Reihenfolge im Hinblick auf die Risiken einzelner Suchtstoffe auf eine Studie aus dem Jahre 1996, wonach Cannabis als weniger gefährlich eingestuft wird als beispielsweise Alkohol und Ecstasy (vgl., Farenkrug, H. und G. Mel. G. 1996 „Nach Heroin und Kokain gleich Alkohol und Nikotin" Abhängigkeit, 2 (l, 43 - 46)). Farenkrug und Mel kommen zu der -54- Auffassung, dass Alkohol wesentlich gefährlicher ist. Auch eine durch die Weltgesundheitsorganisation eingeholte weitere Expertise, (die allerdings trotz Ankündigung durch die WHO nicht in den Cannabisbericht 1997 aufgenommen wurde), kommt zu dem Ergebnis, dass Cannabis im Verhältnis zum Alkohol die wesentlich mildere Droge sei. Da darüber hinaus heute selbst eine andere Einschätzung des Bundesministeriums für Gesundheit vorliegt, konnte auch das Amtsgericht Bernau zur sicheren Überzeugung gelangen, dass das Betäubungsmittel Alkohol um ein vielfaches gefährlicher ist als die Droge Cannabis. Wenn dem so ist, gibt es keinerlei Gründe für die unterschiedliche Behandlung mehr. So kann zunächst einmal nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Kleiber und Prof. Cohen das Rauschmittel Cannabis in allen denkbaren unterschiedlichen Dosierungen angewandt werden. Es kann medizinisch sowie zu religiösen Zwecken gebraucht werden. Es kann zum Zwecke des Vollrausches wie auch zum Zwecke des nur geringen Rausches verwandt werden. Da aber nicht jederzeit mit dem Konsum von Cannabis ein überzogener Rausch herbeigeführt werden muss, sieht das Amtsgericht keinerlei Unterschiede im Verhältnis zu der Anwendung von Alkohol. Auch der kleine Schnaps oder das kleine Bier ist wie der Zug an einer Marihuanazigarette nicht mit einem absoluten Berauschen verbunden. Insoweit ist bei beiden Drogen regelmäßig die Dosierung und die Art der jeweiligen Cannabisstoffe von entscheidender Bedeutung. So stimulieren unterschiedliche Marihuanaarten teilweise härter und teilweise schwächer; dies entsprechend den unterschiedlichen Alkoholika. (vgl. zum Ganzen Schmidtbauer / vom Scheidt, Handbuch der Rauschdrogen, S. 78 ff.) In der Wissenschaft ist es desweiteren heute unbestritten, dass der Wirkstoff Cannabis in vielfältiger Hinsicht in der Medizin sinnvolle Anwendungsgebiete findet. So kann Cannabis insbesondere bei Krebs- und Aidspatienten den schnellen körperlichen Verfall mindestens herauszögern, um nur ein Anwendungsgebiet aufzuzeigen (vgl. zur medizinischen Anwendungsmöglichkeit Kleiber/Kovar, wie oben zitiert S. 31 bis 33). In diesem Zusammenhang soll angemerkt werden, dass aufgrund der Cannabiskriminalisierung totkranke Menschen den für sie hinsichtlich ihrer jeweiligen Krankheiten milderungbringenden Cannabiswirkstoff illegal besorgen müssen und insoweit durch die Gesellschaft insbesondere in ihrer Menschenwürde verletzt werden. Gerade diese Menschen werden aufgrund der gegenwärtig bestehenden -55 - Cannabisprohibition ohne nachvollziehbaren Grund nicht mit den Schutz versehen, der ihnen aus Art. l S. l GG gebührt. Auch dürfte mittlerweile allgemeinkundig sein, dass die Hanfpflanze in vielfältiger Hinsicht landwirtschaftlich genutzt werden kann und als Grundstoff für unzählige Gebrauchsgegenstände dient (vgl. Schmidtbauer/vom Scheidt, S. 78 ff.). Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss aus dem Jahren 1994 letztlich damit argumentierte, dass die Konsumgewohnheiten in Deutschland und den gesamten europäischen Kulturkreis eine effektive Unterbindung von Alkohol unmöglich mache, dies für die „kulturfremde Droge Cannabis" jedoch nicht gelte, kann dies jedenfalls heute nicht mehr so gelten (so auch Büttner, a. a. O, 167 ff., 172). Denn angesichts von bis zu 4 Millionen oder nach anderen Statistiken sogar bis zu 10 Millionen Cannabiskonsumenten in der Bundesrepublik Deutschland sowie bald 30 % der Bevölkerung, die die Droge probierten, kann sicherlich von einer kulturfremden Droge heutzutage nicht mehr gesprochen werden. Vielmehr ist Cannabis im Verhältnis zu früheren Jahren eine heute in der Gesellschaft dermaßen weit verbreitete Droge, dass von einer auch im hiesigen Kulturkreis benutzten Alltagsdroge gesprochen werden muss (vgl. Körner, BtmG, 5. Auflage, Anhang C l Rdnr. 251). Hierbei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die „Kulturfremdheit" des Betäubungsmittel Cannabis letztlich erst durch die einschlägigen Strafvorschriften Anfang des 20. Jahrhunderts herbeigeführt wurde. So war das Betäubungsmittel Cannabis bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein in Mittel- und Westeuropa in Apotheken erhältlich und wurde in den letzten europäischen Ländern erst 1920 verboten (vgl. Schmidtbauer/vom Scheidt, a. a. O., S. 89). Noch bis zu Beginn der 20er Jahre erhielten zahlreiche Zigarettenmarken auch in Deutschland bis zu 9 % Cannabis (vgl. Körner a* a. O. Anhang, C l Rdnr. 231). Auch wurde das Betäubungsmittel Cannabis - Marihuana ~ noch bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts regelmäßig unter der Bezeichnung „Knaster" - Harter Tobak - von Landwirten in ganz Deutschland und Europa geraucht. Die Bauern stopften sich Hanfblätter in ihre Pfeifen (vgl. Hans-Georg Behr, Von Hanf ist die Rede, Basel 1982, S. 10; Brockhaus zum Stichwort Knaster). Behr schrieb: „Manchmal gibt das originelle Situationen. Eine, auch schon wieder ein gutes Dutzend Jahre her, ergab sich an einem sonnigen Sonntagnachmittag im Dorfwirtshaus von -56- Thalshausen in Bayern. Am langen Stammtisch sassen traditionsgemäss die Bauern, schwarze Sonntagsanzüge, zur politischen Philosophie passend, und Gesichter wie ihre Landschaft. In einer Ecke sass ein Häufchen naturtrunkener Hippies auf der Durchreise, unbayrisch bunt und provozierend langhaarig. Das Gesprächtsthema war gegeben, und ich sass, wie so häufig, dazwischen. „Und a Haschisch rauchen die sicherlich aa no", knurrte der klobigste Bayer, und dann zu mir: „Wos is denn dös ieberhaupt fier a Zeug?" „Hanf, sagte ich vorsichtig. Die Bauerngesichter wurden ungläubig lang. „A Haunf is dös?" glotzte der Bürgermeister. „Oba dös hamma jo sölber graucht alsa Junger." Es stellte sich heraus: Damals war Hanfbau in Bayern noch üblich, und die ganz Alten stopften sich Blättchen als Tabakersatz in die Pfeife. Die nun als Alte dasitzenden Jungen taten's ihnen heimlich nach. „Kraut" hieß die Sache, und der Name hat sich als Gattungsbezeichnung für billigsten Tabak erhalten. „Und dös soll a Rauschgift sein?" staunte der Obmann der Freiwilligen Feuerwehr. „Nun ja", fragte ich, „haben Sie damals nichts gespürt?" „Joo - rauschig is ma halt a