ALTERNATIVE KONTROLLPOLITIK


Behandlungsmöglichkeiten bei problematischem Cannabiskonsum

Andreas Gantner

Im "Bericht zur Drogensituation 2000" (DBDD) wird festgestellt, dass bei 22% der ambulanten Drogenklienten (im Rahmen der "Ebis" Dokumentation) Cannabiskonsum der wichtigste Anlaß für die Betreuung war. Nimmt man diese Zahl als Grundlage, hat es in den vergangenen Jahren einen Anstieg cannabisbezogener Probleme in der ambulanten Drogenhilfe gegeben. Ob dies mit einer tatsächlichen Zunahme von Problemen bei Cannabiskonsumenten oder mit verbesserten Dokumentationssystemen der Einrichtungen oder mit zunehmender Freude der Berater am Diagnostizieren von ICD 10 Suchtdiagnosen zu tun hat, lässt sich schwer ausmachen.

Daß sich im Zusammenhang mit Cannabiskonsum auch Abhängigkeitsprobleme und andere psychische Komplikationen entwickeln können, ist unter erfahrenen Praktikern unstrittig und auch durch die Cannabisstudie des BMG (Kleiber 19979) gut belegt.

Durch die langjährig ideologisch geführte Debatte zum Thema Cannabis sind jedoch die Ergebnisse dieser Studie in erster Linie für eine Entdramatisierung und Versachlichung der Cannabisdebatte nützlich, denn ohne Zweifel sind Kiffer mit Problemen eher eine Minderheit. Man kann davon ausgehen, dass vergleichbar mit Alkoholkonsumenten ca. 5-10% der Cannabiskonsumenten Probleme im Zusammenhang mit dem Konsums entwickelt. Bei einer geschätzten Anzahl von 2,5 Millionen aktuellen Cannabiskonsumenten ist die Zahl derjenigen, die mit Cannabis Probleme haben jedoch nicht gerade gering.

Ich möchte im folgenden meine eigenen praktischen Erfahrungen aus dem Berliner Therapieladen schildern:
Der Therapieladen existiert seit 16 Jahren und hat sich als spezifische ambulante Therapieeinrichtung für Cannabis- und Partydrogenkonsumenten, die Probleme mit sich und ihrem Konsum haben, etabliert. Pro Jahr werden ca. 200 Klienten beraten, während ca. 60 Klienten eine längerfristige ambulante Therapie (im Rahmen der ambulanten Reha) machen. Der Anteil der behandelten Partydrogenkonsumenten ist seit Mitte der 90 er Jahre leicht gestiegen. Während ca. 1/3 der Klienten Mischkonsum (ohne Opiate!) betreibt, steht bei 2/3 der Klienten primär Cannabiskonsum im Vordergrund. Wenn es auch große Unterschiede zwischen "reinen" Kiffern und Partydrogenkonsumenten gibt, so eint beide Konsumentengruppen doch zumindest eines: Mit Opiatkonsumenten wollen sie nicht in einen Topf geworfen werden.
Dies ist nach meiner Einschätzung einer der Gründe, warum bisher relativ wenige Cannabiskonsumenten (mit Problemen) überhaupt ein längerfristiges Angebot des Drogenhilfesystems in Anspruch nehmen.

Wer ist "zuständig" für Cannabiskonsumenten?

* Das Drogenhilfesystem hat sich überwiegend auf die Betreuung und Behandlung von Opiatkonsumenten konzentriert und ihre Konzepte dementsprechend ausgerichtet. Vor dem Hintergrund der massiven sozialen, körperlichen und psychischen Probleme von Opiatabhängigen ist es nicht verwunderlich, dass manche Drogenberater die Probleme von Kiffern eher gering einschätzen bzw. Cannabiskonsumenten sich manchmal auch gar nicht ernst genommen fühlen.

* Eine ähnliche Tendenz (aber manchmal auch das dramatisierende Gegenteil) zeigt sich auch in Betreuungsfeldern der Jugendhilfe. Die Zeiten der generellen Ausgrenzung von Drogenkonsumenten aus der Jugendhilfe sind zwar endlich vorbei. Ein differenzierter Umgang der Jugendhilfe mit dem Drogenkonsum Jugendlicher steckt jedoch erst in den Anfängen.

* Manche Cannabiskonsumenten landen aufgrund starker psychischer Probleme bzw., psychotischen Krisen in der Psychiatrie. Unter den Klienten mit einer sogenannten "Doppeldiagnosen" (Sucht und Psychose) ist der Anteil der Cannabiskonsumenten relativ hoch. Es gibt nur wenige Kliniken und therapeutischen WG`s die sich speziell dieser Zielgruppe geöffnet haben und über die Akutversorgung hinaus ein längerfristiges Angebot machen.

* Zuletzt sei noch die Gruppe der niedergelassenen Ärzte oder Psychotherapeuten genannt. Sie sind mit Sicherheit diejenigen, die am häufigsten mit Cannabiskonsumenten zu tun haben. Oft verschweigen die Patienten ihren Konsum, schon aus dem Grund, weil sie gar nicht danach gefragt wurden. Nicht selten bekommen wir Klienten vermittelt, denen nach längerer Zeit der Psychotherapie eine "Suchttherapie" empfohlen wird.

Selbstverständlich gibt es in allen Bereichen viele professionelle Helfer, die im Einzelfall kompetent und mit großem Sachverstand in ihrer Einrichtung auf die Probleme von Kiffern eingehen. Dennoch bekommen wir eher den Eindruck vermittelt, dass diese Klienten oft nicht richtig verstanden werden und "immer ein bisschen fehl am Platz" sind. Die Spezialisierung und die unterschiedlichen Blickwinkel von Jugendhilfe, Drogenhilfe und Psychiatrie/Psychotherapie erweisen sich besonders für diese Konsumentengruppe eher als Hindernis für eine angemessene Behandlung.

Welches Verständnis und welche Behandlung brauchen Cannabiskonsumenten mit problematischem Konsum?

Genauso wenig wie es den "typischen" Kiffer gibt, gibt es den typischen "Problem-Kiffer". Die Probleme können sehr unterschiedlich gelagert sein, dementsprechend sind flexible therapeutische Strategien von besonderer Bedeutung. Entscheidend für eine angemessene Behandlung ist deshalb eine differenzierte Diagnostik aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Folgende Aspekte sind aus unserer Erfahrung bedeutsam:

Konsum und Abhängigkeitsentwicklung

Die rein pharmakogene "Suchtpotenz" von Cannabis wird von den meisten Drogenexperten als mittelmäßig bis gering eingeschätzt. Abhängigkeitsentwicklung von psychoaktiven Substanzen ist ein komplexes Geschehen, deshalb ist eine primär neurochemische, substanzbezogene Sichtweise von Abhängigkeit reduktionistisch und unvollständig. Natürlich gilt (wie bei allen psychoaktiven Substanzen): Nicht Cannabis macht abhängig, sondern Personen machen sich von Cannabis abhängig. Das für Abhängige zentrale Kriterium "zwanghafter Gebrauch", bzw. "Kontrollverlust" kann sich auch bei dauerhaftem Cannabiskonsum entwickeln. Unsere Klienten unterscheiden sich erheblich hinsichtlich der Dauer und Intensität ihrer Drogenerfahrungen. Es ist im Einzelfall zu klären, inwiefern Reduktion des Konsums, bzw. kontrollierter Konsum realistische Ziele für eine Verbesserung der Problematik sein können. Es ist eine praktische Erfahrung, dass bei Cannabiskonsumenten mit einem ausgeprägten Abhängigkeitsproblem nur dauerhafte Abstinenz wieder wirkliche Bewegung ins Leben bringt. Insbesondere die älteren Konsumenten bringen diese "Einsicht" schon mit, weil sie selbst oft schon mehrere misslungene Kontroll- oder Ausstiegsversuche hinter sich haben.

Psychische Symptomatik und deren Schweregrad

Aufgrund der eher geringen Toxizität von Cannabis entstehen Symptome im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum primär im psychischen Bereich, bzw. in der psychosozialen Entwicklung. Es zeigen sich: Depressionen und Angstzustände und psychotische Erlebnisse, Beziehungs- und Kontaktstörungen, sowie Leistungsprobleme. Hier ist es besonders wichtig, dass der Zusammenhang von Symptomen und Cannabiskonsum nicht im Ursache-Wirkungsprinzip gesehen wird, sondern in einer wechselseitigen Bedingtheit. Kaum eine andere Droge wird in so vielfältiger Weise zur Regulation psychosozialer Prozesse eingesetzt: Zur Linderung depressiver Stimmungen, zur Reduktion von Ängsten, zur Regulation von Nähe und Distanz in Beziehungen, bei hyperaktiven Personen können sich sogar Leistungsprobleme verbessern. Diagnostisch ist deshalb zu klären welche Symptome und Probleme bereits vor dem Konsum vorhanden waren und welche "Verschlimmbesserung" durch das Kiffen erreicht wurde. "Cannabis als Heilmittel", im Sinne einer Selbstmedikation wird von einem Teil der Konsumenten längst praktiziert.

