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Das Endocannabinoidsystem

Wie wirkt Cannabis im Gehirn? Wie lassen sich die vielen Anwendungsmöglichkeiten von Cannabis bei den verschiedensten Krankheiten erklären? Der folgende Artikel von Dr. med. Franjo Grotenhermen vom nova-Institut  (Hürth im Rheinland), der auch Autor des Buches "Hanf als Medizin" ist, nimmt dazu Stellung und liefert eine ausführliche Erklärung.


Das Endocannabinoidsystem - Funktion und Bedeutung für die Therapie

Seit etwas mehr als zehn Jahren ist bekannt, dass THC - der wichtigste psychotrope Inhaltsstoff der Cannabispflanze - einen Großteil seiner Wirkung über spezifische Bindungsstellen auf den Zellen des Organismus ausübt. Später wurden Substanzen entdeckt, die vom Körper selbst produziert werden und THC - ähnliche Effekte an diesen Rezeptoren entfalten. Nach und nach vergrößerte sich das Wissen über die natürliche Funktion dieser Endocannabinoide. Dieses Verständnis kann einerseits den medizinischen Nutzen des Hanfes (Cannabis sativa L.) erklären und wird andererseits in naher Zukunft zur Entwicklung ganz neuer Medikamente führen.

1987 beim Cannabis-Kongreß in Melbourne (Kanada) demonstrierte Prof. Allyn Howlett von der Saint Louis Universität in Missouri (USA) erstmals, dass einige der Cannabinoid-Wirkungen rezeptorvermittelt sind. Das bedeutet, dass sie über eine Bindung von Cannabinoiden an spezifische Bindungsstellen auf Körperzellen zustande kommen. Diese Bindungsstellen werden Cannabinoid-Rezeptoren genannt. Es eröffnete sich ein neues Forschungsgebiet, in dem es im vergangenen Jahrzehnt nahezu jährlich neue wichtige Entdeckungen gab und sicherlich auch weiter geben wird, die sowohl unser Verständnis über die Wirkungen der Hanfpflanze verbessern als auch neue Perspektiven für die Therapie von Krankheiten aufzeigen.
Mit etwa 350.000 Mark unterstützt allein die britische Herzstiftung die Erforschung der Wirkung der Endocannabinoide auf den Kreislauf. Professor Brian Pentecost, medizinischer Direktor der britischen Herzstiftung, erklärte dazu: "Dies sind natürliche Substanzen, die in jedem Körper vorkommen, und sie scheinen wichtige Wirkungen auf den Kreislauf zu haben. Wir hoffen, dass dieses Projekt neue Aufschlüsse darüber bringt, wie wir diese Effekte nutzen können, um Herzpatienten zu helfen (PA NEWS vom 29. Dezember 1998)

Cannabinoidrezeptoren

Cannabinoid-Rezeptoren befinden sich in der Zellmembran (Hülle der Zellen) verschiedener Zelltypen und ragen mit einem Teil an die Oberfläche der Zelle und einem anderen in die Zelle hinein. Bindet nun THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) oder eine andere Substanz, die wie ein Schlüssel in dieses Schloss passt, an diesen Rezeptor, so verändert sich dieser. Diese Veränderung löst bestimmte Prozesse in den so aktivierten Zellen aus. Im Falle der Cannabinoid-Rezeptoren sind dies beispielsweise Veränderungen der Durchlässigkeit der Zellmembran für Kalium und Kalzium sowie Wirkungen auf ein Protein, die Adenylatzyklase, die weitere Prozesse in der Zelle in Gang setzen.
Der menschliche Organismus besitzt zur Regulierung seiner komplexen Körperfunktionen eine Vielzahl von Rezeptoren für Substanzen wie Adrenalin, Östrogene, Endorphine und viele andere körpereigene Stoffe. Viele Zellen besitzen Rezeptoren für für verschiedene solcher Bindungsstoffe. Oft existieren, wie auch im Falle der Cannabinoid-Rezeptoren, mehrere Untertypen von Rezeptoren. Bei den Cannabinoid-Rezeptoren spricht man von CB1-Rezeptoren, die vor allem im zentralen Nervensystem (Gehirn, Rückenmark) gefunden werden und von CB2-Rezeptoren. Seit einigen Monaten wird ein weiterer Subtyp vermutet, der möglicherweise CB3-Rezeptor genannt werden wird (Zygmunt 1999).

Wie andere Rezeptoren auch können Cannabinoid-Rezeptoren durch das Andocken bestimmter Substanzen entweder aktiviert oder blockiert werden. Einige dieser Substanzen docken nahezu ausschließlich an den CB1-Rezeptoren an, andere binden spezifisch an den CB2-Rezeptor, wiederum andere, wie etwa das THC, binden sowohl an den CB1- als auch and den CB2-Rezeptor.

Endocannabinoide

Mit der Entdeckung der Cannabinoid-Rezeptoren war klar: Wenn es diese Rezeptoren gibt, dann haben sie auch eine natürliche Funktion im Körper und es muß körpereigene Substanzen geben, die dieses Rezeptoren aktivieren. Diese körpereigenen Substanzen die an Cannabinoid-Rezeptoren binden, werden Endocannabinoide genannt. Die Arbeitsgruppe um Professor Raphael Mechoulam von der hebräischen Universität in Jerusalem, die 1992 das erste Endocannabinoid nachwies, nannte es Anandamid, nach dem Sanskrit-Wort Ananda, das Glückseligkeit bedeutet, und seiner chemischen Struktur, dem Amid. Von diesen natürlichen Amiden, die an Cannabinoid-Rezeptoren binden, wurden noch weitere entdeckt, darunter das Palmitylethanolamid. 1995 wurde ein Endocannabinoid eines neuen Typs nachgewiesen, das 2-Arachidonylglycerol.
Die Wirkdauer der bisher bekannten Endocannabinoide bewegt sich im Bereich von einigen Minuten, ist also wesentlich kürzer als die der pflanzlichen Cannabinoide. Sie werden von den Körperzellen offenbar in unmittelbarer Umgebung ihres Wirkortes abgegeben und von bestimmten Enzymen vergleichsweise rasch wieder zu unwirksamen Substanzen abgebaut oder wieder in die Zellen aufgenommen.

Funktion des Endocannabinoidsystems

Bereits die Verteilung der Cannabinoid-Rezeptoren und der Endocannabinoide läßt vorsichtige Rückschlüsse über ihre natürliche Funktion zu. Wie bereits erwähnt, finden sich CB1-Rezeptoren vor allem auf Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark. In geringerer Konzentration wurden CB1-Rezeptoren  auch in einigen anderen Geweben nachgewiesen, wie zum Beispiel in Blutgefäßen, dem Herzen, den Hoden, der Milz und Teilen des Magen-Darm-Traktes. CB2-Rezeptoren finden sich dagegen vor allem auf Zellen des Immunsystem wie etwa weiße Blutkörperchen und scheinen eine Rolle bei der Modulation von Immunfunktionen wie etwa Entzündungen zu spielen. Die natürliche Funktion der über die CB1-Rezeptoren vermittelten Effekte scheinen dagegen sehr vielfältig zu sein, die nach und nach erforscht werden.

CB1-Rezeptoren sind im Gehirn ungleichmäßig verteilt und sind besonders stark konzentriert in Hirnbereichen, die beispielsweise eine Bedeutung haben bei Koordination von Bewegungen, bei Verarbeitung von Sinneseindrücken, bei der Schmerzverarbeitung und beim Gedächtnis. Dies steht in Übereinstimmung mit den bekannten akuten Wirkungen von Marihuana wie Entspannung und Veränderung der Muskelkoordination, Intensivierung von Sinneseindrücken, Schmerzlinderung, Veränderung der Denkvorgänge et cetera.
Im Beriech der Blutgefäße beeinflussen die Endocannabinoide offenbar die Spannung der Gefäßwand und damit den Blutdruck. Es wird vermutet, dass das Endocannabinoid-System eine Rolle beim Blutdruckabfall im Rahmen des septischen Schocks spielt (Varga 1998). Substanzen, die den Cannabinoidrezeptor aktivieren, könnten möglicherweise bei der Behandlung des Bluthochdrucks Anwendung finden.