wengerl worden. Deswegen hammers jo aa geraucht." Und der Dorfgendarm, der als Grund- und Bodenloser natürlich nicht am Bauernstammtisch sitzen durfte und außerdem noch nach dem Krieg aus Thüringen zuwandert war, erzählte, dass in seiner Heimat das Zeug Knaster geheißen hatte, und dass es im übrigen genauso war. Damit hatte die schwarze Tafelrunde ein neues Thema gefunden, erging sich in aufgewärmten Jugendstreichen, und die Hippies blieben ungeschoren." Im Ergebnis ist also festzustellen, dass Cannabis - gewonnen aus Hanf - eine auch europäische Kulturdroge war und ist. Bezieht man schließlich in die Betrachtung noch mit ein, dass bei Rohheitsdelikten in ca. 50 % aller Fälle Alkohol im Spiel ist, während bei Cannabisprodukten, auf Grund der beruhigenden Wirkung, die ihnen zugeschrieben werden, dies nicht der Fall ist, gibt es nicht mehr nur einen einzigen Grund für die unterschiedliche Behandlung dieser Drogen. Dies muss jedenfalls in einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft wie der -57- Bundesrepublik Deutschland gelten, die gerade die härtesten Eingriffe, die der Staat durchführt - Strafverfolgung seiner Bürger - nicht mehr nur aufgrund von wissenschaftlich nicht mehr haltbaren Erkenntnissen vornehmen darf. Die Minderheit der Cannabiskonsumenten in der Bundesrepublik Deutschland dürfte nach Auffassung des Amtsgerichts Bernau zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Gruppe darstellen, die ohne sachlichen Grund strafrechtlich am meisten in Mitleidenschaft gezogen wird. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland will gerade den Minderheiten Schutz durch Art. 3 GG im besonderen Maße gewährleisten. Der Staat jedenfalls ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt seiner Aufgabe, auch diese Minderheit zu schützen, nicht gerecht geworden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass auch Kaffee- und Nikotinkonsum in deutschen Landen vor nicht allzu langer Zeit pönalisiert und bisweilen sogar mit der Todesstrafe sanktioniert wurden (vgl. Schneider, Betrifft Justiz 2001, S. 37,38). Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass zumindest im Straßenverkehrsrecht, insbesondere im Bereich der §§ 315 c StGB wie auch im Rahmen des § 316 StGB die akute Beeinflussung durch das Betäubungsmittel Cannabis einerseits und Betäubungsmittel Alkohol andererseits rechtlich und tatsächlich gleich behandelt wird. Insoweit hat das Amtsgericht Bernau in den vergangenen Jahren diversen Personen die Fahrerlaubnis entzogen, die unter akutem Einfluss von Cannabis standen und hierdurch fahruntüchtig waren. Hier wird jedenfalls die Droge Alkohol mit der Droge Cannabis gleichgestellt. Dies ist nach Auffassung des Amtsgerichts Bernau allerdings in sämtlichen Lebensbereichen geboten. Unter Berücksichtigung der feststehenden Tatsache, dass das Betäubungsmittel Cannabis - wissenschaftlich belegt - diejenige Droge ist, von der gesamtgesellschaftlich. gesehen die geringsten Risiken ausgehen, verbietet sich insoweit eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu der Droge Alkohol. Soweit man dem noch entgegenhalten möchte, dass es keine Gleichbehandlung in Unrecht gäbe, so vermag auch dieses Argument nicht zu überzeugen. Es stellt sicherlich kein Unrecht dar, den Umgang mit Alkohol nicht unter Strafe zu stellen. Ist dem aber so, dann handelt es sich um Gleichbehandlung im Recht und nicht im Unrecht. Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die gegenwärtigen Regelungen des -58- Betäubungsmittelgesetzes hinsichtlich des Umganges mit dem Betäubungsmittel Cannabis mangels Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung mit dem Betäubungsmittel Alkohol gegen Art. 3 Abs. l GG verstoßen. B. Verfassungswidrigkeit des § 29 Abs. l Satz l Nr. l und 3 BtmG i. V. m. der Anlage l zu § l BtmG. Sofern man jedoch nach wie vor geringe Risiken für die Volksgesundheit und für den Jugendschutz bejahen sollte, diese jedenfalls nicht ausschließen kann und insoweit die Beweislast zu Lasten der Freiheitsrechte verteilt und mithin nicht alle Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes hinsichtlich des Umgangs mit dem Betäubungsmittel Cannabis für verfassungswidrig erachtet, verstoßen jedenfalls die Regelungen, deren Überprüfung hilfsweise dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt werden in vielerlei Hinsicht gegen Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 09.03.1994 diese Regelungen deshalb nicht für verfassungswidrig erklärt, weil der Gesetzgeber es den Strafverfolgungsbehörden ermögliche, durch das Absehen von Strafverfolgung gemäß §§ 153, 153 a StPO, 31 a BtmG oder durch das Absehen von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG einen geringen individuellen Unrecht - und Schuldgehalt der Tat Rechnung zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht führte jedoch weiter aus, dass von der Verfolgung der bezeichneten Straftaten regelmäßig abzusehen sei und mahnte zugleich eine einheitliche Regelung auf der gesamten Bundesebene an (vgl. BVerfGE 90, 145, 190/191). Acht Jahre nach Ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts und unter Berücksichtigung der oben dargelegten neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen ist das Amtsgericht Bernau zu der festen Überzeugung gelangt, dass die damals durch das Bundesverfassungsgericht gewählte sogenannte prozessuale Lösung verfassungswidrige Eingriffe in die Rechte von Bürgern nicht zu verhindern mochte (vgl. insoweit BVerfGE 90, 145, abweichende Ansicht Sommer S. 212 ff.). So zeigt bereits der hier - 5 9 - dem Bundesverfassungsgericht vorgelegte Fall, dass nach wie vor trotz der Einstellungsmöglichkeiten durch die Staatsanwaltschaft gegen das Übermaßverbot verstoßen wird. Abgesehen davon dürfte - insoweit gerichtsbekannt - in tagtäglicher Praxis in vielen tausenden von Fällen in den vergangenen Jahren gegen das Übermaßverbot verstoßen worden sein. Denn entgegen der im' Beschluss vom 09.03.1994 letztlich sinngemäß zum Ausdruck gekommenen Ansicht beginnt das Strafverfahren bereits mit der Kenntnis der Ermittlungsbehörden von der Tat, mithin mit der Kenntnis, dass ein Bürger auch nur ganz geringfügig gegen die Vorschrift des § 29 Abs. l Nr. l oder 3 verstoßen hat. Bereits zu diesem Zeitpunkt beginnt das für den Bürger mit Eingriffen in seine Grundrechte verbundene Strafverfahren. Er hat sich zunächst einer polizeilichen Überprüfung zu unterziehen, die in jedem Fall mit einer Beschuldigtenvernehmung und gegebenenfalls auch mit seiner vorläufigen Festnahme verbunden ist. Im