Ich-Stabilität/ Persönlichkeitsstruktur

Nach unseren therapeutischen Erfahrung mit dieser Zielgruppe ist ein differenzierteres Verständnis für den Zusammenhang der Ich-Stabilität und der Entwicklung von Problemen mit Cannabis von besonderer Relevanz. Dieser Aspekt ist insofern bedeutsam, als der Gebrauch von Cannabis hier oftmals kompensatorische Funktion erlangt und sowohl stabilisierende als auch labilisierende Effekte haben kann. Wir haben beispielsweise beobachtet, dass Klienten mit ausgeprägter Ich-Schwäche Cannabis immer wieder benutzen, um Phasen unerträglicher Spannung erträglich zu machen und mit der vorübergehend beruhigenden, von Emotionen distanzierenden Wirkung der Droge subjektiv Schlimmeres zu verhindern wie Wutausbrüche, Selbstverletzungen etc.. Es gilt hier, Alternativen zur Spannungsreduktion zu erarbeiten und den Klienten dafür zu sensibilisieren, dass er sich mit dieser Selbstmedikation zwar kurzfristig Erleichterung verschafft, langfristig jedoch weiter labilisiert. Denn die leicht halluzinogene Wirkung von Cannabis ist für das Ziel, mehr Kontrolle über sich, über Fantasien und Emotionen zu erlangen, eindeutig kontraindiziert.
Dies gilt in noch stärkerem Maße für Klienten, die manifeste Psychosen ausgebildet haben. Es fällt ihnen oft sehr schwer, auf den Konsum zu verzichten, da sie auf diesem Weg die häufig einer Psychose oder einem Psychiatrieaufenthalt folgenden Belastungen wie soziale Isolation, Depressionen oder auch Nebenwirkungen von Neuroleptika zu lindern versuchen.

Aktuelle Lebenssituation und persönlicher Ent-wicklungsstand

Unsere Klientel umfaßt das Altersspektrum von 14 bis ca. 40 Jahren. Dementsprechend befinden sie sich in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen und sind mit unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben konfrontiert.
Es ist klar, dass der therapeutische Umgang mit jugendlichen Klienten aufgrund der entwicklungsspezifischen Situation eine andere Grundhaltung und therapeutische Strategie als bei älteren Klienten erfordert. Die "Normalität" des Cannabiskonsums in dieser Lebensphase macht es für jüngere Klienten besonderes schwer, ein differenziertes Verständnis für eigene Probleme im Zusammenhang mit dem Konsum zu erlangen. In der Regel sind es bei den jüngeren Klienten auch eher Familienangehörige oder andere Bezugspersonen, die den Anstoß zur Therapie geben. Viele unserer Klienten sind trotz eines langfristigen Cannabiskonsums auf den ersten Blick "sozial unauffällig", d.h. besuchen die Schule, studieren oder gehen einer Berufstätigkeit nach. Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch oftmals erhebliche Leistungs- und Motivationsprobleme und eine persönliche Entwicklung, die auch in anderen Aspekten "steckengeblieben" ist (Interessen, emotionales Erleben, Beziehungen). Übereinstimmend stellen dann auch viele Klienten fest, dass sie in gewissen Bereichen immer noch da stehen, wo sie mit Beginn des Drogenmissbrauchs standen. Und das liegt manchmal 5, manchmal 15 Jahre zurück.


Ressourcen

Insbesondere in systemischen Therapieansätzen ist die Ressourcenorientierung von entscheidender Bedeutung. In unserer Arbeit mit Cannabiskonsumenten ergeben sich oft zahlreiche Anknüpfungspunkte an offensichtlichen oder verdeckten Begabungen. (z.B. reichhaltige Phantasien, kreatives Denken, Friedfertigkeit, verborgene Rebellion.....) Was als "Defizit" erscheint, kann unter einem Perspektivwechsel auch eine Gabe sein. Da die Mehrzahl der Klienten mit starkem Selbstzweifel und labilem Selbstwertgefühl zu tun hat, lohnt es sich, in der Therapie an diesen Begabungen anzusetzen.



Fazit

Die Therapie von Cannabiskonsumenten mit pro-blematischem bzw. abhängigem Konsum erfordert ein psychotherapeutisch orientiertes, integratives und flexibles Behandlungskonzept. Klassische sozialtherapeutisch orientierte Suchtbehandlung (Entgiftung - Entwöhnung - Nachsorge), geht in der Regel an dem Bedarf der Klienten vorbei. Sie leiden weniger unter körperlichen Problemen und sind im Durchschnitt auch sozial besser integriert als Opiatabhängige. Stationäre Therapie (eher psychosomatisch orientiert) ist deshalb nur in Einzelfällen notwendig. Entscheidend für die Behandlung von Cannabiskonsumenten ist das Verstehen und Ernstnehmen der spezifischen Funktion von Cannabis für die individuellen Probleme. Mit diesem gemeinsam zu erarbeitenden Wissen kann man sich mit dem Klienten auf den Weg zu einer besseren Alternative machen. Die Ausstiegshilfen können dabei individuell flexibel gestaltet werden und sollten das jeweilige Störungsbild berücksichtigen.

Abschließend sei bemerkt: Nach jahrelanger oft undifferenzierter und ideologisch geprägter Diskussionen zum Thema Cannabis, bleibt zu hoffen, dass im Rahmen einer Versachlichung der Debatte es möglich wird, sowohl die positiven genußhaften Aspekte, als auch die negativen problematischen Aspekte des Cannabiskonsums wahrzunehmen.

Korrespondenzadresse:

Andreas Gantner
Therapieladen e.V.
Potsdamer Straße 131
10783 Berlin
Tel. 03021751741
Email: therapieladen-berlin@t-online.de

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