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Cannabis: Verbieten und Wegsehen (Neues Deutschland, 05.06.2002)

Ursprüngliche URL: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=18319&IDC=3

Cannabis: Verbieten und Wegsehen

Die europäische Drogenpolitik steckt in eigenen Widersprüchen fest / Grüne fordern Legalisierung
Von Tom Strohschneider

Mit dem politischen und juristischen Umgang des Cannabiskonsums beschäftigte sich am Montag in Berlin eine Fachtagung der grünen Bundestagsfraktion. Im Vordergrund: verschiedene Wege zu einer Entkriminalisierung des Kiffens und Aufgaben für eine Konsumentenorientierte Prävention.

Der Joint nach Feierabend ersetzt für viele Menschen das Bier in der Kneipe. Doch im Gegensatz zu den Folgen eines kühl Gezapften muss, wer, und sei es gelegentlich, Cannabis konsumiert, mit Ärger rechnen. Zwar wird seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 von einer strafrechtlichen Verfolgung des Besitzes geringer Mengen in der Regel abgesehen.

Sozialwissenschaftler sind sich überdies längst einig: Cannabiskonsum ist schon lange kein subkulturelles Phänomen mehr, sondern hat sich im Alltag vieler als normal etabliert. Doch erlaubt ist das Kiffen noch lange nicht.

Bei geschätzten 35 Millionen Gelegenheitskonsumenten in der Europäischen Union, einem weitgehend freien Grenzverkehr und der langfristigen Orientierung auf einen gemeinsamen juristischen Rahmen, drängt sich die Frage auf, welche drogenpolitischen Akzente notwendig wären, einen verbraucherorientierten und gesundheitspolitisch sinnvollen Reformansatz zu entwickeln. Also: Soll das Kiffen weiter bestraft - oder doch legalisiert werden?

Die derzeit geltenden juristischen Regelungen sind im europäischen Vergleich durchaus verschieden: Während in den Niederlanden eine bereits seit Jahren auf kontrollierte Abgabe in Coffee-Shops setzende Entkriminalisierungspolitik Erfolge vorweisen kann, wird in Ländern wie Schweden oder Finnland nach wie vor auf eine »Null-Toleranz-Prohibition« gesetzt. Bei aller Verschiedenheit der gesetzlichen Rahmenbedingungen, so der britische Drogenexperte Mike Trace, ist die traditionelle Drogenpolitik in fast allen europäischen Staaten vor allem von einer deutlichen Differenz zwischen Gesetzestext und Rechtspraxis gekennzeichnet.

In Großbritannien etwa, wo der Besitz und Konsum von Cannabis verboten ist, wurden 1998 bei geschätzten drei bis fünf Millionen Konsumenten etwa 80000 Kiffer festgenommen. Ein Jahr später war die Zahl bereits auf unter 70000 gesunken. Einer der Gründe: Die Polizei versucht gar nicht mehr, Cannabis-User festzusetzen. Zahlreiche Beamte haben, wie Untersuchungen zeigten, das Interesse an derlei Repression verloren - auch, weil sie Cannabis als »normal« erachten. Zudem werden die Festgenommenen lediglich formell verwarnt, so dass ein tatsächlicher »Nutzen« der polizeilichen Maßnahme immer fragwürdiger wird.

Ähnliche Erfahrungen gibt es auch in anderen Ländern. Etwa in der Bundesrepublik: Der Münsteraner Polizeipräsident Hubert Wimber, der ausdrücklich nur seine »persönliche Auffassung« vertrat, hält gar die gesamte Drogenpolitik der letzten 20 Jahre für »gescheitert«. So ist weder die Verbreitung von Cannabis eingeschränkt worden, noch habe man den illegalen Markt für die Droge austrocknen können. Die sowohl von der Union als auch der SPD unterstützte Politik des »Verbietens und Verdammens« hält Wimber für symbolische Kraftmeierei. Doch auch die Liberalisierung der Drogenpolitik hat ihre Tücken. So beklagen Beamte, dass der Besitz von geringen Mengen zwar straffrei bleibe, die Polizei jedoch verpflichtet ist, den Besitz zur Anzeige zu bringen. Dies, so Wimber, ließe den Eindruck entstehen, hier werde Liberalisierung auf dem Rücken der Polizeibeschäftigten ausgetragen.

Bleibt die Frage: Wie weiter? Die Freiburger Kriminologin Letizia Paoli plädierte für eine Politik der kleinen Schritte. So sei es erfolgversprechender, zunächst die Forderung nach Entkriminalisierung des Besitzes, Konsums und Eigenanbaus von Cannabis auf die Tagesordnung zu setzen und administrative Sanktionen wie Führerscheinentzug - also das »Bestrafen durch die Hintertür« - einzudämmen. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, hingegen mahnte an, nicht bei der Entkriminalisierung stehen zu bleiben. Eine legale Abgabe von Cannabis würde nicht nur der gesellschaftlichen Wirklichkeit entsprechen, sondern ermögliche es auch, die Drogenpolitik mit dem Verbraucherschutz zu verbinden.

Die Grünen wollen das Thema Entkriminalisierung / Legalisierung auch in der nächsten Legislatur - vorausgesetzt, man ist erneut in einer Regierung vertreten - auf die Tagesordnung setzen. Gegenüber dem Koalitionspartner dürfte dies jedoch schwer werden, immerhin, so Nickels, habe man bei der SPD in den vergangenen vier Jahren auf »Granit gebissen«. Beliebtes Argument:

Die Verpflichtung aus internationalen Verträgen.

»Ausreden«, kritisierte der niederländische Drogenexperte Bob Keizer: In der Rechtspraxis habe sich eine »Politik des Nichteingreifens« längst etabliert - nur fällige Reformen der jeweiligen Rechtsordnung blieben aus.

Doch auch hier könnte sich einiges ändern. Denn nach den Worten des Bremer Verfassungsrechtlers Lorenz Böllinger ergibt sich eine »absolute Verpflichtung zur Kodifizierung von Strafnormen« aus den zahlreichen internationalen Übereinkommen nicht - unter anderem, weil die Verträge einen gewissen Spielraum hinsichtlich nationaler Gesetzgebungen und Verfassungsgestaltung offen lassen. Darüber hinaus kranke das deutsche Betäubungsmittelgesetz an »elementaren Wertungswidersprüchen« und basiere auf »extrem diffusen Rechtsgütern« wie dem Schutz der »Volksgesundheit«.

Wenn aber der Kurszeiger auf »Entkriminalisierung« steht, ist dann überhaupt noch eine Debatte über Cannabis-Prävention geboten? Zweifelsohne, warnte Bettina Schmidt von der Uni Bielefeld. So solle der Kiffer - wie bereits in zahlreichen Modellen praktiziert - über Möglichkeiten des risikoarmen Gebrauchs informiert werden.
(ND 05.06.02)


Newshawk: oxknox
Pubdate: 05. 06. 2002
Source: Neues Deutschland
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Webpage: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=18319&IDC=3

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