Rahmen der Strafprozessordnung besteht sodann die Möglichkeit, erkennungsdienstliche Maßnahmen bzw. auch Hausdurchsuchungen seitens der Ermittlungsbehörden durchzuführen. Nachdem diese Maßnahmen getroffen und mithin bereits diverse Eingriffe in die Grundrechte der Bürger erfolgt sind, ist die Staatsanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip gemäß § 152 Abs. 2 StPO zunächst einmal verpflichtet einzuschreiten. In Durchbrechung des Legalitätsprinzips kann sie nach dem so genannten Opportunitätsprinzip sodann hinsichtlich des Umgangs mit geringer Mengen Cannabis gemäß § 31 a Abs. l BtmG von der Verfolgung absehen. Macht sie dieses nicht, hat sie noch die Möglichkeit gegebenenfalls mit Zustimmung des Gericht gemäß den §§ 153, 153 a StPO von der Verfolgung abzusehen. Wendet sie § 153 a StPO an, so ist auch damit bereits ein Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten verbunden. Denn Auflagen, die ihm gemäß dieser Vorschrift auferlegt werden können, haben zwar keinen Strafcharakter, sind jedoch immer noch als besondere nichtstrafrechtliche Sanktion „zu kennzeichnen" (vgl. Kleinknecht/Meyer - Gossner, StPO Kommentar, 44. Aufl., 1999, § 153 a, Rdnr. 12). Erhebt die Staatsanwaltschaft sodann noch - unter Verletzung des Übermaßverbotes - Anklage oder beantragt den Erlass eines Strafbefehls wie im vorliegenden Verfahren, so hat sich der Bürger bereits einem gerichtlichen Verfahren zu unterziehen. Er hat den Ladungen des Gerichts Folge zu leisten und kann gegebenenfalls mittels Zwang zu einer Hauptverhandlung zugeführt werden, so mit den Mitteln des Vorführungsbefehls oder -60- dem Erlass eines Haftbefehls. Erst hiernach kommt es zur Hauptverhandlung und der Angeklagte, der mittlerweile einer vielfältigen Eingriffsserie in seine Grundrechte unterzogen wurde, kann darlegen, dass das gesamte Verhalten der Staatsanwaltschaft gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verstoße. Im Falle, dass das Gericht sodann gleichfalls von einer Verletzung des Übermaßverbotes ausgeht und gem. § 25 Abs. 5 BtmG die Schuld des Angeklagten feststellt und von Strafe absieht, hat es diesen weiter mit der Kostenfolge des § 465 Abs. l Satz 2 zu belegen. Auch dies stellt eine sanktionsähnliche und mit einem in das Grundrecht der jeweiligen Bürger versehenen Eingriff dar. Schließlich wird hinsichtlich aller zuvor beschriebener Verfahrensbeendigungen gem. § 474 ff. StPO die Eintragung in das länderübergreifende staatsanwaltliche Verfahrensregister veranlasst, womit der Bürger zumindestens intern weiterhin mit einem Strafverfahrensmakel belastet wird. Im Rahmen der Vorgehensweise gegen Bagatellkonsumenten soll schließlich noch darauf hingewiesen werden, dass insoweit gegen die in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Rechtswegsgarantie verstoßen wird. Gemäß Art. 19 Abs. 4 GG steht jedem Bürger, der Rechtsweg offen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Wenn sich - wie bei Strafverfolgungen wegen einer nur als gering zu bezeichneten Menge Cannabis - die Staatsanwaltschaft unter Verstoß gegen das Übermaßverbot weigert, ein Ermittlungsverfahren einzustellen, hat der Beschuldigte keinerlei Möglichkeit, hiergegen vorzugehen (vgl. auch BVerfGE 90, 145, 225, Sondervotum Sommer; Büttner a. a. O., S. 148 ). Erst nach Anklageerhebung kann er verlangen, dass das Gericht zumindestens von Strafe absieht, wie es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 zu erfolgen hat. Allerdings bewahrt ihn auch dies letztendlich nicht vor einer Verletzung seiner Grundrechte, da diese - wie dargelegt - bereits erfolgt ist und durch eine Entscheidung gem. § 29 Abs. 5 BtmG weiter erfolgt. Unter genauer Betrachtung des zuvor dargelegten Geschehens hat der Staat durch seine vielfältigen Eingriffe in die Rechte des von Amts wegen zu verfolgenden Bagatellkonsumenten eingriffen und nach Ansicht des Amtsgerichts Bernau regelmäßig deren verfassungsrechtlich verankerte Grundrechte außer Acht gelassen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass -61 - die Regelungen des § 29 Abs. l Nr. l und 3 BtmG, soweit sie zur Entscheidung vorgelegt wurden gegen folgende Grundrechte und verfassungsrechtliche Regelungen verstoßen: 1. Verstoß gegen Art. 2 Abs. l GG Unter Berücksichtigung des sich aus der Hauptverhandlung ergebenen Erkenntnisstandes des Gericht werden die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie Verhaltensweise mit Strafe bedrohen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, von keinem legitimen Zweck mehr getragen. Da die Strafverfolgung bereits mit der Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden von der Tat beginnt und Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger bedingen, müssen die zur Prüfung gestellten Strafvorschriften daher bereits mangels Vorliegen eines legitimen Zwecks als verfassungswidrig bezeichnet werden. Sie sind darüber hinaus nicht geeignet und auch nicht erforderlich (vgl. insoweit oben zu A. 1.). Soweit das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 die Strafvorschriften letztlich dennoch als verhältnismäßig im engeren Sinne betrachtet und das Übermaßverbot nicht verletzt gesehen hat, vermag dies möglicherweise 1994 noch eine Berechtigung gehabt haben, nicht jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Denn wenn die Gefährdung der geschützten Güter ein so geringes Maß erreicht, dass die generalpräventiven Gesichtspunkte, die eine generelle Androhung der Strafe rechtfertigen, an Gewicht verlieren, kann eine grundsätzlich angedrohte Strafe im Blick auf die Freiheitsrechte des Betroffenen und unter Berücksichtigung der individuellen Schuld des Täters eine verfassungswidrige Sanktion darstellen. Danach ist mit Blick auf die Strafandrohung gegen den Umgang mit geringen Mengen von Cannabisprodukten zum Zwecke des Eigenkonsums festzuhalten, dass Gefahren letztlich nur entstehen, wenn der Konsument nicht nur gelegentlich Haschisch und Marihuana zu sich nimmt sondern erst bei übermäßigen, in kurzen Abstand stattfindenden Gebrauch und auch hier nicht einmal wissenschaftlich gesichert. Weitere Gefahren für die Allgemeinheit oder auch für den Einzelnen ergeben sich nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen durch den Konsum von Cannabisprodukten nicht. - 6 2 - Dagegen ist die Intensität des Eingriffs in das Grundrecht des Art. 2 Abs. l insgesamt, jedenfalls solange lediglich der Umgang mit geringen Mengen von Cannabisprodukten verfolgt wird, sehr erheblich. Wie oben dargelegt, muss der Betroffene sich ein polizeiliches und ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen sich erdulden; gegebenenfalls anschließend die gerichtliche Hauptverhandlung und danach die Vollstreckung einer in diesem Verfahren ausgesprochenen Geld- oder Freiheitsstrafe oder auch eine Auflage nach § 153 a StPO. Bereits 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Abwägung zwischen dem Eingriff in die Grundrechte und dem Schutz von Rechtsgütern hinsichtlich des Umgangs mit geringen Mengen Cannabis die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der diesbezüglichen Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zur Folge haben könne (vgl. BVerfGE 90, 145, 185). Insoweit führte das Gericht seinerzeit aus, dass gerade in den Fällen, in denen die Cannabisprodukte lediglich in geringen Mengen zum gelegentlichen Eigenverbrauch erworben und besessen würden das von der Tat ausgehende Maß der Rechtsgütergefährdung und individuellen „Schuld" sehr gering sein könne. Insgesamt sei der individuelle Beitrag der Kleinkonsumenten zur Verwirklichung der Gefahren, vor denen das Verbot des Umgangs mit Cannabisprodukten schützen solle, gering. Dem Übermaßverbot sollte durch verfahrensbeendende Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft bzw. durch das Absehen von Strafe nach § 29 Abs. 5 BtmG letztlich Genüge getan werden. Abgesehen davon, dass das Übermaßverbot regelmäßig - wie der vorliegende Fall zeigt - verletzt wird, führt eine sachgemäße Abwägung heutzutage dazu, dass mittels der Ermessensentscheidungen bei Staatsanwaltschaft und Gericht die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Prinzipien nicht herbeigeführt werden kann. Insoweit verstoßen die zur Überprüfung gestellten Strafvorschriften gegen das Übermaß verbot und verletzten damit Art. 2 Abs. l S. l GG. 2. Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG Wie oben bereits ausgeführt, ist gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person unverletzlich. In dieses Freiheitsrecht darf nur auf Grund des Gesetzesvorbehalts des -63 - Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG eingegriffen werden. Im vorliegenden Fall hatte sich der Angeklagte bereits mehrerer Freiheitsbeeinträchtigungen zu unterziehen. Er könnte - sofern das Gericht diesbezügliche Anträge positiv bescheiden würde - mittels des Erlasses eines Vorführungsbefehls oder gar Haftbefehls weiter in seiner Freiheit beeinträchtigt werden. Das Gericht wäre in der Lage Arrest oder Geldstrafe zu verhängen. Letztere wäre für den Fall der Nichtbezahlung mit Ersatzfreiheitsstrafe verbunden. Wie oben bereits ausgeführt sind Freiheitsentziehungen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Soweit Handlungsweisen im Umgang mit Cannabis unter Strafe gestellt werden, die lediglich dem Eigenkonsum dienen, stellt sich dieses angesichts des wissenschaftlichen Standes als nicht mehr verhältnismäßig dar. Die Gefahren für Dritte oder für die Allgemeinheit sind bei geringen Mengen Cannabis zum Eigenverbrauch dermaßen gering, dass sie die Androhung oder schließliche Verhängung von freiheitsentziehenden Maßnahmen in keinem Fall mehr rechtfertigen. Dem Gesetzgeber dürfte es mittlerweile verwehrt sein, den Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit zu geben, Konsumenten von Cannabis mit Freiheitsentzug zu belegen. Es ist nicht verfassungsgemäß, dass es im Ermessen der unterschiedlichsten subjektiven Wertungen verschiedener Staatsanwälte und Richter steht, ob jemand einer Freiheitsentziehenden Maßnahme zugeführt wird oder nicht. Wenn dies aber der Fall ist, dann verstoßen die zur Überprüfung gestellten Strafvorschriften gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. 3. Verstoß gegen Art. 3 Abs. l GG im Bezug auf die Rechtsahnwendungspraxis des § 31 a BtmG Die derzeitige strafrechtliche Verfolgungspraxis bezüglich Cannabiskonsumenten und deren Verhaltensweisen verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. l GG. -64- a. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 09.03.1994 verstoßen die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes soweit sie Verhaltensweisen unter Strafe stellen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabis vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefahrdung verbunden sind, deshalb nicht gegen das Übermaßverbot, weil der Gesetzgeber es den Verfolgungsorganen ermögliche, durch das Absehen von Strafe oder Strafverfolgung einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat Rechnung zutragen. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete insoweit die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31 a BtmG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzusehen (vgl. BVerfGE 145, 146 Nr. 3 d. Leitsatzes). In seiner Begründung hat das Bundesverfassungsgericht es als bedenklich angesehen, wenn es bei einer bis 1994 vom Bundesverfassungsgericht festgestellten unterschiedlichen Einstellungspraxis in den verschiedenen Bundesländern bliebe (vgl. BVergGE 90, 145, 190). Als zentrale Differenzpunkte wurden dabei die Bestimmungen zur geringen Menge und die rechtliche Behandlung von Wiederholungstätern genannt (vgl. BVerfGE 90, 145, 190). Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete insoweit die Länder, für eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen. Eine solche im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis sei nicht gewährleistet, sofern „die Behörden in den Ländern durch allgemeine Weisungen die Verfolgung bestimmter Verhaltensweisen nach abstrakt - generellen Merkmalen wesentlich unterschiedlich vorschrieben oder unterbänden" (BVerfGE 90, 145, 191). Das Bundesverfassungsgericht hat mithin 1994 deutlich gemacht, das im Bereich der Strafverfolgung und speziell auch bei der verfassungsrechtlich gebotenen Anwendung der diversen Einstellungsvorschriften aufgrund des Übermaßverbotes im Bereich der mit dem Umgang mit Cannabisprodukten aufgeführten Strafvorschriften eine einheitliche Rechtsanwendungspraxis geboten sei. b. Gegenwärtige Praxis Entgegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes verliefen die Bemühungen der Länder, zu bundeseinheitlichen Richtlinien zu gelangen, bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfolglos (vgl. Aulinger, NStZ 1999, 111, 113). Vielmehr gaben sich die - 6 5 - Bundesländer die unterschiedlichsten Richtlinien (vgl. oben S. 11). Vergleicht man diese Richtlinien, so offenbart sich bereits bei einer ersten Sichtung ein erheblicher Auffassungsunterschied bei der Bestimmung der geringen Mengen von Cannabisprodukten. Desweiteren zeigen