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Die Niederländische Drogenpolitik

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung und Fragestellung
    1. Die Entwicklung der niederländischen Drogenpolitik
    2. Gegenwärtige Situation und Evaluierung
    3. Komplikationen und neue Trends
    4. Ausgangspunkte für die künftige Politik
    5. Schlußfolgerungen
  2. Die Maßnahmen hinsichtlich des Konsums harter Drogen
    1. Umfang und Art
    2. Die Maßnahmen hinsichtlich des Ecstasy-Konsums
    3. Kriminalität, Ordnungsstörungen und Drogenabhängige
    4. Verwaltungsmaßnahmen gegen Ordnungsstörungen
    5. Das juristische Instrumentarium
    6. Drogentourismus
  3. Vorsorge, Betreuung und Behandlung Drogenabhängiger
    1. Das Interesse an neuen Formen der Hilfeleistung
    2. Reformen in den Bereichen Hilfeleistung und Prävention
    3. Bessere Abstimmung im Rahmen der Suchthilfe
    4. Differenzierung der stationären Behandlung
    5. Regie und Finanzierungsstruktur der ambulanten Suchthilfe
    6. Zwang und Anreize in der Suchthilfe
    7. Abgabe von Drogen aufgrund medizinischer Indikation
    8. Qualitätsgarantie und Evaluierung
  4. Maßnahmen im Bereich der weichen Drogen und der Coffeeshops
    1. Umfang und Art des Cannabiskonsums
    2. Der Umfangs des Marktes für weiche Drogen in den Niederlanden
    3. Vorschriften für Coffeeshops
    4. Coffeeshops und organisierte Kriminalität
    5. Drogentourismus und Coffeeshops
  5. Die Durchführung des Betäubungsmittelgesetzes
    1. Strafverfolgung von Rauschgifthändlern
    2. Fahndungsergebnisse
    3. Die Rolle der organisierten Kriminalität
    4. Aktualisierung des Aktionsplans zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität
    5. Internationale Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung
    6. Der Anbau von Nederwiet

    Schlußfolgerungen und Regierungsvorhaben

    Voraussichtlicher Finanzbedarf für die Durchführung des Drogenberichts auf Jahrbasis

    Literatur

    Anhang I

    Anhang II

    Anhang III


1. Einführung und Fragestellung

1.1 Die Entwicklung der niederländischen Drogenpolitik

In den sechziger und siebziger Jahren nahm der Konsum von Drogen wie Hanfprodukten und Opiaten in Westeuropa und Nordamerika stark zu; viele befürchteten eine explosiv ansteigende Gefährdung der Volksgesundheit. Dies war einer der Gründe dafür, daß damals auf nationaler und internationaler Ebene neue Rahmenrichtlinien zur Drogenbekämpfung erlassen wurden. Seither hat es im Konsumverhalten erhebliche Schwankungen und Verlagerungen gegeben. In manchen Ländern ist der Gesamtverbrauch weiter angestiegen, in anderen wie z.B. in den Niederlanden hat sich der Drogenkonsum in etwa auf dem Stand von 1980 stabilisiert.

Der Konsum von Cannabis und Opiaten ist keineswegs drastisch gesunken, geschweige denn völlig eliminiert worden. Für diejenigen, die hofften, mittels entschlossener Regierungsmaßnahmen den Drogenkonsum abschaffen zu können, ist dieses Ergebnis enttäuschend. Angesichts früherer internationaler Erfahrungen mit Märkten für illegale Produkte und Dienstleistungen war jedoch zu erwarten, daß staatliche Interventionen nur begrenzt erfolgreich sein würden. In den Niederlanden hat man sich u.a. aus diesem Grund damit beschieden, die mit dem Konsum gefährlicher Drogen verbundenen gesundheitlichen und sozialen Probleme im Griff zu behalten oder in den Griff zu bekommen. So gesehen wurden mit der niederländischen Drogenpolitik gute Ergebnisse erzielt. Der Konsum der genannten Drogen hat sich in den Niederlanden im Vergleich zu den siebziger Jahren nicht wesentlich ausgeweitet, und auch in medizinischer Hinsicht hat sich das Problem nicht verschärft. Nikotin und Alkohol schaden der Volksgesundheit in den Niederlanden wie auch anderswo unvergleichlich mehr als alle unter das Betäubungsmittelgesetz (Opiumwet) fallenden Drogen zusammen.

Die Empfehlung der Arbeitsgruppe Betäubungsmittel (1972) war für die damalige Regierung kein Anlaß, den Konsum der genannten Drogen in jedem Falle als ein für die Gemeinschaft unannehmbares Risiko einzustufen. Ein Urteil läßt sich erst abgeben, wenn man z.B. mehr über die jeweiligen Umstände und den Umfang des Konsums weiß. Daher wurden die Prävention und die Eindämmung der mit dem Drogenkonsum verbundenen sozialen und individuellen Risiken in den Vordergrund gerückt.

Die niederländische Drogenpolitik hat sich seither nicht geändert. Die Behörden sollen demgemäß verhindern, daß insbesondere Jugendliche zu Drogen greifen, und sie sollen dafür sorgen, daß für Problemfälle ein medizinisches und/oder soziales Hilfsangebot zur Linderung der Not gewährleistet ist (sog. Harm reduction).

Der niederländische Gesetzgeber hat aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse einen Unterschied zwischen Drogen mit unannehmbaren Risiken für die Gesundheit und Hanfprodukten, deren Risiken als weniger groß eingeschätzt werden, gemacht (harte bzw. weiche Drogen genannt). Die vom Strafrecht zu schützenden Interessen sind nach niederländischer Auffassung primär Interessen der Volksgesundheit. Die Drogenpolitik ist daher in den Niederlanden differenziert: sie richtet sich nach dem Ernst des potentiellen Gesundheitsschadens, der beim Konsum oder Mißbrauch der betreffenden Drogen entsteht.

Der bloße Konsum von Drogen ist in den Niederlanden, wie in vielen anderen Ländern auch, nicht strafbar. Der Konsument harter Drogen wird eher als Patient denn als Krimineller betrachtet. Auf dieser Grundlage wurde in den Niederlanden ein umfassendes und differenziertes Paket präventiver und kurativer Maßnahmen geschnürt. Die Justiz ist immer davon ausgegangen, daß für Drogensüchtige die ärztliche Behandlung einer Freiheitsstrafe vorzuziehen ist. Trotz mitunter enttäuschenden Behandlungserfolgen und Rückfällen wurde dieser Standpunkt beibehalten, und es wurde immer wieder nach neuen Wegen gesucht, das Regierungskonzept in die Praxis umzusetzen.

Die Niederlande wollen mit ihrer Drogenpolitik Risiken und Schäden für Drogenabhängige begrenzen und damit die soziale Integration der Drogenkonsumenten fördern. Prävention, ambulante Hilfe und stationäre Behandlung sind in Händen qualifizierten Personals, das in professionell geführten Organisationen tätig ist. In den Niederlanden werden ca. 160 Millionen Gulden für die Suchthilfe ausgegeben (u.a. Kliniken und ambulante Suchthilfe). Im Vergleich zum Ausland ist dieser Betrag hoch. Ziel der Betreuung ist nicht in jedem Falle die völlige Abstinenz, d.h. die Drogenfreiheit aller Abhängigen, sondern, je nach Zielgruppe, die Verbesserung ihrer körperlichen und geistigen Verfassung und ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Mittel hierzu sind u.a. eine gute medizinische Versorgung, Methadonverabreichung, der Umtausch von Spritzen und verschiedene Formen der Tages- und Nachtbetreuung.

Übrigens ist die Drogenpolitik in den Niederlanden wie auch anderswo darauf ausgerichtet, mittels entschiedener strafrechtlicher Maßnahmen gegen den Drogenhandel, die Schwelle für den Konsum harter Drogen so hoch wie möglich zu halten. Der Handel mit harten Drogen spielt sich auch in den Niederlanden in der Illegalität ab, und die Fahndung nach kriminellen Organisationen, die sich u.a. mit dem Handel mit weichen und harten Drogen befassen, ist bereits seit vielen Jahren die Hauptaufgabe der niederländischen Polizei. Der besondere Einsatz der Fahndungs- und Kontrolldienste zeigt sich u.a. in der großen Menge beschlagnahmter Drogen (vgl. 5.2). Die Drogenpolitik folgt also in großen Zügen dem internationalen Drogenbekämpfungsmodell. Herstellung und Handel werden entsprechend dem Einheitsvertrag der Vereinten Nationen konsequent strafrechtlich verfolgt. Pro Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft in durchschnittlich 10.000 Fällen wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die strafrechtlichen Maßnahmen stellen eine große Belastung für Polizei und Justiz dar.

Pro Jahr werden 270 Millionen Gulden in die strafrechtliche Bekämpfung des Drogenhandels investiert. Darüber hinaus fallen mindestens 370 Millionen für strafrechtliche Maßnahmen gegen Drogenabhängige an, die straffällig werden und z.B. Vermögensdelikte begehen. Die Kapazität der niederländischen Gefängnisse wurde von fünftausend auf zwölftausend Plätze erhöht. Mit Recht kann behauptet werden, daß strafrechtliche Maßnahmen gegen den Drogenhandel die wichtigste Ursache für den Anstieg der Freiheitsstrafen sind.

Der Konsum weicher Drogen wird von der niederländischen Regierung zwar als riskant betrachtet, aber die Strategie ist angesichts der weniger ernsten Risiken differenzierter als bei den harten Drogen. Der Besitz einer für den Eigenverbrauch bestimmten Menge wurde u.a. nach dem Vorbild einiger US- Bundesstaaten entkriminalisiert, er gilt als Übertretung und nicht als Verbrechen. Damit hat der Gesetzgeber unterstrichen, daß es nicht zu einer strafrechtlichen Stigmatisierung und sozialen Marginalisierung der Konsumenten weicher Drogen kommen darf.

In den Niederlanden geht man davon aus, daß der Umstieg von weichen auf harte Drogen eher soziale als physiologische Ursachen hat. Es ist besser, wenn Jugendliche, die weiche Drogen konsumieren wollen - und die Erfahrung hat gelehrt, daß dies auf große Gruppen zutrifft -, dies in einem Umfeld tun können, in dem sie nicht mit der kriminellen Subkultur für harte Drogen in Berührung kommen. Durch die Duldung eines relativ niederschwelligen Angebots von Mengen weicher Drogen für den Eigenverbrauch sollen die Märkte für weiche und harte Drogen voneinander getrennt werden; dadurch entsteht eine soziale Schwelle, die den Umstieg von weichen auf harte Drogen erschwert.

In der Praxis hat dies im Laufe der Zeit dazu geführt, daß die Justizbehörden den Verkauf weicher Drogen in Jugendzentren durch bonafide "Hausdealer" duldeten. Sodann sind die sog. Coffeeshops entstanden, in denen weiche Drogen auf kommerzieller Basis an Volljährige verkauft werden.

In fast allen Ländern, die mit Drogenproblemen zu kämpfen haben, müssen bei der Strafverfolgung durch die Polizei und Justizbehörden gezwungenermaßen Prioritäten gesetzt werden. Der großangelegte grenzüberschreitende Handel mit harten Drogen hat überall höchste Priorität. Die niedrigste Priorität haben der Kleinhandel und der Besitz weicher Drogen. Dies gilt z.B. für große Teile der Vereinigten Staaten von Amerika, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Nur noch selten wird in diesen Ländern der Besitz kleiner Mengen weicher Drogen bestraft. Der Besitz von einigen Gramm für den Eigenverbrauch wurde de facto entkriminalisiert. In Deutschland wird z.B. aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (9. März 1994) der Besitz einer kleinen Menge Cannabis zum Eigenverbrauch nicht mehr bestraft. In den genannten Ländern werden in von Jugendlichen besuchten Vergnügungsstätten größerer Städte und in deren Umgebung in großem Umfang weiche Drogen verkauft und konsumiert.

Die Verfügbarkeit weicher Drogen für Jugendliche ist heute in allen Städten der westlichen Welt groß. Zur Abschirmung dieser Konsumenten von der kriminellen Szene wird in den Niederlanden, wie gesagt, auch dem Kleinhandel mit sog. weichen Drogen, sofern bestimmte strenge Kriterien erfüllt sind, bei der Strafverfolgung eine so niedrige Priorität zuerkannt, daß faktisch nichts mehr dagegen unternommen wird. Auch anderswo wird gegen den Kleinhandel mit weichen Drogen nicht vorgegangen - so zum Beispiel in den angrenzenden deutschen Bundesländern. In den Niederlanden ist diese niedrige Priorität entsprechend den nationalen strafrechtlichen Traditionen allerdings in einer detaillierten öffentlichen Richtlinie der Staatsanwaltschaft verankert. Diese offizielle Duldung beruht also nicht auf einer nachgiebigen, geschweige denn positiven Haltung gegenüber dem Konsum weicher Drogen. Man geht von der Überlegung aus, daß die Duldung des Verkaufs weicher Drogen unter eindeutigen Voraussetzungen Jugendliche vom Konsum gefährlicherer Drogen abhält. Auch die niederländischen Coffeeshop-Maßnahmen stehen im Zeichen der Harm reduction.

1.2 Gegenwärtige Situation und Evaluierung

Bei der Beurteilung der niederländischen Drogenpolitik muß vor allem auf die in der Praxis erzielten Resultate geschaut werden. Statistische Informationen über den Drogenkonsum beruhen wegen des illegalen Charakters der Drogen auf Schätzungen. Diese Schätzungen basieren unter anderem auf Informationen der Polizei und Hilfseinrichtungen. Eine unbekannte Zahl von Drogenkonsumenten steht jedoch mit keiner einzigen Stelle in Verbindung; sie können daher nicht statistisch erfaßt werden. Der tatsächliche Umfang des Drogenkonsums wird häufig unter anderen aufgrund von Umfragen geschätzt. Wegen des illegalen Charakters werden die Befragten den Konsum von Drogen nicht immer zugeben. Auch werden die problematischsten Gruppen in der Stichprobe oft nicht entsprechend vertreten sein.

Im allgemeinen kann davon ausgegangen werden, daß das Bild, das Behörden und Wissenschaftler vom Konsum bestimmter Drogen haben, in dem Maße zuverlässig wird, in dem der Konsum einer Droge seinen illegalen Charakter verliert. In den Niederlanden ist der Besitz weicher Drogen, wie gesagt, seit den siebziger Jahren entkriminalisiert. Der Konsum harter Drogen spielt sich zwar in der Illegalität ab, aber die Hilfseinrichtungen sind in den Niederlanden zahlreich und leicht zugänglich. Die Einrichtungen gehen davon aus, daß sie mit mindestens zwei Drittel aller Drogenabhängigen in Verbindung stehen. Aufgrund dieser Tatsache sind die niederländischen Behörden über Art und Umfang des Drogenkonsums besser informiert als die Behörden anderer Länder.

Betrachtet man vor diesem Hintergrund die verfügbaren statistischen Informationen über den Drogenkonsum in verschiedenen Ländern, dann ergibt sich folgendes Bild. Der Konsum weicher Drogen weicht in den Niederlanden nach Art und Umfang nicht wesentlich von dem in anderen Ländern der westlichen Welt ab. In den letzten Jahren liegt der Konsum u.a. in den Vereinigten Staaten wieder wesentlich höher als in den Niederlanden. Dies gilt auch für die Gruppe der Minderjährigen. Die Entkriminalisierung in den siebziger Jahren hat damals auch nicht zu einer Zunahme des Drogenkonsums bei Jugendlichen geführt. Die Zielsetzung der niederländischen Politik, jungen Erwachsenen, die in einer bestimmten Lebensphase weiche Drogen nehmen wollen, von der harten Drogenszene abzuschirmen, hat sich darüber hinaus als realistisch erwiesen. Nur ein sehr kleiner Teil der Jugendlichen, die weiche Drogen nehmen, steigt auf harte Drogen um. Die von manchen vertretene Auffassung, wonach der bloße Konsum von Hanfprodukten das physiologische und psychische Bedürfnis zum Konsum harter Drogen entstehen läßt - die sog. Stepping-stone-Theorie - hat sich angesichts der Entwicklungen in den Niederlanden als unhaltbar erwiesen.

Niederländische Jugendliche, die weiche Drogen nehmen, sind sich durchaus der höheren Risiken bewußt, die der Konsum harter Drogen wie Heroin mit sich bringt; sie sind nicht rasch zu Experimenten bereit. Der Anteil der Konsumenten weicher Drogen, die auf harte Drogen umsteigen, ist in den Niederlanden relativ niedrig. Die Stepping-stone-Theorie muß angesichts dieser Erkenntnisse als eine der vielen Mythen im Bereich des Drogenkonsums bezeichnet werden, ein Mythos, der sich unter Umständen als self fullfilling prophecy erweisen könnte. Wenn man auf Regierungsebene Hanfprodukte und harte Drogen wie Heroin und Kokain in einen Topf wirft, kann das gerade dazu führen, daß Cannabis-Raucher mit harten Drogen in Berührung kommen. Eine solche Gleichstellung gefährdet überdies die Glaubwürdigkeit der Aufklärung Jugendlicher in Sachen Drogen.

Egal wie man auch über die Drogenpolitik denkt, besteht doch ein breiter Konsens hinsichtlich des entscheidenden Kriteriums, an dem die Effektivität jeder nationalen Drogenpolitik beurteilt werden muß. Dieses Kriterium ist die Zahl der Konsumenten harter Drogen und insbesondere die Zahl der Konsumenten unter 21 Jahren.

Tabelle 1 gibt eine vergleichende internationale Übersicht über die geschätzte Anzahl von Konsumenten harter Drogen.

Tabelle 1: Internationaler Vergleich der Prävalenz in bezug auf Abhängige von harten Drogen


  Anzahl
Abhängiger
Mio.
Einw.
Promille
Bevölkerung
Niederlande 25.000 15,1 1,6
Deutschland 100.000/120.000 79,8 1,3/1,5
Belgien 17.500 10,0 1,8
Luxemburg 2.000 0,4 5,0
Frankreich 135.000/150.000 57,0 2,4/2,6
Großbrittannien 150.000 57,6 2,6
Dänemark 10.000 5,1 2,0
Schweden 13.500 8,6 1,6
Norwegen 4.500 4,3 1,0
Schweiz 26.500/45.000 6,7 4,0/6,7
Östenreich 10.000 7,8 1,3
Italien 175.000 57,8 3,0
Spanien 120.000 39,4 3,0
Griechenland 35.000 10,1 3,5
Portugal 45.000 10,0 4,5
Irland 2.000 3,5 0,6
Quelle: Bosman und van Es (1993); Bless et al., 1993; WHO regional office for Europe, 1992; Europäische Gemeinschaft, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 1992; Bossong, 1994; van Couwenberghe et al., 1993.

Die Zahl der Personen, die von harten Drogen abhängig sind, wird von verschiedenen Experten auf ungefähr 25.000, oder 1,65 Promille der Bevölkerung geschätzt. Unter anderem wegen der guten Zugänglichkeit der Drogenhilfe in den Niederlanden ist diese Schätzung einigermaßen zuverlässig. Ein direkter Vergleich mit den Schätzungen in anderen Ländern ist wegen methodologischer Unsicherheiten nicht möglich. Möglicherweise ist die Dunkelziffer in einigen anderen Ländern, in denen die Hilfseinrichtungen schlechter zugänglich sind, größer als in den Niederlanden. Die verfügbaren Zahlen weisen auf jeden Fall aus, daß der Prozentsatz der Konsumenten harter Drogen hierzulande im Vergleich zum europäischen Durchschnitt, der bei 2,7 auf 100.000 Einwohner liegen soll, niedrig ist. Der Promillesatz liegt in den Niederlanden wesentlich niedriger als etwa in Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und der Schweiz. Anhang I enthält eine Übersicht über die geschätzte Anzahl Drogenabhängiger in einigen europäischen Ländern; bei der Erstellung dieser Übersicht wurden verschiedene Quellen herangezogen. Allen Schätzungen zufolge ist die Zahl der Drogenabhängigen in den Niederlanden relativ niedrig.

Erfreulich ist vor allem, daß in den Niederlanden die Zahl der Heroinabhänigen unter 21 Jahren - darunter auch Angehörige gefährdeter Gruppen - relativ niedrig ist und in den vergangenen Jahren weiter abgenommen hat. Auch der Konsum billiger Kokainarten hat hier keine große Verbreitung gefunden, wie vor einigen Jahren angesichts der Entwicklungen in den Vereinigten Staaten befürchtet wurde.

Der Drogenkonsum bei Jugendlichen wurde wahrscheinlich auch durch das "Loser-Image" der Heroinsüchtigen gebremst. Stark verwahrloste ältere Heroinsüchtige in manchen sozial benachteiligten Vierteln liefern eine überzeugende Antipropaganda für den Heroinkonsum. Das Fehlen repressiver polizeilicher Maßnahmen gegen die Drogenabhängigen wegen ihres Drogenkonsums und die niedrigschwellige Abgabe des Ersatzmittels Methadon verhindern, daß der Lebensstil Drogenabhängiger von Jugendlichen als Äußerung sozialen oder kulturellen Protests gesehen wird.

Die Zahl der Sterbefälle im Zusammenhang mit einer Überdosis von Rauschmitteln liegt in den Niederlanden auf einem relativ niedrigen Niveau. Einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge waren in den Niederlanden 1991 42 Drogentote zu verzeichnen, in Belgien waren es 82, in Dänemark 188, in Frankreich 411, in Deutschland 2125, in Italien 1382, im Vereinigten Königreich 307, in Spanien 479 und in den Vereinigten Staaten 5830. Die Zahl der Drogentoten pro 100.000 Einwohner liegt anderswo also mindestens zweimal so hoch. Im Gegensatz zu anderen Ländern in der Welt ist in den Niederlanden keine Zunahme der Zahl der Drogentoten zu verzeichnen.

Die Zahl der Aids-Fälle unter Drogensüchtigen ist in den Niederlanden relativ gering. Vor allem in den südeuropäischen Ländern ist der Prozentsatz mit dem Aidsvirus infizierter Drogenabhängiger wesentlich höher. Dank der Zugänglichkeit des Hilfsangebots, einschließlich des Spritzenumtausches und der umfassenden Aufklärung in unserem Land, sind die mit dem intravenösen Drogenkonsum verbundenen Risiken erheblich geringer geworden. Der Anteil der Drogenabhängigigen an der Gesamtzahl der HIV-Positiven ist verhältnismäßig gering. Untersuchungen haben ergeben, daß fast 60% der heroinsüchtigen Prostituierten auf Kondomgebrauch bestehen; 1986 waren es nur 20%. Hiervon geht ebenfalls seine präventive Wirkung gegen die Verbreitung der Epidemie außerhalb der primären Risikogruppen aus.

Auch was die Mortalität und Morbidität unter den Drogenabhängigen angeht, fällt ein Vergleich mit den Nachbarländern günstig aus. Die sog. Harm-reduction-Politik, zu der auch die großangelegten Methadonprogramme und der Spritzenumtausch zu rechnen sind - Maßnahmen mit denen man in den Niederlanden bereits in den siebziger Jahren begonnen hat -, hat relativ gute Ergebnisse erbracht. Diese Maßnahmen haben zur Eindämmung der AIDS-Epidemie beigetragen.

Alles in allem ist der Schluß gerechtfertigt, daß mit der niederländischen Drogenpolitik konkrete Ergebnisse in bezug auf die Volksgesundheit erzielt worden sind.

1.3 Komplikationen und neue Trends

Trotz der im internationalen Vergleich nicht ungünstigen Situation auf dem Gebiet der Volksgesundheit, ist der Drogenkonsum und alles, was damit zusammenhängt, auch in den Niederlanden ein großes Problem für den Staat und die Gesellschaft. Komplizierende Faktoren sind die Begleiterscheinungen des Drogenkonsums, die organisierte Kriminalität im Zusammenhang mit dem Drogenhandel und die Kritik des Auslandes bezüglich vermeintlicher und tatsächlicher externer Auswirkungen.

Ein kleiner Teil der Abhängigen von harten Drogen verursacht eine erhebliche Belästigung der Bevölkerung. Auf das Konto dieser Gruppe gehen zahlreiche Vermögensdelikte, die begangen werden, um sich das Geld für Drogen zu beschaffen. Die niedrigschwellige Abgabe von Methadon, für die man sich in den Niederlanden entschieden hat, hat hier anders als erwartet kaum Verbesserung gebracht. Ungefähr zwanzig Prozent der Drogenabhängigen hat einen äußerst unangepaßten Lebensstil: Nichtseßhaftigkeit, Polytoxikomanie und Kriminalität verstärken sich gegenseitig. Durch den Verkauf von Drogen, die Drogenkriminalität und das asoziale Verhalten Drogenabhängiger, etwa wenn sie Spritzen liegen lassen, wird die Toleranzschwelle vor allem der Bewohner sozial benachteiligter Viertel in Städten regelmäßig überschritten. Als Folge davon nahmen Bürger in einigen Fällen das Recht selbst in die Hand, indem sie z.B. Drogenabhängige mit Gewalt aus ihrem Viertel entfernten (oder eine Straße für französische Drogentouristen sperrten).

Selbstverständlich kann Drogenkonsum niemals ein Freibrief dafür sein, seine Mitbürger zu behindern und ihnen Schaden zuzufügen. Die Behörden müssen ungeachtet der drogenpolitischen Zielsetzungen gegen Kriminalität und asoziales Verhalten vorgehen. Da die Zielgruppe - etwa 5000 Drogenabhängige mit extrem unsozialem Verhalten - gut überschaubar ist, hofft das Kabinett hier kurzfristig Resultate verbuchen und eine dauerhafte Beseitigung dieses Übels in Aussicht stellen zu können.

In einigen Gemeinden beschwert sich die Bevölkerung über Belästigungen durch Coffeeshops, ihre lärmenden und sich asozial verhaltenden (auch ausländischen) Besucher. Die Probleme, die Coffeeshops verursachen, sind anderer Art als die der Szene, in der harte Drogen gehandelt werden. Es handelt sich hier teils um Belästigungen, die auch bei anderen Gaststättenbetrieben auftreten. In manchen Gemeinden kommt es jedoch u.a. wegen der ausländischen Drogentouristen in der Nachbarschaft von Coffeeshops zu exzessiven Belästigungen. Hierfür gibt es keinerlei Entschuldigung.

Diese unerwünschten Nebenwirkungen schwächen die gesellschaftliche Akzeptanz für die Coffeeshop- Maßnahmen und müssen daher beseitigt werden. Dies gilt ebenso für Probleme, die in Kneipen verursacht wurden, in denen entgegen den kommunalen Bestimmungen Cannabis verkauft wird. Auch gegen Coffeeshops, in denen illegale Aktivitäten wie der Handel mit harten Drogen, Waffen oder in denen Hehlergeschäfte stattfinden, müssen strengere Maßnahmen getroffen werden. Die Grenzen der Duldung müssen enger gezogen werden.

Die zweite erschwerende Faktor ist der zunehmende Einfluß krimineller Organisationen, die sich auf die Beschaffung und den Verkauf von Drogen spezialisiert haben. Obwohl genaue Zahlen über diese Organisationen naturgemäß fehlen, haben Berufsverbrecher, die sich ganz oder teilweise dem Rauschgifthandel verschrieben haben, ihre Geschäfte in den letzten zehn Jahren sowohl international als auch national zweifelsohne stark ausweiten können. Weltweit werden im Drogenhandel Gewinne von schätzungsweise 500 Milliarden Gulden pro Jahr erzielt. Die Schätzungen der Umsätze, die in den Niederlanden mit weichen und harten Drogen erzielt werden, schwanken erheblich. Die in dem Regierungsbericht über das organisierte Verbrechen (Nota Georganiseerde criminaliteit: dreigingsbeeld en plan van aanpak; kamerstukken II 1992-1993, 22838, nr. 1) genannte Zahl von 5,5 Milliarden Gulden pro Jahr muß heute als Mindestbetrag betrachtet werden. Neuere Schätzungen gehen von 10 Milliarden aus. Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung des organisierten Verbrechens geht auch aus der Tatsache hervor, daß finanzielle Einrichtungen im Jahre 1994 2600 "verdächtige" finanzielle Transaktionen bei der Meldestelle für ungewöhnliche finanzielle Transaktionen (Meldpunt Ongebruikelijke Transacties) gemeldet haben, die an die Justizbehörden weitergeleitet worden sind. Etwa die Hälfte dieser verdächtigen Transaktionen bezog sich auf den Drogenhandel.

Die zunehmende Aktivität und wirtschaftliche Macht dieser meist international tätigen kriminellen Organisationen sind eine Bedrohung für den demokratischen Rechtsstaat und führen selbstverständlich zu Gegenreaktionen u.a. in Form von größeren Befugnissen und zusätzlichen Mitteln für Polizei und Justiz. Darüber hinaus werden auch die Banken und Angehörige bestimmter freier Berufe bei der Prävention und Ermittlung in Geldwäscheangelegenheiten eingeschaltet. Die Beträge, um die es geht, haben einen so großen Umfang angenommen, daß die Integrität mancher Wirtschaftsbereiche schwer auf die Probe gestellt wird. Staatliche Maßnahmen werden dadurch erschwert, daß Geldströme immer weniger durch Staatsgrenzen behindert werden.

Die Reichweite der strafrechtlichen und präventiven Interventionen wird stets größer. Diese Entwicklung hat unvermeidlich zur Folge, daß im öffentlichen Interesse von Betrieben und Privatpersonen Opfer in Form zusätzlicher Lasten und Einschränkungen der bürgerlichen Rechte und Freiheiten verlangt werden. Umgekehrt versuchen kriminelle Organisationen, um sich gegen diese gemeinsame Gegenoffensive zu wehren, Mitarbeiter der Polizei, Justiz und Banken wie auch bestimmte Angehörige freier Berufe zu korrumpieren. Dies hat wiederum die Einführung oder Verschärfung standesrechtlicher Vorschriften zur Folge. Durch diesen Teufelskreis entstehen immer höhere soziale Kosten. In manchen Teilen der Vereinigten Staaten belasten die Kosten für das Gefängniswesen den Haushalt so stark, daß für andere öffentliche Einrichtungen wie Bildungsanstalten kaum noch genug Geld vorhanden ist. Manche Kritiker meinen, daß die Kosten der Drogenpolitik nicht mehr in angemessenem Verhältnis zu ihrem Nutzen stehen. Die zur Zeit stattfindende parlamentarische Untersuchung über die Zulässigkeit von Fahndungsmethoden zur Aufdeckung krimineller Organisationen richtet sich so gesehen auch auf bestimmte widersprüchliche Auswirkungen der Politik in bezug auf den Drogenhandel.

