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Briefwechsel: An die Abgeordneten der Fraktion der SPD im deutschen Bundestag
Brief an 296 Bundestagsabgeordnete der SPD 1) Brief an alle Abgeordneten der Fraktion der SPD im deutschen Bundestag
From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
(Alle oben genannten Abgeordneten wurden einzeln angeschrieben!)
Sehr geehrte Frau ..., bzw. Sehr geehrter Herr ..., heute jährt sich die Cannabisentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum siebten Mal. Das oberste deutsche Gericht stellte am 09.03.1994 fest, dass das Cannabisverbot zwar prinzipiell nicht gegen das Grundgesetz verstosse. Es entschied aber auch, dass eine Bestrafung für den Besitz geringer Mengen Cannabis zum Eigenverbrauch (solange damit keine Fremdgefährung verbunden ist) verfassungswidrig wäre. Inzwischen liegen Erkenntnisse sowohl zu den Auswirkungen von Cannabiskonsum, als auch zu den Auswirkungen des strafrechtlichen Verbotes vor die die Grundlage des Verbots in Frage stellen. Unsere Nachbarn in Belgien und der Schweiz wollen deshalb Cannabis entkriminalisieren, wie bereits die Niederlande vor 25 Jahren. 1. Die Entscheidung vom 09.03.1994: "Die Freiheit der Person, die das Grundgesetz als "unverletzlich" bezeichnet, ist ein so hohes Rechtsgut, daß in sie aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Unbeschadet dessen, daß solche Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen auch in Betracht kommen mögen, wenn sie den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen (...), sind sie im allgemeinen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Nach diesem Grundsatz muß ein grundrechtseinschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (...)." (BVerfGE 90, 145 - Cannabis) Laut der Entscheidung sei das Cannabisverbot geeignet, wenn davon eine generalpräventive Wirkung ausginge. In ihrem Urteil stellten die Richter jedoch fest, dass debattiert werde, ob ein Cannabisverbot tatsächlich der geeignetste Weg sei. Sie verpflichteten deshalb den Gesetzgeber, Erfahrungen aus dem Ausland und neue Erkenntnisse zu beobachten und die deutsche Gesetzeslage gegebenenfalls anzupassen. In den sieben Jahren seit der Entscheidung haben sich tatsächlich neue Erkenntnisse ergeben, die eine politischen Neubewertung des Cannabisverbots erfordern: 2. Die Auswirkungen des Cannabiskonsums Die Cannabisexpertise von Professor Kleiber und Professor Kovar für Gesundheitsminister Horst Seehofer bewertete den aktuellen Erkenntnisstand zu den Risiken von Cannabis wie folgt: "Zusammenfassend ist festzuhalten daß die pharmakologischen Wirkungen und psychosozialen Konsequenzen des Cannabiskonsums sich als weniger dramatisch und gefährlich erweisen, als dies überwiegend noch angenommen wird."Damit sind die wesentlichsten ursprünglich für das Verbot genannten Gründe heute entfallen. 3. Die Auswirkungen des Cannabisverbots Allein von 1993 bis 1999 hat sich die Anzahl der Ermittlungsverfahren, in denen es nur um Cannabis ging, verdoppelt. Im Jahre 1999 zählte das BKA 85.668 Ermittlungsverfahren wegen Besitzes oder Anbaus zum persönlichen Konsum. Das heisst, Kriminalisierung ist für 2,4 Millionen aktuelle Konsumenten von Cannabis eine über 30mal häufigere Konsequenz als etwa ein Besuch bei einer Drogenberatung (2623 Fälle) und eine über 700mal häufigere Konsquenz als eine stationäre Therapie (117 Fälle). Hier schafft das Verbot weit mehr Probleme als es verhütet. Inzwischen wird auch die generalpräventive Wirkung des Verbots offiziell in Frage gestellt: 3.1. Der Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit Diese Kommission des Schweizer Parlaments stellte am 30.04.1999 fest: "Die verbreitete Vermutung einer ins Gewicht fallenden generalpräventiven Wirkung der Konsumstrafbarkeit kann nicht nachgewiesen werden und scheint auch wenig plausibel. (...) Sämtliche empirischen Untersuchungen und statistischen Daten ... deuten dementsprechend mit steter Regelmässigkeit darauf hin, dass zwischen der Verbreitung/Häufigkeit des Drogenkonsums und der strafrechtlichen Verfolgungs- und Sanktionierungspraxis kein signifikanter Zusammenhang besteht." 3.2. Die Prävalenzstudien des IFT und von CEDRO Diese repräsentativen Studien zeigen dass die Entkriminalisierung von Cannabis in den Niederlanden nach 25 Jahren im Vergleich zu Deutschland nicht zu einer signifikant höheren Verbreitung des regelmässigen Konsums geführt hat: Im Jahre 1997 waren 2,5 Prozent der niederländischen Bevölkerung ab 15 Jahren regelmässige Cannabiskonsumenten, aber 3,0 Prozent der westdeutschen Bevölkerung zwischen 18 und 59 Jahren. 3.3. Die Studie der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme Diese Studie des Schweizer Suchtverbands SFA vom 15.02.2001 fand dass in Kantonen mit repressiver Cannabispolitik (Westschweiz) der Konsum nicht seltener sondern, im Gegenteil, noch weiter verbreitet ist als in eher toleranten Kantonen (Ostschweiz). 4. Reformen Belgien und die Schweiz haben inzwischen beschlossen, den Besitz, Erwerb und Anbau von Cannabis für den privaten Konsum von Erwachsenen nicht länger zu verfolgen. Es ist Zeit, die trotz Verfassungsgerichtsentscheidung andauernde Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten, insbesondere im Süden und Osten Deutschlands, zu beenden sowie die derzeitige diskriminierende Führerscheinregelung zurückzunehmen. Die SPD kann dabei an ihren Entkriminalisierungsentwurf (Drucksache 13/6534 vom 11.12.1996) anknüpfen. 4.1. Beim Führerscheinrecht müssen Grenzwerte für Bluttests erarbeitet werden, die den Unterschied zwischen akutem Drogeneinfluss und Tage zurückliegenden Konsum berücksichtigen. Damit wird einerseits den Ansprüchen der Verkehrssicherheit Rechnung getragen, andererseits jedoch werden Ungerechtigkeiten vermieden. 4.2. Der Erwerb, Besitz und Anbau geringer Mengen von Cannabis zum Eigenkonsum sollte für Erwachsene straffrei gestellt werden, wie von der SPD bereits 1996 gefordert. Das würde die Polizei und Justiz von etwa 85'000 Strafverfahren pro Jahr entlasten und ihre Effizienz bei der Bekämpfung anderer Straftaten verbessern. 4.3. Auch Belgien und die Schweiz wollen den Eigenanbau geringer Mengen zulassen. Ein praktikables Modell zum straffreien Eigenanbau könnte die Nachfrage auf dem kriminellen Schwarzmarkt untergraben und eine bessere Märktetrennung erreichen. Beim Eigenanbau ist eine andere Grenzmenge sinnvoll als im SPD-Entwurf von 1996 vorgesehen. Entsprechend Artikel 28 Abs. 2 des Einheitsübereinkommens von 1961 fällt Cannabis für gartenbauliche Zwecke nicht unter die Beschränkungen des Suchtstoffabkommens. Diesem Absatz wird im deutschen Betäubungsmittelgesetz bisher nicht Rechnung getragen. Der Gesetzgeber sollte den Anbau und Besitz einer flächenmässig, anzahlmässig oder gewichtsmässig begrenzten Menge von Cannabispflanzen durch Erwachsene aus dem BtMG ausnehmen, sofern keine Ausfuhr, kein Handel und keine Abgabe an Minderjährige erfolgt. 4.4. Die Bundesregierung sollte nach Möglichkeit ein staatlich kontrolliertes Cannabisabgabesystem für Erwachsene einrichten, mit dem Ziel, eine Märktetrennung, Alterskontrollen und staatliche Einnahmen analog zur Bier-, Branntwein- und Tabaksteuer zu ermöglichen (Cannabismonopol). Dieses System würde Kriminelle einer Einnahmequelle berauben und die Polizei weiter für andere Aufgaben entlasten. Die Einnahmen aus dem Cannabisvertrieb sollten vor allem zur verbesserten Drogenprävention und für Jugendprogramme verwendet werden. Diese Reformen sollten sorgfältig angegangen werden. Wir brauchen zuallererst eine öffentliche Diskussion über dieses Thema. Eine Bereitschaft zu Reformen existiert in einem breiten politisches Spektrum. In der Schweiz sind inzwischen selbst die Christdemokraten für eine Entkriminalisierung. Ein solcher neuer Konsens kann längerfristig auch in Deutschland erreicht werden. Ich würde mich freuen von Ihnen zu hören, wie Sie angesichts der genannten Studien zu einer Entkriminalisierung der Cannabiskonsumenten nach niederländischem, belgischem oder Schweizer Vorbild in den nächsten Jahren stehen. Mit freundlichen Grüssen Joe Wein
[Anschrift]
Von: Hubertus Heil sehr geehrter herr Wein, herr Heil ist nicht mehr berichterstatter für drogenpolitik der SPD-bundestagsfraktion. ich habe ihr schreiben an herrn Dr. Hansjörg Schäfer weitergeleitet, der herrn Heil in dieser funktion abgelöst hat.
mit freundlichem gruß
Von: Horst Schmidbauer Sehr geehrter Herr Wein, im Namen von Herrn Schmidbauer danke ich Ihnen für Ihr Schreiben. Ich habe es zur Beantwortung an seinen Kollegen, Herrn MdB Hans-Jörg Schäfer weitergegeben. Herr Schäfer ist federführend für das Thema in der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion. Mit freundlichen Grüßen i.A. Birgit Metzler, wiss. Mitarbeiterin
Büro 2. April 2001
Cannabisverbot
Sehr geehrter Herr Wein, im Namen von Rudolf Scharping, der mich gebeten hat, Ihnen zu antworten, danke ich Ihnen für Ihre E-Mail vom 09. März 2001. Eine Stellungnahme zur Entkriminalisierung des Cannabiskonsums nach dem Vorbild der Niederlande, Belgiens oder der Schweiz kann Herr Scharping zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abgeben. Die allgemeine Frage zum Umgang mit dem Konsum von Cannabis war nicht Gegenstand der Koalitionsvereinbarung. Solange der Meinungsbildungsprozess in unserer Partei und Fraktion zur Fragestellung nicht abgeschlossen ist, kann das Thema in dieser Legislaturperiode nicht abschließend behandelt werden. Ich habe jedoch Ihr Schreiben auf Wunsch von Herrn Scharping an die zuständige Arbeitsgruppe unserer Fraktion weitergeleitet, damit Ihre Anmerkungen und Anregungen in den Meinungsbildungsprozess eingehen können. Mit der Bitte um Verständnis verbleibe ich mit freundlichen Grüßen i.A. Satiye Sarigöz
Bundesministerium der JustizGeschäftszeichen: 4630/11- 9 - 8 II - 63 -(bei Antwort bitte angeben) Bonn, den 11. April 2001
Postanschrift:
Herrn
joewein@pobox.com Betr.: Entkriminalisierung der Cannabiskonsumenten
Sehr geehrter Herr Wein,
die Bundesministerin der Justiz, Frau Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin hat mich beauftragt, Ihnen für Ihr Schreiben vom 9. März 2001 zu danken und Ihnen zu antworten.
Für den von Ihnen genannten Themenbereich ist innerhalb der Bundesregierung das Bundesministerium für Gesundheit federführend.
Ich habe deshalb - Ihr Einverständnis voraussetzend - Ihr Schreiben dorthin weitergeleitet.
Mit freundlichen Grüßen Hier geht es zu unserer Briefseite, hier zur SPD-Bundestagsfraktion. Hier geht es zu unserer Linkseite zur Parteipolitik, mit Thesenpapieren der Parteien und unseren Erwiderungen darauf, Links zu parteipolitischen Onlineforen sowie zu den Listen der Abgeordneten der Fraktionen im Bundestag. |