die Richtlinien bereits eine unterschiedliche Behandlung von Wiederholungstätern einerseits und auch eine unterschiedliche Behandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden andererseits (vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz zu § 31 a Rdnr. 28; Aulinger, NStZ 1999, 111, 112; s. auch oben S. 11). In der Folge der unterschiedlichen Grenzbestimmungen durch die Länder behandeln die Staatsanwaltschaften der jeweiligen Bundesländer Konsumenten von Cannabisprodukten unterschiedlich. Während es in einem Bundesland zur Anklage und in der Folge in aller Regel auch zu einer Verurteilung kommt, wird in einem anderen Bundesland eingestellt. So zeigt bereits das zur Entscheidung vorgelegte Verfahren exemplarisch, die unterschiedliche Behandlung aufgrund unterschiedlicher Richtlinien ( s. o. S. 12). Abgesehen hiervon lassen die in den Ländern bestehenden Richtlinien seit Jahren die unterschiedliche Behandlung von Cannabiskonsumenten im Bereich der gesamten strafrechtlichen Verfolgungspraxis zu. So finden sich nicht nur auf Länderebene regionale Unterschiede in der Einstellungspraxis, sondern darüber hinaus auch auf der Ebene der einzelnen Staatsanwaltschaften in den Ländern. Es sind zum Teil stark abweichende Sanktionenstile innerhalb eines Bundeslandes bei der Behandlung von Drogenfällen festzustellen (vgl. Aulinger, Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten, S. 189). Gerichtsbekannt ist insoweit, dass jedenfalls bis zur Entscheidung im vorliegenden Verfahren selbst bei den Staatsanwaltschaften im Land Brandenburg die Richtlinie unterschiedlich interpretiert wurde. Soweit die zuvor zitierte Studie der kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden im Ergebnis ergab, dass eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis bei Cannabisfallen bis zu 10 g vorliegt (vgl. Aulinger, NStZ 1999, 111, 114), heißt dies nicht, dass nicht dennoch stark unterschiedliche Einstellungspraxen von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft und von Gericht zu Gericht bestehen. Denn die Richtlinien lassen es zumindestens offen, dass auch bei nur geringen Mengen bisweilen angeklagt wird, wie der vorliegende Fall zeigt. Die durch das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene Studie enthält ferner keine Daten darüber, in wievielen Fällen im Bereich von bis zu 6 g oder bis zu 10 g gegen das bestehende Übermaßverbot verstoßen und konkret verurteilt wurde. Dies wäre allerdings entscheidend für die Frage, ob aufgrund der durch die -66- Bundesländer nicht erfolgten Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes weiterhin im Bereich des Bagatellkonsums regelmäßig gegen das verfassungsmäßige Übermaßverbot verstoßen wird. Insoweit dürfte bereits jeder Einzelfall - wie auch der vorliegende - zeigen, dass die gegenwärtige Rechtslage jedenfalls die Möglichkeit beinhaltet einzelne Bürger unterschiedlich zu behandeln. Dies und nicht die etwa Annahme einer im wesentlichen gleichen Rechtsanwendungspraxis dürfte entscheidend sein. Zur Verdeutlichung möge sich das Bundesverfassungsgericht folgenden Fall vor Augen führen: Sieben 20-Jährige treffen sich in Berlin zu einem bundesweiten Schachturnier. Sie freunden sich hier an und kaufen jeweils zum eigenen Bedarf von einem unbekannten Dritten folgende Mengen an Cannabis: der Schleswig-Holsteiner 25 g, der Niedersachse 6 g, der Rheinland-Pfalzer 10 g, der Bayer 3 g, der Baden-Württemberger 7 g, der aus Nordrhein-Westfalen kommende 8 g und der Brandenburger 2 g. Nach Ende des Schachturniers kommt es aufgrund eines Hinweises zu einer Hausdurchsuchung im Hotel der Heranwachsenden. Alle werden mit den genannten Mengen erwischt und lassen sich noch bei der Polizei geständig ein. Die Akte wird dem zuständigen Berliner Staatsanwalt nach Abschluss der Ermittlungen vorgelegt. Dieser verfügt gem. §§ 108 Abs. l, 42 Abs. 3 JGG die Trennung des Verfahrens in 7 selbstständige Verfahren und übersendet die Akten an die jeweiligen Staatsanwaltschaften der 7 Länder. Nach einem Jahr treffen sich die Heranwachsenden erneut in Berlin und berichten von ihren Erfahrungen mit den jeweiligen Strafverfolgungsbehörden ihrer Heimatbundesländer. Die Heranwachsenden aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz berichten, dass ihre Verfahren eingestellt worden seien. Die Heranwachsenden aus Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg dagegen erklären, dass sie sich - obwohl ihre Mengen zum Teil wesentlich geringer waren - einem umfassenden Strafverfahren hätten unterziehen müssen. Zwei berichten von Verurteilungen, einer von einer Einstellung gegen Geldauflage in der Hauptverhandlung. Der aus Nordrhein-Westfalen erklärt schließlich, dass er in seinem Bundesland Pech gehabt habe und ein Staatsanwalt entgegen der Richtlinien auch bei ihm Anklage erhoben habe und er schließlich mit einer recht hohen Geldstrafe abgeurteilt worden sei. Die Heranwachsenden aus Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg erklären schließlich, dass ihre Heimatstaatsanwaltschaften Hausdurchsuchungsbefehle erlangt und ihre Wohnungen haben durchsuchen lassen. In - 6 7 - Folge hätten die Nachbarn monatelang nicht mit ihnen gesprochen (vgl. zu der Intensität polizeilicher Ermittlungsarbeiten bei Drogendelikten im Bagatellbereich Aulinger, Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit, a. a. O., S. 250, signifikant ist insoweit, dass es in Bayern bald in 40 % aller Fälle zu Hausdurchsuchungen kommt, während in anderen dort aufgelisteten Ländern lediglich in bis zu 10 % der Fälle eine solche Ermittlungsmaßnahme durchgeführt wird). Das zuvor gewählte Beispiel, das sich so tagtäglich in der Bundesrepublik Deutschland ereignen kann, soll plastisch aufzeigen, dass es eine uneinheitliche Rechtsanwendungspraxis gibt. Hierbei ist nicht entscheidend, dass in vielen Fällen sicherlich hinsichtlich der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehandelt wird, sondern dass in vielen Fällen unter Missachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der nichteinheitlichen Richtlinien gegen den Gleichheitsgrundsatz gerichtsbekannt verstoßen wird bzw. verstoßen werden kann. c. Formelle Prüfung des Gleichheitsgrundsatzes Abgesehen hiervon verstößt die bestehende Praxis nach Auffassung des Amtsgerichts auch bei formeller Prüfung gegen Art. 3 Abs. l GG. aa. Verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gleichheitssatzes Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. l GG verlangt zum einem eine Rechtsanwendungsgleichheit (Gleichheit vor dem