Professor Michael Walker von der Brown Universität in Providence, Rhode Island (USA) befaßt sich mit einer Funktion der Endocannabinoide bei der Schmerzverarbeitung. Er konnte jüngst nachweisen, dass bei der Auslösung eines Schmerzreizes in bestimmten Hirnarealen vermehrt Anandamid freigesetzt wird und dass diese Freisetzung den Schmerz linderte (Walker, 1999). Walker erklärte, man könne möglicherweise ein Medikament entwickeln, dasdie Anandamid Konzentration erhöht, um so bestimmte Schmerzerkrankungen besser zu behandeln.
Das Endocannabionidsystem steht in Wechselwirkung mit anderen Rezeptorsystemen. So konnten Forscher der Universität von Kalifornien in Irvine Wechselwirkungen zwischen dem Endocannabinoidsystem und dem Dopamin-Neurotransmittersystem in einem als Striatum bezeichneten Hirnareal nachweisen (Giuffrida 1999). Abweichungen von der normalen Funktion dieser Hirnregion werden in Verbindung mit Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Tourette Syndrom gebracht. Die durchgeführten Experimente legen nahe, dass eine natürliche Funktion des Anandamids darin besteht, eine zu starke Stimulierung des Dopaminsystems und damit eine zu starke Aktivierung der Muskulatur zu kontern. Diese Hypothese steht in Übereinstummung mit der erfolgreichen Verwendung von Cannabis durch Patienten, die an bestimment Bewegungsstörungen leiden.

Bei Schizophrenen wurde eine erhöhte Endocannabinoid-Konzentration in der Gehirnflüssigkeit nachgewiesen (Leweke 1999). Eine Erklärung für die etwa doppelt so hohe Konzentration bei Schizophrenen im Vergelich mit Gesunden ist hier ebenfalls ein Versuch des Gehirns, ein hyperaktives Dopaminsystem zu kompensieren. Dies könnte erklören, warum viele Schizophrene Marihuana rauchen. Es könnte sein, dass sich die Patienten selbst zu behandeln versuchen.
Andere Nervenüberträgerstoffe, deren Freisetzung in bestimten Gebieten ds Gehirns von Endocannabinoiden gehemmt werden, sind Azetylcholin, Noradrenalin, 5-Hydroxytryptamin, Gamma-Aminobuttersäure, Glutamin und D-Aspartat. Auch diese Wechselwirkungen können eventuell bestimme bekannte Marihuanawirkungen erklären. 5-Hydroxytryptamin spielt beispielsweise eine Rolle beim Erbrechen und die wirksamste heute in der Medizin verwendete brechreizhemmende Mittel sind Gegenspieler des 5-Hydroxytryptamin.

Beeinflussung der Endocannabinoide

Neben der direkten Aktivierung oder Blockierung der Cannabinoid-Rezeptoren durch von außen zugeführte Substanzen ist es heute bereits experimentell gelungen, die Konzentration der Endocannabionide zu beeinflussen und so die Cannabinoid-Rezeptoren indirekt zu aktivieren. So wäre es in Zukunft denkbar, eine Schmerztherapie auf diese Weise durch eine Erhöhung der Anandamid-Konzentration durchzuführen.
Dazu gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten, die Hemmung des Abbaus der Endocannabinoide oder die Hemmung der Wiederaufnahme der Endocannabinoide in die Zellen. Tatsächlich wurden bereits Substanzen entwickelt, die die Endocannabionide in dieser Weise beeinflussen können.

Perspektive für die Medizin

Diese Forschungsergebnisse haben Auswirkungen auf die Entwicklung neuer Medikamente. Neben natürlichem Cannabis und einzelnen natürlichen Cannabinoiden werden eine ganze Anzahl von Substanzen, die auf unterschiedliche Art und Weise das Geschehen an Cannabinoid-Rezeptoren und die Konzentration der Endocannabinoide beeinflussen, auf ihre therapeutischen Nutzen getestet und in der Zukunft getestet werden. Es ist daher mit einer Anzahl neuer Medikamente zu rechnen, die auf der Erforschung des Endocannabinoidsystems basieren.

Grundsätzlich lassen sich folgende Ansätze verfolgen:

1.  Der bereits erfolgreich verfolgte Ansatz ist die Gabe von natürlichen oder synthetischen Cannabinoiden, die die Cannabinoid-Rezeptoren aktivieren. Hier ist noch zu erforschen, wie die Verträglichkeit weiter verbessert werden könnte. Beispielsweise ist bekannt, dass die psychischen Wirkungen von THC durch Cannabidiol vermindert werden, so dass eine Kombination etwa in einer natürlichen Cannabiszubereitung die Verträglchkeit verbessern könnte. Zudem gibt es Hinweise, dass Cannabis mit einigen anderen Medikamenten sinnvoll kombiniert werden kann und sich die Wirkungen gegenseitig ergänzen. . Möglicherweise werden auch synthetische Cannabinoide entwickelt, die spezifisch außerhalb des Gehirns wirken, weil sie die Blut-Hirn-Schranke nicht durchdringen.

2. Die Konzentration der Endocannabinoide könnte durch Stoffe beeinflußt werden, die ihren Abbau oder ihre Wiederaufnahme in die Zellen beeinflussen. Der Vorteil dieses Vorgehens gegenüber der Zufuhr von Cannabinoiden könnte darin bebstehen, dass sie vor allem da wirken, wo bereits eine besonders starke Endocannabinoid-Produktion besteht, Diese Forschung befindet sich noch im Experimentierstadium.

3. Möglicherweise ließen sich auch Cannabinoidrezeptoren-Blocker (beziehungsweise Cannabinoidrezeptor-Antagonisten) therapeutisch nutzen. Da Cannabinoide akut das Gedächtnis beeinträchtigen oder Angst auslösen können, wäre ein Einsatz bei Gedächtnisstörungen oder Anstzuständen denkbar. Antagonisten hemmen die Wirkung der Endocannabinoide.

Rezeptorunabhängige Wirkungen

1. Die Wirkungen des natürlichen in der Hanfpflanze vorkommenen Cannabidiols (CBD) sind nicht rezeptorvermittelt. CBD wirkt den psychischen Effekten des THC entgegen. Eine brasilianische Arbeitsgruppe um Professor Antonia Zuardi von der Universität von Sao Paulo konnte zeigen, dass hochdosiertes Cannabidiol bei einem Schizophrenen in einer akuten Psychose genauso gut wie das starke Neuroleptikum Hloperidol wirkte, ohne zu relevanten Nebenwirkungen zu führen (Zuardi, 1997)

2. Verschieden Cannabinoide, darunter THC und CBD, weisen nervenschützende Effekte im Falle einer Mangelversorgung der Nerven mit Sauerstoff oder bei anderen Mangelversogrungszuständen auf (Hampson, 1998). Solche Mangelversorgungen treten beispielsweise beim Schalganfall, bei einer Kohlenmonoxidvergiftung oder bei Schädelverletzungen auf. Sie lösen chemische Überreaktionen aus, darunter eine übermäßige Ausschuüttung des Nervenerregerstoffes Glutamat, die Bildung freier Radikaler und Entzündungsprozesse. Cannabinoide schwächten in Zellexperimenten alle diese gifteigen Effekte ab. Als besonders wirksam hat sich ein nicht-psychotropes syntehtisches Cannabinoid, das Dexanabinol erwiesen, welches bereits in klinischen Studien an Menschen erpropt wird (Mechoulam 1999).

3. Erst vor wenigen Jahren wurde festgestellt, dass bestimmte Abbaupordukte der Cannabinoide entzündungshemmende und schmerzlindernde Effekte entfalten. Diese psychisch nicht wirksameen Cannabinoid-Säuren, waren lange Zeit gar nicht beachtet worden. Seit neuestem bnimmt man an, dass sie zur therapeutischen Gesamtwirkung der natürlichen Cannabinoide beitragen. Besonders intensiv wird zur Zeit ein synthetischer Abkömmling eines THC-Abbauproduktes untersucht, das CT-3 (Dimethylheptyl-THC-11-Carbonsäure) welches im Tierversuch bereits gute Wirksamkeit bei Gelenkentzündugen bzw. Arthritis gezeigt hat (Zurier 1998)



Literatur:

1. Giuffrida, A., et al.: Nat. Neurosci. 2, 358-363 (1999)
2. Hampson, A.J., et al.: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 95, 8268-8273 (1998)

3. Leweke, F.W., et al.: NeuroReport 10, 1665-1669 (1999).

4. Mechoulam, R.: In: Grotenhermen, F., Saller, R. (Hrsg.): Cannabis und Cannabinoide in der Medizin Forschende

    Komplementärmedizin, im Druck (1999)

5. Varga, K.; et al.: FASEB J. 12, 1035-1044 (1998).

6. Walker, M., et al.: Proc. Nat. Acad. Sci., zitiert nach Reuters vom 11. Oktober 1999

7. Zuardi, A.W., Guimaräes, F.S.: In Mathre, M.L. (Hrsg.): Cannabis in medical practice: a legal, historical and pharmacological

    overview of the therapeutic use of marijuana. McFarland&Co., Jefferson, NC. 1997; S.133-141

8. Zurier, R.B., et al.: Arthritis Rheum. 41, 163-170 (1998)

9. Zygmunt, P.M., et al.: Nature 400, 452-457 (1999)

Der Artikel ist ursprünglich im HANF! Magazin erschienen.


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