Ein weiterer komplizierender Faktor sind die internationalen Auswirkungen der niederländischen Politik. Die mitunter scharfe Kritik ausländischer Behörden beruht zum Teil auf einer unzureichenden Sachkenntnis. Deshalb müssen die Hintergründe, Zielsetzungen und tatsächlichen Auswirkungen der niederländischen Drogenpolitik international besser bekannt gemacht werden. Eine weitere Quelle der Kritik kann eine grundlegend andere Auffassung von der Aufgabe des Staates hinsichtlich des Konsums riskanter Stoffe durch erwachsene Bürger sein. Solch unterschiedliche Auffassungen kommen auch bei der Regulierung der Märkte für Tabak und Alkohol in den einzelnen europäischen Ländern zum Ausdruck. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Auffassungen über die medizinischen Risiken bestimmter Drogen. Die Auffassung des niederländischen Gesetzgebers, wonach Cannabisprodukte weniger Gesundheitsrisiken als harte Drogen mit sich bringen und somit eine andere Behandlung erfordern, wird auch innerhalb der Europäischen Union nicht überall geteilt. Neuere ausländische Berichte führender Drogenexperten rechtfertigen den vom niederländischen Gesetzgeber gemachten Unterschied zwischen weichen und harten Drogen. Kritik, die sich auf Meinungen über Gesundheitsrisiken stützt, für die es in der wissenschaftlichen Literatur keine Unterstützung mehr gibt, kann selbstverständlich kein Grund zur Anpassung der niederländischen Politik sein. Als Reaktion hierauf sollten wissenschaftliche und amtliche Austauschprogramme durchgeführt werden.

Trotz des ideologischen Hintergrunds eines Teils der ausländischen Kritik darf nicht verhehlt werden, daß der niederländischen Politik problematische Elemente anhaften, mit denen das Ausland konfrontiert wird. Beim Handel mit bestimmten Drogenarten spielen die Niederlande und Niederländer eine unverhältnismäßig große Rolle. Nach polizeilichen Schätzungen gibt es in den Niederlanden ungefähr hundert kriminelle Organisationen, die zum größten Teil im Drogengeschäft tätig sind. Bei kriminellen Organisationen, die u.a. mit harten Drogen handeln, sind Personen ausländischer Herkunft mit engen Verbindungen zu ihrem Herkunftsland überproportional vertreten. Organisationen, in denen überwiegend autochthone Niederländer vertreten sind, handeln vor allem mit weichen Drogen. Es handelt sich hier nur zu einem kleinen Teil um die Versorgung des nationalen Marktes. Niederländer sind ferner an der Durchfuhr und am internationalen Handel mit weichen Drogen beteiligt. Die Niederlande sind auch ein wichtiges Herstellerland für Amphetamine und Ecstasy.

Die Ursache für die Rolle der Niederlande im Drogenhandel ist teils in der geographischen Lage des Landes zu suchen. Die Niederlande sind für viele Waren der wichtigste Gateway to Europe. Auch ist insbesondere Amsterdam wegen seiner kosmopolitischen Ambiance ein internationaler Ort der Begegnung. Daß die bestehenden Infrastrukturen auch für den Drogenhandel genutzt werden, ist, wie dem Bericht Gesellschaft und Kriminalität (Nota Samenleving en Criminaliteit) aus dem Jahre 1985 zu entnehmen ist, nicht völlig zu vermeiden. Die niederländischen Behörden unternehmen große Anstrengungen bei der Strafverfolgung der Personen, die im internationalen Rauschgifthandel über die Seehäfen und den Flughafen Schiphol tätig sind. Die Teilnahme an internationalen Fahndungsvorhaben soll in den kommenden Jahren u.a. durch die Bildung eines überregionalen Fahndungsteams verstärkt werden. Es wird jedoch angesichts des Umfangs und der Schnelligkeit der Güterströme wohl nie gelingen, etwa den Rotterdamer Seehafen oder irgendeinen anderen Welthafen völlig "drogenfrei" zu machen.

Die Regierungen einiger Nachbarländer sind wegen der grenzüberschreitenden Auswirkungen der niederländischen Politik besorgt. Stein des Anstoßes sind insbesondere die relativ niedrigen Preise, für die in den letzten Jahren in den Niederlanden, seit kurzem übrigens auch in Belgien, verschiedene harte Drogen gekauft werden können, aber auch der Export von in den Niederlanden in Coffeeshops gekauften weichen Drogen.

Der Grund für die niedrigeren Preise auf dem illegalen Markt für Heroin kann nicht einfach der Haltung zugeschrieben werden, die die Niederlande in bezug auf die Produktion oder Einfuhr der Drogen einnehmen. Anders als im Ausland manchmal angenommen wird, wird der Handel mit harten Drogen in den Niederlanden, wie oben bereits erwähnt, intensiv verfolgt und schwer bestraft. Die rasche Erweiterung der niederländischen Gefängniskapazität zeugt hiervon. Der entscheidende Faktor ist das überwältigende Angebot harter Drogen auf den internationalen Märkten, was auch in den regelmäßig erscheinenden UNO-Berichten bestätigt wird. Der Marktpreis für die Konsumenten wird u.a. durch die lokale Nachfrage nach den jeweiligen Drogen bestimmt. In den Niederlanden wie auch in einigen anderen Ländern sinkt die Popularität von Heroin sehr stark; hinzu kommt, daß für die Gruppe älterer Abhängiger in großem Umfang Ersatzmittel wie Methadon bereitgestellt werden. Möglicherweise drückt die sinkende Nachfrage nach Heroin die Preise. Tatsache bleibt, daß die niedrigen Preise für harte Drogen den Drogentourismus fördern und daher Anlaß zur Besorgnis geben. Eine Intensivierung der Fahndungsbemühungen insbesondere in bezug auf harte Drogen einschließlich Ecstasy ist erforderlich. Die entsprechenden Regierungsmaßnahmen sollen in Kapitel 5 des Berichts näher erörtert werden.

Die Coffeeshops ziehen, vor allem in den Grenzgemeinden, ausländische Kunden an. Zwischen Ländern mit unterschiedlichen Regelungen für den Verkauf von Spirituosen oder anderen Waren wie etwa Waffen entsteht ein spezieller hierauf ausgerichteter Grenzverkehr. Solange es Unterschiede dieser Art gibt, sind Schmuggelaktivitäten nicht zu verhindern. Da im Schengener Abkommen nunmehr vereinbart wurde, daß gewisse Unterschiede in der Drogenpolitik der Mitgliedsländer bestehen bleiben dürfen, müssen solche Nebenwirkungen bis zu einem gewissen Grad in Kauf genommen werden. Der niederländische Staat hat jedoch mit der Unterzeichnung des Schengener Abkommens die Verpflichtung auf sich genommen, bei der Durchführung der eigenen Politik unerwünschte internationale Nebenwirkungen möglichst zu vermeiden. Von der niederländischen Regierung darf erwartet werden, daß sie alle erforderlichen Anstrengungen unternimmt, um den Export der in den Coffeeshops gekauften weichen Drogen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Zu Recht stellen die Nachbarländer diese Forderung an die Niederlande.

1.4 Ausgangspunkte für die künftige Politik

Nach unserer Auffassung gibt es angesichts der erzielten Ergebnisse keinen Grund, die primär auf die Beschränkung von Gesundheitsschäden ausgerichtete Drogenpolitik grundsätzlich zur Diskussion zu stellen. Es gibt demnach auch keinen Anlaß, sie grundlegend zu ändern. Tiefgreifende Änderungen könnten sich sogar nachteilig auf die Volksgesundheit auswirken. Allerdings zwingen die drei hier genannten Komplikationen - die Belästigung der Bürger, die organisierte Kriminalität und die Kritik des Auslandes wegen bestimmter externer Auswirkungen der Politik - zu einer genauen Analyse der Probleme, die sich in der Praxis ergeben und zu entsprechenden Korrekturen in Teilbereichen. Laut Koalitionsabkommen soll die relativ erfolgreiche niederländische Behandlung des Drogenproblems fortgesetzt werden; bestimmte Differenzierungen sollen vorgenommen und neue Möglichkeiten erprobt werden. Besondere Aufmerksamkeit soll Begleiterscheinungen des Drogenkonsums, wie der Belästigung der Bevölkerung, gelten.

Anpassungen der Maßnahmen im Zusammenhang mit den sich fortwährend ändernden Umständen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite der verschiedenen Drogenmärkte sind ebenfalls erforderlich. Änderungen in der Gruppenstruktur und sozialen Herkunft der Drogenkonsumenten und das Angebot neuer Drogen machen neue Maßnahmen notwendig. Die Stabilisierung der Gruppenstruktur der Heroinsüchtigen in den Niederlanden hat zur Folge, daß die Suchthilfe sich auf ältere Klienten mit ernsten physischen und psychischen Problemen richten muß. Heroin hat, wie bereits gesagt, unter Jugendlichen stark an Popularität eingebüßt; die Anzahl primär Kokainsüchtiger hält sich offenbar in Grenzen. Die sog. Designerdrogen wie Ecstasy finden - bei riesigen House- Parties, aber auch anderswo - dagegen mehr Abnehmer. Diese Drogen erfordern neue Maßnahmen.

Schließlich hat sich offenbar auch die Haltung der Bevölkerung gegenüber Drogenabhängigen geändert. Einerseits hat man sich bis zu einem gewissen Grad an bestimmte Formen des Drogenkonsums gewöhnt, anderseits wird die Drogensucht immer weniger als Entschuldigung akzeptiert, wenn andere Schaden leiden. Die Toleranz gegenüber Kriminalität, verschiedenen Begleiterscheinungen des Drogenkonsums und asozialem Verhalten von Drogenabhängigen hat abgenommen.

Gerade zur pragmatischen niederländischen Drogenpolitik gehört ein großes Maß an Offenheit, kritischer Einstellung und Flexibilität. Auf auftretende Komplikationen und neue Trends wird man adäquate, d.h. realistische Antworten finden müssen.

In der in den Niederlanden geführten Diskussion über die bei der Drogenpolitik auftretenden Komplikationen wurde von verschiedener Seite für eine weitgehende oder sogar völlige Legalisierung weicher und harter Drogen plädiert. Das Kabinett hat geprüft, ob eine Legalisierung möglich und wünschenswert ist, und ist zu den folgenden Schlußfolgerungen gelangt.

Entsprechend den niederländischen Auffassungen über die Schädlichkeit der verschiedenen Arten von Drogen muß ein Unterschied zwischen der Legalisierung harter bzw. weicher Drogen gemacht werden. Angesichts der Schädlichkeit harter Drogen überwiegen aus Gründen der Volksgesundheit die Bedenken in bezug auf drogenpolitische Maßnahmen, die eine Zunahme der Anzahl der Konsumenten zur Folge hätten. Die Befürworter einer Legalisierung schieben diese Bedenken zu leicht beiseite. Auch wenn es sich nicht mit letzter Gewißheit sagen läßt, so muß doch befürchtet werden, daß eine Legalisierung - egal für welche Modalität man sich auch entscheidet - die Verfügbarkeit der betreffenden Drogen erhöhen und von Jugendlichen als Hinweis darauf gesehen wird, daß sie weniger schädlich sind als angenommen. Somit bestünde die Gefahr, daß mehr Jugendliche harte Drogen erst ausprobieren und dann abhängig werden. Das Kabinett ist nicht bereit, dieses Risiko einzugehen.

Es sprechen noch andere Argumente dagegen. Nach einer Legalisierung gleich welcher Art würden die Preise auf den legalen und den übriggebliebenen illegalen Märkten für harte Drogen in den Niederlanden wahrscheinlich wesentlich niedriger liegen als in den Nachbarländern. Dies hätte mit Sicherheit eine Zunahme des bereits jetzt von den Regierungen der Nachbarländer wie auch von den niederländischen Gemeindeverwaltungen kritisierten Drogentourismus zur Folge. Die negativen Begleiterscheinungen durch den Drogenkonsum würden dann eher zu- als abnehmen.

Ferner muß befürchtet werden, daß das Ziel, dem illegalen Drogenhandel durch den legalen Verkauf harter Drogen Schranken zu setzen, nicht erreicht würde, solange die Legalisierung auf die Niederlande beschränkt bleibt. Die Versorgung des Inlandsmarktes ist nur eine der Aktivitäten der größeren kriminellen Organisationen. Solange es irgendwo in Europa einen lukrativen Markt für illegale Drogen gibt, werden die Niederlande als zentral gelegenes Transitland mit illegalem Drogenhandel durch niederländische und internationale kriminelle Organisationen und der Notwendigkeit seiner Bekämpfung konfrontiert sein. Eventuelle Vorteile einer Legalisierung werden sich erst dann zeigen, wenn sich auch andere Länder hierfür entscheiden. Auch dann wäre es übrigens noch keineswegs sicher, daß kriminelle Organisationen weniger aktiv werden. Viele Organisationen würden ihre kriminellen Aktivitäten bloß in andere Bereiche verlegen.

Kurzum, eine Legalisierung der harten Drogen wird vom Kabinett abgelehnt.

Auch in bezug auf die weichen Drogen spielt das Argument der Volksgesundheit eine Rolle, obwohl es weniger schwer wiegt als bei den harten Drogen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß der mehr oder weniger freie Verkauf weicher Drogen für den Eigenbedarf in den Niederlanden nicht zu einem wesentlich höheren Konsum geführt hat als in Ländern, in denen auf diesem Gebiet stark repressive Maßnahmen üblich sind. Der Unterschied liegt darin, daß in den Niederlanden die oft jungen Cannabis- Konsumenten nicht kriminalisiert werden. Der Konsum von Cannabis ist weniger schädlich als der Konsum von harten Drogen. Dennoch bringt auch der Konsum von Cannabis Gefahren mit sich, vor allem für Jugendliche.

Die Parallele zu Stoffen wie Nikotin und Alkohol liegt auf der Hand. Auch bei den behördlichen Maßnahmen muß diese Parallele zum Ausdruck kommen. Wir versuchen, den Konsum von Alkohol und Nikotin durch eine gewisse Angebotsbeschränkung und andere restriktive Maßnahmen zu beschränken. Dabei geht es um Aufklärung und nicht um ein allgemeines Verbot. Wir halten weder die Schließung der Coffeeshops noch die völlige Freigabe des Cannabisverkaufs für wünschenswert. Man wird darauf hinwirken, den Konsum möglichst zu beschränken, indem man z.B. die Zahl der Coffeeshops reduziert, Altersgrenzen für den Verkauf festlegt und Coffeeshops in der Umgebung von Schulen verbietet. Schließlich soll auch die Aufklärung über die nachteiligen Folgen des Cannabiskonsums intensiviert werden.

Vor diesem Hintergrund sollte eher an ein Modell gedacht werden, bei dem die Lieferung unter Staatsaufsicht geschieht oder auf andere Weise streng reglementiert wird. Dies erinnert an das frühere Opium-Monopol des Staates in Indonesien. Die Einführung irgendeines Genehmigungssystems für den Anbau von Cannabis erfordert jedoch die Abschaffung seiner Strafbarkeit, d.h. seine Legalisierung. Der niederländische Staat kann schließlich keine Genehmigung zur Erteilung strafbarer Handlungen erteilen oder sich selbst der Mittäterschaft schuldig machen.

Wie in Anhang II zu diesem Bericht erläutert, lassen die von den Niederlanden ratifizierten Verträge nach Auffassung von Experten auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts keinen Spielraum für die Legalisierung des Drogenverkaufs; ausgenommen sind lediglich Drogen für medizinische und wissenschaftliche Zwecke. Insbesondere das UNO-Übereinkommen von 1988 zwingt zur Bestrafung des Cannabis- Anbaus. Im Schengener Abkommen wurde vereinbart, daß die Opium-Verträge der Vereinten Nationen ohne Einschränkung befolgt werden. Mit einer großzügigen Auslegung der für die Niederlande geltenden Vertragsverpflichtungen durch die Vertragspartner und die zuständigen internationalen Organisationen kann nicht gerechnet werden. Eine Legalisierung würde daher nicht nur die Kündigung der Opium-Verträge, sondern auch des Schengener Abkommens erfordern, das schließlich die Einhaltung dieser Verträge fordert. Die Einführung eines Genehmigungssystems ist wegen der geltenden Vertragsverpflichtungen kein begehbarer Weg.

Ferner muß der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Nachbarländer unvermeidlich mit den Folgen einer solchen Politik konfrontiert würden. Zu befürchten wäre beispielsweise, daß ein Teil der reglementierten Lieferungen illegal ins Ausland gelangt. Eine Legalisierung des Anbaus, Handels und Verkaufs weicher Drogen würde durch das Wegfallen des strafrechtlichen Unternehmerrisikos darüber hinaus zu noch niedrigeren Preisen auf dem niederländischen Markt führen, wodurch der Drogentourismus neue Nahrung erhielte. Auch das ist - vor allem für die grenznahen Gemeinden - keine günstige Perspektive.

Sowohl wegen der Vertragsverpflichtungen als auch wegen der großen und weiter zunehmenden Mobilität innerhalb der Europäischen Union darf es keine großen Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit von Drogen in den einzelnen Mitgliedstaaten geben. Die Diskussion über die Legalisierung von Drogen hat also eine europäische Dimension erhalten und muß deshalb in europäischem Rahmen geführt werden. Natürlich können die Niederlande, etwa in Zusammenarbeit mit einigen deutschen Bundesländern und im Sinne des bereits genannten Berichts des französischen Henrion-Ausschusses in dieser europäischen Diskussion eine aktive Rolle spielen. Wir werden uns auch weiterhin darum bemühen. In der heutigen Situation hält es das Kabinett jedoch nicht für möglich, daß die Niederlande im Alleingang eine Legalisierung der weichen Drogen ins Auge fassen.

Allerdings ist unserer Auffassung nach die Zeit reif für mehr Deutlichkeit über die Grenzen, innerhalb deren Inhaber von Coffeeshops im Rahmen der vertragsrechtlichen Möglichkeiten ihre Tätigkeit ausüben können. Die Institution Coffeeshop hat hierzulande in den vergangenen zwanzig Jahren ihre Existenzberechtigung bewiesen und bedarf nunmehr einer Regelung. Dabei geht es nicht nur um eine Präzisierung der staatsanwaltschaftlichen Richtlinien in bezug auf die Fahndung und Strafverfolgung in Rauschgiftsachen, sondern auch um nähere verwaltungsrechtliche Regelungen.

1.5 Schlußfolgerungen

Eine Verbesserung der heutigen, unter dem Aspekt der Volksgesundheit erfolgreichen Politik verdient den Vorzug gegenüber einer radikalen Kursänderung mit allen ungewissen Vor- und Nachteilen. Die niederländische Drogenpolitik wird innerhalb der durch internationale Verträge festgelegten Grenzen primär auf Prävention und Harm reduction ausgerichtet sein. Aufgrund einer genauen Evaluierung der erzielten Ergebnisse und der aktuellen Probleme werden in diesem Bericht Vorschläge für drogenpolitische Kursänderungen unterbreitet.

Gegen die durch in- und ausländische Drogenabhängige verursachten Probleme müssen kurzfristig effektive Maßnahmen ergriffen werden. Dies erfordert eine koordinierte Aktion der Exekutive, der Staatsanwaltschaften, der Hilfseinrichtungen, der Polizei und der Ausländerbehörde.

Harte Maßnahmen sollen, wo nötig, nicht gescheut werden.

Die Entwicklung des organisierten Verbrechens ist eine Bedrohung für den demokratischen Rechtsstaat. Der niederländische Rechtsstaat wird sich hiergegen u.a. in internationalem Rahmen weiterhin sehr entschieden zur Wehr setzen müssen, selbstverständlich ohne dabei seine normativen Prinzipien zu verleugnen. Die Fahndung nach Drogenhändlern und deren Strafverfolgung müssen bei der Polizei und Justiz weiterhin höchste Priorität genießen. Die Suchthilfe wird sich u.a. im Zusammenhang mit der Verlagerung der Probleme - mehr ältere Heroinabhängige, neue Designerdrogen - neu orientieren müssen.

In den folgenden Kapiteln soll der Reihenfolge nach auf die Maßnahmen im Bereich der harten Drogen, die notwendigen Reformen bei der Suchthilfe, die Maßnahmen im Bereich der weichen Drogen und die strafrechtlichen Maßnahmen bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eingegangen werden. Der Bericht schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Schlußfolgerungen und Regierungsvorhaben.

2. Die Maßnahmen hinsichtlich des Konsums harter Drogen

2.1 Umfang und Art

Die Zahl der Heroinsüchtigen wird, wie bereits erwähnt, in den Niederlanden auf etwa 25.000 geschätzt. Wenn man die beträchtliche Zahl von Süchtigen, die nicht mit Hilfeleistungseinrichtungen und Justizbehörden in Berührung kommen, mitberücksichtigt, fällt diese Schätzung mit 27.000 Personen etwas höher aus. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und sicherlich zu den Vereinigten Staaten sind diese Zahlen, wie bereits gesagt, nicht hoch (siehe Anhang I).

Die Untergruppe der primär Kokainsüchtigen hatte in den letzten Jahren einen gewissen Zuwachs zu verzeichnen, ist jedoch weiterhin beschränkten Umfangs. Dies gilt auch für die Konsumenten billigerer Kokainarten.

Etwa 65% der Dogenabhängigen haben Kontakt zu Hilfeleistungseinrichtungen. Schätzungsweise drei Viertel dieser Heroinkonsumenten erhalten mehr oder weniger regelmäßig das Ersatzmittel Methadon.

Der Konsum von Ecstasy (MDMA) unter Schülern hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Jahre 1992 hatten 3,3% der Schüler zwischen 12 und 18 Jahren Ecstasy schon einmal ausprobiert. In den meisten Fällen handelt es sich um gelegentlichen Freizeitkonsum. Häufigen Konsum findet man unter spezifischen Gruppen gefährdeter Jugendlicher wie z.B. Klienten der Jugendhilfe.

Der Konsum von Ecstasy kann ernste akute Gesundheitsschäden wie Überhitzung und Austrocknung verursachen, in Einzelfällen sogar bis zum Tod führen. Gleichzeitig können ernste Leber- und Nierenschäden auftreten. Ecstasy gilt wegen dieser Gesundheitsrisiken als harte Droge. Auch andere weniger bekannte Designerdrogen können eine Bedrohung für die Volksgesundheit darstellen. Die raschen Entwicklungen auf dem Gebiet der Psychopharmaka führen dazu, daß immer wieder neue Drogen für den Freizeitkonsum auf den Markt kommen. Eine positive Entwicklung ist, daß die Benutzer sich mehr und mehr als kritische Konsumenten verhalten, die möglichst wenig Risiken eingehen wollen.

2.2 Die Maßnahmen hinsichtlich des Ecstasy-Konsums

Die drogenpolitischen Maßnahmen in bezug auf Ecstasy wurden in einem Papier der Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport (TK 1993-1994, Nr. 23760) dargelegt und am 29. Oktober 1994 und 14. Juni 1995 mit dem hierfür zuständigen Ständigen Ausschuß für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport der Zweiten Kammer besprochen. Darin hat die Ministerin ihre Besorgnis über die Entwicklung des Ecstasy-Konsums zum Ausdruck gebracht und eine Reihe von Maßnahmen angekündigt. Es handelt sich um behördliche Maßnahmen, um Maßnahmen, die eine genaue und kritische Beobachtung des Angebots von Designerdrogen, nähere Untersuchungen nach der Schädlichkeit dieser Drogen und die Intensivierung der Aufklärung zum Ziel haben.

Angesichts der Tatsache, daß Ecstasy und damit verwandte Drogen häufig auf sog. House-Partys und anderen Großveranstaltungen genommen werden, hat die Ministerin inzwischen Richtlinien für die Kommunalpolitik hinsichtlich dieser Veranstaltungen erlassen. (Stadhuis en House, 1955). Darin wird erläutert, welche Möglichkeiten Gemeinden haben, mit ihren Genehmigungen Auflagen zu verbinden, um den Drogenkonsum und dessen Folgen soweit wie möglich zu unterbinden. Was die Beobachtung des Drogenmarktes angeht, sollen die zur Zeit bestehenden Kontrollsysteme weiter ausgebaut werden. Nähere Untersuchungen der Schädlichkeit von Designerdrogen werden in Kürze aufgenommen. Die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Konsum dieser Drogen erfordern aufmerksames Handeln und ein dynamisches Vorgehen auf dem Gebiet der Aufklärung und Prävention. Die fachliche Eignung der in diesem Bereich tätigen Personen soll daher gefördert werden. Im Herbst dieses Jahres soll außerdem mit einer Reihe von Aufklärungsveranstaltungen begonnen werden. Näheres hierzu enthält Kapitel 3, Abschnitt 2.

2.3 Kriminalität, Ordnungsstörungen und Drogenabhängige

Wiederholt wird der Eindruck geweckt, das Gros der Ordnungsstörungen und der Löwenanteil der unter Beschaffungskriminalität fallenden Diebstähle und Einbrüche würde auf das Konto von Drogenabhängigen gehen und alle Drogenabhängigen würden ihren Lebensunterhalt durch Straftaten bestreiten. Dieser Eindruck trifft keineswegs zu.

Für einen Teil der Vermögensdelikte sind Gelegenheitstäter verantwortlich. Ein anderer Teil wird von sozial schlecht integrierten Heranwachsenden begangen, die jedoch bei weitem nicht immer drogenabhängig sind. Ebensogut können Illegalität, Spielsucht oder mehr allgemein eine auf Luxuskonsum ausgerichtete Lebensweise, die nicht mit eigenen Mitteln zu finanzieren ist, zu Beschaffungskriminalität führen. Schätzungen zufolge gehen zehn bis zwanzig Prozent aller Straftaten - also einschließlich der nicht aufgeklärten Delikte - auf das Konto von Drogenabhängigen. Da innerhalb dieser Gruppe ein kriminell aktiver Kern überproportional viele Delikte begeht (die Rückfallquote ist hoch) und darüber hinaus sehr offen zu Werke geht, fallen die Drogenabhängigen bei Polizei und Justiz besonders auf. Die höhere Rückfallquote führt zu einem größeren Anteil in den Polizeistatistiken und hat auch längere Freiheitsstrafen zur Folge. Die Tatsache, daß etwa die Hälfte der Gefangenen drogenabhängig ist, paßt ebenfalls in dieses Bild. Hieraus darf jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß die Hälfte der Kriminalitätsprobleme durch Drogenkonsum verursacht wird.

Von den aufgeklärten Vermögensdelikten in größeren Städten entfällt neueren Untersuchungen zufolge ein Drittel auf Drogenabhängige. Bei fünf häufig vorkommenden Vermögensdelikten wie Wohnungs- und Autoeinbrüche ist dies sogar die Hälfte. Auf Landesebene ist der Anteil etwas geringer.

Niederländischen und ausländischen Untersuchungen zufolge wurden viele Drogenabhängige - manchen Experten zufolge sogar die Hälfte aller Drogenabhängigen - bereits vor ihrer Abhängigkeit straffällig. Bei dieser Gruppe sind Kriminalität und Drogenmißbrauch einander gegenseitig verstärkende Elemente eines unangepaßten Lebensstils. Hier muß wahrscheinlich auch die Erklärung dafür gesucht werden, daß die Abgabe von Methadon an Heroinsüchtige an sich bei weitem nicht immer das Ende ihrer kriminellen Karriere bedeutet.

Drogenabhängige sind vor allem an Straftaten auf lokaler Ebene beteiligt: Vermögensdelikte wie Wohnungseinbrüche, Autoaufbrüche, Diebstahl unter Gewaltanwendung, Straßenraub und Ladendiebstähle (Art. 310, 311, 312 Strafgesetzbuch). Darüber hinaus kommen in geringerem Maße Gewalttaten wie Mißhandlung, Bedrohung und Mord- und Totschlag, Waffendelikte und in noch geringerem Umfang Sittlichkeitsdelikte, Verkehrsdelikte und Wirtschaftsstraftaten vor. Gewaltdelikte können durch die enthemmende Wirkung bestimmter Mittel mitverursacht werden. In dieser Hinsicht ist der Alkoholmißbrauch allerdings ein viel wichtigerer kriminogener Faktor. Ferner sind Rauschgiftsüchtige am Straßenhandel mit Drogen beteiligt. Drogenabhängige spielen fast gar keine Rolle in höheren Regionen des organisierten/professionellen Verbrechens.

Ordnungsstörungen werden, wie auch die häufig vorkommende Vermögenskriminalität, oft verallgemeinert und undifferenziert Drogenabhängigen zugeschrieben. Obdachlose, Alkoholiker, Illegale, Spielsüchtige und psychiatrische Patienten verursachen in vielen Städten Probleme, und die Bevölkerung fühlt sich nicht mehr sicher. Diese Probleme mit Drogensüchtigen sind ein wichtiger Bestandteil der komplexeren Problematik der Konzentration sozialer Randgruppen in den großen Städten.

Im Rahmen der für die großen Städte geplanten Maßnahmen hat der Staatssekretär des Innern u.a. im Namen des Ministers für Soziales und Arbeit, des Ministers für Wirtschaft, der Ministerin der Justiz, der Ministerin für Wohnungswesen, Raumordnung und Umwelt und der Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport zunächst mit den vier größten Städten Vereinbarungen getroffen, die zu strukturellen Verbesserungen der Sicherheit und Lebensqualität insbesondere in den sozial am stärksten gefährdeten Vierteln führen sollen. Auch mit den 15 anderen großen Städten sollen derartige Vereinbarungen getroffen werden. Für die Durchführung der jetzigen Pläne hat die Regierung für die kommenden vier Jahre einen Betrag von insgesamt 375 Millionen Gulden bereitgestellt. Hiermit sollen unter anderem umfassende Projekte zur Integration gefährdeter Jugendlicher und Stadtviertel-Projekte zur Verbesserung der Sicherheit und der Lebensqualität finanziert werden. Darüber hinaus wurde ein Betrag von bis zu 560 Millionen Gulden für ein Beschäftigungsprogramm im Bereich der Überwachung vorgesehen. Das Kabinett hat damit die Politik der Prävention von Kriminalität und von Ordnungsstörungen in den großen Städten verstärkt. Es darf erwartet werden, daß die Vereinbarungen mit den Städten die Grundlage für umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung der Probleme im Zusammenhang mit der Verelendung und der Störung der Ordnung sein werden.

Die Kriminalität und die Störung der öffentlichen Ordnung, die von einigen tausend sozial extrem unangepaßten Süchtigen mit hoher Rückfallquote verursacht wird, haben inzwischen solche Ausmaße angenommen, daß sie auf jeden Fall effektiver bekämpft werden müssen. Da die Möglichkeiten hierzu angesichts der übersichtlichen Zielgruppe vorhanden sind oder zu finden sein müssen, sieht es die Regierung als ihre Aufgabe an, hier kurzfristig spürbare Resultate zu erzielen.

Maßnahmen zur Strafverfolgung, die auf die kleine Gruppe der kriminell besonders aktiven Süchtigen ausgerichtet sind, können zu einer Reduzierung der Kriminalität führen. Sie werden entschlossen vorangetrieben. Ferner muß das Betreuungsangebot angepaßt werden. In Kapitel 3, Abschnitt 6 wird hierauf näher eingegangen.

2.4 Verwaltungsmaßnahmen gegen Ordnungsstörungen

Zur Bekämpfung der von den Drogensüchtigen verursachten Ordnungsstörungen und Vermögenskriminalität werden die lokalen Behörden, die Polizei, die Staatsanwaltschaften und die Helfer das Verhalten der genannten Personengruppen auf konsistente Art und Weise konditionieren müssen. Sozial unangepaßtes Verhalten muß konsequent sanktioniert werden, angepaßtes Verhalten sollte dagegen soweit wie möglich belohnt werden.

Im Stadtteil Westerpark in Amsterdam ist seit einiger Zeit eine Meldestelle für Ordnungsstörungen erfolgreich tätig. In vielen Fällen kann bei Problemen vermittelt werden. Diese Initiative ist beispielhaft; die Einrichtung weiterer Meldestellen in Amsterdam ist geplant. Wir werden darauf hinwirken, daß an mehreren Orten in enger Zusammenarbeit mit der Polizei, den Gemeinden und Einrichtungen auf dem Gebiet der Suchthilfe solche Meldestellen eingerichtet werden. Solche Meldestellen können bei der gemeinsamen Vorbereitung von Gerichtsverfahren und bei der Beweisführung Unterstützung bieten. Sie machen rascheres Handeln und eine bessere Koordinierung der Maßnahmen möglich und können feststellen, welche Drogenabhängigen die meisten Probleme verursachen.

An der Lösung dieser Probleme, die Drogenabhängige verursachen, sind viele Dienststellen beteiligt. Dies erfordert eine gute Regie, die bürokratische Hürden nehmen kann.

Die vier größten Städte haben vorgeschlagen, gemeinsam mit den direkt beteiligten Ministerien eine Projektgruppe zur Bekämpfung der Drogenprobleme einzusetzen, der Beamte angehören sollen, die mit einem weitreichenden Mandat ausgestattet sind. Diese Projektgruppe muß dafür sorgen, daß behördliche Vereinbarungen von allen beteiligten Diensten nach einem genauen Zeitplan von allen beteiligten Dienststellen der Zentralbehörde und der Gemeinden durchgeführt und aufeinander abgestimmt werden. Dieser Vorschlag, auch bei der Durchführung zusammenzuarbeiten, paßt zu den von uns initiierten Maßnahmen zugunsten der großen Städte. Die Verwirklichung dieses Vorschlags wurde inzwischen in Angriff genommen.

Die Projektgruppe, der neben den zuständigen Ministerien und den vier größten Städten auf jeden Fall auch die Vereinigung Niederländischer Gemeinden (VNG) als Vertreterin der übrigen Gemeinden angehören wird, kann mit der bereits bestehenden Projektgruppe Sicherheit, die für die Maßnahmen zugunsten der großen Städte eingesetzt worden ist, zusammengelegt werden. Es wird die Aufgabe der Projektgruppe sein, nicht nur für die Durchführung der in den Vereinbarungen mit den großen Städten formulierten Sicherheitsbestimmungen zu sorgen, sondern auch für die Durchführung der in diesem Bericht genannten Pläne und Vereinbarungen zur Sicherung der öffentlichen Ordnung.

Der Lenkungsausschuß zur Beseitigung von Ordnungsstörungen (Stuurgroep Vermindering Overlast), der eingesetzt wurde, um die in dem Bericht über die Verminderung von Ordnungsstörungen durch Drogenabhängige vorgesehenen Maßnahmen (Nota inzake het beleid gericht op het verminderen van door verslaafden veroorzaakte overlast, TK 1993-94, 22684, Nr. 12) durchzuführen, wird in dieser Gruppe aufgehen, die fortan Zwischenbehördliche Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe (Interbestuurlijke Task Force Veiligheid en Verslavingszorg) heißen soll. Sie wird Arbeitsgruppen für verschiedene Themenbereiche wie die Suchthilfe einsetzen und über ein gut ausgestattetes Sekretariat verfügen können.

2.5 Das juristische Instrumentarium

Gegen Ordnungsstörungen durch den Handel und Konsum von Drogen auf der Straße kann aufgrund der allgemeinen Gemeindeverordnungen etwas unternommen werden. Man denke hierbei an Versammlungsverbote oder an das Verbot, öffentliche Verkehrswege für andere Zwecke als die zu benutzen, für die sie bestimmt sind. Der Rückgriff auf Notbefugnisse muß hierbei auf tatsächliche Notsituationen im Sinne von Artikel 175 und 176 des Gemeindegesetzes beschränkt sein. Verwiesen sei hierfür auf den Standpunkt der Regierung hinsichtlich der Untersuchung über kommunale Notbefugnisse, den der Minister des Innern dem Vorsitzenden des Ständigen Parlamentsausschusses mit Brief vom 21. März 1995 mitgeteilt hat.

Der Handel mit (harten) Drogen von Wohnungen aus ist für die Umwohnenden eine besondere Quelle des Ärgernisses. Bei den Wohnungen handelt es sich meistens um Etagenwohnungen oder Appartements, wobei die Nachbarn mit einem Zulauf von Süchtigen konfrontiert werden, mit allen als bedrohlich empfundenen Begleiterscheinungen. Nicht immer agiert der Mieter als Händler; manchmal wird er unter Druck gesetzt (und mit kleinen Mengen für den Eigenverbrauch belohnt), um den Handel zu dulden, in anderen Fällen handelt es sich um Untervermietung oder illegalen Konsum. Soweit es um Privatvermieter, insbesondere um Wohnungsbaugenossenschaften geht, steht die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Räumungsklage gegen den betreffenden Mieter offen. In Fällen, in denen die Häuser Eigentum eines am Drogenhandel Beteiligten oder nicht an der Bewohnung interessierten Spekulanten sind, bietet dies keinen Ausweg. Strafrechtliche Sanktionen gegen den Kleinhändler können oft nicht verhindern, daß jemand anders den Handel fortsetzt.

Vor allem in Vierteln mit einer geschwächten sozialen Struktur besteht das Bedürfnis, beginnende oder fortschreitende Verelendung durch den von Wohnungen aus betriebenen Drogenhandel zu bekämpfen. Wenn die Bewohner auf ein solches Problem hinweisen und polizeiliche Ermittlungen zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, muß es möglich sein, den Zugang zu einer Wohnung vorübergehend - bis der Zulauf aufhört - zu unterbinden. Bislang stößt man dabei auf Schwierigkeiten, da Wohnungen aufgrund von Artikel 10 der Verfassung für Bewohner und ihre Angehörigen zugänglich bleiben müssen. Soll der Zugang zu einer Wohnung unterbunden werden, ist dafür eine formelle gesetzliche Grundlage erforderlich. Eine entsprechende Änderung des Gemeindegesetzes ist in Vorbereitung. Die Verletzung der Privatsphäre wird dadurch gerechtfertigt, daß Personen, die in ihrer Wohnung Drogenhandel zulassen oder dulden, in erheblichem Maße selbst den privaten Charakter der Wohnung verletzen.

2.6 Drogentourismus

Ein Teil der Probleme wird durch ausländische Drogenabhängige verursacht, die sich illegal in den Niederlanden aufhalten, und durch Drogentouristen aus EU-Nachbarländern. Aus Deutschland, Belgien, Frankreich und anderen Ländern kommen Konsumenten harter Drogen in die Niederlande, um sich Rauschmittel zu beschaffen oder sie zu konsumieren. Drogentourismus ist in verschiedenen Gemeinden entlang der Ost- und Südgrenze wie Arnheim, Venlo, Heerlen und Maastricht festzustellen, aber auch einige mehr landeinwärts gelegene Städte werden damit konfrontiert. Manche Drogentouristen konsumieren die gekaufte Ware an Ort und Stelle, andere nehmen bestimmte Mengen für sich selbst oder für andere mit über die Grenze.

Der Drogentourismus geht oft mit aggressiver Werbung (sog. Drug-runners) und unzulässigen Ordnungsstörungen in Wohnvierteln und Stadtzentren einher.

Die Bekämpfung des Drogentourismus auf der sog. Hazeldonk- Route (Lille, Antwerpen, Rotterdam) erfolgt in Zusammenarbeit mit den französischen und belgischen Behörden. Die Maßnahmen richten sich sowohl auf die Drug-runners als auch auf Drogentouristen.

Im Jahre 1994 wurden über 800 Drogentouristen und Drug-runners festgenommen. Dieser Einsatz kostete die niederländische Polizei etwa 35.200 Mannstunden. Die Kurierdienste auf bestimmten Autobahnabschnitten in Belgien und in den Niederlanden haben abgenommen, aber das Phänomen erfordert weiterhin Aufmerksamkeit. Die in diesem Zusammenhang ergriffenen Maßnahmen beanspruchen die verfügbare Gefängniskapazität erheblich. Auch verlagerten sich die Probleme auf andere Grenzabschnitte und auf andere Häuser. Außerdem benutzte man häufiger die Eisenbahn als Verkehrsmittel.

Im Jahre 1995 haben die Rotterdamer Behörden unter dem Namen "Victor" eine breitangelegte Offensive im Rahmen der Bekämpfung des Drogenproblems gestartet. Dabei wurde der Zugang zu zahlreichen Häusern unterbunden und einige hundert ausländische Drogentouristen und Drug-runners festgenommen. Diese repressiven Maßnahmen zur Abschrekung der ausländischen Drogentouristen sollen in den kommenden Jahren fortgesetzt werden. Dabei will man sich bei der Fahndung und Strafverfolgung verstärkt auf die führenden Köpfe der lokalen Verbrauchermärkte für harte Drogen konzentrieren, die die Drug-runners und die Händler einsetzen.

Zwischen den Justizbehörden in Belgien und Nordfrankreich und Vertretern der niederländischen Staatsanwaltschaft wurden Gespräche über eine grundlegende Lösung des Problems aufgenommen, bei denen gute Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Fahndungsbehörden im Vordergrund stehen. Zwischen Frankreich und den Niederlanden wurden Gerichts- und Polizeibeamte ausgetauscht. Dadurch hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Polizei- und Justizbehörden verbessert.

Die Regierungsmaßnahmen sind darauf ausgerichtet, die an der Süd- und Ostgrenze in diesem Zusammenhang von den verschiedenen Polizeidistrikten unternommenen Bemühungen besser aufeinander abzustimmen und ausländische Verdächtige, sofern möglich, den zuständigen ausländischen Behörden zu überstellen. Bei den Gesprächen mit den Nachbarländern werden auch die Elemente Betreuung und Prävention mitberücksichtigt. Man wird über Zwangsmaßnahmen und Anreize zur Entziehung sprechen, wobei aus dem Ausland stammenden kriminellen Süchtigen die Möglichkeit gegeben wird, als Alternative zu einer Gefängnisstrafe in den Niederlanden sich im Herkunftsland einer Behandlung zu unterziehen. Angesichts der beschränkten Kapazität, die - insbesondere in Frankreich - für die Behandlung Drogensüchtiger verfügbar ist, können die Erwartungen jedoch kurzfristig nicht allzu hochgespannt sein.

Im Rahmen des europäischen Drogenbekämpfungsplans haben die Niederlande einen Vorschlag zur Bekämpfung des Drogentourismus vorgelegt. Die Europäische Kommission hat im Rahmen des Drogenbekämpfungsplans einen Vorschlag für ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Prävention der Drogenabhängigkeit unterbreitet. Dieses Programm bietet die Möglichkeit, die Suchthilfe innerhalb der Europäischen Union zu verbessern.

Soweit es ausländische Süchtige angeht, die sich strafbarer Handlungen schuldig machen, darunter Kleinhändler und Drug- runners, sind zielstrebige Ermittlungen, Strafverfolgung, Aburteilung oder Übertragung der Strafverfolgung, unmittelbare Ausweisung und, soweit möglich, die Erklärung zum unerwünschten Ausländer (Artikel 21 Ausländergesetz) angezeigt. Auch in bezug auf EU-Bürger, die aufgrund des Gemeinschaftsrechts ein Aufenthaltsrecht haben und im allgemeinen einen besonderen Schutz gegen Ausweisung genießen, sind wir der Auffassung, daß in dringenden Fällen eine unmittelbare Ausweisung erlaubt ist (Artikel 100 Absatz 4 Ausländererlaß). Drogentouristen aus den Nachbarländern, die sich strafbarer Handlungen schuldig machen und dadurch die öffentliche Ordnung stören, müssen damit rechnen, daß sie aufgrund des Ausländergesetzes sofort ausgewiesen werden. Auf keinen Fall kann man sich damit abfinden, daß die Niederlande ein zentrales Aufnahmegebiet für europäische Heroinsüchtige werden. Dem Import ausländischer Drogenprobleme in die Niederlande soll ein Ende bereitet werden.

3. Vorsorge, Betreuung und Behandlung Drogenabhängiger

3.1 Das Interesse an neuen Formen der Hilfeleistung

Die Zahl der von harten Drogen abhängigen Personen ist in den Niederlanden stabil und relativ niedrig (siehe Anhang I). Das Durchschnittsalter von Heroinsüchtigen liegt über dreißig Jahren und steigt weiter. Es gibt daher keinen Grund anzunehmen, daß die Maßnahmen im Bereich der weichen Drogen zu einer Zunahme der Konsumenten harter Drogen geführt haben. Die Tatsache, daß niederländische Jugendliche nach Angaben u.a. des Amsterdamer kommunalen Gesundheitsdienstes (GG&GD) selten vor ihrem 21. Lebensjahr mit dem Konsum harter Drogen wie Heroin oder Kokain beginnen, läßt eher auf das Gegenteil schließen. Daß nur eine geringe Zahl von Jugendlichen bereits vor dem 21. Lebensjahr Heroin oder Kokain nimmt, ist positiv zu bewerten, und zwar um so mehr, als die Erfahrung lehrt, daß die Chancen zur Überwindung der Sucht mit der Zunahme des Einstiegsalters wachsen.

Inzwischen werden die Hilfseinrichtungen mit neuen Entwicklungen konfrontiert.

Wie oben bereits dargelegt, haben die von einem Teil der Süchtigen verursachten Störungen der öffentlichen Ordnung zugenommen. Ferner werden die Hilfseinrichtungen mit einer stets größer werdenden Vielfalt extrem problematischer Zielgruppen konfrontiert, die ein besonderes Vorgehen erfordern. Beispiele hierfür sind die psychisch gestörten Süchtigen, schwer kriminelle oder aggressive Drogenabhängige, süchtige Obdachlose und Ausreißer, Drogenabhängige ausländischer Herkunft und solche, die mehrere Drogen gleichzeitig konsumieren. Ein gemeinsames Kennzeichen dieser Gruppen ist, daß die Suchtproblematik nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern meist mit anderen Problemen wie psychischen Erkrankungen, Lebensstil- und Gesundheitsproblemen bzw. sozialen Benachteiligungen verknüpft ist. Immer häufiger tauchen bei Süchtigen Erkrankungen wie TBC und Hepatitis auf. Schließlich befinden sich viele Süchtige dieser Zielgruppen in einer schlechten körperlichen und geistigen Verfassung wegen des langanhaltenden Drogenkonsums, wodurch die Chance auf Gesundung gering ist.

In den Niederlanden ist man lange davon ausgegangen, daß Drogenabhängige letztlich Patienten sind, die wegen ihrer Sucht mit Methoden zu behandeln sind, die die Abstinenz zum Ziel haben. Die Zahl der wissenschaftlich fundierten, umfassenden Evaluierungen der Effektivität solcher Behandlungsprogramme auf etwas längere Sicht ist jedoch gering. Aus internationalen Studien geht hervor, daß sie nur beschränkten Einfluß auf den Suchtverlauf haben,.

Die Hilfe, die sich auf die Schadensbegrenzung während der Suchtperiode konzentriert, ist dagegen ziemlich effektiv. Die gesundheitliche Verfassung der niederländischen Drogenabhängigen ist dadurch relativ gut, was unter anderem in der steigenden Anzahl älterer Drogenabhängiger zum Ausdruck kommt. Ein Teil der niederländischen Drogenabhängigen ist auch relativ gut sozial integriert.

Die enttäuschenden Ergebnisse mancher nur auf Abstinenz ausgerichteter Behandlungsmethoden und die Entstehung neuer Zielgruppen von Süchtigen, bei denen die Sucht oft Bestandteil eines komplexeren Problems ist, erfordern einige Änderungen im Angebot von Präventions- und Betreuungsmaßnahmen. Folgende Reformen haben nach Auffassung der Regierung höchste Priorität:

  • Reformen im Bereich der Prävention,
  • Verbesserung der Abstimmung zwischen den verschiedenen Betreuungsformen,
  • Differenzierung des stationären Betreuungsangebots,
  • Verbesserung der Abstimmung der stationären Betreuung auf den Vollzug in Strafanstalten (obligatorische und empfohlene Entziehungskuren),
  • versuchsweise Abgabe von Heroin aufgrund einer medizinischen Indikation.

Diese Reformen beziehen sich auf die Betreuung und Prävention in bezug auf die Drogenabhängigen und Risikogruppen. In diesem Zusammenhang soll den problematischen, meist kriminellen Drogenabhängigen besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.

Diese Reformvorhaben sollen nunmehr im einzelnen erläutert werden.

3.2 Reformen in den Bereichen Hilfeleistung und Prävention

Der Charakter der Drogenproblematik ändert sich ständig. Das hat Folgen für die Betreuungsmaßnahmen, aber ebensogut für die Vorbeugungsmaßnahmen. Neue Drogen, sich verändernde Konsummuster und neue Risikogruppen stellen hohe Anforderungen an die Prävention und machen dynamisches Handeln erforderlich. Neue Mittel am Markt wie etwa Ecstasy erfordern eine andere Einstellung und andere Formen als die in der Vergangenheit durchgeführten "traditionellen" Aktivitäten. Prävention kann nicht auf die traditionellen Zielgruppen wie Schüler und, was die sekundäre Prävention angeht, auf Heroin-Konsumenten beschränkt bleiben. Die Prävention muß, wenn es darum geht, adäquat auf neue Entwicklungen zu reagieren, verbessert werden. Neue Risikogruppen und unauffällige Konsumenten werden noch ungenügend erreicht. Illustrativ in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß es nicht selten andere als die traditionellen Einrichtungen sind, die mit jugendlichen Drogenkonsumenten, die Diskotheken, Coffeeshops und Housepartys besuchen, Kontakt aufnehmen. Auch von traditionellen Einrichtungen wird eine aktive Haltung gegenüber neuen Konsumentengruppen und der Besuch von Orten erwartet, an denen Drogen konsumiert werden.

Da es an Evaluierungsmaterial fehlt, ist schwer festzustellen, welche spezifischen Ergebnisse die einzelnen Bemühungen in den vergangenen Jahren gehabt haben. Da der Arbeitsbereich sowohl in bezug auf die primäre als auch auf die sekundäre Prävention größer wird, muß festgestellt werden, welche Interventionen effektiv sind und welche nicht. Untersuchungen hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Vorbeugung werden deshalb gefördert. Das gilt ebenfalls für die Beobachtung der Entwicklung von Art und Umfang des Drogenkonsums.

Kenntnisse hierüber sind absolut erforderlich, um adäquat auf neue Trends reagieren zu können. Marktanalysen mittels eines Überwachungssystems sind für die Prävention und für die Hilfseinrichtungen von großer Bedeutung. Man kann auf diese Weise zu einem früheren Zeitpunkt einen besseren Einblick in gesellschaftliche Trends erhalten, die Einfluß auf die Drogenproblematik haben können. Überwachungssysteme sind auch für die Hilfseinrichtungen von Bedeutung, die dadurch z.B. frühzeitig neue, schadenbegrenzende Strategien entwickeln könne. Für eine gute Überwachung haben wir Mittel bereitgestellt.

Wie bereits erwähnt, ist problematischer Drogenkonsum stark mit sozialen Benachteiligungen verbunden. Bei der Prävention wird man, um neue Risikogruppen in einem frühen Stadium erkennen zu können, aus einer breiteren Perspektive heraus handeln und mehr auf solche Benachteiligungen achten müssen. Will man Ausreißer, Schulschwänzer und allochthone und autochthone Randgruppenjugendliche erreichen, wird man auch mit anderen Einrichtungen wie etwa der Jugendhilfe zusammenarbeiten müssen. In den Maßnahmen zugunsten der großen Städte ist ein integrales Konzept vorgesehen, um die drohende Marginalisierung großer Gruppen Jugendlicher in den großen Städten zu verhindern. Die großen Städte werden zu diesem Zweck noch in diesem Jahr gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei konkrete Aktionsprogramme aufstellen.

Ausgangspunkt ist das sog. Facetten-Konzept; dabei wird möglichst vielen Aspekten der Problematik Rechnung getragen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf den Gesundheitsbericht "Gezond en Wel, kader van het volksgezondheidsbeleid 1995-1998" (TK 1994-1995, Nr. 24126) und auf den Bericht "Regie in de Jeugdzorg" (Regie in der Jugendhilfe).

Für die Drogensucht gilt ganz besonders, daß vorbeugen besser ist als heilen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß bei Jugendlichen der entscheidende präventive Faktor ein hinreichendes Risikobewußtsein auf der Grundlage objektiver Informationen ist. Bereits seit einer Reihe von Jahren führt das NIAD in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsdiensten (GG&GD) und den Bildungsanstalten zahlreiche Aufklärungsaktivitäten für Jugendliche durch. Voraussichtlich wird noch im Herbst dieses Jahres ein telefonischer Informationsdienst in bezug auf Alkohol, Drogen, Tabak und Spielsucht eingerichtet. Wir werden darauf hinwirken, daß u.a. im Rahmen des umfassenden Maßnahmenkatalogs zur Lösung der Jugendproblematik in den großen Städten - ein wichtiger Bestandteil der Maßnahmen zugunsten der großen Städte - besonders die Aufklärung an Schulen über den Konsum und Mißbrauch von Alkohol, Nikotin und Drogen stark gefördert wird; diese hochwertige und realistische Aufklärung soll sich u.a. direkt an spezifische Problemgruppen wenden. Die Alkohol- und Drogenberatungsstelle (CAD) in der Provinz Drenthe hat z.B. auf Vorschlag der Staatsanwaltschaft nach dem Vorbild einer erfolgreichen deutschen Initiative Videoclips über die Risiken des Drogenkonsums produziert, die für Aufklärungsmaßnahmen in Diskotheken u.ä. verwendet werden können. Auch die Möglichkeit von Aufklärungsmaßnahmen in Coffeeshops soll besser genutzt werden.

Schlußstein der Prävention muß sein, daß gegen Drogenhändler, die an Schulen oder in deren Umgebung tätig sind oder für den Drogenhandel Schüler einsetzen, entschlossen vorgegangen wird. Die Ministerin der Justiz wird die Staatsanwaltschaft anweisen, ihre Richtlinien für die Fahndung und Strafverfolgung entsprechend zu formulieren. Der Verkauf harter Drogen an Jugendliche soll besonders hart bestraft werden.

Das Angebot und der Konsum von Designerdrogen wie Ecstasy erfordern neue Maßnahmen. Das Problem aus dem Blickwinkel der Prävention besteht darin, daß diese Drogen im allgemeinen zwar keine körperliche Abhängigkeit, in einer Reihe von Fällen jedoch ernste Gesundheitsschäden verursachen. Ferner stellt sich das Problem, daß Pillen von schlechter Qualität im Umlauf sind. Im Rahmen der obengenannten Überwachungsmaßnahmen soll auch die Qualität dieser Drogen beobachtet werden. Ferner sollen neue Kommunikationstechniken entwickelt werden. Zur Zeit bereitet eine überregionale Arbeitsgruppe Aktivitäten auf diesem Gebiet vor. Auch kann der "verwaltungsmäßigen Prävention" mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wie gesagt hat die Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport kürzlich ein Papier an die Gemeinden geschickt, das Vorschläge für die Entwicklung von Maßnahmen bei Großveranstaltungen enthält (Stadhuis en House, 1995).

Insbesondere die ausführenden Stellen weisen auf einen Mangel an überregionaler Unterstützung der Präventionsarbeit in Form von Informationserteilung, Schulung und Innovation hin. Diese Situation ist nicht akzeptabel, da so Überschneidungen und Mängel in der Präventionsarbeit schwer zu erkennen sind. Auch hinsichtlich der Abstimmung zwischen der Suchthilfe und den Maßnahmen von Polizei und Justiz besteht ein Defizit.

Wir werden kurzfristig Möglichkeiten für die Einrichtung eines überregionalen Stützpunkts zur Förderung der Qualität der Präventionsarbeit schaffen, der die hier notwendigen Dienstleistungen erbringen kann.

3.3 Bessere Abstimmung im Rahmen der Suchthilfe

Angesichts der Diversität der Nachfrage nach Hilfe und der Zunahme der Anzahl der Zielgruppen dürfen sich die Hilfseinrichtungen nicht auf ein Standardangebot beschränken, sondern müssen vielmehr Hilfe nach Maß anbieten. Letztlich bedeutet dies eine Verlagerung von einem meist wenig differenzierten Angebot auf ein nachfrageorientiertes Angebot, das auch Aspekte wie soziale Benachteiligung, Wohnen, Unterbringung und soziale Fertigkeiten berücksichtigt. Hierfür müssen Betreuungsprogramme entwickelt werden, die einen individuell orientierten Behandlungsplan mit einem Anfangs- und Endpunkt vorsehen. Während der Behandlung muß, soweit erforderlich, allen Elementen der Nachfrage Rechnung getragen werden.

Auf diese Art und Weise kann auch besser verhindert werden, daß Drogenabhängige ohne Koordination mit verschiedenen Organisationen Kontakt aufnehmen (das sog. Shopping innerhalb der Suchthilfe). Das bedeutet, daß "Klienten" im Rahmen der Hilfsmaßnahmen an andere Einrichtungen verwiesen werden, daß Daten weitergegeben und Termine überwacht werden. Mit Hilfe von Klientendossiers, Standardregistrierungen, Standardberichten und persönlichen Kontakten muß das Personal der verschiedenen Einrichtungen sich gegenseitig auf dem laufenden halten. Case-management ist von grundlegender Bedeutung.

Im Betreuungsangebot sind zwei Schlüsselbegriffe richtungsweisend: Verantwortung und Gegenseitigkeit. Drogenabhängige müssen lernen, Verantwortung für ihr eigenes Verhalten zu tragen. Die Drogenabhängigkeit ist keine Entschuldigung dafür, daß man anderen Schaden zufügt. Der zweite Begriff, Gegenseitigkeit, bedeutet, daß vom Drogenabhängigen erwartet wird, daß er sich als Gegenleistung für die Hilfe zumindest an die Vereinbarungen mit den Hilfseinrichtungen hält. Die im Zuge der Reform neu zu entwickelnden Programme müssen zur Verwirklichung dieser Zielsetzungen beitragen. Wenn ein nachfrageorientiertes Konzept zu einem auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche zugeschnittenen Betreuungsprogramm führt, dann bekommen die Begriffe "Verantwortung" und "Gegenseitigkeit" größere Bedeutung für den Klienten. Die Möglichkeit, vom Drogensüchtigen eine angemessene Gegenleistung zu verlangen und ihn auf seine Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft hinzuweisen, wird hierdurch größer.

Die ambulante Suchthilfe ist zu einem großen Teil für die Methandonprogramme verantwortlich. Eine große Zahl von Drogenabhängigen führt u.a. dank dieser Programme in vielen Fällen ein ziemlich normales Leben. Dennoch fehlt es in vielen Fällen an geeigneten Behandlungs-, Schulungs-, Arbeits- und Wohnmöglichkeiten für diese Personengruppe. Die Methadonabgabe, die Behandlungsprogramme und die Resozialisierungsprojekte müssen komplementär sein. Dieser Komplementarität muß in den kommenden Jahren mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Eine bessere Abstimmung mit den anderen Einrichtungen der Drogenhilfe, den allgemeinen Einrichtungen für soziale Dienstleistungen, einschließlich der Arbeitsförderung, der Polizei, der Justiz und den Resozialisierungseinrichtungen, kann hier einen positiven Beitrag leisten. Die Zwischenbehördliche Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe soll an der Verwirklichung dieses Ziels mitwirken.

3.4 Differenzierung der stationären Behandlung

Mit Ausnahme einiger Betten für akute Notfälle im Zusammenhang mit Überdosen (die sog. Krisendetoxifikation) richtet sich die stationäre Behandlung fast gänzlich auf das Erreichen eines Abstinenzzustands. Problematisch ist, daß es verschiedene Gruppen von Drogenkonsumenten gibt, die zwar stationärer Hilfe bedürfen, bei denen Abstinenz jedoch nicht als realistische Zielsetzung gelten kann. Zum Zeitpunkt der Aufnahme befinden sie sich meist in einer Notlage, die keine fundierten Zukunftspläne möglich macht. Das einzige echte Bedürfnis, das sie dann haben, ist Ruhe und eine Umgebung, in der sie wieder zu sich selbst finden können. Wenn Abstinenz in einer solchen Situation als Ziel formuliert wird, gibt, wie die Praxis zeigt, eine große Zahl von Klienten sofort auf oder bricht die Behandlung vorzeitig ab. Dies ist ein Grund, das Behandlungsangebot auch im stationären Bereich nach Ziel und Inhalt zu differenzieren.

Neben der Betreuung, die auf die Erreichung des Abstinenzzustands ausgerichtet ist, sollen im stationären Bereich auch Programme angeboten werden, die weniger weitreichende Zielsetzungen haben z.B. die Stabilisierung und Verbesserung der Situation des (drogenabhängigen) Klienten. In der heutigen Situation kann der Klient nur zwischen verschiedenen auf Abstinenz ausgerichteten Programmen wählen, die meist langfristig angelegt sind. Kurzzeit- und Teilzeitbehandlungen, die nicht direkt auf Abstinenz, sondern auf Stabilisierung und Verbesserung ausgerichtet sind, sind stark unterrepräsentiert.

Mit der Einrichtung des Stationären Motivationszentrums (Intramuraal Motivatie Centrum/IMC) in Amsterdam wurde in dieser Richtung ein Anfang gemacht. Die Schaffung stabiler, sicherer Lebensumstände ist hier die primäre Aufgabe. Auf dieser Grundlage kann eine geeignete Folgebehandlung (innerhalb oder außerhalb des stationären Bereichs) gewählt werden. Mit der Entwicklung eines hierfür geeigneten Programms wird die Chance größer, daß Gruppen, die bisher nicht oder kaum erreicht worden sind, Kontakt mit Hilfseinrichtungen bekommen und behalten. Zu diesem Zweck sollen innerhalb der stationären Einrichtungen von Anfang an Aspekte der Resozialisierung berücksichtigt werden. Versuche, bei denen eine Art Wohnbetreuung und eine Hinführung zur Arbeit als Bestandteil einer integralen Behandlung miteinander kombiniert werden, sind hierfür ein konkretes Beispiel. Wir werden darauf hinwirken, daß auch die stationären Einrichtungen solche auf gesellschaftliche Wiedereingliederung ausgerichteten Projekte durchführen.

3.5 Regie und Finanzierungsstruktur der ambulanten Suchthilfe

Die ambulante Suchthilfe konzentriert sich hauptsächlich auf ca. 45 größere Gemeinden. Bis 1994 galt für die ambulante Suchthilfe die Vorübergehende Finanzierungsregelung Suchthilfe (Tijdelijke Financieringsregeling Verslavingszorg/TFV); hierfür waren Mittel in Höhe von gut 110 Mio. Gulden vorgesehen. Ein besonderes Merkmal dieser Regelung war, daß die Finanzierung über 23 sog. Kern-/Zentrumgemeinden lief. Sie waren verpflichtet, im Einvernehmen mit anderen beteiligten Gemeinden die ambulante Suchthilfe in der jeweiligen Region zu organisieren. Die Verteilung des Regionalbudgets auf die betreffenden Einrichtungen und beteiligten Gemeinden war hiermit gesichert. Diese zum Teil dezentralisierte Regie und Finanzierungsstruktur funktionierten zufriedenstellend.

Im Rahmen der "sozialen Erneuerung" wurde die ambulante Suchthilfe verklausuliert in das Interimsgesetz zur Förderung der Sozialen Erneuerung (Tijdelijke Wet Stimulering Sociale Vernieuwing/TWSSV) aufgenommen. Die obenerwähnte Einteilung in 23 Kerngemeinden für die ambulante Suchthilfe in der Region blieb erhalten. Neu waren die Betreuungs- und Informationspflicht der betreffenden Gemeinden sowie die Auflage, innerhalb der Region in geeigneter Weise Beratungen mit den Beteiligten zu führen.

Angesichts des vorübergehenden Charakters des Interimgesetzes soll ab 1997 das gesamte TWSSV-Budget dem Gemeindefonds übertragen werden. Da eine klausulierte Übertragung naturgemäß nicht möglich ist, werden die Mittel für die ambulante Suchthilfe über alle Gemeinden verteilt. Die jetzt noch bestehende Koppelung zwischen behördlicher Verantwortung, Betreuungspflicht und der Verfügbarkeit entsprechender Mittel entfällt damit.

Die Niederländische Vereinigung von Einrichtungen für Suchthilfe und einige Gemeindeverwaltungen haben auf die Gefahr der Verzettelung hingewiesen. Die Verpflichtung zur Zusammenarbeit und Informationserteilung der beteiligten Gemeinden in bezug auf die ambulante Suchthilfe muß nach Auffassung des Kabinetts gesetzlich verankert werden. Dies könnte z.B. durch eine Änderung insbesondere von Artikel 12 des Gemeinwohlgesetzes (Welzijnswet) geschehen.

Im Rahmen von Beratungen zwischen den zuständigen Stellen wird nach Möglichkeiten gesucht, bis 1997 eine neue Finanzierungsstruktur zu schaffen. Die heutige Arbeitsweise soll dabei im großen und ganzen beibehalten werden. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, daß die Koppelung zwischen behördlicher Verantwortung und der Verfügbarkeit des entsprechenden Budgets erhalten bleiben. Der Gemeindefonds besitzt ein Instrument, das es erlaubt, Gelder vorübergehend einzelnen Gemeinden zuzuweisen. Die Mittel bleiben dabei gleich hoch, laufen jedoch über den Gemeindefonds. Dies kann maximal vier Jahre dauern. Diese vier Jahre sollen genutzt werden, um die notwendige regionale Zusammenarbeit zu verbessern. Diese Zusammenarbeit wird es sodann möglich machen, die Mittel nach allgemeinen Kriterien zu verteilen.

3.6 Zwang und Anreize in der Suchthilfe

Grundlage für die behördlichen Maßnahmen ist der bereits genannte Bericht über Maßnahmen zur Bekämpfung von Ordnungsstörungen (Nota over overlastvermindering, TK 1992- 1994, 22684, Nr. 12). Im Mittelpunkt steht dabei der erzwungene oder empfohlene Entzug: ein Teil der süchtigen Straffälligen wird vor die Wahl gestellt, sich entweder Begleitungs- oder Behandlungsmaßnahme zu unterziehen, die Aussicht auf soziale Integration und Beendigung der kriminellen Laufbahn bieten, oder weiter in Haft zu bleiben.

Zur Durchführung der in dem Bericht dargelegten Maßnahmen wurde, wie gesagt, die Interministerielle Lenkungsgruppe zur Bekämpfung von Ordnungsstörungen (Interdepartementale Stuurgroep Vermindering Overlast/SVO) eingesetzt.

Diese Interministerielle Lenkungsgruppe hat im Einvernehmen mit den Partnern in den Gemeinden, die die Verantwortung für die Bekämpfung der Ordnungsstörungen und die ambulante Suchthilfe haben, an der Aufstellung integraler Projektpläne gearbeitet. Die Erstverantwortung für die Gestaltung der Gemeindepolitik liegt schließlich bei der Gemeinde. Im Jahre 1994 haben neun Gemeinden einen finanziellen Beitrag erhalten. Bei der Auswahl der insgesamt 25 Gemeinden, die seit 1995 für einen finanziellen Beitrag in Betracht kommen, wurde den "Maßnahmen zugunsten der großen Städte" Rechnung getragen. Bei der Zuweisung der Mittel spielte u.a. eine Rolle, ob ein integrales Vorgehen, das sowohl Prävention, Betreuung, Haft und Resozialisierung beinhaltet, gewährleistet ist. Ferner mußte deutlich sein, daß die verschiedenen Akteure wie die Einrichtungen für Suchthilfe (ambulant und stationär), Polizei, Justiz, Resozialisierungseinrichtungen, kommunale Dienste und Strafanstalten akzeptiert hatten, daß sie alle gemeinsam die Verantwortung für die Bekämpfung der Ordnungsstörungen tragen.

Abgesehen von Mitteln für lokale Projekte wurden und werden auch Mittel für überregionale Initiativen zur Verfügung gestellt wie für das Projekt "Anreize nach Maß" (Drang naar Maat) der Niederländischen Vereinigung von Einrichtungen für Suchthilfe (Nederlandse Vereniging van Instellingen voor Verslavingszorg/NeVIV), für soziale Pensionen, die Erweiterung der Frühhilfe-interventionsprojekte bei der Delinquentenfürsorge (VIP), die Entwicklung von Arbeitsstrafen für Süchtige, die Schaffung von mehr drogenfreien Abteilungen (DVA) in Strafanstalten und die Einrichtung einer gerichtsmedizinischen Suchtklinik (FVK). Diese besondere Suchtklinik, die aus einer geschlossenen und einer offenen Abteilung bestehen soll, wird ihre Arbeit voraussichtlich Anfang 1996 aufnehmen.

Diese Einrichtung ist für drogenabhängige Straffällige bestimmt, die behandlungsfähig sind, die jedoch angesichts der Art ihrer Drogenabhängigkeit, der Schwere der begangenen Straftat, der Persönlichkeitsstruktur und der Krankengeschichte für eine Aufnahme in eine offene Anstalt nicht in Frage kommen. Die Behandlung erfolgt daher zunächst in einer geschlossenen Abteilung, wobei die Behandlungsdauer von Klient zu Klient unterschiedlich sein kann. Danach werden die Klienten in eine offene Abteilung, eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft in ländlicher Umgebung, verlegt. Es handelt sich um eine für die Suchthilfe neue Einrichtung, ein Versuchsprojekt, das eine gewisse Entwicklungszeit erfordert. Aus diesem Grund soll in kleinem Umfang mit der geschlossenen Abteilung begonnen werden, letztlich sollen bis zu 70 Plätze zur Verfügung stehen.

Wir werden entsprechend der Schätzung in dem Bericht über Maßnahmen zur Bekämpfung von Ordnungsstörungen durch Drogenabhängige (Nota inzake het beleid gericht op het verminderen van door verslaafden veroorzaakte overlast) das Budget der Interministeriellen Lenkungsgruppe (SVO) für das Jahr 1996 um 12,5 Millionen erhöhen. Wie bereits gesagt, soll die SVO mit der Projektgruppe zur Bekämpfung von Ordnungsstörungen durch Drogenabhängige und der Zwischenbehördlichen Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe zusammengelegt werden.

Die Regierung legt großen Wert auf Ausweitung der Kapazität der Entziehungsprojekte. Die 200 zusätzlichen Zellen, die zum großen Teil dieses Jahr verfügbar sein werden - die sog. Wallage-Zellen - wurden im Rahmen der Maßnahmen zugunsten der großen Städte für die vier großen Städte reserviert. Für die Entziehungsprojekte sind andere Zellen erforderlich. Von den 1996 vom Kabinett vorgesehenen zusätzlichen Zellen werden im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft 500 für die Unterbringung von Drogenabhängigen reserviert, die schwere Straftaten begangen haben. Damit ist für diese Kategorie genug zusätzliche Kapazität verfügbar.

In den Strafanstalten wurden im Rahmen des Grundsatzplans Arbeit im Gefängnis (Beleidsplan Werkzame Detentie) drogenfreie Abteilungen (DVA) geschaffen. Die Kapazität dieser Abteilungen mit angepaßtem Vollzug beträgt ungefähr 300. Eine Erweiterung auf insgesamt 620 Plätze im Jahre 1997 ist vorgesehen. Motivierte Süchtige sollen ihre Haftzeit (zum Teil) in drogenfreien Abteilungen verbringen und sich aktiv auf die Behandlung und soziale Eingliederung vorbereiten können. Nach dem Aufenthalt in drogenfreien Abteilungen kommen die Gefangenen entweder in Behandlungseinrichtungen unter Anwendung von Artikel 47 der Gefängnismaßregel (Gevangenismaatregel) oder sie erhalten, wenn sie ihre Strafe verbüßt haben, eine weitere Betreuung durch Suchthilfeeinrichtungen und/oder Resozialisierungseinrichtungen.

Die strafrechtliche Maßregel der Betreuung von Drogenabhängigen

Bei den bislang üblichen Entziehungsprojekten werden Drogensüchtige in der Regel nach der Entlassung aus der Strafanstalt in eine Suchtklinik aufgenommen. Nach den heutigen Erkenntnissen ist, wie gesagt, für viele Drogenabhängige das Streben nach Abstinenz auf kurze Sicht wenig realistisch. Es wäre sinnvoller, eine Verbesserung der Lebensweise und der sozialen Integration des Drogensüchtigen anzustreben. Zu diesem Zweck werden verschiedene Arten der ambulanten Hilfe angeboten; der Schwerpunkt liegt dabei auf Ausbildung und Arbeit. In Dordrecht und Herzogenbusch z.B. hat man gute Erfahrungen mit Ausbildungs- und Arbeitsangeboten für Gewohnheitstäter, unter denen auch Drogensüchtige waren, gemacht.

Mit den vier größten Städten wurden im Rahmen der Maßnahmen zugunsten der großen Städte Gespräche über die Möglichkeit geführt, kriminelle Drogensüchtige, die am laufenden Band Straftaten begehen, versuchsweise in einer geschlossenen Anstalt zu betreuen. Für viele Angehörige dieser Zielgruppe ist eine Verbesserung des Lebensstils das maximal Erreichbare. Hierfür ist eine geschlossene Behandlungseinrichtung geeignet, in der durch Ausbildung und Arbeit an der sozialen Integration gearbeitet wird.

Rechtliche Grundlage für diese neuen Formen der Betreuung von problematischen kriminellen Drogensüchtigen können vorerst die Vorschriften für die Aussetzung der Untersuchungshaft unter bestimmten Auflagen sein. Die Drogensüchtigen befinden sich dann auf freiwilliger Basis in einer geschlossenen Anstalt als Alternative für den Aufenthalt in einem Untersuchungsgefängnis oder einem anderen Gefängnis. Wenn sie vorzeitig aus dem Programm ausscheiden, werden sie festgenommen und erneut inhaftiert. Die Gemeinden werden für die Hilfs-, Schulungs- und Arbeitstrainingsangebote sowohl während der Unterbringung als auch nach der Entlassung zuständig sein. Im Idealfall wird dabei auch ein Arbeitsplatz nach Abschluß des Projekts angeboten. Das Ministerium für Soziales und Arbeit ist an der Vorbereitung dieses Experiments beteiligt.

Entziehung statt Untersuchungshaft ist nicht der ideale Weg. Da diese Maßnahme an die Stelle einer verhältnismäßig kurzen Freiheitsstrafe tritt, kann sie unter Umständen von nur kurzer Dauer sein. Wünschenswert ist vielmehr, daß Möglichkeiten für die zwangsweise Aufnahme von Drogensüchtigen geschaffen werden, die u.a. durch das wiederholte Begehen leichter Straftaten und/oder durch aggressives Verhalten weitreichende Belästigungen verursachen. Hierfür muß eine spezifische rechtliche Basis geschaffen werden. Die Ministerin der Justiz wird daher so rasch wie möglich eine Gesetzesvorlage für die Einführung einer strafrechtlichen Maßregel zur Aufnahme von Drogensüchtigen vorlegen. Diese Maßregel soll sich an Artikel 432 des Strafgesetzbuchs orientieren, der früher die Aufnahme von Landstreichern, Bettlern und Zuhältern in staatlichen Arbeitshäusern regelte.

Die Rechtfertigung für die Aufnahme von Süchtigen, die mit großer Regelmäßigkeit Straftaten begehen, liegt nicht in der Schwere der von ihnen im einzelnen begangenen Straftaten, sie liegt einerseits in der durch ihre Straftaten verursachten Störungen und andererseits in dem Interesse, das drogenabhängige Personen an einem integrierten Hilfs- und Schulungsangebot in einer geschlossenen Anstalt haben. Die maximale Unterbringungsdauer wird daher über das für Vermögensdelikte übliche Strafmaß hinausgehen und etwa mindestens drei Monate und höchstens ein oder zwei Jahre betragen.

Die Gemeindeverwaltungen der vier großen Städte haben inzwischen ihre Mitwirkung an einem oder mehreren Versuchen zugesagt. Sehr kurzfristig soll eine inventarisierende Studie zur Bestimmung u.a. des genauen Umfangs der Zielgruppe durchgeführt werden. Die Gemeinden Rotterdam und Amsterdam haben sich bereit erklärt, die Versuche mitzufinanzieren. Auch wir sind bereit, hierfür Gelder aus dem Budget für Maßnahmen zugunsten der großen Städte zur Verfügung zu stellen.

Mit den großen Städten wurde vereinbart, daß die bereits genannte Zwischenbehördliche Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe eine Arbeitsgruppe bilden wird, deren Aufgabe es sein soll, die Studie und danach einen oder mehrere Versuche vorbereiten und begleiten soll. Wir sind bestrebt, im Jahre 1996 in jedem Fall mit einem Versuch in der Gemeinde Rotterdam für hundert Problemfälle zu beginnen. Die Projektgruppe wird Vorschläge zur Erweiterung des Versuchs erarbeiten; es sollen mindestens 300 Plätze zur Verfügung gestellt werden, von denen die Gemeinde Amsterdam auf jeden Fall hundert erhalten soll.

Wir erwarten, daß die Erweiterung der Entziehungsprojekte in Verbindung mit der Erweiterung der regulären Gefängniskapazität angesichts der festumgrenzten Gruppe chronischer Rückfalltäter in den jeweiligen Städten zu einer wesentlichen Verringerung der Störungen durch kriminelle Drogenabhängige führen wird.

3.7 Abgabe von Heroin aufgrund medizinischer Indikation

Anderer Art ist die Problematik extrem verwahrloster, zum Teil schwer kranker Drogenabhängiger. Die Existenz einer solchen Gruppe Drogenabhängiger läßt das Bedürfnis nach neuen Interventionsmethoden entstehen. Gerade in den Niederlanden, wo das Durchschnittsalter der Süchtigen relativ hoch ist, ist dieses Bedürfnis vorhanden. In diesem Zusammenhang wird sowohl für Zwangseinweisungen und Zwangsbehandlungen in Kliniken aufgrund medizinischer Indikation als auch für Zwangsbehandlungen in Gefängnissen im Zusammenhang mit drogenspezifischer Kriminalität plädiert.

Die Aufnahme von Drogensüchtigen in Kliniken aufgrund des Gesetzes Besondere Einweisung in Psychiatrische Krankenhäuser (Wet Bijzondere Opneming in Psychiatrische Ziekenhuizen/BOPZ) ist nach Auffassung von Fachleuten nur für eine sehr kleine Gruppe von Drogenabhängigen möglich. Drogenabhängigkeit ist keine Geisteskrankheit. Die meisten Drogenabhängigen können nicht ernsthaft als geisteskrank bezeichnet werden. Allerdings gibt es unter den am meisten Verwahrlosten relativ viel Patienten mit psychischen Störungen. Geisteskranke, die lange Zeit stark drogenabhängig sind, gelten jedoch als schwer oder nicht behandlungsfähig. Die Möglichkeiten, mehr Süchtige in geschlossenen Kliniken zu behandeln, sind also sehr beschränkt.

Art und Umfang der von ihnen begangenen Straftaten sind nicht so schwerwiegend, daß, strafrechtlich gesehen, eine Einweisung in eine gerichtsmedizinische Suchtklinik oder eine Zwangsbehandlung indiziert wäre.

Am 7. Juni 1995 hat der stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsrats der Gesundheitsministerin eine Teilempfehlung für das Verordnen von Heroin an Süchtige vorgelegt, die auch der Zweiten Kammer zugegangen ist. Da es an wissenschaftlich fundierten Daten über die Effektivität/Schädlichkeit der auf medizinischer Indikation beruhenden Abgabe von Heroin an Heroinsüchtige fehlt, hält es die Kommission Medikamentöse Interventionen bei Drogensucht (Commissie Medicamenteuze Interventies bij Drugverslaving), die die Empfehlung formuliert hat, zu für wünschenswert, in den Niederlanden medizinisch-wissenschaftliche Versuche in dieser Richtung durchzuführen. Sie ist der Auffassung, daß für ein solches Experiment "schwer Heroinsüchtige, die nicht oder unzureichend auf die heute zur Verfügung stehenden medikamentösen Interventionen reagieren" in Frage kommen. Die Dauer der Drogenabhängigkeit ist dabei nach Auffassung der Kommission nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Voraussetzung ist allerdings, daß die betreffenden Personen wiederholt ohne Erfolg an Behandlungsprogrammen teilgenommen haben, deren Ziel es war, mittels Medikamenten ein Rückfall zu vermeiden und eine Stabilisierung zu erreichen.

Im Rahmen des Versuchs soll herausgefunden werden, ob diese Kategorie von Drogenabhängigen durch das Verordnen von Heroin stabilisiert werden kann, ob sich ihr körperlicher und psychosozialer Zustand verbessern läßt, ob der zusätzliche Konsum anderer Drogen vermindert werden kann und ob sie möglicherweise motiviert werden können, den Drogenkonsum zu beenden.

Die Kommission empfiehlt, die therapeutische Wirkung von Heroin mit der zur Zeit am häufigsten (oral) verabreichten Droge, Methadon, zu vergleichen. Unter Umständen kann dabei das Heroin mit oral verabreichtem Methadon kombiniert werden. Bei dem Versuch muß nach Auffassung der Kommission sowohl injizierbares als auch nichtinjizierbares Heroin berücksichtigt werden. Die Untersuchung muß demnach so angelegt sein, daß bei der Interpretation der Ergebnisse die unterschiedlichen Verabreichungsformen und die damit verbundenen unterschiedlichen Wirkungsweisen berücksichtigt werden können. Der Versuch muß selbstverständlich den Anforderungen genügen, die an klinische Untersuchungen zu stellen sind.

Die Kommission empfiehlt, einen solchen Versuch von den bestehenden Hilfsorganisationen durchführen zu lassen. Möglicherweise kann die Untersuchung an verschiedenen Orten gleichzeitig - nicht nur in den großen Städten - stattfinden. Im Prinzip können die Untersuchungsprotokolle in verschiedenen Teilbereichen unterschiedlich sein. Aus Gründen der Überschaubarkeit muß eine zu große Zahl von Orten vermieden werden. Die wissenschaftliche Auswertung muß durch eine unabhängige Organisation erfolgen. Die Kommission hält es für ratsam, das Untersuchungsprotokoll nicht nur einer medizinisch-ethischen Kommission, sondern auch einem internationalen Sachverständigengremium vorzulegen. Angesichts der Bedeutung einer solchen Untersuchung und der Notwendigkeit der Koordination empfiehlt die Kommission darüber hinaus, eine überregionale Begleitungskommission einzusetzen.

Die Kommission rät davon ab, das verordnete Heroin den Teilnehmern des Projektes einfach so mitzugeben. Sie weist ferner mit Nachdruck darauf hin, daß die Beendigung der Heroinabgabe auf Rezept nach Ablauf der Untersuchung Probleme mit sich bringen kann. Wie sich zeigte, sind solche Probleme laut Kommission weitgehend dadurch zu vermeiden, daß mit jedem Versuchsteilnehmer ein Vertrag geschlossen wird. Im Vertrag soll außer dem Zweck und der Dauer des Versuchs festgelegt werden, welche Rechte und Pflichten und welche Verantwortung der Patient und der Behandelnde haben. Die Kommission empfiehlt ferner, die Möglichkeiten zu untersuchen, die andere Rauschmittel, insbesondere Mittel, die (potentiell) einfach zu verabreichen sind, bei der Behandlung von Heroinsüchtigen bieten können.

Wir teilen die Auffassung der Kommission, daß eine medizinisch-wissenschaftliche Untersuchung der Effektivität und Schädlichkeit der Abgabe von Heroin an Süchtige wünschenswert ist, da die einschlägigen wissenschaftlichen Informationen unzureichend sind.

Auch was die Zielgruppe eines solchen Versuchs angeht, können wir der Kommission im Prinzip zustimmen: Es handelt sich hier um "schwer Heroinsüchtige, die nicht oder nicht ausreichend auf die jetzt verfügbaren medizinischen Interventionen reagieren". Angesichts der unzweifelhaft großen Anziehungskraft eines solchen Versuchs für Drogenabhängige sind wir der Auffassung, daß an dem Versuch in erster Linie ältere, seit langer Zeit süchtige Patienten, deren psychosoziale Situation ohne Perspektive ist, teilnehmen sollten. Diese Sicht weicht von der Auffassung der Kommission ab, die die Dauer der Sucht für nicht entscheidend hält.

Auch mit der Festsetzung des Ziels eines solchen Versuchs, der klären soll, ob diese Kategorie von Süchtigen durch Heroingaben zu stabilisieren ist, ob ihr körperliches und psychosoziales Befinden verbessert werden kann, ob sich der Konsum von Zusatzdrogen verringert und ob sie möglicherweise motiviert werden können, ihre Drogenkarriere zu beenden, sind wir einverstanden. Die drei Aspekte des Wohlbefindens - körperlich, geistig und sozial - hängen funktionell miteinander zusammen und müssen objektiv meßbar sein. Die vielen Faktoren, die das Behandlungsergebnis beeinflussen - die Kommission nennt hier die eingesetzten Medikamente, deren Dosierung und die Art ihrer Verabreichung, die Person des Behandelnden, die Behandlungsumgebung, das Behandlungsritual, die Erwartung und Absicht des Behandelnden, die Erwartung, Hoffnung und Aufgeschlossenheit des Patienten und schließlich vor allem die Interaktion, die sich zwischen beiden im Laufe der Behandlung entwickelt - stützen die Auffassung der Kommission, daß ein Versuch an mehreren Orten stattfinden muß und daß an jedem Ort mehr als hundert Patienten an dem Versuch teilnehmen sollten.

Wir sind der Auffassung, daß zunächst eine Voruntersuchung erforderlich ist, um die praktischen medizinischen und organisatorischen Fragen beantworten und die Kosten besser abschätzen zu können. Ferner ist sie nötig, um ein realistisches Untersuchungsprotokoll entwerfen und in der Praxis auf seine Durchführbarkeit überprüfen zu können. An einer solchen Voruntersuchung sollten maximal 50 Drogenabhängige beteiligt sein. Dabei wäre an eine Anfangsperiode von sechs Monaten zu denken, die durch eine erste Evaluierung abgeschlossen werden muß; daran anschließend erfolgt eine sechs Monate lange, genaue medizinische Protokollierung. Eine erneute Evaluierung muß dann ein definitives Konzept für die Durchführung des medizinisch- wissenschaftlichen Versuchs erbringen. An der Vorstudie sollten Patienten der obengenannten Gruppen teilnehmen. Die Auswahlkriterien hierfür müssen sorgfältig festgelegt werden.

Ziel der Drogenabgabe ist es, wie schon gesagt, den körperlichen und psychosozialen Zustand der Patienten zu verbessern. Eine Verringerung der Folgeerscheinungen für Dritte ist nicht das Ziel dieser Maßnahmen. Sowohl im Protokoll als auch bei der Evaluierung müssen die Aspekte Folgeerscheinungen und Kriminalität berücksichtigt werden. Fest steht, daß bei Drogensüchtigen, die wegen Straftaten einsitzen, keine weitere Drogenabgabe möglich ist.

Die Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport wird sich mit den Gemeindeverwaltungen in Verbindung setzen, die bereits Vorschläge für die Durchführung solcher Abgabetests eingereicht haben, um festzustellen, wo die obenerwähnte Vorstudie durchgeführt werden könnte. Ist die Voruntersuchung mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen worden, wird über das endgültige medizinisch-wissenschaftlich Experiment entschieden. Voraussetzung ist irgendeine Form der Mitfinanzierung zur Deckung der zusätzlichen Kosten, wie die Kosten für Heroinpräparate und für medizinische Expertisen und Evaluierung. Die Durchführung sollte primär unter der organisatorischen Verantwortung der Gesundheitsämter erfolgen.

Die Ministerin hat den Allgemeinen Hauptinspekteur für das Gesundheitswesen (Algemeen Hoofdinspecteur van de Gezondheidszorg) um eine entsprechende Empfehlung gebeten.

Die therapeutischen Experimente können während der Voruntersuchung und für die Dauer des medizinisch- wissenschaftlichen Versuchs aufgrund einer Ausnahmegenehmigung für wissenschaftliche Zwecke erfolgen, die der Minister für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport aufgrund von Artikel 6 des Betäubungsmittelgesetzes (Opiumwet) erteilen kann. In diesem Rahmen kann auch die notwendige gegenseitige Kontrolle in bezug auf das medizinische Handeln durchgeführt werden. Die Supervision sollte von der Staatlichen Aufsichtsbehörde für das Gesundheitswesen (Staatstoezicht op de Volksgezondheid) übernommen werden. Über jährlich zu erstellende Inspektionsberichte könnten der Minister für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport und die Zweite Kammer des Parlaments über die mit dem Projekt gesammelten Erfahrungen informiert werden.

Inzwischen kann geprüft werden, ob die in der Schweiz laufenden Versuche mit der Heroinabgabe, die u.a. von der Weltgesundheitsorganisation evaluiert werden, Erkenntnisse bringen, die für die Drogenpolitik in den Niederlanden wertvoll sein können. Zur Zeit wird in der Schweiz an siebenhundert Süchtige Heroin abgegeben. Die bisherigen Erfahrungen sind, wie zu hören ist, überwiegend positiv. Die Aufsichtsbehörde wurde ersucht, die Entwicklung dieser Projekte zu verfolgen und der Gesundheitsministerin hierüber Bericht zu erstatten. Der Bericht soll auch der Zweiten Kammer zugeleitet werden.

Aufgrund von Artikel 12 in Verbindung mit Artikel 19 des Einheits-Übereinkommens muß die notwendige Erhöhung des Verbrauchs von Heroin gegenüber dem Internationalen Kontrollorgan für Suchtstoffe in Wien verantwortet werden. Daher muß zwischen den zuständigen Gesundheitsämtern und der Staatlichen Aufsichtsbehörde für das Gesundheitswesen hierüber Einvernehmen erzielt werden.

Abgesehen davon empfiehlt die Kommission, die palliative Behandlung schwerkranker, schon lange und dauerhaft heroinsüchtiger Patienten, deren Lebenserwartung nur noch gering ist, mit Heroin bzw. heroinähnlichen Rauschmitteln zu vereinfachen. Die Kommission begründet diese Empfehlung nicht mit einer Erläuterung der zur Zeit bestehenden technischen Schwierigkeiten. Deshalb wurde die Staatliche Aufsichtsbehörde für das Gesundheitswesen ersucht, eine Untersuchung durchzuführen und nähere Vorschläge zur Erleichterung solcher Behandlungen zu unterbreiten. Die Bereitstellung heroinhaltiger Arzneimittel stellt dabei auf jeden Fall ein Problem dar, da diese Medikamente in den Niederlanden nicht registriert sind. Die Auswahlkriterien für diese Gruppe von Patienten müssen genau formuliert werden. Die Gesundheitsministerin ist bereit, diesen letzten Teil der Empfehlung zu prüfen und sodann mit der Zweiten Kammer zu besprechen.

3.8 Qualitätsgarantie und Evaluierung

Das Angebot präventiver und kurativer Maßnahmen muß einerseits mit dem Auftauchen neuer Probleme Schritt halten, andererseits muß es finanzierbar bleiben. Innerhalb des Gesamtangebots muß jedesmal eine Auswahl getroffen werden. Für die Planung auf diesem Gebiet ist Einblick in das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen der verschiedenen Interventionen unentbehrlich. Bislang ist die Effektivität der stationären und ambulanten Behandlung in den Niederlanden noch nicht ausreichend untersucht worden. Im Rahmen der Gesundheitsreform und der Maßnahmen zugunsten der großen Städte soll der Überwachung und Evaluierung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ein wichtiger Beitrag hierzu wäre übrigens die Weiterentwicklung nationaler Register und die Aufnahme von mehr statistischen Angaben über die behandelten Klienten, über die Zahl derer, die die Behandlung abgebrochen bzw. abgeschlossen haben und, soweit bekannt, über deren weitere soziale Laufbahn in die Jahresberichte der Einrichtungen. Auch die Evaluierung präventiver Maßnahmen ist noch zu wenig systematisch und soll von der Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport gefördert werden.

Inzwischen sind die Maßnahmen zur Förderung der Qualität in der Suchthilfe angelaufen. Zu diesem Zweck wurden Kriterien und Produktnormen erarbeitet und Untersuchungen über die Zufriedenheit mit Dienstleistungen durchgeführt. Der Stiftung Zukunftsszenarien Gesundheitswesen wurde der Auftrag erteilt, auch in bezug auf die Drogenproblematik Zukunftsszenarien zu entwickeln. Auch hier soll der europäische Kontext miteinbezogen werden.

4. Maßnahmen im Bereich der weichen Drogen und der Coffeeshops

4.1 Umfang und Art des Cannabiskonsums

Die Entkriminalisierung des Besitzes weicher Drogen im Jahre 1976 führte nicht zu einer Zunahme des Konsums. In den ersten Jahren nach der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes stabilisierte sich das Konsumniveau. Nach den uns vorliegenden Angaben hat der Konsum im Zeitraum 1984-1994 wieder etwas zugenommen. Anderswo ist dieselbe Wellenbewegung festzustellen. In den Vereinigten Staaten ist in den letzten Jahren sogar eine starke Zunahme zu verzeichnen gewesen. Sowohl trendmäßig als auch der Höhe nach weicht der Konsum in den Niederlanden nicht stark von dem in anderen Ländern ab. Der Konsum wird offenbar in erster Linie durch Moden innerhalb der internationalen Jugendkultur und durch andere Entwicklungen, wie der Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit unter Jugendlichen, beeinflußt. Von der staatlichen Drogenpolitik und der damit zusammenhängenden Verfügbarkeit von Drogen geht ein beschränkter Einfluß aus.

Die Zahl der Personen in den Niederlanden, die regelmäßig Cannabis nehmen, schätzt das Niederländische Institut für Alkohol und Drogen (Nederlands Instituut voor Alkohol en Drugs/ NIAD) auf 675.000.

Wie gesagt hat die Zahl der Konsumenten weicher Drogen nach einem Rückgang in den siebziger Jahren zugenommen. Meist handelt es sich um Freizeitkonsum. Bei bestimmten Gruppen Jugendlicher wie z.B. bei gewohnheitsmäßigen Schulschwänzern und Ausreißern ist der Konsum von Cannabis allerdings besonders hoch und intensiv.

Die in den Niederlanden verfolgte Drogenpolitik hat offenbar nicht zu einer Zunahme des Drogenkonsums geführt. Allerdings gibt es Hinweise dafür, daß die Existenz frei zugänglicher Coffeeshops dazu beiträgt, daß bestimmte Personen länger Drogen nehmen.

Die Prävalenzziffern - Ziffern über den Umfang des Konsums innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen - geben kaum Aufschluß über die problematischen Aspekte des Konsums. Über die Wirkung von Cannabis ist inzwischen viel wissenschaftliche Literatur verfügbar. Cannabis wirkt sich vor allem auf die Stimmung, das Bewußtsein und das Gedächtnis aus. Die Wirkung ist von der Dosierung und der Art des Konsums abhängig. Abgesehen von der euphorisierenden, beruhigenden und entspannenden Wirkung - aus diesem Grund wird Cannabis u.a. in den Vereinigten Staaten ärztlich verordnet - verursacht Cannabis eine Verringerung der Konzentrationsfähigkeit, der Wachsamkeit und des Erinnerungsvermögens.

Die Toxizität von Cannabis ist gering. Weder tödliche Überdosen, noch körperliche Abhängigkeit wurden festgestellt. Psychische Abhängigkeit kann vorkommen, sie ist jedoch nach Häufigkeit und Ausmaß nicht vergleichbar mit der psychischen Abhängigkeit von Heroin, Kokain, Alkohol und Nikotin. Cannabiskonsum verursacht weniger Aggressivität als Alkoholkonsum. Der Konsum von Cannabis hat gewiß nicht zwangsläufig den Umstieg auf harte Drogen zur Folge. Die Zahl der Zwischenfälle, die durch akute Überdosierung verursacht werden, beträgt einige Dutzend pro Jahr. Die Behandlung ist einfach und kann sich in den meisten Fällen darauf beschränken, den Patienten in eine ruhige Umgebung zu verbringen und ihm Beruhigungsmittel zu verabreichen.

Die Anzahl der Personen, die wegen ihres Cannabiskonsums bei den Alkohol- und Drogenberatungsstellen (Consultatiebureaus voor Alkohol en Drugs/CAD) Hilfe suchten, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Im Jahre 1993 waren 1749 Personen wegen Problemen im Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis bei den Beratungsstellen registriert. Das sind 3% aller bei Einrichtungen der Suchthilfe registrierten Personen. Schätzungsweise handelt es sich um ein bis zwei Prozent der intensiv Cannabis konsumierenden Personen; als solche gelten Personen, die zehn Mal oder öfter pro Monat Cannabis nehmen.

Die Gesamtheit der heute bekannten Tatsachen und Umstände läßt den Schluß zu, daß die Risiken des Cannabiskonsums an sich nicht als "unannehmbar" qualifiziert werden müssen, was im Gegensatz zu den mit dem Konsum harter Drogen wie Heroin verbundenen Risiken steht.

Dennoch ist auch beim Konsum von Cannabis Vorsicht geboten. Der Cannabiskonsum ist vor allem unter Jugendlichen beliebt, d.h. bei Leuten, die sich in einer Lebensphase befinden, in der sie besonders risikofreudig sind. Einerseits nimmt der Leistungsdruck an den Schulen zu, andererseits sind die Aussichten auf eine feste Anstellung, die einen bestimmmten Status und bestimmte soziale Beziehungen verspricht, für manche Gruppen Heranwachsender unsicher. In einem solchen Umfeld ist die Gefahr exzessiven Cannabiskonsums größer.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Auswirkungen des Cannabiskonsums bei Schülern. Fest steht, daß gelegentlicher Konsum wenig Probleme mit sich bringt; täglicher Cannabiskonsum wirkt sich allerdings negativ auf die Schulleistungen aus. Es wäre zu begrüßen, wenn mehr Informationen über die Erfahrungen von Schulen mit dem Konsum weicher Drogen zur Verfügung stünden. Diese Informationen sind schwer erhältlich, weil die Schulleitungen und Schulvorstände um den Ruf ihrer Schulen besorgt sind und die Eltern und Erzieher einen Einbruch in die Privatsphäre der Schüler befürchten. In dieser Hinsicht ist mehr Offenheit wünschenswert.

In Ergänzung der bereits bestehenden Aktivitäten soll versucht werden, mehr Informationen über Umfang und Art der Probleme im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum unter Schülern und über die Effektivität der angewendeten korrektiven und präventiven Maßnahmen zu sammeln. Die Aufklärung über die Risiken häufigen und intensiven Cannabiskonsums soll verstärkt werden.

4.2 Der Umfang des Marktes für weiche Drogen in den Niederlanden

Über den Umfang des Inlandsmarktes für weiche Drogen gibt es verschiedene Schätzungen. Nach einer neueren Schätzung sollen die Niederländer jährlich weiche Drogen im Gegenwert von ca. 500 Millionen Gulden konsumieren. Der gesamte Inlandsabsatz, einschließlich des Verkaufs an Touristen, soll einen Wert von 800 Millionen Gulden (Konsumwert) haben. Dieser Markt hat der organisierten Kriminalität Möglichkeiten eröffnet. Bei der Hälfte des konsumierten Cannabis handelt es sich um Haschischsorten aus Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika; eine geringere Menge kommt aus Südamerika, insbesondere aus Kolumbien. Marokko ist mit knapp 75% der größte Lieferant. Es gibt Hinweise darauf, daß ein erheblicher Teil des importierten Haschischs wieder exportiert wird. Die Betriebsführung dieser häufig von Niederländern geleiteten Exportorganisationen ist sehr professionell und auf Kontinuität ausgerichtet.

Im Jahre 1994 wurden über 43 Tonnen Haschisch und fast 195 Tonnen Marihuana beschlagnahmt. Die Zahl der gefundenen und vernichteten "Nederwiet-Pflanzen", also des niederländischen Hanfs, stieg auf 558.000. Mehre im Ausland beschlagnahmte Partien Cannabis waren, wie festgestellt wurde, für die Niederlande bestimmt. Trotz dieser Fahndungserfolge wurde der niederländische Markt unverändert gut beliefert.

Der Marktanteil des Nederwiets, an in den Niederlanden konsumierten weichen Drogen, soll inzwischen 50% betragen. Die in den Niederlanden seit alters vorhandene Kenntnis von Gartenbau- und Veredelungstechniken hat zur Erreichung dieses Marktanteils beigetragen. Nederwiet gilt als Qualitätsprodukt und ist daher vor allem bei Jugendlichen beliebt.

Die Jahresumsätze - Import, Inlandsabsatz, Export und Transithandel - mit weichen Drogen werden auf 6,5 Milliarden Gulden geschätzt. Schließlich muß noch erwähnt werden, daß Niederländer auch anderswo in der Welt am Handel mit weichen Drogen beteiligt sind. Diese Aktivitäten fallen primär unter die Jurisdiktion der betreffenden Länder.

4.3 Vorschriften für Coffeeshops

Der Verkauf geringer Mengen weicher Drogen, der zunächst nur in Jugendzentren zugelassen war, wird jetzt in großen Teilen des Landes auch kommerziell betrieben. Der Kleinhandel mit weichen Drogen hat dadurch in den achtziger und neunziger Jahren in vielen Gemeinden stark zugenommen.

Die Coffeeshops haben, wie in der Einführung gesagt, bewiesen, daß sie einen Beitrag zur erwünschten Trennung der Detailhandelsmärkte für weiche und harte Drogen leisten können. Die Zahl der an sich nützlichen Coffeeshops hat zugenommen, und damit haben auch die negativen Begleiterscheinungen zugenommen. Ein Teil der Coffeeshops steht außerdem unter dem Einfluß krimineller Organisation.

Bewohner beschweren sich in manchen Gemeinden über herumlungernde Kunden, Verschmutzung und Verkehrslärm. Coffeeshops in Stadtzentren rufen verständlicherweise weniger Proteste hervor als Coffeeshops in Wohngegenden. Die Klagen kommen insbesondere aus Grenzgemeinden, in denen ausländische Kunden sich nicht selten aggressiv und einschüchternd verhalten.

Auf viel Kritik stoßen Coffeeshops in der Nähe von Schulen und Jugendeinrichtungen. Vereinzelt kommen auch Beschwerden über den Verkauf harter Drogen in Coffeeshops oder in deren Nähe vor. Der Verkauf harter Drogen steht im Widerspruch zur Richtlinie der Staatsanwaltschaft über Coffeeshops vom Oktober 1994. Gegen Verstöße dieser Art wird die Staatsanwaltschaft strenger vorgehen. Die hohe Konzentration von Coffeeshops in manchen Gemeinden verursacht nicht nur Probleme, sondern begünstigt auch den Verkauf harter Drogen. Außerdem ist dadurch der Verkauf weicher Drogen nicht mehr rentabel. Auch aus diesem Grund ist eine hohe Konzentration von Coffeeshops unerwünscht. Die im Ausland manchmal aufgestellte Behauptung, in den niederländischen Coffeeshops würden in der Regel auch harte Drogen verkauft, entspricht im übrigen nicht der Wahrheit.

Ziel der strafrechtlichen Maßnahmen, die die Generalstaatsanwälte im Oktober 1994 in der Fahndungsrichtlinie Coffeeshops (Richtlijn Opsporingsbeleid inzake de coffeeshops; Staatscourant 1994, Nr. 203) formuliert haben, ist es, die in den lokalen Dreiergesprächen über Coffeeshops festgelegten Leitlinien zu stützen. Unter strengen Voraussetzungen - keine Werbung, kein Verkauf harter Drogen, keine negativen Begleiterscheinungen, kein Verkauf an Jugendliche unter 18 Jahren, kein Verkauf von mehr als 30 Gramm pro Person und Transaktion - wird nicht strafrechtlich gegen Personen vorgegangen, die in Gaststättenbetrieben, über die in den Dreiergesprächen eine Einigung erzielt worden ist, weiche Drogen verkaufen. Hierfür kommen lediglich Betriebe ohne Schankerlaubnis für alkoholische Getränke in Frage.

Trotz der Richtlinie der Staatsanwaltschaft gibt es noch eine große Vielfalt von Einrichtungen, in denen weiche Drogen verkauft werden. Coffeeshops im engeren Sinne sind Gaststättenbetriebe ohne Alkoholausschank und ohne Spielautomaten. In der Praxis findet der Verkauf von Drogen auch in Cafés, Videotheken, Fitneßzentren und Wohnhäusern statt. Die Zahl solcher illegaler Verkaufsstellen wird auf 900 geschätzt, die Zahl der Coffeeshops im engeren Sinn auf 1100 bis 1200. Bei den geduldeten Coffeeshops handelt es sich um Großstadt-Shops, die auf den Massenverkauf ausgerichtet sind, um kleinere Coffeeshops in den Stadtvierteln oder um Coffeeshops für Jugendliche, in denen Stammgäste Tischfußball spielen, bis zu zweifelhaften Hinterhof-Etablissements. Der Kommerz hat überall die Oberhand gewonnen. Verkauf aus ideellen Motiven kommt nur noch in einigen wenigen Gemeinden vor.

In vielen Gemeinden findet inzwischen in Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz eine Reform der Coffeeshop-Politik statt. Die Rahmenbedingungen für die Duldung werden verschärft. Die Gemeinden befinden sich in verschiedenen Phasen in bezug auf die Formulierung und Durchführung dieser neuen Coffeeshop- Maßnahmen. In vielen Gemeinden strebt man eine drastische Reduzierung der Anzahl Coffeeshops an, teilweise um die Hälfte in den kommenden Jahren. Wir unterstützen diese Bestrebungen u.a. deshalb, weil Coffeeshops hierdurch besser kontrollierbar werden.

Mit dem Verwaltungsinstrumentarium, das den lokalen Gebietskörperschaften zur Verfügung steht, kann man, wenn es konsequent angewendet wird, einen großen Teil der durch den Drogenhandel und Drogenkonsum verursachten Probleme in den Griff bekommen. Man kann auf diese Weise verhindern, daß in der Nähe von Schulen oder in Straßen, in denen die Verkehrs- oder Wohnsituation dies verbietet, Coffeeshops eröffnet werden.

Maßnahmen zur Regelung der Niederlassung sind aufgrund der Verordnungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, des Erlasses Gaststättenbetriebe Immissionsschutzgesetz (Besluit horecabedrijven hinderwet), der lokalen Verordnungen für Gaststättenbetriebe ohne Alkoholausschank, Allgemeiner Polizeiverordnungen (APV) und Umweltverordnungen möglich. Über einen Flächennutzungsplan kann die Niederlassung von Coffeeshops an unerwünschten Orten (gegenüber Schulen, Klub- und Nachbarschaftsheimen) verhindert werden. Regelungen für den Betrieb von Coffeeshops können nach dem Vorbild des Ausschank- und Gaststättengesetzes (Drank- en Horecawet) aufgrund allgemeiner Polizeiverordnungen und lokaler Verordnungen für Gaststätten ohne Alkoholausschank getroffen werden. In einigen Gemeinden wurden darüber hinaus Vereinbarungen mit Coffeeshop-Inhabern getroffen.

Mit Hilfe des obengenannten Instrumentariums ist die Formulierung eindeutiger Regeln hinsichtlich der Coffeeshops möglich. Sodann muß selbstverständlich auf die Einhaltung der kommunalen Regeln geachtet werden und muß gegen den Verkauf weicher Drogen außerhalb der Coffeeshops tatsächlich eingeschritten werden. Dies erfordert konkrete Vereinbarungen zwischen den Gemeindeverwaltungen, den Staatsanwaltschaften und der Polizei im Rahmen der Dreiergespräche. Ziel dieser Maßnahmen ist die Unterbindung des Verkaufs weicher Drogen in Gaststättenbetrieben und die Festlegung strenger Regelungen für Coffeeshops in bezug auf Lage, Öffnungszeiten, Einrichtung, Toiletten, Parkmöglichkeiten und Lärmbelästigung.

Ob Ordnungsstörungen zu erwarten sind, hängt von der Attraktivität des Lokals für kriminelle Elemente ab. Wichtig ist daher auch, daß Anforderungen an die Qualifikationen und den Leumund des Geschäftsführers gestellt werden können. Bei Coffeeshops ist dies aufgrund einer lokalen Verordnung für den Betrieb von Gaststätten ohne Alkoholausschank nach dem Vorbild der Verordnung zum Ausschank- und Gaststättengesetz und dem Erlaß über die sittlichen Anforderungen (Besluit eisen zedelijk gedrag) kraft dieses Gesetzes möglich. Zusammen mit der Vereinigung Niederländischer Gemeinden gehen wir inzwischen der Frage nach, ob zu diesem Zweck Musterbestimmungen entwickelt werden können. Dabei geht es nicht nur darum, eine Reihe von Qualitätsanforderungen festzulegen, sondern auch darum, die Genehmigung verweigern zu können, wenn der Geschäftsführer oder Inhaber vorbestraft ist oder als Strohmann für eine kriminelle Organisation fungiert.

Unter anderem im Rahmen der präventiven Maßnahmen gegen die organisierte Kriminalität soll bei der Revision des Ausschank- und Gaststättengesetzes die Frage geprüft werden, wie die Möglichkeiten der Gemeinden, Genehmigungen zu verweigern oder einzuziehen, verbessert werden können. Bei der näheren Ausgestaltung der Regelungen soll eventuellen negativen Auswirkungen auf den Ruf des übrigen Gaststättengewerbes Rechnung getragen werden.

Die Existenz dieser administrativ-rechtlichen Maßnahmen will nicht besagen, daß Gemeinden auch verpflichtet sind, eine oder mehrere Verkaufsstellen zu dulden. Eine Gemeindeverwaltung kann beschließen, überhaupt keine Coffeeshops zuzulassen. Dies muß jedoch in den Dreiergesprächen mit dem Chef des Polizeikorps und dem Staatsanwalt erörtert werden. Wenn keine Coffeeshops zugelassen werden, können Jugendliche, die sich Cannabis beschaffen wollen, von der kriminellen Szene abhängig werden. Darüber hinaus kann sich der Verkauf dann in Wohnungen, Kneipen oder auf die Straße verlagern und so allerlei negative Begleiterscheinungen nach sich ziehen. Die Durchsetzbarkeit solcher Maßnahmen muß mitberücksichtigt werden. Die meisten Gemeinden ziehen es daher vor, einige relativ sichere Verkaufsstellen zu dulden. Das Kabinett unterstützt diese Maßnahmen, sofern die Einhaltung der beschlossenen Regelungen auch kontrolliert wird. Wenn man sich in den Dreiergesprächen für die Nulloption entscheidet, werden die zuständigen Staatsanwaltschaften gegen die vorhandenen Coffeeshops strafrechtlich vorgehen, auch wenn sie sich ansonsten an die Bestimmungen halten.

Soll die Kontrolle wirksam sein, so muß Kapazität für die Überprüfung und Überwachung der Einhaltung der Genehmigungen sowie der Einhaltung der Richtlinie der Staatsanwaltschaft und der lokalen Verordnungen freigemacht werden. Verstöße gegen die Regelungen dürfen nicht ohne Folgen bleiben. Die Gemeinden und die Staatsanwaltschaft werden ersucht, dies aufmerksam zu kontrollieren. Sollen die "Sanierungsmaßnahmen" in bezug auf die Coffeeshops erfolgreich sein, erfordert dies zuallererst eine strenge Überwachung der Einhaltungen der Bestimmungen. Das Kabinett weist in diesem Zusammenhang auf die in der Koalitionsvereinbarung beschlossene Aufstockung des Personalbestands bei der Polizei hin. Es ist zu erwarten, daß die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen nach Durchführung der "Sanierung" reduziert werden können.

Inhaber von Coffeeshops sind einkommensteuerpflichtig. Geldbewegungen, die mit den Umsätzen von Coffeeshops zusammenhängen, gelten, sofern die Coffeeshops sich an die von den Justizbehörden gestellten Anforderungen halten, nicht als ungewöhnliche Transaktionen im Sinne des Gesetzes über die Meldung ungewöhnlicher Transaktionen (Wet Meldpunt Ongebruikelijke Transacties).

Nach unserer Auffassung ist ein kohärentes Vorgehen auf lokaler Ebene für die Bekämpfung der von Coffeeshops verursachten Störung der öffentlichen Ordnung von großer Bedeutung. Die bereits genannte Zwischenbehördliche Projektgruppe wird eine Beratungsstelle einrichten, die die Gemeinden, die Polizei und die Staatsanwaltschaft bei der Einsetzung einer Kombination behördlicher und strafrechtlicher Mittel zur Kontrolle der Coffeeshops und zur Weiterentwicklung der behördlichen Maßnahmen berät. Diese Beratungsstelle wird ferner Empfehlungen für kommunalpolitische Maßnahmen in bezug auf andere Aspekte der Drogenproblematik geben können.

4.4 Coffeeshops und organisierte Kriminalität

Ein gut sortierter Coffeeshop bietet eine Auswahl an verschiedenen Sorten Marihuana, Haschisch und Nederwiet. Schätzungsweise die Hälfte des Umsatzes wird mit Nederwiet erzielt. Coffeeshop-Inhaber beziehen ihre Waren von Großhändlern oder von Personen, die aus ihrem Urlaubsland Cannabis oder Cannabisprodukte mitgebracht haben.

Manche Coffeeshop-Inhaber bauen inzwischen selbst Nederwiet an oder kaufen Nederwiet von Privatpersonen, die Cannabis zu Hause anbauen. Die gesamte Produktions- und Handelskette bleibt auf diese Weise dem Einfluß krimineller Organisationen entzogen. Bei strafrechtlichen Ermittlungen stieß man jedoch auch wiederholt auf kriminelle Organisationen, die sich mit dem Import, dem Anbau, dem Großhandel und dem Vertrieb von Cannabis sowie mit der Betreibung von Coffeeshops und anderen Gaststättenbetrieben befaßten. Man investiert in Immobilien und in legale Betriebe unter anderem in der Sexindustrie und der Automatenbranche. In solchen Organisationen sind Coffeeshop-Inhaber oft nichts anderes als Strohmänner.

Zudem gibt es Anhaltspunkte dafür, daß kriminelle Organisation sich sowohl mit dem Innen- und Außenanbau in großem Maßstab wie auch mit gewerbsmäßigen Innenanbau von Nederwiet befassen. Der Anbau von Nederwiet wird jedoch in seiner Allgemeinheit sicherlich nicht von kriminellen Organisationen beherrscht.

Der Einfluß der organisierten Kriminalität ist bei der Beurteilung der Coffeeshop-Maßnahmen ein wichtiger Prüfstein. Die Rolle krimineller Organisationen bei der Versorgung der Coffeeshops mit weichen Drogen muß u.a. im Zusammenhang mit der beabsichtigten Trennung der Märkte soweit wie möglich reduziert werden. Wenn die Coffeeshops nämlich unter den Einfluß krimineller Organisationen geraten, ist das Risiko groß, daß harte Drogen verkauft werden und daß auch kriminelle Aktivitäten in den Coffeeshops stattfinden. Abgesehen davon soll den kriminellen Organisationen möglichst wenig Gelegenheit geboten werden, am geduldeten Verkauf von Cannabis in den Coffeeshops mitzuverdienen. Ein wichtiges Ziel unserer drogenpolitischen Maßnahmen ist die Reduzierung des Einflusses der organisierten Kriminalität auf die Coffeeshops. Im fünften Kapitel dieses Berichts soll auf die strafrechtlichen Maßnahmen in bezug auf die Lieferung weicher Drogen an Coffeeshops näher eingegangen werden.

4.5 Drogentourismus und Coffeeshops

Vor allem die Coffeeshops in den Grenzgebieten haben viel Kundschaft aus den Nachbarländern, sehr zum Ärgernis insbesondere der Behörden, deren eigene Drogenpolitik zumindest theoretisch darauf ausgerichtet ist, auch den Verkauf kleiner Mengen Cannabis zum Eigenverbrauch auch weiterhin als illegale Handlung zu betrachten. Die Bewohner der niederländischen Grenzstädte haben unter den Begleiterscheinungen des Drogentourismus stark zu leiden.

Zur Lösung für das Problem des Drogentourismus wurde vorgeschlagen, den Verkauf an Ausländer unter Berufung auf das Schengener Übereinkommen zu verbieten. Das Gebot, einen Unterschied zwischen niederländischen und ausländischen Konsumenten zu machen, ist jedoch verfassungsrechtlich problematisch und im übrigen schwer durchsetzbar. Bei einer unterschiedlichen Behandlung würden man Niederländer als Zwischenpersonen einschalten.

Die Kritik des Auslands richtet sich nicht in erster Linie auf den Konsum von Cannabis in niederländischen Coffeeshops, sondern vielmehr gegen den Import von Mengen, die als Vorrat zu betrachten sind. Das 30- Gramm-Kriterium, das die Grenze zwischen Übertretung und Verbrechen markiert, wurde bei der Verabschiedung des Betäubungsmittelgesetzes aus dem Jahre 1976 dem Recht der Vereinigten Staaten entlehnt, wo der Besitz einer Unze Cannabis entkriminalisiert wurde. Diese Norm wurde auch deshalb übernommen, weil es sich dabei angeblich um eine Menge handelt, mit der Konsumenten, die ihren Stoff mit anderen teilen, etwa zwei Wochen auskommen können. Mit dieser Menge würden die Konsumenten noch unter der Strafbarkeitsgrenze liegen. Bei der Behandlung des Betäubungsmittelgesetzes von 1976 wurde in der Zweiten Kammer des Parlaments bereits darauf hingewiesen, daß dieses Kriterium das Risiko gewerbsmäßigen Handels in sich birgt.

Von 30 Gramm Cannabis kann man zwischen 50 und 100 Zigaretten (Joints) drehen. Der Durchschnittskunde in den Coffeeshops kauft höchstens drei Gramm im Wert von etwa 25 Gulden. Man kann davon ausgehen, daß in den Grenzgebieten an Ausländer verkaufte Mengen von mehr als einigen Gramm für den Export bestimmt sind. An Wochenenden sorgen Drogentouristen in manchen Gemeinden für zwei Drittel des Coffeeshop- Umsatzes. Es gibt Hinweise darauf, daß die Mengen, die bei schmuggelnden Drogentouristen beschlagnahmt wurden, nach dem Wegfallen der Grenzkontrollen größer geworden sind.

Die geringere Strafbarkeit bei Mengen von nicht mehr als 30 Gramm gilt nicht für die Ein- und Ausfuhr. Es ist natürlich nie die Absicht der niederländischen Behörden gewesen, daß Coffeeshops die Auslandsmärkte bevorraten. Die Ausfuhr weicher Drogen gilt ungeachtet der Menge nach dem niederländischen Betäubungsmittelgesetz als Straftat. Ein Coffeeshop-Inhaber, der weiche Drogen an einen Ausländer verkauft, kann sich unter Umständen der Beihilfe zur Ausfuhr schuldig machen, und das ist - auch bei Mengen unter dreißig Gramm - strafbar.

In der Richtlinie der Staatsanwaltschaft gilt die gesetzliche Norm für den Besitz eines Vorrats zum Eigenverbrauch von maximal 30 Gramm auch für den Verkauf von Cannabis in geduldeten Coffeeshops. Wir nehmen die in den Grenzgebieten auftretenden Probleme und die Kritik aus dem Ausland zum Anlaß, diese Verkaufsnorm zu überprüfen. Die Abgabemenge pro Kunde soll auf fünf Gramm beschränkt werden. Diese Anpassung der staatsanwaltschaftlichen Richtlinie bringt die zentrale drogenpolitische Zielsetzung - die Abschirmung der Konsumenten von der Welt der harten Drogen - nicht in Gefahr. In den wenigen Coffeeshops, die ohne Gewinnabsicht arbeiten, werden bereits jetzt nur Mengen von maximal 3 bis 5 Gramm verkauft. Niederländer ab 18 Jahren, die weiche Drogen konsumieren wollen, erhalten sie nach wie vor bei den Coffeeshops. Darüber hinaus erhält der Besitz eines Vorrats zum Eigenverbrauch von maximal 30 Gramm auch weiterhin keine Priorität bei der Fahndung. Ausländischen Besuchern wird es allerdings schwerer gemacht, sich einen Vorrat für den Export zu beschaffen. Das wird sicherlich die Schwelle für ausländische Jugendliche erhöhen.

Die Kontrolle ist bei der Fünf-Gramm-Norm für den Verkauf an sich nicht schwieriger als bei der heutigen Norm von dreißig Gramm. Coffeeshops, die regelmäßig Mengen von mehr als fünf Gramm verkaufen, werden sofort auffallen. Wo die Einhaltung der Dreißig-Gramm-Norm bereits überprüft wird, kostet die Kontrolle der Einhaltung der Fünf-Gramm-Norm keine zusätzliche Kapazität. Auf die Einhaltung der Fünf-Gramm-Norm soll im Rahmen der nach Abschluß des "Sanierungsvorhabens" geplanten strengeren Kontrollen geachtet werden. Wenn der ausländische Drogentourismus nicht abnimmt, sollen zur Unterstützung der neuen drogenpolitischen Maßnahmen regelmäßig gezielte Fahndungen im Zusammenhang mit dem Export von Handelsvorräten an Cannabis, die die ausländischen Touristen in Coffeeshops oder anderswo erworben haben, stattfinden. Hierzu sollen, wo erforderlich, ausländische Polizeibehörden um Unterstützung aufgrund der im Schengener Übereinkommen 1990 getroffenen Vereinbarungen ersucht werden.

Mit der Einführung einer Höchstgrenze für die Mengen Cannabis, die in den Coffeeshops verkauft werden dürfen, erfüllen die Niederlande die in der Schlußakte zum Durchführungsübereinkommen von 1990 eingegangene Verpflichtung, grenzüberschreitende Auswirkungen, die durch unterschiedliche drogenpolitische Maßnahmen im Bereich der weichen Drogen hervorgerufen werden, soweit wie möglich zu verhindern. Durch diesen Schritt wird ein Teil der gegen die Coffeeshops im In- und Ausland geübten Kritik gegenstandslos, ohne daß ihre primäre soziale Funktion - die Trennung der Verbrauchermärkte für weiche und harte Drogen - in Gefahr käme. Die Staatsanwaltschaft wird diese Norm in die staatsanwaltschaftliche Richtlinie aufnehmen und für die Kontrolle sorgen.

Ein Problem für die Inhaber von Coffeeshops besteht darin, daß der Verkauf kleiner Mengen weicher Drogen zwar geduldet wird, der Besitz des dafür benötigten Handelsvorrats aber nicht. In der täglichen Rechtspraxis spielt dieses Problem keine große Rolle. Die staatsanwaltschaftliche Richtlinie wird in dem Sinne angepaßt, daß keine gezielt Fahndung stattfindet, wenn Coffeeshop-Inhaber sich an die kommunalen und strafrechtlichen Voraussetzungen halten und zu diesem Zweck nur einige hundert Gramm Drogen besitzen.

5. Die Durchführung des Betäubungsmittelgesetzes

5.1 Strafverfolgung von Rauschgifthändlern

Heroin

Das in den Niederlanden vorgefundene Heroin stammt hauptsächlich aus Südwestasien. In den meisten Fällen waren türkische kriminelle Organisationen am Handel beteiligt. Der Anteil der chinesischen Gruppen am Heroinschmuggel ist geringer geworden. Der Schmuggel findet meist in Lastwagen statt. Länder in Mittel- und Osteuropa spielen in zunehmendem Maße eine Rolle bei der Lagerung und Verteilung von Heroin. Für den Transport der Schmugglerware aus den Lagern in diesen Ländern werden immer häufiger Personenwagen verwendet. Zwischen den europäischen Fahndungsbehörden besteht eine gute Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Schmuggels über die Balkanroute via Osteuropa und Deutschland sowie Griechenland und Italien. In der Türkei wurde eine niederländische Verbindungsstelle eingerichtet.

Kokain

Das in den Niederlanden gehandelte Kokain stammt hauptsächlich aus Kolumbien und Venezuela. Verschiedene Länder in Süd- und Mittelamerika sowie im karibischen Gebiet, darunter auch die Niederländischen Antillen und Aruba, spielen eine Rolle bei der Ausfuhr. Kolumbianische Organisationen, meist aus Cali, sind für die meisten Sendungen nach Europa verantwortlich. Auch im Bereich des Kokains scheinen ost- und mitteleuropäische Länder eine wichtige Rolle zu spielen.

Synthetische Drogen

Die Niederlande sind, wie schon gesagt, ein wichtiges Herstellerland für Amphetamine. Fünfundsiebzig Prozent der in den ersten Monaten des Jahres 1994 in Deutschland beschlagnahmten Amphetamine kamen aus den Niederlanden. Bei den ecstasyartigen Verbindungen waren es 90%. Die Niederlande wurden mit illegalen Mülldeponien von Drogenlaboratorien konfrontiert. Eines der geschlossenen Laboratorien hatte eine Produktionskapazität von etwa einer halben Million Ecstasy-Pillen pro Tag.

Die Zahl der Ermittlungen gegen Hersteller synthetischer Drogen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Eines der fünf sog. Kernteams, die für die Fahndung nach kriminellen Organisation eingesetzt wurden, befaßt sich insbesondere mit der Bekämpfung der Herstellung von synthetischen Drogen und mit der Bekämpfung des Handels mit diesen Drogen.

5.2 Fahndungsergebnisse

In puncto Beschlagnahme von Betäubungsmitteln durch die Zollbehörden, die Polizei und andere Fahndungsbehörden, stehen die Niederlande nicht hinter anderen europäischen Ländern zurück. Die nachstehende Tabelle gibt eine vergleichende Übersicht über die beschlagnahmten illegalen Drogen.

Vergleichende Übersicht über die beschlagnahmten illegalen Drogen


1994 NL F D B E
Heroin(kg) 246 661 1590 137 824
Kokain (kg) 8200 4743 767 479 3899
Cannabis (kg) 238258 58014 25694 59904 219195
Amphetamine (kg) 215 80 120 23 32
Synthetische Drogen/
Pillen (x1000)
143 329 30 61 314

Die Menge der beschlagnahmten Drogen ist zwar kein zuverlässiger Gradmesser für die Fahndungsbemühungen und Fahndungserfolge, aber die Angaben lassen deutlich erkennen, daß die niederländische Polizei und der niederländische Zoll keinesfalls untätig sind. Die Entwicklung von Analysemethoden für eine effiziente Kontrolle u.a. von Schiffscontainern und Fluggästen durch den Zoll beginnt Früchte abzuwerfen. Im Vergleich zum Vorjahr hat der Zoll 1994 58% mehr Drogen beschlagnahmt. In den ersten sieben Monaten des Jahres 1995 war wiederum eine erhebliche Zunahme zu verzeichnen. Mit den Behörden der Niederländischen Antillen soll darüber gesprochen werden, wie der Drogenexport auf der Flugroute nach Amsterdam schärfer kontrolliert werden kann.

5.3 Die Rolle der organisierten Kriminalität

Niederlande

Nach Schätzungen der Polizei aufgrund nachrichtendienstlicher Informationen gibt es in den Niederlanden etwa hundert kriminelle Organisationen, von denen etwa 80% teilweise oder ausschließlich mit Drogen handeln. Der Umfang des Handels mit Betäubungsmitteln soll laut Polizei im Vergleich zu 1993 in etwa gleich geblieben sein. Seither wurden 33 gutorganisierte kriminelle Gruppen aufgelöst, von denen 27 mit Drogen handelten. Insgesamt wurden über hundert Personen festgenommen, die zum harten Kern dieser Organisationen zu rechnen sind. Allerdings sind auch wieder neue Gruppen tätig geworden.

Etwa die Hälfte der Meldungen bei der Meldestelle für ungewöhnliche Transaktionen, die als verdächtig qualifiziert wurden, bezieht sich auf Drogengeschäfte.

Organisationen, denen überwiegend Niederländer angehören, sind vor allem im Handel mit weichen Drogen tätig. Auf dem niederländischen Verbrauchermarkt für weiche Drogen werden pro Jahr schätzungsweise 800 Mio. Gulden umgesetzt; die Hälfte davon entfällt auf Nederwiet. Niederländer sind darüber hinaus an der Durchfuhr sowie am internationalen Handel mit weichen Drogen und Ecstasy beteiligt, wobei sich der internationale Handel großenteils außerhalb der Niederlande abspielt. Haupttätigkeit von drei Viertel der hundert gutorganisierten Gruppen ist der Handel mit harten Drogen; fast die Hälfte von ihnen hat als Haupttätigkeit den Handel mit weichen Drogen (eine Anzahl Gruppen hat mehrere Haupttätigkeiten).

Mehr als die Hälfte der Gruppen, die vorwiegend mit harten Drogen handeln, handelt auch mit weichen Drogen und der überwiegende Teil der Gruppen, die mit weichen Drogen handeln, handelt auch mit harten Drogen. Die auf der Verbraucherebene angestrebte Trennung der Märkte scheint also auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität kaum zu bestehen.

Organisierte Kriminalität in Europa

Ein Gesamtbild von der organisierten Kriminalität im allgemeinen oder im Zusammenhang mit Drogen ist in der Europäischen Union nicht vorhanden. Bislang fehlt es an einer einheitlichen Definition oder einer Liste von Kriterien für die Erstellung einer solchen Übersicht. Auf nationaler Ebene bestehen große Unterschiede in bezug auf die Verfügbarkeit relevanten statistischen Materials auf diesem Gebiet. Die Niederlande, Italien, das Vereinigte Königreich und Deutschland sind bei der Beschreibung dieses Phänomens weiter als die anderen, wodurch ein schiefes Bild entstehen kann. Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Justiz- und Verwaltungsbehörden der Europäischen Union befaßt sich eine Arbeitsgruppe mit der Suche nach einer geeigneten Methode zur Beurteilung der organisierten Kriminalität in der EU, mit dem die Zeit bis zur Einführung eines europäischen Systems für das Sammeln und Analysieren von Informationen überbrückt werden soll. Die Niederlande spielen in dieser Arbeitsgruppe eine aktive Rolle.

Mit den nötigen Vorbehalten wegen der genannten Informationslücken kann gesagt werden, daß die organisierte Kriminalität fest im Sattel sitzt und daß der Drogenhandel und Drogenschmuggel für in der EU tätige kriminelle Gruppen nach wie vor eine Haupttätigkeit ist. In vielen Fällen sind die Organisationen international tätig. Sie beschränken sich nicht auf eine Art von Delikten, sondern sind an einer ganzen Palette krimineller Aktivitäten beteiligt. Insbesondere seien hier Menschenschmuggel und Prostitution, Waffenhandel, Erpressung, Gewaltverbrechen, Autodiebstahl und Handel mit gestohlenen Autos, Urkundenfälschung, EG-Betrugsdelikte, die illegale Verarbeitung oder Ablagerung von Müll, Bestechung, Betrug und Geldwäsche sowie Bedrohungen z.B. von Polizeibeamten und Zeugen genannt.

Einzelne Gruppen arbeiten (auf internationaler Ebene) zusammen. Wie bereits erwähnt, ist durch die Brückenkopffunktion unseres Landes im internationalen Transport legaler Waren eine Infrastruktur entstanden, die auch für den Import und Transit illegaler Drogen und deren Vorbereitung benutzt wird. Dieser Mißbrauch soll in den kommenden Jahren aktiv bekämpft werden.

Die strafrechtliche Bekämpfung des Drogenhandels in den Niederlanden

Wie bereits gesagt, wird der Handel mit Drogen von der niederländischen Polizei, den Zollbehörden und der Staatsanwaltschaft entschlossen bekämpft. Für die zuständigen Beamten der Fahndungs- und Zollbehörden und die Staatsanwälte war dies in den vergangenen Jahren ein Hauptbestandteil ihrer Arbeit. Die neue Methode der Verbrechensanalyse, die in den Niederlanden entwickelt wird, hat zu einer systematischeren Fahndung nach kriminellen Organisationen beigetragen, dabei werden auch Informationen der Meldestelle für ungewöhnliche Transaktionen u.ä. benutzt. In enger Zusammenarbeit mit der Steuerermittlungs- und Informationsbehörde (FIOD) werden in zunehmendem Maße die neuen gesetzlichen Möglichkeiten für das Aufspüren, Einfrieren und die Beschlagnahme illegal erworbenen Vermögens genutzt. Daß bei der Verfolgung krimineller Organisationen Erfolge nicht ausgeblieben sind, zeigt u.a. die Festnahme der Führer von dreißig gutorganisierten kriminellen Organisationen in den vergangenen zwei Jahren.

Die Anstrengungen der Polizei- und Justizbehörden tragen dazu bei, daß die Drogen für die Konsumenten relativ teuer sind und nicht öffentlich verkauft werden können. Im Zusammenhang mit der Trennung der Märkte für weiche und harte Drogen wird so ein Beitrag zur Beschränkung der Anzahl Erstkonsumenten von harten Drogen geleistet. Da die Beschaffung von Geld für den Kauf harter Drogen viel Energie kostet, tragen die strafrechtlichen Maßnahmen bei einem Teil der älteren Süchtigen vermutlich zur Beendigung des Drogenkonsums bei.

Die strafrechtlichen Maßnahmen gegen den Handel haben auch in den Niederlanden den Import und das Angebot harter Drogen nicht dauerhaft versiegen lassen. Drogen werden nach wie vor auf den internationalen Märkten angeboten. Die Gewinnaussichten sind so günstig, daß der Platz festgenommener Händler und aufgelöster krimineller Organisation in der Regel von anderen eingenommen wird. In dieser Hinsicht ist die Aussicht auf dauerhafte Erfolge gering. Auch muß man der Gefahr ins Auge sehen, daß nationale und internationale Netze krimineller Organisationen allmählich mehr wirtschaftliche und finanzielle Macht erwerben. Schätzungsweise werden in der Welt jährlich Drogen im Wert von 500 Milliarden Gulden umgesetzt. Die Problematik des Wachstums der u.a. im Drogenhandel tätigen kriminellen Organisationen spielt in vielen Teilen der Welt eine Rolle und genießt die volle Aufmerksamkeit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, wie sich auf den Konferenzen der Regierungschefs und Minister 1994 in Neapel zeigte.

Das Kabinett wird in den kommenden Jahren einen aktiven Beitrag zur Bewußtwerdung und Diskussion über die weltweite Problematik leisten, die von manchen als unvermeidliche Folge der Strafbarkeit des Drogenkonsums angesehen wird. Für falsch hält das Kabinett jedoch die vereinzelt geäußerte Auffassung, daß das einzige Mittel gegen die Drogenproblematik in einer völligen Legalisierung aller Drogen liege und daß differenzierte Kontrollmaßnahmen sinnlos seien. Die juristische und verwaltungsmäßige Bekämpfung des organisierten Verbrechens im Zusammenhang mit u.a. dem Drogenhandel soll energisch fortgesetzt werden.

5.4 Aktualisierung des Aktionsplans zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität

Bezüglich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität in der Vergangenheit sei zunächst auf den Bericht "De georganiseerde criminaliteit in Nederland: dreigingsbeeld en plan van aanpak" (Die organisierte Kriminalität in den Niederlanden: Bedrohung und Bekämpfung) und die entsprechenden Folgeberichte verwiesen, deren letzter am 16. Mai 1995 der Zweiten Kammer zugeleitet wurde (voortgangsrapportage georganiseerde criminaliteit van 16 mei 1995; kamerstuk 1994-1995, 22838, nr. 14). Aus diesen Berichten geht hervor, daß die Fahndung nach kriminellen Organisationen durch spezialisierte Teams Erfolge zu zeigen beginnt. Bei der Staatsanwaltschaft wurde eine besondere Abteilung unter der Leitung eines eigens dafür abgestellten Generalstaatsanwalts geschaffen, die die Maßnahmen der Polizei und Justiz zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens koordiniert.

Das angekündigte überregionale Fahndungsteam soll dieses Jahr seine Arbeit aufnehmen. Es wird sich insbesondere auf finanzielle Recherchen und auf die Unterstützung von Fahndungsvorhaben, die von anderen Ländern ausgehen, konzentrieren. Es wird sich daher vor allem mit der Fahndung nach international arbeitenden kriminellen Organisationen befassen. So kann bei im Ausland aufgenommenen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Drogenhandel adäquatere Unterstützung gewährt werden.

Selbstverständlich werden die Ergebnisse und Schlußfolgerungen der parlamentarischen Untersuchung für weitere Entscheidungen in dieser Sache maßgeblich sein. Schon jetzt steht fest, daß die Fahndung nach kriminellen Organisationen in den kommenden Jahren intensiviert werden soll. Sobald die Schlußfolgerungen aus der parlamentarischen Untersuchung bekannt sind, werden die Ministerin der Justiz und der Minister des Innern einen aktualisierten Aktionsplan für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens der Zweiten Kammer vorlegen.

Die Möglichkeiten für finanzielle Recherchen wurden, wie bekannt, erheblich erweitert. Die Tatsache, daß Banken, Unternehmen und Angehörige bestimmter freier Berufe an der Bekämpfung der Reinvestition von Gewinnen aus kriminellen Aktivitäten mitarbeiten, hält das Kabinett für ermutigend. Unter anderem dank der regionalen und überregionalen Aktivitäten der Nationalen Plattform für Verbrechensbekämpfung (Nationaal Platform Criminaliteitsbestrijding) - ein Kooperationsorgan der Wirtschaft, der freien Berufe und der Regierung unter dem Vorsitz der Ministerin der Justiz - ist man gegen die schleichende Infiltration durch kriminelle Organisationen besser gewappnet und schenkt ihr mehr Aufmerksamkeit. Auch einige Gemeindeverwaltungen treffen Maßnahmen mit dem Ziel, kriminellen Organisationen möglichst keine Chance zu geben. In dem aktualisierten Aktionsplan soll auch den Maßnahmen der Exekutive zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität große Aufmerksamkeit geschenkt werden.

5.5 Internationale Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung

Der illegale Handel mit Betäubungsmitteln hat internationalen Charakter. Nicht nur die Herkunfts- und Bestimmungsländer sind über die ganze Welt verstreut, auch die illegalen Händler sind fortwährend auf der Suche nach neuen Absatzmärkten. Die Verwirklichung und Unterhaltung von Transportrouten erfordert nicht nur in den Herkunfts- und Bestimmungsländern, sondern auch in den Transitländern eine dauerhafte Organisation von "Arbeitnehmern". Bei der Bekämpfung des illegalen Handels zwischen Herkunfts- und Bestimmungsländern liegt der Akzent auf der Ermittlung von Transportrouten, der Behinderung von Transporten und der Fahndung nach Kurieren; in den Bestimmungsländern selbst geht es um die Auflösung der gesamten Organisation. Diese Aktivitäten können nur dann Erfolg haben, wenn die nationalen Fahndungsstellen der betreffenden Länder intensiv und effizient zusammenarbeiten.

Die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit besteht bereits seit geraumer Zeit und kommt in Verträgen zum Ausdruck, die speziell zur Verhinderung und Bekämpfung des illegalen Handels geschlossen wurden. Auf internationaler Ebene wurde die rechtliche Grundlage in drei Verträgen der Vereinten Nationen gelegt, und zwar in dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der durch das Protokoll zur Änderung des Einheits-Übereinkommens von 1972 geänderten Fassung, dem internationalen Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe und dem Übereinkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988.

Diese Verträge bieten durch ihren weltweiten Charakter und hohen Ratifizierungsgrad eine gute Basis für die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Bestimmungsländern. Bei der Zusammenarbeit zwischen den Bestimmungsländern wird ebenfalls von diesen Instrumenten Gebrauch gemacht. Dabei hat sich jedoch gezeigt, daß die Effizienz der Zusammenarbeit durch zusätzliche Regelungen erhöht wird. So wurde vom Europarat der Vertrag zur Durchführung von Artikel 17 des obengenannten UNO-Vertrags von 1988 verabschiedet, der die Zusammenarbeit bei Aktionen außerhalb der Hoheitsgewässer gegen Schiffe, in denen Drogen geschmuggelt werden, regelt; ferner wurde im Durchführungsübereinkommen zum Schengener Übereinkommen den Betäubungsmitteln ein gesonderter Abschnitt gewidmet. Schließlich enthält der Europäische Unionsvertrag Bestimmungen über die Bekämpfung des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln und wurden im EU-Rahmen weitere Initiativen ergriffen, wie die Verabschiedung der genannten Verordnungen und Richtlinien über die Präkursoren und die Einrichtung der Europol-Drogeneinheit als Vorläuferin von Europol.

Mitunter werden auch auf bilateraler Basis vertragliche Regelungen geschlossen. So wurde im Jahre 1989 zwischen dem Königreich der Niederlande und Venezuela ein Vertrag über die Bekämpfung des Mißbrauchs, des unerlaubten Handels und der unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln, pyschotropen Stoffen und damit zusammenhängenden chemischen Stoffen geschlossen.

Diese spezifischen Regelungen stellen zusammen mit den allgemeinen Verträgen über internationale strafrechtliche Zusammenarbeit (Auslieferung, Rechtshilfe in Strafsachen, Übertragung und Übernahme der Strafverfolgung bzw. des Strafvollzugs, Beschlagnahme von Erträgen aus kriminellen Handlungen) und den Verträgen über gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen, die in den Niederlanden und ihren Nachbarländern in Kraft sind, ein umfassendes Instrumentarium für die internationale Fahndung nach Drogendelikten und die Verfolgung der in diesen Ländern tätigen international organisieren Gruppen dar. Bei der internationalen Zusammenarbeit geht es daher auch nicht in erster Linie um eine Ergänzung des vertraglichen Instrumentariums.

Eine weitere Erhöhung der Effizienz in der internationalen Zusammenarbeit ist jedoch wünschenswert. Sie kann durch eine gründliche Analyse der grenzüberschreitenden Aspekte des Drogenhandels und der daran beteiligten Organisationen erreicht werden. Wichtig sind auch die Entwicklung und Unterhaltung internationaler Netzwerke der Polizei-, Zoll- und Justizbehörden, damit die Koordinierung bei der Fahndung und Strafverfolgung im Einzelfall effizient und unter Wahrung des jeweiligen einzelstaatlichen Rechts verläuft und das Instrumentarium, das mit den genannten Verträgen bereitgestellt wird, optimal eingesetzt wird.

Innerhalb Europas nimmt infolge der Intensivierung der Zusammenarbeit die Zahl der Rechtshilfeersuchen im Bereich der Fahndung und Strafverfolgung in Drogensachen zu. Dies zwingt zu einer Vereinfachung der internationalen und nationalen Verfahren. Mit dem Inkrafttreten des Schengener Durchführungsübereinkommens sind viele Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten erheblich einfacher geworden; so können Ersuchen unmittelbar an die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften gerichtet werden.

In den Niederlanden ist man angesichts der zunehmenden Zahl von Anträgen zu der Einsicht gelangt, daß die Behandlung der Anträge durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Justizministerium in qualitativer Hinsicht verbessert werden muß. Da im Gegensatz zu früher die Behörden ein ständiger Strom von Ersuchen erreicht, müssen alle beteiligten Parteien gemeinsam die hierfür erforderlichen organisatorischen Voraussetzungen schaffen.Sowohl beim Justizministerium als auch bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei wurden oder werden die Verfahren mittels Automatisierung optimalisiert. Dabei wird auch der gegenseitigen Abstimmung und dem gegenseitigen Informationsaustausch Aufmerksamkeit geschenkt. Was die Polizei angeht, so wird, wie bereits erwähnt, in Kürze ein überregionales Fahndungsteam einsatzfähig sein.

Zur Verhinderung des Mißbrauchs von Chemikalien für die illegale Produktion von Betäubungsmitteln wurde das am 1. Juli 1995 in Kraft getretene Gesetz zur Verhinderung des Mißbrauchs von Chemikalien (Wet Voorkoming Misbruik Chemicaliën) verabschiedet, das Vorschriften über die Herstellung von und den Handel mit Präkursoren, die übrigens zu etwa 90% legal genutzt werden, enthält. Mit diesem Gesetz erfüllen die Niederlande ihre Verpflichtungen aufgrund des Übereinkommens gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988 und der darauf basierenden EG- Verordnungen und Richtlinien. Bei einem Verstoß gegen das Gesetz kann nicht nur auf eine Freiheitsstrafe und Geldbuße erkannt werden, sondern auch der finanzielle Gewinn eingezogen werden.

Die internationalen Vorschriften auf diesem Gebiet sollen den illegalen Handel mit Präkursoren weltweit verhindern. Die Aufsicht über die Einhaltung dieses Gesetzes liegt beim Wirtschaftskontrolldienst (ECD), der im Zusammenhang mit anderen Kontrollaufgaben bereits Kontakte zur chemischen Industrie hat. Die Division Zentrale Kriminalpolitische Informationen und der Wirtschaftskontrolldienst werden beim Wirtschaftkontrolldienst eine zentrale Meldestelle schaffen, die Einblick in den Präkursorenstrom vermitteln soll.

Unter dem Vorsitz der Europäischen Kommission werden im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten Initiativen zur Erweiterung der internationalen Zusammenarbeit ergriffen, u.a. mit den USA, den ehemaligen GUS-Staaten und den ASEAN-Länder.

5.6 Der Anbau von Nederwiet

Wie in der Einleitung bereits erläutert, stehen vertragliche Verpflichtungen einer gesetzlich geregelten Belieferung der Coffeeshops mit Cannabisprodukten entgegen (siehe Anhang II). Zu befürchten ist ferner, daß eine solche Regelung zu niedrigeren Preisen und zu einer Bestätigung des drogenfreundlichen Images der Niederlande beiträgt, wodurch der Drogentourismus weiter zunehmen würde. Eine solche Regelung ist aus vertragsrechtlichen Gründen nach Auffassung der Regierung erst dann möglich, wenn auch andere hiervon betroffene Länder sich hierfür entscheiden.

Seit Nederwiet auf dem Markt ist, hat sich der Cannabis-Markt in den Niederlanden grundlegend geändert. Durch die rasch zunehmende Popularität des in den Niederlanden gezüchteten Cannabis entstehen neue Probleme. Die Niederlande drohen ein Exportland für einheimischen Cannabis zu werden. Das muß auf jeden Fall verhindert werden.

Der Anbau von Nederwiet stellt die niederländischen Behörden vor erhebliche Probleme in bezug auf die Kontrolle. Der Anbau kann in kleinem Umfang und unauffällig in Privatwohnungen erfolgen und ist kaum systematisch zu ermitteln. Auch in den Vereinigten Staaten ist es der Justiz nicht gelungen, den Cannabisanbau - mit einem geschätzten Wert von gut 18 Milliarden Dollar - zu beschränken. Es ist für die niederländische Polizei und Justiz unvermeidlich, bei der Bekämpfung des illegalen Anbaus bestimmte Prioritäten zu setzen. Bekannt ist übrigens, daß außer in den USA auch in Belgien, Deutschland und Osteuropa Cannabis angebaut wird.

In den Niederlanden wurde 1994 gegen 323 illegale "Zuchtbetriebe" vorgegangen (1993:237). Die Zahl der beschlagnahmten Pflanzen stieg von 194.000 im Jahre 1993 auf 558.000 im Jahre 1994. Darüber hinaus wurden 600 kg Nederwiet beschlagnahmt. In den meisten Fällen handelte es sich um kleine Anbauflächen in Wohnungen; die Ware war für den Eigenverbrauch, den Kleinhandel, aber auch für den Großhandel bestimmt. In weniger als 10% der Fälle handelte es sich um Anbau im Freien, in gut 20% um Anbau in Gewächs- oder Lagerhäusern. Inzwischen gibt es schätzungsweise einige zehntausend Personen, die zu Hause Nederwiet anbauen.

Das Phänomen der Kleinzüchter von Cannabis bringt die Behörden in ein Dilemma. Bonafide Coffeeshops beziehen ihre Ware zunehmend von nichtkriminellen Kleinzüchtern. Auf diese Weise können sie den Kontakt mit kriminellen Organisationen vermeiden. Dieser Trend ist angesichts der Zielsetzung, der organisierten Kriminalität möglichst wenig Spielraum zu geben, positiv. Im Prinzip ist es möglich, daß ca. 35.000 Kleinzüchter - Schätzungen zufolge dürfte diese Anzahl leicht erreicht werden - mit jeweils nur einigen Pflanzen die Inlandsnachfrage nach Cannabis decken. An Lieferungen von kriminellen Organisationen bestünde dann kein Bedarf mehr. Umgekehrt besteht das Risiko, daß zumindest ein Teil der Kleinzüchter von kriminellen Organisationen vereinnahmt wird, was auch jetzt schon vereinzelt festgestellt wurde.

Von ausschlaggebender Bedeutung bei der Fahndung und Strafverfolgung ist die Kontrollierbarkeit. Aus den Gesprächen mit den Staatsanwaltschaften ging hervor, daß das Aufspüren von Kleinzüchtern wegen der geringen Auffälligkeit in der Praxis sehr schwierig ist. Welche Prioritäten man setzt, wird u.a. von den lokalen Umständen und Entwicklungen abhängen. Das geeignete Forum, um hierüber Entscheidungen zu treffen, sind die lokalen Dreiergespräche. Die beschlossenen Maßnahmen sollen mit dem behördlichen Instrumentarium unterstützt werden. Der Anbau durch Minderjährige soll auf keinen Fall geduldet werden.

Es gibt Hinweise darauf, daß es niederländischen Züchtern von Hanf vereinzelt gelingt, den THC-Gehalt von im Heimanbau gezüchteten Pflanzen zu erhöhen, wodurch die psychotrope Wirkung zunimmt. Das Gerichtslaboratorium hat 1994 183 Proben von überwiegend in Wohnungen gezüchtetem Hanf auf seinen THC- Gehalt untersucht. Der durchschnittliche THC-Gehalt betrug 8%. Er entspricht somit dem in ausländischem Hanf vorgefundenen Prozentsatz. Im Jahre 1994 wurde in einem Fall ein THC-Gehalt von 20% in einer Nederwiet-Probe festgestellt. Der Konsum von Cannabis mit einem hohen THC-Gehalt kann zu einer Überdosierung und zu Angstanfällen bei den Benutzern führen. Wir werden darauf hinwirken, daß das Gerichtslaboratorium systematische Untersuchungen nach dem THC-Gehalt von in den Niederlanden angebautem Hanf durchführt. Gegebenenfalls soll die Staatsanwaltschaft aufgefordert werden, den Anbau und Verkauf von Cannabis mit hohem THC-Gehalt besonders streng zu verfolgen, z.B. durch eine entsprechende Verschärfung der Strafanträge.

Bei der Fahndung und Strafverfolgung muß der Anbau von Cannabis für den Export und/oder als Form der organisierten Kriminalität höchste Priorität erhalten. Es muß verhindert werden, daß die Niederlande ein Produktions- und Exportland für weiche Drogen werden, vor allem dann, wenn sie wegen des hohen THC-Gehalts unannehmbare Risiken mit sich bringen. Im Interesse der Volksgesundheit wäre es unverantwortlich, einer solche Entwicklung freien Lauf zu lassen; dies würde zu Recht auf große Kritik im Ausland stoßen.

Um besser gegen großflächigen Anbau einschreiten zu können, trägt sich die Ministerin der Justiz mit der Absicht, eine Erhöhung der Höchststrafe für den Anbau von Nederwiet von zwei Jahren und 25.000 Gulden auf vier Jahre und eine Geldstrafe der fünften Kategorie vorzuschlagen.

In diesem Zusammenhang muß gleichzeitig ein Standpunkt zur gesetzlichen Regelung des Anbaus von Cannabis für legale Zwecke eingenommen werden. Der Anbau von Hanf als Windschutz in der Landwirtschaft und im Gartenbau oder zur Saatgutgewinnung bzw. zur Gewinnung von Fasern fällt laut Erlaß vom 18. Oktober 1976 (Staatsanzeiger 509) zur Durchführung von Artikel 3a Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes nicht unter dieses Gesetz. Diese Art des Anbaus kommt in den Niederlanden nur in bescheidenem Umfang vor. Das Areal für Faserhanf umfaßt etwa 1000 ha. Es handelt sich um ungefähr hundert Betriebe. In der Zukunft kann sich das ändern. Der Anbau u.a. für die Papierindustrie scheint Möglichkeiten zu eröffnen, und aus den Vereinigten Staaten schwappt eine Zurück-zur-Natur-Bewegung nach Europa, mit der Kleidung und andere Erzeugnisse auf Hanfbasis wieder in Mode kommen. Von der Europäischen Union können Subventionen für den Anbau von zugelassenen Hanffasern (mit einem sehr niedrigen THC-Gehalt) aufgrund von Anlage B der EWG-Verordnung Nr. 1164/89 gewährt werden.

Die Erlaubnis für die genannten Zwecke Hanf anzubauen, kann bei polizeilichen Aktionen aufgrund des Betäubungsmittelgesetzes zu Beweisschwierigkeiten führen, wenn der Züchter von vermutlich psychotropen Hanfsorten sich auf die Ausnahmeregelung für Faser- und Saatgutproduzenten beruft. Sicherlich in einem frühen Stadium des Anbaus ist dessen Charakter nicht immer klar zu erkennen. In den vergangenen Jahren wurden aufgrund von Artikel 87 des Saat- und Pflanzgutgesetzes (Zaaizaad- en Plantgoedwet), das in diesem Fall die Meldung bei der Niederländischen Allgemeinen Prüfstelle für Saat- und Pflanzgut in der Landwirtschaft (Nederlandse Algemene Keuringdienst voor zaaigoed en poortgoed van landbouwgewassen/NAK) verlangt, auch Züchter verfolgt, die sich auf die genannte Ausnahmeregelung berufen könnten.

Geprüft wurde die Frage, ob die Einführung eines Genehmigungssystems für den Anbau von Hanf für landwirtschaftliche Zwecke sinnvoll ist. Dagegen gibt es einige Einwände. Zunächst besteht die Notwendigkeit einer verwaltungsmäßigen Organisation für eine kleine Zahl von Genehmigungen; ferner gibt es praktische Kontrollprobleme, da die Feststellung, ob die betreffenden Pflanzen der Genehmigung entsprechen, sehr spezialiserte Kenntnisse erfordert. Die Gefahr einer Maskierung des illegalen Anbaus durch legalen Anbau ist nicht undenkbar. Günstiger wäre es, den Anbau erlaubter Hanfrassen nur im Freien zu gestatten. Auf diese Weise stände der Anbau unter Glas in allen Fällen im Widerspruch zum Betäubungsmittelgesetz.

Wir werden darauf hinwirken, daß im Einvernehmen mit dem Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Fischerei der Erlaß vom 18. Oktober 1976 so geändert wird, daß der großflächige Anbau in Räumen und der Anbau nicht erlaubter Rassen besser bekämpft werden können.

Die Niederländische Drogenpolitik:

6. Schlußfolgerungen und Regierungsvorhaben

In der niederländischen Drogenpolitik der vergangenen zwanzig Jahre haben Gesundheitsaspekte stets im Vordergrund gestanden. Und in dieser Hinsicht ist die Politik auch durchaus erfolgreich gewesen. Die Entkriminalisierung des Besitzes kleiner Mengen weicher Drogen für den Eigenverbrauch und die Duldung von Verkaufsstellen unter bestimmten Voraussetzungen haben nicht zu einem besorgniserregend hohen Konsumniveau unter Jugendlichen geführt. Jugendliche, die in einer bestimmten Lebensphase weiche Drogen konsumieren, neigen darüber hinaus in der Regel nicht dazu, mit harten Drogen wie Heroin und Kokain zu experimentieren; dies entspricht der mit der Trennung der Drogenmärkte verfolgten Absicht. Der Konsum von Heroin und Kokain ist bei niederländischen Minderjährigen selten und verzeichnet eine fallende Tendenz, eine im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern günstige Entwicklung. In diesem Unterschied ist wahrscheinlich auch die Erklärung für die unterschiedliche Tonart zu suchen, mit der die Diskussion in den Niederlanden und in manchen anderen Ländern geführt wird. In den Niederlanden wird das Drogenproblem nicht mehr primär als akute Bedrohung der Volksgesundheit, sondern als soziale Belastung erfahren. Zur gegenwärtigen Problemdefinition und Problemerfahrung in den Niederlanden paßt eine mehr pragmatisch und verwaltungsmäßig orientierte Strategie.

Die stark auf Prävention und Betreuung ausgerichteten Maßnahmen haben dazu geführt, daß die gesundheitliche Verfassung der in den Niederlanden wohnhaften Süchtigen besser ist als die von Süchtigen in Nachbarländern. HIV-Infektionen bei Drogenabhängigen liegen weniger häufig vor als anderswo und nehmen weiter ab. Die Sterblichkeit unter niederländischen Drogenabhängigen ist niedrig und nimmt im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern nicht zu. Das Kabinett nimmt die bisher erreichten Ergebnisse zum Anlaß, das pragmatische, auf die Begrenzung der gesundheitlichen Schäden ausgerichtete Vorgehen in seinen Grundzügen fortzusetzen.

Inzwischen sind jedoch einige ungünstige Nebenwirkungen aufgetreten, die eine Kurskorrektur in Einzelbereichen notwendig machen. Die von niederländischen und ausländischen Drogenkonsumenten verursachten Straftaten und sonstigen Probleme haben in vielen Gemeinden eine kritische Grenze überschritten und müssen aus diesem Grund reduziert werden. Diese Nebenwirkungen schwächen darüber hinaus die gesellschaftliche Akzeptanzbereitschaft für die auf die soziale Integration der Konsumenten ausgerichteten Maßnahmen. Die niederländische Drogenpolitik wird in den kommenden Jahren auf die Beseitigung der für die Volksgesundheit nachteiligen Folgen des Drogenkonsums ausgerichtet bleiben, aber gleichzeitig zum Ziel haben, die soziale Belastung zu reduzieren.

Auch die Anziehungskraft, die der niederländische Drogenmarkt auf Konsumenten aus Nachbarländern ausübt, und die Kritik, die die als tolerant bezeichnete niederländische Haltung in anderen Ländern hervorruft, zwingen zu Kurskorrekturen. Schließlich ruft das zunehmende Engagement krimineller Organisationen beim Nachschub und Verkauf von Drogen im In- und Ausland zu Recht große Besorgnis hervor. Die zunehmende wirtschaftliche Macht der organisierten Kriminalität ist auch in den Niederlanden ein großes und dringendes Problem.

Abgesehen von diesen Komplikationen muß man sich darüber im klaren sein, daß sich der Charakter der Drogenproblematik fortwährend ändert. Unter Jugendlichen hat Heroin ein "Verlierer-Image" bekommen, hingegen der Konsum synthetischer Drogen wie Ecstasy nimmt rasch zu. Synthetische Drogen können, je nach dem Umfeld, in dem sie konsumiert werden, der Gesundheit großen Schaden zufügen. Sie werden daher den harten Drogen zugerechnet. Die Bekämpfung dieser Drogen erfordert spezifische Maßnahmen. Eine andere Entwicklung mit erheblichen drogenpolitischen Implikationen ist der intensive Konsum weicher und harter Drogen innerhalb sozialer Randgruppen. Die Suchthilfe kann hier nur dann effektiv sein, wenn sie in einen breiteren Rahmen gestellt wird und Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsmarktchancen beinhaltet. Die vom Kabinett in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Gemeindeverwaltungen für die großen Städte ergriffenen Maßnahmen, die eine Integration sozial gefährdeter Jugendlicher zum Ziel haben, bieten hierfür gute Möglichkeiten.

Die Legalisierungsdiskussion

In den Niederlanden werden bereits seit einiger Zeit Stimmen laut, die eine völlige Freigabe der Herstellung und des Verkaufs von Drogen fordern. Hierdurch würden die Drogenpreise, so lautet das Argument, stark sinken, wodurch kriminelle Organisationen ihre wichtigste Einkommensquelle verlören. Darüber hinaus bräuchten Drogenabhängige keine Vermögensdelikte mehr zu begehen, um sich das Geld für den Kauf illegaler Drogen zu beschaffen.

Das Kabinett ist der Auffassung, daß bei einer Freigabe harter Drogen möglicherweise mehr sozial gefährdete Jugendliche solche Drogen nehmen würden - mit allen damit zusammenhängenden Gesundheitsrisiken. Risiken, die für das Kabinett Grund genug sind, diese Option zu verwerfen. Die erfreulich geringe und weiter sinkende Anzahl Drogenabhängiger unter 21 Jahren ist eine wichtiges Ergebnis der niederländischen Drogenpolitik, das nicht aufs Spiel gesetzt werden darf.

Hinsichtlich der weichen Drogen stellt sich die Situation etwas anders dar. Die niederländischen Erfahrungen mit den Coffeeshops haben gezeigt, daß durch die größere Verfügbarkeit dieser Drogen keine unannehmbaren Risiken für die Volksgesundheit entstehen. Die Coffeeshops sind für Jugendliche ein Puffer zur kriminellen Szene, in der mit harten Drogen gehandelt wird, und erfüllen damit eine nützliche soziale Funktion. Die Frage stellt sich, ob man die Lieferung weicher Drogen an Coffeeshops nicht legalisieren sollte. Eine vorbehaltslose Liberalisierung, d.h. die völlige Kommerzialisierung des Handels mit weichen Drogen, ist unserer Auffassung nach nicht wünschenswert. Der Drogenkonsum muß u.a. durch Aufklärung bekämpft werden. Man könnte auch an die Einführung eines staatlichen Monopols oder eines Genehmigungssystems denken. Damit wären sicherlich Vorteile verbunden. Die Rolle krimineller Organisationen im Bereich der Coffeeshops könnte so begrenzt werden. Gegen diese Option sprechen jedoch vertragliche Verpflichtungen, die die Niederlande eingegangen sind.

Die Einführung eines Genehmigungssystems bringt großen Durchführungs- und Kontrollaufwand mit sich. Von einer Legalisierung des Anbaus von weichen Drogen und/oder des Handels mit weichen Drogen ginge darüber hinaus wahrscheinlich eine Sogwirkung aus, wodurch sich die von ausländischen Drogentouristen verursachten Probleme noch verschärfen würden. Beschränkt sich die Legalisierung auf die Niederlande, ist ferner damit zu rechnen, daß das organisierte Verbrechen weiterhin für die Durchfuhr in andere Länder sorgt und daher weiterhin bekämpft werden muß.

Die Nachteile wiegen für das Kabinett schwerer als die praktischen Vorteile. Bestimmte Schwierigkeiten in bezug auf die Coffeeshops können besser gelöst werden, indem man die Möglichkeiten der Betäubungsmittelverträge nutzt, z.B. durch die Anpassung der Maßnahmen der Staatsanwaltschaften im Bereich des Strafprozeßrechts, und dies in Verbindung mit neuen administrativen Regelungen.

Das Kabinett bemüht sich um eine möglichst effektive Teilnahme an den europäischen und internationalen drogenpolitischen Diskussionen. Die Bereitstellung konkreter Informationen über Hintergründe und Ergebnisse der niederländischen Politik steht dabei im Vordergrund. Nach Auffassung des Kabinetts ist jedoch der Spielraum für die Beeinflussung der europäischen Diskussion geringer als häufig angenommen wird. Es ist unvermeidbar, daß kulturell und ideologisch bedingte normative Überlegungen bei dieser Diskussion eine große Rolle spielen. Der niederländische Beitrag zu der vom Kabinett angestrebten internationalen und europäischen Diskussion über die Vor- und Nachteile der Legalisierung weicher Drogen muß also behutsam und mit angemessener Relativierung der eigenen Auffassungen geleistet werden. In diesem Zusammenhang sollten auch Kontakte zu strategisch wichtigen Partnern im Ausland hergestellt werden.

Vertreter der niederländischen Wirtschaft, die über die wirtschaftlichen Folgen der staatlichen Drogenpolitik besorgt sind, können sich an dieser internationalen Diskussionen beteiligen.

Integrales Konzept

Abgesehen von einigen Korrekturen will das Kabinett den in den siebziger Jahren eingeschlagenen Kurs weiterverfolgen. Auf die Problematik der Drogensüchtigen soll wie in der Vergangenheit mit geeigneten Maßnahmen der Prävention, Betreuung, Behandlung und strafrechtlichen Sanktionierung kriminellen Verhaltens reagiert werden. In diesem Rahmen sollen jedoch einige neue Akzente gesetzt werden.

Die primäre Prävention soll einerseits mehr als heute auf den Freizeitkonsum neuer Drogen wie Ecstasy und andererseits auf den mehr problematischen Drogenkonsum unter sozial gefährdeten Gruppen ausgerichtet sein. Für die Aufklärung, Schulung und Planung auf dem Gebiet der Drogenprävention soll ein überregionaler Stützpunkt geschaffen werden.

Das Hilfsangebot muß besser abgestimmt werden. Hierbei geht es u.a. um eine bessere gegenseitige Abstimmung der verschiedenen Hilfsangebote wie die Methadonabgabe und Projekte in bezug auf Schulung, Arbeit und Wohnen. Mehr als in der Vergangenheit soll den Drogensüchtigen ein integrales Betreuungsangebot nach Maß gemacht werden, das nicht nur Rechte sondern auch Pflichten beinhaltet. Mehr Aufmerksamkeit soll in diesem Zusammenhang auch dem case-management gelten.

Ein flexibleres und umfassenderes Präventions- und Hilfsangebot erfordert auch eine klare Handlungs- und Finanzierungsstrategie. Aus diesem Grund will das Kabinett eine Untersuchung in Auftrag geben, um herauszufinden, ob die heutige regionale Organisation der ambulanten Suchthilfe in 23 Zentrumgemeinden auch nach Auslaufen der Geltungsdauer des Interimgesetzes zur Förderung der Sozialen Erneuerung (Tijdelijke Wet Stimulering Sociale Vernieuwing) am 1. Januar 1997 aufrechtherhalten werden kann. Im Hinblick auf die notwendige Überwachung des Drogengeschehens werden wir für die Teilnahme an den überregionalen Informationsveranstaltungen ebenfalls eine gesetzliche Regelung treffen.

Maßnahmen zur Verhinderung von Ordnungsstörungen

Um Ordnungsstörungen und Kriminalität wirksam bekämpfen zu können, ist ein integrales Konzept erforderlich, an dem sich alle Parteien - Regierung, Gemeindeverwaltungen, Staatsanwaltschaften, Polizei, Delinquentenfürsorge, Gefängniswesen und die Suchthilfe - mit aufeinander abgestimmten Beiträgen beteiligen. Hinsichtlich des Konsums harter Drogen werden die Anstrengungen der lokalen Verwaltungen, der Polizei, der Staatsanwaltschaften und der Helfer auf die Beeinflussung des Verhaltens Süchtiger ausgerichtet sein. Die Tatsache, daß der Konsum von Drogen an sich nicht strafbar ist, ist kein Freibrief für Beschaffungskriminalität, Aggressivität oder Ordnungsstörungen. Süchtige, die sich solcher Zuwiderhandlungen schuldig machen, sollen zur Rechenschaft gezogen werden.

Eine sorgfältige Abstimmung der Maßnahmen zwischen allen beteiligten Stellen ist erforderlich, um die Begleiterscheinungen des Drogenkonsums in Grenzen zu halten. Natürlich soll die Drogenhilfe die Betroffenen erreichen; dennoch halten wir es für erforderlich, daß im Rahmen der Betreuungsmaßnahmen die Sozialisierung der Süchtigen eine zentrale Rolle spielt. Ein Katalog aufeinander abgestimmter Maßnahmen ist hierbei entscheidend. Wichtig ist zunächst eine Intensivierung der präventiven Maßnahmen. Das angekündigte Aktionsprogramm der großen Städte, das umfassende Maßnahmen zur Lösung der Jugendproblematik vorsieht, legt die dafür erforderlichen Fundamente. Durch die Verbesserung der sozialen Perspektiven für sozial gefährdete Jugendliche wird das Übel an der Wurzel angepackt. Ferner muß die Suchthilfe niederschwellig und differenziert sein. Auch für Klienten der Suchthilfeeinrichtungen ist die Schaffung einer sozialen Perspektive u.a. in Form von Schulung und Arbeit entscheidend. Gleichzeitig sollen gegen Drogenabhängige, die weiterhin die Ordnung stören und kriminelles Verhalten an den Tag legen, Strafmaßnahmen ergriffen werden. Auch Einrichtungen der Suchthilfe müssen sich an diese drogenpolitischen Richtlinien halten. Schließlich soll auch für eine ausreichend große Anzahl Gefängniszellen gesorgt werden, damit hartnäckige Täter, auch solche, die gegen Gemeindeverordnungen verstoßen, bestraft werden können.

Die Verhütung und Bekämpfung von Ordnungsstörungen ist ein klar definierter Bestandteil der Sicherheitsvereinbarungen für die großen Städte. Unter anderem für diese Maßnahmen stellt das Kabinett in den kommenden vier Jahren zusätzliche Mittel zur Verfügung (insgesamt 375 Millionen für die Verbesserung der Lebensumwelt und der Sicherheit). In diesem Rahmen sollen die vier großen Städte die Initiative bei der Organisation einer strengeren zentralen Regie auf lokaler Ebene ergreifen, um so ein konsequentes und integriertes Vorgehen zu ermöglichen. Die Hilfseinrichtungen, Polizei, Justiz und Delinquentenfürsorge sind hieran direkt beteiligt. Das Budget für die Reform der Betreuungsmaßnahmen zur Verminderung der Drogenprobleme beträgt 1995 37 Millionen und wird ab 1996 um insgesamt 12,5 Millionen (auf dauerhaft 49,5 Millionen) erhöht.

Zur Gewährleistung einer adäquaten Durchführung der Maßnahmen der Regierung und der großen Städte in bezug auf die Sicherheit und die Drogenproblematik soll eigens eine Projektgruppe, die Überbehördliche Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe (Interbestuurlijke Task Force Veiligheid en Verslavingszorg), ins Leben gerufen werden. Dieser Projektgruppe, der bevollmächtigte Koordinatoren der Regierung und der Gemeinden angehören sollen, ist u.a. die Aufgabe zugedacht, für die rasche Durchführung der in diesem Bericht vorgesehenen Maßnahmen zu sorgen und im Falle von Verzögerungen bei der Regierung oder den Gemeinden, die zuständigen Stellen zu beraten.

Nach dem Vorbild der erfolgreichen Polizeiaktion "Victor", die dieses Jahr in Rotterdam stattfand, werden bei der Polizei und im Strafvollzug ständig Kapazitäten für gezielte Maßnahmen gegen sich regelwidrig verhaltende niederländische und ausländische Drogenabhängige reserviert. Ausländische Drogenabhängige, die sich strafbar machen, sollen erforderlichenfalls direkt ausgewiesen werden, auch wenn es sich um EG-Bürger handelt. Die Zusammenarbeit mit Polizei- und Justizbehörden in den Nachbarländern soll intensiviert werden. Unter anderem im Rahmen der EU soll darauf hingewirkt werden, daß die Suchthilfe in gewissen Ländern verbessert wird, so daß es für die niederländischen Gerichte einfacher wird, die Unterbringung ausländischer Drogenabhängiger in Suchtkliniken ihres Herkunftslandes anzuordnen.

Der Minister des Innern wird eine Gesetzesvorlage einreichen, die für die Gemeinden mehr Möglichkeiten vorsieht, den Zugang zu Wohnungen, die zum Drogenhandel benutzt werden, zu unterbinden. An mehren Orten in den Niederlanden sollen nach dem Amsterdamer Vorbild Meldestellen für Probleme mit Drogenabhängigen eingerichtet werden, die Vermittlungsaufgaben wahrnehmen und Informationen sammeln.

Im Rahmen der stationären Behandlung war man bislang fast ausschließlich darum bemüht, die Abstinenz, d.h. die völlige und bleibende Drogenfreiheit der Klienten, zu erreichen. Für die meisten Süchtigen ist dieses Ziel, vor allem, wenn es kurzfristig erreicht werden soll, zu hoch gegriffen. Auch bei der stationären Behandlung wird das Nebenziel oder sogar das Hauptziel häufiger eine verbesserte soziale Anpassung sein. Wo nötig und möglich wird dafür ein strafrechtlicher Titel angewendet werden.

Im Jahre 1996 soll eine gerichtsmedizinische Suchtklinik eröffnet werden. Diese Klinik ist für Süchtige bestimmt, die schwere Straftaten begangen haben und intensiver Betreuung bedürfen. Die Klinik wird 70 Betten zählen.

Im Rahmen der bereits angelaufenen Maßnahmen zur Verminderung der Folgeerscheinungen des Drogenkonsums soll auch mehr Raum für Projekte geschaffen werden, bei denen Drogenabhängige, denen eine Gefängnisstrafe droht, zu einer stationären oder aber auch ambulanten Behandlung motiviert werden sollen. Auf die Behandlung soll dann eine intensive Betreuung durch Resozialisierungseinrichtungen folgen, wobei auch die Einhaltung der Auflagen kontrolliert werden soll. Die Ministerin der Justiz wird im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft hierfür 500 der 1996 zusätzlich bereitstehenden Zellen reservieren.

Im Rahmen der Maßnahmen zugunsten der großen Städte sollen ein oder mehrere Versuche durchgeführt werden, bei denen kriminelle Drogenabhängige in einer Art Sicherungsverwahrung sozial wiedereingegliedert werden sollen. Die bereits erwähnte Überbehördliche Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe wird u.a. mit dieser Aufgabe betraut. Eine Unterbringung in dieser Einrichtung für die Betreuung von Drogenabhängigen wird vorerst noch auf der Grundlage der Aussetzung der Untersuchungshaft erfolgen.

Zur Schaffung einer hierfür geeigneten rechtlichen Grundlage wird die Ministerin der Justiz eine entsprechende Gesetzesvorlage einreichen, die sich zum Teil an den Vorschriften für die nicht mehr übliche Unterbringung von Bettlern und Landstreichern in staatlichen Arbeitshäusern orientieren soll. Diese Zwangsaufnahmen könnten die Gerichte für mindestens drei Monate und höchstens ein oder zwei Jahre anordnen. Für das Ausbildungs- und Arbeitsprogramm sollen die Gemeinden Sorge tragen. Die Gemeindeverwaltungen der vier großen Städte haben ihre volle Mitarbeit bei der Verwirklichung dieser Pläne zugesagt; Rotterdam und Amsterdam haben sich außerdem bereit erklärt, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Begonnen wird mit einem Versuchsprojekt für etwa 100 Drogenabhängige in der Gemeinde Rotterdam. Die Projektgruppe wird Vorschläge für eine Aufstockung der Kapazität auf mindestens 300 Plätze unterbreiten, davon mindestens 100 für Amsterdam.

Heroinabgabe

Das Kabinett hat mit Interesse von der Empfehlung des Gesundheitsrats Kenntnis genommen, die die Abgabe von Heroin und anderen Opiaten aufgrund medizinischer Indikation befürwortet. Wir werden mit den interessierten Gemeindeverwaltungen über einen oder mehrere Versuche in kleinem Umfang und auf strikt medizinischer Grundlage sprechen. Ziel der Heroinabgabe ist die Verbesserung der medizinischen und sozialen Situation der Drogensüchtigen. Ein Rückgang der Drogenkriminalität und anderer drogenspezifischer Probleme gilt als sehr erwünschte Nebenwirkung. Bei der Evaluierung soll auch auf diese Aspekte eingegangen werden. Es soll mit einem Pilotversuch mit bis zu 50 Drogenabhängigen begonnen werden.

Strafrechtliche Bekämpfung des Drogenhandels

Die entschlossene strafrechtliche Verfolgung des Handels mit harten Drogen wird fortgesetzt. Die Zusammenarbeit mit dem Ausland soll intensiviert werden. Das überregionale Fahndungsteam wird insbesondere die Aufgabe erhalten, polizeiliche Ermittlungen im Ausland zu unterstützen. Ziel dieser strafrechtlichen Maßnahme ist die Aufrechterhaltung möglichst hoher finanzieller und sozialer Schwellen für den Konsum harter Drogen und die Beschränkung der Beteiligung der Niederlande und von Niederländern am internationalen Drogenhandel. Der Verkauf von harten Drogen an Schüler soll schwer bestraft werden. Die Fahndung nach den Köpfen hinter dem lokalen Handel mit harten Drogen (der sog. mittleren Führungsebene) soll höhere Priorität erhalten.

Die strafrechtlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität verlangen von Staat und Gesellschaft in den Niederlanden große Opfer. Das Kabinett hält dies in der heutigen Situation jedoch für unvermeidlich. Die Ministerin der Justiz und der Minister des Innern werden der Zweiten Kammer so rasch wie möglich nach Abschluß der parlamentarischen Untersuchung einen aktualisierten Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vorlegen.

Coffeeshops

Aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Richtlinie erhält der Verkauf weicher Drogen in bestimmten Gaststättenbetrieben ohne Alkoholausschank unter strikten Auflagen keine Priorität bei der Fahndung. Die bonafiden Coffeeshops haben bewiesen, daß sie einen Beitrag zur Abschirmung der Konsumenten weicher Drogen gegenüber der Welt der harten Drogen leisten. Die strafrechtliche Duldung soll daher fortgesetzt werden. Die bereits bestehende Praxis, wonach Inhaber von Coffeeshops, die sich an die einschlägigen Bedingungen halten, wegen des Besitzes einiger hundert Gramm Cannabis für den Verkauf in ihrer Kneipe keine Verfolgung zu befürchten haben, wird in der staatsanwaltschaftlichen Richtlinie formalisiert.

Der Verkauf harter Drogen in den Coffeeshops steht in direktem Widerspruch zur zentralen Zielsetzung der Politik in bezug auf die Coffeeshops. Er soll daher immer entschlossen strafrechtlich verfolgt werden.

Die Institution "Coffeeshop" bedarf allerdings eindeutiger Verwaltungsregelungen. Die lokalen Behörden müssen angesichts ihrer Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dafür sorgen, daß diese Betriebe so gelegen sind und betrieben werden, daß sie möglichst wenig Störungen verursachen. Durch die Beschränkung auf eine bestimmte Kategorie von Betrieben, nämlich Gaststätten, in denen kein Alkohol zu bekommen ist und keine Spielautomaten stehen, besteht die Möglichkeit, die öffentliche Ordnung auf lokaler Ebene zu gewährleisten. Nähere Regelungen (auf Gemeindeebene) sind erwünscht, um die präventive Kontrolle von Betrieben in bezug auf die Einrichtung, den Unternehmer, Geschäftsführer und Inhaber verschärfen zu können. Vorbestrafte Personen erhalten keine Konzession.

Solche Regelungen und zusätzliche Kontrollmaßnahmen werden zur Erreichung des angestrebten Ziels in bezug auf die Coffeeshops beitragen. Die Durchführung erfordert konkrete Vereinbarungen zwischen Gemeindeverwaltungen, Polizei und Staatsanwaltschaft im Rahmen der Dreiergespräche. Mittlerweile wurde in den meisten größeren Gemeinden bereits eine drastische Reduzierung der Anzahl der Coffeeshops beschlossen, in vielen Fällen auf weniger als die Hälfte der heutigen Anzahl. Das Kabinett unterstützt dieses "Sanierungsvorhaben". In der Nähe von Schulen sollen überhaupt keine Coffeeshops mehr zugelassen werden. Im Prinzip kann im Rahmen der Dreiergespräche beschlossen werden, auf Coffeeshops völlig zu verzichten, wenn in einer bestimmten Gemeinde kein Bedarf an einer solchen Verkaufsstelle besteht.

Im Rahmen der allgemeinen Reform des Gesetzes über den Verkauf alkoholischer Getränke im Handel und im Hotel- und Gaststättengewerbe (Drank- en Horecawet) soll geprüft werden, wie die Möglichkeiten für Gemeinden vergrößert werden können, die entsprechenden Konzessionen zu verweigern oder einzuziehen.

Die bereits genannte Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe soll den Auftrag erhalten, für die Gemeindeverwaltungen, die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Bildungsanstalten ein Gutachterbüro einzurichten, das über die verwaltungsrechtlichen und juristischen Aspekte der Drogenpolitik, darunter die Regelung in bezug auf Coffeeshops, beraten soll.

Der Verkauf von weichen Drogen in Coffeeshops soll auf fünf Gramm pro Kunde beschränkt werden. Coffeeshop-Inhaber, die weiche Drogen verkaufen, die offensichtlich für den Export bestimmt sind, sollen sofern möglich wegen Mithilfe beim grenzüberschreitenden Handel verfolgt werden. Nach Ausländern, die Handelsvorräte in ihr eigenes Land ausführen, soll zur Abschreckung Dritter regelmäßig gefahndet werden. Zu diesem Zweck soll, falls erforderlich, die Hilfe der ausländischen Behörden in Anspruch genommen werden. Durch die Anpassung der Richtlinie soll der Export von Partien für den Eigenverbrauch bestimmter weicher Drogen in Nachbarländer unterbunden werden.

Das zunehmende Angebot von im eigenen Land angebautem Cannabis, dem sog. Nederwiet, erfordert klare Maßnahmen. Die Ministerin der Justiz beabsichtigt, eine Gesetzesvorlage einzureichen, in der die gesetzliche Höchststrafe für den Anbau von Cannabis von zwei auf vier Jahre erhöht wird. Bei der Fahndung und Strafverfolgung soll dem großangelegten gewerbsmäßigen Anbau von Cannabis Priorität gegeben werden. Hiermit soll verhindert werden, daß Nederwiet ein Exportprodukt wird. Der Heimanbau kleiner Mengen Nederwiet durch Volljährige, der sich im Rahmen dessen bewegt, was in den Dreiergesprächen vereinbart worden ist, erhält keine Priorität bei der Fahndung und Strafverfolgung.

Wir betrachten das hier umrissene integrierte verwaltungs- und strafrechtliche Konzept als wichtige Verbesserung zur Kontrolle der Coffeeshops. So kann möglicherweise auch der Einfluß krimineller Organisationen auf die Coffeeshops verringert werden. Dies soll in den kommenden Jahren als Prüfstein für die Coffeeshop-Maßnahmen dienen.

Untersuchungen und Statistiken

Die Europäische Union hat Initiativen ergriffen, um einen besseren Einblick in den Umfang und die Entwicklungen in bezug auf den Drogenkonsum in Europa zu erhalten. Zu diesem Zweck wurde in Lissabon die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht gegründet.

Auch verschiedene UNO- Organisationen und der Europarat (Pompidou-Gruppe) führen regelmäßig Untersuchungen auf diesem Gebiet durch. Die niederländische Regierung legt großen Wert auf bessere und miteinander vergleichbare statistische Untersuchungsergebnisse über den Drogenkonsum. Sie tragen zu einer besseren Beurteilung der drogenpolitischen Maßnahmen bei, was zu einer Versachlichung der Diskussion führen kann, die dann weniger durch Vorurteile und festgefügte Auffassungen beherrscht wird. Auf diese Weise wird dann vermutlich das Verständnis für die Ausgangspunkte und Auswirkungen der niederländischen Drogenpolitik wachsen. Die Regierung wird u.a. im Rahmen der EU und der UNO Initiativen zur Erweiterung des statistischen und wissenschaftlichen Programms zur Erforschung des Drogenkonsums ergreifen.

Im Rahmen der Reformvorhaben auf dem Gebiet der Betreuung soll - unter Berücksichtigung bestimmter Aspekte der öffentlichen Ordnung - der Kontrolle und Evaluierung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden; es sollen u.a. regelmäßig Verbraucherumfragen durchgeführt werden.

In Zusammenarbeit mit der Niederländischen Vereinigung von Einrichtungen der Suchthilfe (NeVIV) wurde mit qualitätsfördernden Maßnahmen ein Anfang gemacht. Ferner hat die Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport die Evaluierung präventiver Maßnahmen vorgesehen. Der Stiftung Zukunftsszenarien Gesundheitswesen (Stichting Toekomstscenario's Gezondheidszorg) wurde der Auftrag erteilt, auch in bezug auf die Suchtproblematik Zukunftsszenarien zu entwickeln. Auch hierbei soll dem europäischen Kontext der Problematik Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Bei der Evaluierung der Coffeeshop-Maßnahmen sollen auch auf die Trennung der Märkte für weiche und harte Drogen, auf die Auswirkungen der Kommunalpolitik auf die öffentliche Ordnung sowie auf die Rolle krimineller Organisationen in bezug auf Coffeeshops (und deren Versorgung mit Drogen) geachtet werden.

Schlußwort

Wir geben uns nicht der Illusion hin, mit diesem Bericht für eine lange Reihe von Jahren einen detaillierten Plan für die niederländische Drogenpolitik vorgelegt zu haben. Die Art des Drogenkonsums ändert sich ständig. Eine pragmatische, d.h. eine auf konkrete Ergebnisse abzielende Politik muß daher flexibel sein. Wir sind der Auffassung, daß mit diesem aufgrund einer objektiven Situationsanalyse erstellten Bericht ein Programm für die niederländische Drogenpolitik aufgestellt worden ist, das konstruktiv und realistisch ist und das den im In- und Ausland vorgebrachten Einwänden in angemessener Weise Rechnung trägt. Das hier entwickelte drogenpolitische Konzept ist darauf ausgerichtet, die spezifisch niederländische humane und auf die soziale Integration der Drogenkonsumenten ausgerichtete Politik fortzusetzen und gleichzeitig den sozialen Auswüchsen des Drogenkonsums Einhalt zu gebieten. In Teilbereichen ist der geplante Maßnahmenkatalog möglicherweise noch inkonsistent. Zu bedenken ist, daß es bei der Drogenpolitik nicht um Logik geht, sondern um die Auseinandersetzung mit einer schwierigen und vielschichtigen Problematik, die den raschen sozialen und kulturellen Entwicklungen im In- und Ausland unterworfen ist.

Sowohl der Drogenkonsum als auch die Drogenpolitik haben grenzüberschreitenden Charakter. Das nunmehr entwickelte drogenpolitische Konzept stützt sich auf das in den vorangegangen Jahren geschaffene Fundament und bietet gleichzeitig Möglichkeiten, rasch auf die nationalen und internationalen Entwicklungen zu reagieren. Dieser Bericht ist in unseren Augen ein für die Drogenpolitik wohlüberlegter Schritt vorwärts.

  • Die Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport
    Frau Dr. E. Borst-Eilers
  • Die Ministerin der Justiz
    Frau W. Sorgdrager
  • Der Staatssekretär des Innern
    J. Kohnstamm

Voraussichtlicher Finanzbedarf für die Durchführung des Drogenberichts auf Jahrbasis


A = Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport B = Ministerium der Justiz C = Ministerium des Innern
Algemeines
1. Intensivierung der Aufklärung und Schulung in bezug auf die nierl. Drogenpolitik im In- und Ausland und Unterstützung der Gemeinden, der Staatsanwaltschaft und der Polizei bei Coffeeshop-Maßnahmen 1,2 Mio.
(A,B C)
2. Intensivierung der Fahndung nach kriminellen Organisationen u.a. durch finanzielle Recherchen und Mitarbeit an internationalen Fahndungsvorhaben 8 Mio.
(C,B)
3. Kontrolle Designerdrogen, THC-Gehalt und regelmäßige Konsumentenanalyse 2 Mio.
(A,B)
Folgeerscheinungen
4. Intensivierung der Maßnahmen gemäß Bericht über Folgeerscheinungen des Drogenkonsums 12,5 Mio.
(A: 11,15;
B: 1,35)
5. Versuch mit Aufnahme in geschlossene Einrichtung mit dem Ziel der sozialen Reintegration durch Ausbildung und Arbeit; ab 1997, Dauer 3 Jahre 8 Mio.
(Sozialamt Gemeinde Rotterdam)
Drogenturismus
6. Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Polizei, Exekutive und Hilfeleistungs-einrichtungen 0,6 Mio.
(C: 0,4;A: 0,1; B: 0,1)
Reformvorhaben
7. Heroinabgabe (Beitrag zu kommunalen Versuchen) 4 Mio.
(A)
8. Qualitätsverbesserung, Evaluierung und Verbesserung der präventiven Maßnahmen, Aufklärungskampagnen 1,5 Mio.
(A: 0,85;
B: 0,65)
9. Zukunftsforschung 0,6 Mio.
(A,B, C)
 
Insgesamt 38,4 Mio.

Für die Durchführung dieser Pläne wurden Mittel aus den Haushalten der Ministerien für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport, des Innern, der Justiz sowie aus den Budgets für die Bekämpfung der Folgeerscheinungen des Drogenkonsums (SVO) und den Maßnahmen zugunsten der großen Städte reserviert.

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Anhang

Anhang I

Zahl der Drogenabhängigen

(x1000)


Mitgliedstaaten O + S
1989-1993
KEG - 2. Bericht Reduzierung Nachfrage,
1992
KEG - 1. Bericht Reduzierung Nachfrage,
1990
L'Expresse
7 0kt. 1993
WHO
1985-1990
NIAD
1990-1991
Belgien 15 - 20 ? 10 - 20 20 ? 15 - 20
Dänemark 10 10 10 20 10 10
Frankreich 150 150 100 120 120 -150 150
Deutschland 80-100 80 60 - 80 100 90 -140 100 - 250
Griechenland ? ? 9 - 13 30 40 - 50 10 - 20
Irland 2 ? ? 20 3,5 2
Italien 150-200 150 ? 150 100 -200 150 - 200
Luxemburg 1- 1,5 ? 1,8 2 1,2- 1,5 1 - 1,5
Niederlande 15- 20 21 20 3 22 - 24 22
Portugal ? ? 40 - 50 50 40 - 50 40 - 50
Spanien 120 ? ? 100 ? 120
Vereinigtes Königreich 150-200 35-90 ? 100 ? 150 - 200
 
Insgesamt 693-823,5 446-501 250,8-294,8 742 426,7-629 770-1.045,5

Quelle: Modell der Kommission betreffend den Aktionsplan und Drogen (1995-1999)
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Juni 1994

Anhang II

Wichtigste Maßnahmen laut Drogenbericht

Allgemeine Maßnahmen:

  1. Keine Legalisierung harter oder weicher Drogen
  2. Fortsetzung der auf die Trennung der Märkte und Harm reduction ausgerichteten Politik mit einigen Verschärfungen:
    • Reform des Betreuungskonzepts
    • Intensivierung der Bekämpfung der Folgeerscheinungen, des Drogenkonsums und der Kriminalität
    • Bekämpfung der organisierten Kriminalität
    • Intensivierung der Beratungen mit dem Ausland
  3. Integrales Vorgehen: Prävention, Betreuung, Resozialisierung und strafrechtliche Sanktionierung von asozialem und/oder kriminellem Verhalten

Besondere Maßnahmen:

  1. Schaffung eines überregionalen Stützpunktes für die Aufklärung, Schulung und Planung auf dem Gebiet der Drogenprävention
  2. Gesetzliche Regelung der Teilnahme an der überregionalen Aufklärung in bezug auf die Kontrolle der Suchtproblematik
  3. Untersuchungen in bezug auf die Finanzierung der regionalen ambulanten Suchthilfe nach Ablauf der TWSSV
  4. Reform der Suchthilfe:
    • Differenzierung des stationären Hilfsangebots
    • mehr Aufmerksamkeit für Prävention und "Sozialisierung" der Süchtigen
    • Versuch mit Heroinabgabe an ältere, nicht behandlungsfähige Süchtige
    • Erweiterung der Kapazität der Projekte für (obligatorische/empfohlene) Entziehungskuren (500 Plätze im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft)
    • Eröffnung einer gerichtsmedizinischen Suchtklinik (70 Plätze)
  5. Einsetzung einer Zwischenbehördlichen Projektgruppe Sicherheit und Suchthilfe (Regierung, Gemeinden, Vereinigung Niederländischer Gemeinden) unter besonderer Berücksichtigung der Maßnahmen zugunsten der großen Städte
  6. Einsetzung eines Sachverständigenbüros zur Unterstützung der Gemeinden bei der Bekämpfung der Folgeerscheinungen des Drogenkonsums und bei den Maßnahmen in bezug auf Coffeeshops:
    • Untersuchungen zur Rechtsprechung
    • Entwicklung von Vorschlägen für lokale Coffeeshop-Maßnahmen
    • Meldestellen für Ordnungsprobleme im Zusammenhang mit Coffeeshops
    • Informationsaustausch
  7. Gesetzentwurf in bezug auf die Möglichkeit, den Zugang zu Wohnungen zu unterbinden
  8. Strenge Maßnahmen gegen Drogentouristen, die Probleme verursachen (gezielte Fahndung und sofortige Ausweisung)
  9. Gesetzentwurf über strafrechtliche Maßregeln für die Aufnahme häufig straffälliger/Störungen verursachender Drogenabhängiger und entsprechender Versuch in Rotterdam (100 Plätze)
  10. Reduzierung der geduldeten Menge für den Kleinhandel in reglementierten Coffeeshops von 30 g auf 5 g und strengere Kontrolle des Exports
  11. Aufnahme des in Coffeeshops geduldeten Handelsvorrats von einigen hundert Gramm in die Richtlinie der Staatsanwaltschaft
  12. Gesetzentwurf zur Heraufsetzung der Höchststrafe für den Anbau von Cannabis
  13. Priorität bei der Fahndung nach Orten, wo Nederwiet in großem Maßstab angebaut wird
  14. Nachrangigkeit der Fahndung im Bereich des Kleinanbaus von Nederwiet innerhalb lokal festzulegender Grenzen
  15. Intensivierung der Fahndung nach kriminellen Organisationen (überregionales Team)
  16. Höhere Priorität für die Fahndung nach den führenden Köpfen des Drogenhandels auf lokaler Ebene
  17. Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität nach Ablauf der parlamentarischen Enquete
  18. Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Justiz, Polizei, Behörden und Hilfsorganisationen
  19. Mehr Aufmerksamkeit für Untersuchungen, Kontrolle und Evaluierung:
    • regelmäßige Umfragen unter den Konsumenten
    • Qualitätsprojekte
    • Evaluierung präventiver Maßnahmen
    • Zukunftsszenarien
    • Coffeeshop-Maßnahmen
    • THC-Gehalt
    • chemische Drogen

Anhang III

Schlußfolgerungen aus der Empfehlung des Leiters des Juristischen Dienstes beim Rat der Europäischen Union und ehemaligen Professors für internationales Strafrecht an der Universität Amsterdam, Mr. J.J.E. Schutte, über die international-rechtlichen Verpflichtungen auf dem Gebiet der öffentlich-rechtlichen Kontrolle der Einhaltung von Vorschriften über Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe, an die das Königreich gebunden ist.

Exkurs: die juristischen Implikationen einer eventuellen Legalisierung von Cannabis und Cannabisprodukten

Stellt man sich die Frage, welche international-rechtlichen Konsequenzen ein einseitiger niederländischer Beschluß hätte, die Herstellung, den Besitz und den Handel von Cannabis und Cannabisprodukten für andere als die im Einheits-Übereinkommen von 1961 erlaubten Zwecke zu legalisieren (ganz abgesehen davon, ob die Ein- und Ausfuhr weiterhin unter Strafe gestellt würde), dann können im Lichte der obigen Ausführungen folgende Schlußfolgerungen gezogen werden:

  1. Das Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der durch das Protokoll zur Änderung des Einheits- Übereinkommens von 1972 geänderten Fassung müßte gekündigt werden, da ein solcher Beschluß mit den Verpflichtungen nach Artikel 2 Absätze 1 und 5, Artikel 4, 36 und 49 unvereinbar wäre. Die Möglichkeit, dem Übereinkommen unter bestimmten Vorbehalten in bezug auf Cannabis und Cannabisprodukte wieder beizutreten, ist aufgrund von Artikel 50 Absatz 3 des Übereinkommens gering; die Vertragspartner (wahrscheinlich mehr als ein Drittel), die keinen Unterschied zwischen harten und weichen Drogen machen wollen, würden sich vermutlich gegen einen solchen Vorbehalt aussprechen.

  2. Ein solcher Beschluß stünde nicht im Widerspruch zu dem Übereinkommen über psychotrope Stoffe.

  3. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988 müßte gekündigt werden, da ein solcher Beschluß mit den Verpflichtungen aufgrund von Artikel 3 unvereinbar wäre. Das Übereinkommen enthält - anders als das Einheits- Übereinkommen von 1961 - keine besonderen Bestimmungen über Vorbehalte, so daß ein erneuter Beitritt zum Übereinkommen unter bestimmten Vorbehalten auf den ersten Blick auf weniger rechtliche Bedenken stieße. In der Praxis ist jedoch mit demselben Widerstand der Vertragsparteien wie beim Einheits- Übereinkommen von 1961 zu rechnen.

  4. Ein solcher Beschluß würde nicht direkt im Widerspruch zum Schengener Übereinkommen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen von 1985 stehen.

  5. Das Übereinkommen von 1990 zur Durchführung des Schengener Übereinkommens von 1985 stünde dagegen im Widerspruch zu einem solchen Beschluß. Er ist unvereinbar mit Artikel 71, der von einer uneingeschränkten Einhaltung des Einheits-Übereinkommens von 1961 in der durch das Änderungsprotokoll von 1972 geänderten Fassung und des UNO- Übereinkommens von 1988 ausgeht. Das Durchführungsübereinkommen, das laut Artikel 137 keine Vorbehalte zuläßt (mit Ausnahme der hier nicht relevanten Vorbehalte gemäß Artikel 60), hat keine Kündigungsklausel. Demnach ist für Kündigungen des Übereinkommens Artikel 56 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge anwendbar. Absatz 1 dieses Artikels lautet wie folgt:

    Ein Vertrag, der keine Bestimmung über seine Beendigung enthält und eine Kündigung oder einen Rücktritt nicht vorsieht, unterliegt weder der Kündigung noch dem Rücktritt, sofern

    1. nicht feststeht, daß die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts zuzulassen beabsichtigen, oder
    2. ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht sich nicht aus der Natur des Vertrags herleiten läßt.

    Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Vertragsparteien die Absicht hatten, einen Rücktritt vom Übereinkommen oder dessen Kündigung möglich zu machen, und auch die Art des Übereinkommens scheint sich einer solchen Befugnis zu widersetzen. Mit dem Durchführungsübereinkommen haben die Parteien laut Präambel schließlich beabsichtigt, den im EG-Gründungsvertrag vorgesehenen Binnenmarkt zu verwirklichen. Dieses Ziel darf nicht konterkariert werden, indem man das Übereinkommen, das das Prinzip des freien Verkehrs von Personen in einem Raum ohne Binnengrenzen realisiert, kündigt.

    Die Schlußfolgerung muß sein, daß das Schengener Durchführungsübereinkommen nicht gekündigt werden kann, sondern höchstens geändert oder durch Gemeinschaftsrecht bzw. durch Vereinbarungen zwischen allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ersetzt werden kann (vgl. Artikel 134, 141 und 142 des Durchführungsübereinkommens).

  6. Das Übereinkommen des Europarats vom 31. Januar 1995 über den Drogenhandel auf hoher See muß auf alle strafbaren Handlungen gemäß Artikel 3 Absatz 1 des UNO-Übereinkommens von 1988 angewandt werden. Das Übereinkommen läßt gemäß Artikel 31 Absatz 1 nur Vorbehalte in bezug auf zwei hier nicht relevante Bestimmungen zu. Ein Beschluß im obigen Sinne hätte zur Folge, daß das Königreich keine Partei dieses Übereinkommens werden oder bleiben könnte, es sei denn, dieser Beschluß hätte keine Folgen für Handlungen außerhalb der Niederlande.

  7. Der Beschluß stünde nicht im Widerspruch zu anderen Verträgen des Europarats auf dem Gebiet der strafrechtlichen Zusammenarbeit.

  8. Ebensowenig würden die Niederlande mit einem solchen Beschluß direkt gegen den Vertrag über die Europäische Union verstoßen.

  9. Die Richtlinie 91/308/EWG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche enthält in Artikel 1 eine Definition der Geldwäsche, die den diesbezüglichen Umschreibungen des UNO-Übereinkommens von 1988 und dem Übereinkommen des Europarats vom 8. November 1990 über das Waschen, das Aufspüren, die Beschlagnahme und die Einziehung der Erträge aus Straftaten entlehnt ist. In dieser Definition werden Begünstigungshandlungen als Handlungen im Zusammenhang mit bestimmten kriminellen Handlungen, den sog. Grunddelikten, beschrieben. Als "kriminelle Tätigkeit" im Sinne der Richtlinie gilt:

    eine Straftat im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a) des Wiener Übereinkommens (d.h. des UNO-Übereinkommens von 1988) sowie alle anderen kriminellen Tätigkeiten, die für die Zwecke dieser Richtlinie von den einzelnen Mitgliedstaaten als solche definiert werden.

    Sodann bestimmt Artikel 2 der Richtlinie, daß die Mitgliedstaaten dafür sorgen, daß Geldwäsche im Sinne dieser Richtlinie untersagt wird. Im niederländischen Recht ist die Geldwäsche als Hehlerei strafbar. Es handelt sich dabei um Handlungen in bezug auf Sachen - einschließlich Geld -, von denen man weiß oder hätte annehmen müssen, daß sie aus einer strafbaren Handlung stammen.

    Aufgrund der Richtlinie müßte nun Hehlerei in bezug auf Geld, das aus Delikten im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 des UNO-Übereinkommens von 1988 stammt, verboten sein. Wenn man bestimmte Formen der Herstellung von Cannabis oder Cannabisprodukten und des Handels damit nicht mehr als Straftat betrachtete, würden Handlungen in bezug auf den Ertrag aus dieser Produktion oder aus diesem Handel auch nicht mehr in den Bereich der verbotenen Hehlerei fallen. Die Frage ist, ob dies eine Verletzung der gemeinschaftlichen Verpflichtungen beinhaltet. Diese Frage muß im Lichte der Erklärung der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die gleichzeitig mit der Richtlinie angenommen und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurde, gesehen werden. Sie lautet wie folgt:

    Die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten

    erinnern daran, daß die Mitgliedstaaten das am 19. Dezember 1988 in Wien angenommene Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen unterzeichnet haben,

    erinnern ebenfalls daran, daß die meisten Mitgliedstaaten am 8. November 1990 in Straßburg das Übereinkommen des Europarats über das Waschen, das Aufspüren, die Beschlagnahme und die Einziehung der Erträge aus Straftaten unterzeichnet haben,

    stellen fest, daß sich die Beschreibung der Geldwäsche in Artikel 1 der Richtlinie 91/308/EWG im Wortlaut an die entsprechenden Bestimmungen der obengenannten Übereinkommen anlehnt,

    verpflichten sich, spätestens bis zum 31. Dezember 1992 alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um Strafvorschriften in Kraft zu setzen, die ihnen gestatten, ihre aus den obengenannten Rechtsakten erwachsenden Verpflichtungen zu erfüllen.

    Der Beweggrund für diese Erklärung muß in dem Umstand gesucht werden, daß nach Auffassung des Rates eine Verpflichtung, Geldwäsche unter Strafe zu stellen, nicht durch das Gemeinschaftsrecht auferlegt werden kann, sondern einzig und allein aus den Verpflichtungen hervorgeht, die die Mitgliedstaaten aufgrund der zitierten Übereinkommen der UNO und des Europarats auf sich genommen haben.

    Wenn diese Interpretation korrekt ist, dann stellt der Beschluß zur Legalisierung bestimmter Handlungen in bezug auf Cannabis und Cannabisprodukte keine Verletzung der aus der Richtlinie hervorgehenden Verpflichtungen dar.

    Eine andere Frage ist, ob die mit der Richtlinie abgegebene zwischenstaatliche Erklärung ein Rechtsakt ist, der mit einem Vertrag gleichgesetzt werden kann und für die Mitgliedstaaten untereinander bindende Verpflichtungen begründet. Fest steht auf jeden Fall, daß die Erklärung in den Niederlanden nicht den für die Genehmigung von Verträgen vorgeschriebenen verfassungsrechtlichen Verfahren unterworfen gewesen ist und auch nicht unter die Kategorien von Verträgen fällt, für die keine parlamentarische Zustimmung erforderlich ist. Daher muß davon ausgegangen werden, daß in jedem Fall die niederländische Regierung die Erklärung lediglich als politische Erklärung betrachtet hat, die höchstens die damalige Regierung, jedoch nicht das Königreich als solches bindet.

    Angesichts dieser Sachlage könnte man den Schluß ziehen, daß ein Legalisierungsbeschluß nicht gegen internationale rechtliche Verpflichtungen aus der Richtlinie oder der im Zusammenhang damit abgegebenen Erklärung verstoßen würde.

  10. Die Verpflichtungen, die aus den Verordnungen und der Richtlinie in bezug auf die Kontrolle in bezug auf Stoffe, die für die illegale Herstellung von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen verwendet werden, entstehen, würden durch einen Beschluß zur Legalisierung von Cannabis und Cannabisprodukten nicht direkt berührt. Die Präkursoren, die in den Anwendungsbereich dieser gemeinschaftlichen Rechtsakte fallen, sind in den diesbezüglichen Listen in drei Kategorien unterteilt. Unter den in Kategorie 3 aufgenommenen Stoffen gibt es einige, die bei der Herstellung von Cannabisprodukten eine Rolle spielen können, nämlich Aceton, Ethylether und Toluol. Sie spielen jedoch auch eine Rolle bei der Herstellung bestimmter harter Drogen. Hinsichtlich der Stoffe der Kategorie 3 sind die Vorschriften jedoch am wenigsten streng. In der Verordnung (900/92 zur Änderung der Verordnung 3677/90) enthält Artikel 5a einige Vorschriften betreffend die Ausfuhr dieser Stoffe aus der Gemeinschaft, wobei man aufgrund der Ausführungen in Absatz 1 Buchstabe b vor allem an die unerlaubte Herstellung von Heroin oder Kokain in bestimmten Drittländern denkt. Andererseits bestimmt Artikel 6 Absatz 2 folgendes:

    Unbeschadet der in den Artikeln 4, 5 und 5a sowie in Absatz 1 des vorliegenden Artikels vorgesehenen Maßnahmen können die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Verbringung von erfaßten Stoffen in das oder aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft untersagen, wenn der begründete Verdacht besteht, daß die Stoffe zur unerlaubten Herstellung von Suchtstoffen oder psychotropen Stoffen bestimmt sind.

    Die einzige Bestimmung in der Richtlinie (92/109/EWG), die (u.a.) für die in Kategorie 3 aufgenommenen Stoffe von Belang ist, ist Artikel 5, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit eine enge Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden und den Wirtschaftsbeteiligten herbeigeführt wird und letztere

    - die zuständigen Behörden unmittelbar von Umständen wie ungewöhnliche Bestellungen oder Transaktionen bezüglich erfaßter Stoffe unterrichten, die darauf hindeuten, daß solche in den Verkehr zu bringenden bzw. herzustellenden Stoffe möglicherweise zur unerlaubten Herstellung von Suchtstoffen oder psychotropen Stoffen abgezweigt werden;

    den zuständigen Behörden die von diesen verlangten Informationen über ihre Geschäfte mit erfaßten Stoffen übermitteln.

    Ein Beschluß zur Legalisierung der Produktion von Cannabis und Cannabisprodukten in den Niederlanden könnte zur Folge haben, daß in der Praxis die Verordnung und die Richtlinie in den Niederlanden etwas anders angewandt werden als in anderen Mitgliedstaaten. Eine Verletzung dieser Rechtsakte wäre hierdurch aber wohl nicht gegeben.

  11. Ein solcher Beschluß würde ebensowenig im Widerspruch zu Verpflichtungen aufgrund der Verordnung zur Gründung eines Europäischen Beobachtungszentrums für Drogen und Drogensucht stehen.

  12. Da der Begriff "illegaler Drogenhandel" im gemeinsamen Vorgehen betreffend die Europol-Drogeneinheit nicht definiert wird, stünde ein Legalisierungsbeschluß im obigen Sinne nicht direkt im Widerspruch zu dieser Regelung.

  13. Das Europol-Übereinkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, die strafbaren Handlungen, für die Europol zuständig ist oder sein wird, unter Strafe zu stellen. Soweit Definitionen verschiedener Kategorien strafbarer Handlungen gegeben werden - in Artikel 2 Absatz 5 oder in der Anlage zu Artikel 2 -, dienen sie dazu, den Umfang der Befugnisse reatione materiae von Europol zu bestimmen. Die Bestimmung am Schluß der Anlage zu Artikel 2 lautet dabei wie folgt:

    Die in Artikel 2 und in dieser Anlage genannten Arten der Kriminalität werden von den zuständigen nationalen Diensten aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften der jeweiligen Staaten beurteilt (inoffizielle Übersetzung).

    Sie soll es ermöglichen, daß in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Auffassungen über die Notwendigkeit und die Art der Strafbarkeit der in Artikel 2 und in der Anlage bezeichneten strafbaren Handlungen gelten.

    Dies führt zu dem Schluß, daß die Niederlande genau genommen mit einem Beschluß zur Legalisierung die Verpflichtungen aus dem Europol-Übereinkommen nicht verletzen würden.

  14. Dieselbe Schlußfolgerung muß in bezug auf die verschiedenen Regelungen über die internationale gegenseitige Hilfe in Zollangelegenheiten gezogen werden. Dort, wo solche Regelungen einen ausdrücklichen Hinweis auf den illegalen (internationalen) Drogenhandel enthalten, wird dieser Begriff nicht näher definiert.

  15. Die Implikationen der Bestimmungen über die Zusammenarbeit beim Kampf gegen Betäubungsmittel in gemischten Verträgen zwischen den Europäischen Gemeinschaften, ihren Mitgliedstaaten und Drittländern sind nicht ganz zu übersehen. An sich sind die Bestimmungen ziemlich allgemein gehalten und enthalten mehr allgemeine Grundsätze als konkrete Verpflichtungen. Zu bedenken ist, daß bei solchen Verträgen jeweils ein spezifisches Durchführungsorgan z.B. in Form eines Assoziationsrats eingesetzt wird, das sich aus Mitgliedern des Rats der Europäischen Union und Mitgliedern der Kommission der Europäischen Gemeinschaften einerseits und Mitgliedern der Regierung des Drittstaats andererseits zusammensetzt. Solche Räte haben auf dem Papier weitgehende Befugnisse. So können sie zur Verwirklichung der Zielsetzungen der betreffenden Verträge in allen im Vertrag vorgesehenen Fällen Entscheidungen treffen.

    Solche Entscheidungen sind für die Parteien verbindlich; sie sind verpflichtet, die Entscheidungen durchzuführen.

    Dies impliziert, daß die betreffenden Räte auch befugt sind, aufgrund der spezifischen Bestimmungen betreffend Betäubungsmittel nähere Entscheidungen zu treffen, die für die Parteien bindend sind.

    Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß "Parteien" solcher Verträge einerseits die Gemeinschaften und ihre Mitgliedstaaten und andererseits ein Drittstaat sind. Die einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind also nicht gesondert Partei des Vertrags.

    Das geht auch aus der Tatsache hervor, daß der Vertrag nur den Gemeinschaften und allen ihren Mitgliedstaaten gemeinsam oder vom Drittstaat gekündigt werden kann. Die Niederlande können sich nicht einseitig den Verpflichtungen aus einem solchen Vertrag entziehen.

    Der Standpunkt der Gemeinschaften und ihrer Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Beschlußfassung in den genannten Räten wird im voraus festgelegt, und zwar aufgrund der für die Beschlußfassung zu dem jeweiligen Thema innerhalb der Union geltenden Verfahren. Soweit es um die Bekämpfung der Drogenabhängigkeit und des illegalen Drogenhandels nach Artikel K.1 des Unionsvertrags geht, bedeutet dies, daß dieser Standpunkt einstimmig eingenommen wird (vgl. Art. K.4 Abs. 3 EUV). In dieser Hinsicht haben die Niederlande also ein Vetorecht, wenn Vorschläge unterbreitet werden, die zu Maßnahmen verpflichten, welche ohne Änderung des niederländischen Rechts oder der niederländischen politischen Richtlinien nicht zu verwirklichen sind.

    Angesichts der Tatsache, daß die gemischten Verträge mit spezifischen Bestimmungen über die Zusammenarbeit im Kampf gegen Betäubungsmittel neueren Datums sind, gibt es zu diesem Punkt noch keine Durchführungserlasse.

  16. Der bilaterale Vertrag mit Venezuela verweist in seiner Definition von "Betäubungsmitteln" in Artikel I auf Mittel, die als solche im Einheits-Übereinkommen von 1961 in der durch das Änderungsprotokoll von 1972 geänderten Fassung genannt werden. Darunter fallen Cannabis und Cannabisprodukte. Artikel II verpflichtet die Parteien, ihre Anstrengungen zu bündeln, um spezifische Programme gegen den Mißbrauch und zur Vorbeugung, Kontrolle und Eindämmung des unerlaubten Handels mit und der unerlaubten Herstellung von den in Artikel I genannten Mitteln und Stoffen aufzulegen. Wenn das Königreich der Niederlande infolge eines Legalisierungsbeschlusses das Einheits-Übereinkommen von 1961 kündigen würde, so hätte dies Folgen für den Vertrag mit Venezuela. Er müßte dann wohl entsprechend geändert werden. Wenn der andere Vertragspartner damit nicht einverstanden ist, kann der Vertrag unter Anwendung von Artikel XI - eventuell nur für den europäischen Teil des Königreichs - beendet werden.

Index

Tweede Kamer, vergaderjaar 1994-1995, 24077, nrs. 2-3
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