Gesetz) und zum anderen eine Rechtsetzungsgleichheit (Gleichheit des Gesetzes). Das Bundesverfassungsgericht hat diese verfassungsrechtliche Gebote regelmäßig dahingehend konkretisiert, dass der Gleichheitssatz es dem Gesetzgeber verbiete, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln (BVerfGE l, 14, 16; 49, 148, 195). Dabei soll nicht jede Ungleichbehandlung den Gleichheitssatz verletzten. So soll es grundsätzlich dem Gesetzgeber obliegen, bestimmte Sachverhalte als gleich oder differenzierungsbedürftig einzuordnen. Dabei kommt ihm ein weitreichender Beurteilungsspielraum zu. Auch dieser Beurteilungsspielraum unterliegt allerdings der Schranke des Willkürverbots, so dass - 6 8 - bei der Frage einer Verletzung von Art. 3 Abs. l GG es entscheidend darauf ankommt, ob die Ungleichbehandlung mit sachlich vernünftigen Gründen zu rechtfertigen ist (so die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 17, 122, 130; 71, 39, 53). In der so genannten „Neuen Formel" hat das Bundesverfassungsgericht diese sachlichen Gründe weiter präzisiert. Demnach ist eine ungleiche Behandlung dann gerechtfertigt, wenn zwischen zwei Gruppen „Unterschiede in solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen" (vgl. BVerfGE 55, 72, 88; 85, 238, 244). Dabei ist der regelnde und gestaltende Staat im Grunde genommen frei, Unterschiede zu schaffen. Dies jedoch nur, sofern unterschiedliche Behandlungen Zwecken; die mit der Ungleichbehandlung verfolgt werden, dienen. In diesen Fällen kann allerdings die Rechtfertigung nicht mehr in den Unterschieden selbst liegen, sondern nur in den Zwecken, die mit der Ungleichbehandlung verfolgt werden (vgl. Pieroth-Schlink, Grundrechte 17. Aufl., 2001, Rdnr. 441). bb. Bundesweite Vergleichbarkeit als Maßstab der Gleichbehandlung Grundsätzlich ist eine Ungleichbehandlung durch staatliche Stellen verfassungsrechtlich nur relevant , wenn sie durch die gleiche Rechtsetzungsgewalt erfolgt. Insbesondere für die Behandlung durch staatlichen Gewalt verschiedener Bundesländer gilt dieser Grundsatz, was sich aus der föderalen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland, wie sie in Art. 20 Abs. l und Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegt wurde, ergibt. . Demnach ist es grundsätzlich möglich, dass die verschiedenen Bundesländern bei der Ausübung ihrer Gesetzgebungskompetenzen ebenso wie in ihrer Verwaltungspraxis von den gesetzlichen Spielräumen unterschiedlich Gebrauch machen. Allerdings findet auch dieses Recht zur Differenzierung seine Grenzen in dem in Art. 72 Abs. 2 GG anklingenden Gebot zur Wahrung bzw. Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse. Gerade im Bereich der Strafrechtspflege, die eine der härtesten Eingriffe des Staates in die Freiheitsrechte seiner Bürger darstellt, muss dieses Gebot aber - trotz des föderativen Staatsaufbaus der Bundesrepublik Deutschland - besondere Beachtung finden. So hat es auch speziell für den Bereich der Strafverfolgung in gesetzlichen Regelungen Niederschlag gefunden, insbesondere durch die Vorlagepflicht der Oberlandesgerichte an den Bundesgerichtshof, wenn sie von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts - 6 9 - oder des Bundesgerichtshofes abweichen wollen. So soll diese Verpflichtung dazu beitragen, solche Divergenzen bei der Rechtsanwendung zu vermeiden, die durch das föderative Gefüge der Strafrechtspflege bedingt sind (vgl. auch Aulinger zu in NStZ 1999 111, 113). Führt die Praxis in einzelnen Ländern hingegen zu nicht mehr hinnehmbaren Unterschieden, was der Fall ist, wenn zwischen den einzelnen Bundes l ändern extreme Gefällesituationen bzw. unerträgliche Verschiedenheiten auftauchen, dann sind diese Unterschiede jedenfalls nicht mehr mit der Gliederung der Bundesrepublik in die Länder im Einklang zu bringen (vgl. Maunz / Dürig / Lerche Grundgesetzkommentar, 7. Auflage 1994, Art. 83 Rdnr. 10). Im Beschluss vom 09.03.1994 hat das Bundesverfassungsgericht unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten Ausgestaltung des Gleichheitsgrundsatzes deutlich gemacht, dass bei Anwendung der diversen Einstellungsvorschriften im Bereich der m i t dem Umgang mit Cannabisprodukten aufgeführten Strafvorschriften, eine einheitliche Rechtsanwendungspraxis geboten ist (siehe oben, S. 62). cc. Gleichheitssatz und Verfahrensweisen der Länder Die Praxis der Bundesländer bei der Umsetzung der Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 genügt nach Ansicht des Amtsgerichts Bernau den zuvor dargelegten Anforderungen nicht und verstößt deshalb gegen den Gleichheitsgrundsalz aus Art. 3 Abs. l GG . Wesentlich gleiche Sachverhalte werden durch Verwaltungsrichtlinien ungleich behandelt. So sind zunächst die in den 16 Bundesländern verfolgten Sachverhalte im wesentlichen gleich. Die Beschuldigten sind bei polizeilichen Maßnahmen im Besitz von Cannabisprodukten aufgegriffen worden, wobei die festgestellten Mengen sich in den gleichen Rahmen bewegten. In vielen Fällen sagen die Beschuldigten in den sich anschließenden polizeilichen Vernehmungen freimütig aus und erklären oftmals auch, wie oft sie Cannabisprodukte konsumiert haben. In allen diesen Fällen sind keine wesentlichen Unterschiede erkennbar, die dazu führen könnten, dass die in verschiedenen Bundesländern verfolgten Fälle nicht unter einem gemeinsamen sinnvollen Bezugspunkt und zwar durch den Bundesgesetzgeber gefasst werden könnten. Dieser Bezugspunkt besteht in dem Konsum geringer Mengen von Cannabisprodukten und - 7 0 - den damit verbundenen Vorbereitungshandlungen. Die ungleiche Behandlung der Täter durch die Staatsanwaltschaften der verschiedenen Bundesländer ist offensichtlich. Die Mengen, die von den verschiedenen Staatsanwaltschaften als gering im Sinne der Einstellungsvorschriften angesehen werden, divergieren erheblich. Es kommt hinzu, dass die Länder darüber hinaus eine unterschiedliche Einstellungspraxis hinsichtlich Wiederholung- und Mehrfachtäter haben. Auch die Anwendung des § 31 a BtmG auf Jugendliche und Heranwachsende ist umstritten (s. oben S. 11 m. w. N.) Für die Ungleichbehandlung durch die unterschiedlichen Bundesländer ist keine sachliche Rechtfertigung erkennbar. Die - nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ohnehin nicht im relevanten Ausmaß vorhandenen Gefahren -, die von Cannabisprodukten ausgehen dürften, existieren jedenfalls in Bayern genauso wie in Brandenburg oder Schleswig-Holstein. Schließlich ergibt sich nach dem oben Dargelegten auch eine Verpflichtung der Länder, die prozessualen Möglichkeiten der StPO und des BtmG einheitlich anzuwenden. Die durch die verschiedenen Bundesländer bzw. deren Justizminister oder Generalstaatsanwälte erlassenen Richtlinien umfassen eine derart große Spannbreite; dass sie nur noch als extreme Gefällesituation bezeichnet werden kann. Sie führen auch zu unerträglichen Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Bundesländern. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Tatsache mit einbezieht, dass es letztlich nur von Zufälligkeiten abhängt, ob eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz von einer Staatsanwaltschaft verfolgt wird, die eher ein niedrigen Grenzwert annimmt oder von einer Staatsanwaltschaft, die in dieser Hinsicht großzügigere Anweisungen hat. Im Fall von jugendlichen und heranwachsenden Straftätern hängt dies nur davon ab, in welchem Bundesland sie bei Begehen der Tat wohnen. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die prozessuale Lösung nicht zu dem erhofften Erfolg geführt hat und gleiche Personen für das Gleiche unterschiedlich bestraft werden bzw. bestraft werden können. Der Bundesgesetzgeber ist gefordert, dem Übermaßverbot entsprechende Gesetze zu erlassen und die zu weit gefassten Tatbestände des § 29 Abs. l Nr. l und Nr. 3 BtmG auf Bundesebene verfassungsgemäß auszugestalten. -71 - 4. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG - Gesetzlichkeitsprinzip - Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dieses Gesetzlichkeitsprinzip, das nicht nur in Art. 103 Abs. 2 GG, sondern auch in § l StGB gleichlautend formuliert wurde, setzt für die Bestrafung eines Verhaltens die zuvorige gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit, als auch deren mögliche Strafsanktion voraus (vgl. Tröndle / Fischer, StGB, 49, Auflage, § l, Rndr. 1). Diese Verpflichtung bezieht sich auf jede staatliche Maßnahme, „die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten enthält" (vgl. BVerfGE 26, 186, 203 ff.; 45, 346, 351). Die Verfassungsgarantie des Art. 103 Abs. 2 GG dient dabei einem doppelten Zweck: Einerseits soll jedermann vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe versehen ist. Andererseits soll sichergestellt werden, dass über die Strafbarkeit durch die verfassungsmäßig dazu berufene Institution, nämlich den Gesetzgeber, bestimmt wird. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt verwehrt, selbstständig über die Voraussetzung der Strafbarkeit zu entscheiden (vgl. Hill, Rechtsschutz und Staatshaftung, Rndr. 61 mit weiteren Nachweisen; Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht Band VI, 1989). Die gegenwärtige Praxis im Umgang mit Cannabiskonsumenten verstößt gegen beide Aspekte des Gesetzlichkeitsprinzips. a. Vorhersehbarkeit Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht führt das Erfordernis der Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit für die Normadressaten dazu, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, sein Verhalten auf die Rechtslage einzurichten; er soll die Tragweite und den Anwendungsbereich des Straftatbestandes erkennen oder durch Auslegung ermitteln können (vgl. BVerfGE 87, 224 ff.). „Jeder soll vorhersehen -72- können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes ist es dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich erlaubt, seine Vorgaben abstrakt zu umreißen und dabei insbesondere auf unbestimmte Gesetzesbegriffe zurückzugreifen" ( Maunz / Dürig, Art. 103 Abs. 2, Rdnr. 186). Dies darf er allerdings nur dann, wenn die unbestimmten Rechtsbegriffe der näheren Deutung im Wege der Auslegung zugänglich sind. Maßgebendes Kriterium ist dabei der Gesetzestext: Der mögliche Wortsinn markiert die äußere Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfGE 71, 108, 115; 73, 206, 235). Dementsprechend steht eine Verurteilung, die auf einer objektiv unhaltbaren und damit willkürlichen Auslegung des geschriebenen materiellen Strafrechtes beruht, erst recht in Widerspruch zu Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. Hill a. a. o., Rdnr. 61). Für die Normadressaten der hier angegriffenen Normen des Betäubungsmittelgesetzes ist nicht mehr vorhersehbar, mit welchen Verhalten sie sich der Strafverfolgung unterziehen. Sie können nicht erkennen, welche Mengen Cannabis sie bei sich führen dürfen, ohne sich der Gefahr eines gerichtlichen Strafverfahrens und evtl. anschließender Verurteilung auszusetzen. Bereits die unterschiedlichen Richtlinien in den Bundesländern sind für die Bürger dermaßen unübersichtlich, dass kaum ein Bürger weiß, ob er sich und vor allen Dingen wo er sich gerade wegen welcher Menge einer Strafverfolgung unterziehen muss oder aber nicht. So wissen selbst Fachdezernenten oder Richter, die jahrelang mit Betäubungsmittelverfahren zu tun haben, oftmals nicht, welche Regelungen in anderen Bundesländern gelten. Wenn dies allerdings noch nicht einmal bei Fachpersonal der Fall ist, wie soll dann ein Bürger, der ohne Zugang zu Rechtsliteratur ist, wissen, wie und wo er sich gerade strafbar macht. Während jeder Bürger weiß, dass er sich strafbar macht, sofern er auch nur die geringste Sache wegnimmt, ist dies im Bereich von Cannabispönalisierung nicht mehr der Fall. So stelle man sich einen Schausteller vor/ der mit 9 g Cannabis durch die Bundesländer zieht. Er würde sich bei einem Wechsel über die Grenzen der verschiedenen Bundesländern mal der Strafverfolgung aussetzen und mal wieder nicht. Vorhersehen und damit sein Verhalten darauf abstimmen, indem er z. B. ein Teil des Betäubungsmittels zurücklässt, könnte er die Strafbarkeit allerdings nur, sofern er die jeweiligen Richtlinien in den verschiedenen Staatsanwaltschaften kennen würde. Da diese - wie exemplarisch im vorliegenden Fall durch den Brandenburgischen General Staatsanwalt geschehen noch dazu jeder Zeit geändert - 7 3 - werden können, müsste er darüber hinaus sicher stellen, auch immer die allerneueste Fassung der Richtlinie zu Hand zu haben. Allein dieses Beispiel zeigt, dass von einer hinreichenden Bestimmtheit, die dem Gesetzgeber obliegt, nicht gesprochen werden kann. Der Normadressat kann nicht mehr einschätzen, ob seine Verhaltensweise tatbestands- oder sanktionsrelevant ist. Er unterliegt mithin der Willkür 'und den jeweiligen Moralvorstellungen der verschiedenen Justizminister, Landesregierungen oder Generalstaatsanwälten und darüber hinaus auch den der verschiedenen tätig werdenden Richter oder Staatsanwälte. b. Bestimmung der Strafbarkeit durch den Gesetzgeber Weiterhin verstößt die derzeitige Verfahrensweise auch insoweit gegen den Bestimmheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG, als das nicht mehr der Bundesgesetzgeber die Grenzen der Strafbarkeit bestimmt, sondern die Generalstaatsanwaltschaften - wie der vorliegenden Fall exemplarisch zeigt - bzw. die Justizminister der Länder (vgl. Büttner, S. 155 m. w. N.). Durch den Gesetzlichkeitsgrundsatz soll aber sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selber über die Strafbarkeit entscheidet (BVerfGE 78, 374, 382 unter Bezugnahme auf BVerfGE47, 109,201). Mit seinem Beschluss vom 09.03.1994 hat das Bundesverfassungsgericht letztlich aber den Strafverfolgungsbehörden und mithin der Exekutive die Funktion zugeordnet, mittels des in der Regel zu erfolgenden Strafverfolgungsverzichts die legitimen Grenzen eines zu weit geratenen materiellen Tatbestands zu gewährleisten (vgl. Büttner, S. 153). Damit unterliegt die Bestimmung der Strafbarkeit nicht mehr dem Gesetzgeber, sondern der Exekutive, nämlich den Staatsanwaltschaften. Zwar kam dem Bestimmtheitsgebot und auch dann genüge getan sein, wenn im Rahmen der gesetzlichen Regelung auf untergesetzliche Normen verwiesen wird. So geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die gesetzliche Strafandrohung mit einem Verweis auf eine Verordnung oder auch einen erst noch zu erlassenen Verwaltungsakt verknüpft sein könne. Aber auch insoweit müssten nach den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts die Voraussetzung der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger bereits aufgrund des Gesetzes und nicht erst aufgrund der hierauf - 7 4 - gestützten Verordnung erkennbar sein. Der Gesetzgeber habe die Voraussetzungen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen und dürfe diese Entscheidung nicht den Organen der vollziehenden Gewalt überlassen. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend auch für die Knüpfung der Strafandrohung an die Nichtbefolgung eines Verwaltungsaktes (vgl. BVerfGE 78, 374, 382). Nach diesen Grundsätzen verstößt die derzeitige Praxis bei der Strafverfolgung des Umgangs mit geringen Mengen Cannabis gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Denn die Grenzen der Strafbarkeit werden nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch die Staatsanwaltschaften als Teil der Exekutive bestimmt (vgl. auch Sondervotum Sommer BVerfGE 90, 145, 224). Diese entscheiden nicht nur - wie bereits dargestellt - von Bundesland zu Bundesland äußerst unterschiedlich, sondern sind auch in der Lage ihre behördeninternen Vorschriften jederzeit - insbesondere auch ohne für Außenstehende nachvollziehbare Gründe - zu verändern. Dies zeigt auch das vorliegende Verfahren. Denn zunächst galt in Brandenburg entsprechend der Richtlinie aus dem Jahr 1993 eine Cannabismenge von 3 Konsumeinheiten als gering im Sinne der entsprechenden Vorschriften des BtmG. Nach dem das Amtsgericht Bernau den vorliegenden Beschluss gefasst hatte, wurde dieser Grenzwert auf bis zu 6 g hinaufgesetzt. Es ist nicht erkennbar, welche sachlich nachvollziehbaren Erwägungen den Generalstaatsanwalt dazu bewogen haben könnten, den Grenzwert nunmehr verbindlich heraufzusetzen. Gleichzeitig zeigt diese Vorgehensweise aber exemplarisch wie weit die derzeitige Praxis gegen den Grundsatz verstößt, dass der Gesetzgeber und nicht die Exekutive die Grenzen der Strafbarkeit zu bestimmen hat. Denn die Frage, bis zu welchen Mengen Cannabis von einer geringen Menge ausgegangen werden soll, entscheidet darüber, ob ein Angeklagter sich einer Strafe auszusetzen hat oder ob das Verfahren eingestellt wird. Damit stellt die Einstufung einer Cannabismenge als „gering" die entscheidende Voraussetzung der Strafbarkeit dar. Diese wird aber derzeit nicht durch den Gesetzgeber nach den dafür vorgesehenen Formen und Verfahren bestimmt. Diese würden dazu führen, dass in einem der Öffentlichkeit nachvollziehbaren Prozess durch die zuständigen Gremien, insbesondere dem Bundestag und seinen Ausschüssen, über die Frage befunden würde, bis zu welchem Wert jeder einzelne straffrei mit Cannabisprodukten umgehen kann. Vielmehr entscheiden derzeit Vertreter der Exekutive in einem nicht nachvollziehbaren und durch - 7 5 - die Öffentlichkeit nicht zu kontrollierenden, wohl schon als willkürlich zu bezeichnenden Verfahren über dieses entscheidende Kriterium der Strafbarkeit. Die prozessuale Lösung des Bundesverfassungsgerichts vermochte nicht der Doppel Funktion des gesetzlichen Bestimmheitsgebotes des Grundgesetzes gerecht zu werden, da die Grenzen der Strafbarkeit von falschen Institutionen, ohne Öffentlichkeit und nach Auffassung des Amtsgerichts Bernau wiederholt bundesweit in willkürlicher Weise festgelegt wurden und werden (so auch Büttner, S. 159). - Das Amtsgericht Bernau und wie gerichtsbekannt auch benachbarte Amtsgerichte haben in den vergangenen Jahren regelmäßig über Anklagen und Strafbefehle entscheiden müssen, die sich weit unterhalb von 6 g bzw. von 10 g Cannabis beliefen. In vielen Fällen wurde hier aus pragmatischen Gründen in der Hauptverhandlung gem. § 31 a BtmG von der Verfolgung abgesehen. Teils erfolgte hier aber auch eine Einstellung gegen Geldauflage und teils eine ohne Geldauflage. In all diesen Fällen waren die Betroffenen jedoch zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidungen bereits erheblich durch das Strafverfahren in Mitleidenschaft gezogen worden. Abgesehen davon, hatten sie sich zum Teil, öffentlichen Verhandlungen zu beugen und stimmten trotz fehlenden Unrechtsbewusstsein den Kompromisslösungen zu. So wurde ihnen im "Rahmen der jeweiligen Strafverhandlung regelmäßig dargelegt, dass ihre jeweiligen Verhaltensweisen in einem solch moralisch verachtenswerten Maß gesehen werden, das es rechtfertigt sie vor Strafrichtern zu stellen. Unter Berücksichtigung der in diesem Verfahren gewonnenen Erkenntnis hat das Amtsgericht aufgrund gegen das Übermaßverbot verstoßender Anklagen der Staatsanwaltschaft regelmäßig wohl verfassungswidrig gehandelt. Das Amtsgericht Bernau ist insoweit kein Einzelfall. Bundesweit wird in gleicher Art und Weise regelmäßig verfahren. Diese Verfahrensweisen zeigen, dass es möglich ist, entgegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 gegen das Übermaßverbot zu verstoßen. -76- Nur das Bundesverfassungsgericht ist in der Lage, dem Gesetzgeber deutlich zu machen, dass es seine Aufgabe ist, Bürger vor verfassungswidrigem Handeln der Exekutive und der Justiz zu bewahren. Müller Richter am Amtsgericht Ausgefertigt Boras als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle |